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E-Book, Deutsch, 192 Seiten

Paul Schlaraffenland

Ein Buch über die tröstliche Wirkung von warmem Milchreis, die Kunst, ein Linsengericht zu kochen, und die Unwägbarkeiten der Liebe

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

ISBN: 978-3-938539-82-8
Verlag: mairisch Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Oberkellner Adam liebt seinen Beruf, nur die Gäste stören ihn immer ein bisschen. Ein Restaurantkritiker folgt seinem Bauchgefühl und begeht einen kleinen Fehler von großer Wirkung. Ein Foodblogger lässt mal fünfe gerade sein und kauft normales Hackfleisch. Und Kantinenköchin Herta Klöpke will sich nicht wegrationalisieren lassen. Eines Nachts kocht sie am alten Arbeitsplatz noch mal ganz groß auf ...
Mit hintergründigem Sprachwitz und klugem Humor erzählt Stevan Paul in 15 neuen Kochgeschichten pointiert von der Suche nach dem modernen Schlaraffenland. Dieser ganz und gar nicht märchenhafte Sehnsuchtsort liegt gleich hinter den Umkleidekabinen eines alten Ostberliner Kaufhauses, findet sich in den verschneiten Wäldern Schwedens, am Strand von Sylt, in den Tiefen des Internets, der Küche eines längst geschlossenen Berghotels und auf dem Boden eines geleerten Suppentellers. Und natürlich gibt es zu jeder Geschichte das passende Rezept.
Stevan Paul glänzt nach dem großen Erfolg seines Debüts "Monsieur, der Hummer und ich" und seiner Kochbücher (u.a. "Auf die Hand" und "Deutschland vegetarisch") erneut auf unverwechselbare Weise. Ein Buch über die tröstliche Wirkung von warmem Milchreis, die Kunst, ein Linsengericht zu kochen und die Unwägbarkeiten der Liebe.
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Nachtschichten
Es riecht nach Männerschweiß, der Alkohol der letzten Nacht dünstet sauer aus, die Jungs haben gefeiert, Herr Adam atmet durch den Mund. Er trägt geruchloses Deodorant auf, schließt das gestärkte Hemd vor der glatt rasierten Brust. Im Spiegel der Spindtür zeigt sich Routine beim Anlegen der Schleife, altmodisch, finden die jungen Kollegen, nicht zeitgemäß, so eine Fliege. Herr Adam sieht das anders. Er liebt seinen Querbinder, denn der schafft Abstand. Herr Adam nimmt zwei Stufen gleichzeitig, in seinem Mund dreht ein Pfefferminzbonbon energisch seine Runden, hinter Adam schlurfen die verkaterten Jungköche auf Birkenstockschuhen die Wendeltreppe hinauf, lustlos in ihren grau gewaschenen Uniformen. Erster. Im Dunkel der Küche wispert ein Fond, es riecht nach gebrannten Knochen, karamellisierten Zwiebeln und schwerem Rotwein. Herr Adam drückt im Vorbeigehen die Lichtschalter, Neonröhren blenden auf, aufgeschreckte Kakerlaken suchen Schutz unter den Öfen und Metalltischen der Küche, fliehen über weiße Bodenkacheln, nur einen Wimpernschlag lang zu sehen. Im Getränkeoffice räuspert sich die Kaffeemaschine, zwölf Nachtschwarze für die Küche mit ordentlich Zucker. Herr Adam geht hinaus ins Restaurant, hinter ihm schneidet die Schwingtür alle Geräusche ab, in der Mitte des Raumes bleibt er stehen. Diese Ruhe. Im Halbdunkel schimmern die Seidenbezüge der akkurat ausgerichteten Stühle, auf den Tischen feines Porzellan, schweres Silberbesteck ruht auf weichen Stoffservietten, zarte Gläser stehen Spalier. Herr Adam sieht sich um und nickt nachdrücklich. So gefällt ihm das Restaurant am besten. So still. Und vor allem: so menschenleer. Vor den Fenstern zieht der Wind durch die blattlosen Bäume der Uferpromenade, fröstelnd kräuselt sich der See im Dämmerlicht des Nachmittages. War eigentlich überhaupt mal Tag heute, fragt sich Adam, der lange geschlafen hat, beim Blick in die Welt da draußen. Ihm fällt seine alte Großmutter ein, die zu dieser Jahreszeit die immer gleiche Wetterwarnung ausgab, mit dem Zeigefinger in der Luft stochernd, der März ist ein Kindstöter.   »Adam, altes Tellertaxi, mach dir doch mal Licht hier!«, ruft Gröpke aus dem Nichts und platziert einen gekonnten Handkantenschlag in den Nacken seines Serviceleiters, Herr Adam zuckt zusammen, er hatte den Küchenchef nicht kommen hören. »Mensch Adam, Alter, ich sach ma so, das wird ja überhaupt nicht mehr hell da draußen, ist das hier Helsinki, oder was?« Gröpke hat jetzt einen Arm um Adam gelegt, spielt mit der anderen Hand an dessen Fliege, schwitzt redselig Restalkohol: »Hömma, Bude voll heute, 56 Couvert, Lehmanns sind dabei mit vier Gästen, Pingstädter wieder Fensterplatz wie immer, und die Aschmanns kommen auch noch mit sechs Leuten, machste bisschen schön bei denen, ne? Und kuckst mal, dass die nicht alle à la carte fressen, die sollen Menü nehmen, weißte Bescheid, Mensch Adam, diese Dunkelheit macht mich ganz trübsinnig!« Gröpke holt kurz Luft, seufzt ausdrücklich: »Ich sach dir, ich hasse diesen Job!« Adam, aus der Umarmung des Küchenbullen entlassen, rückt sich gerade und macht sich an die Arbeit. Ihm geht es da ganz anders. Er liebt seinen Beruf. Aufrichtig. Es sind eigentlich nur die Gäste, die Herr Adam nicht leiden kann.   Herr Pingstädter studiert konzentriert den Teppichlauf, Frau Pingstädter gibt schmallippig die Beleidigte: »Herr Adam! Wir haben das schon bei der Reservierung angegeben, dass wir am Fenster sitzen wollen, wir sitzen immer am Fenster!« Heute nicht, denkt Herr Adam und lächelt herzlich: »Da muss was schiefgelaufen sein, ich mach's wieder gut, ein Glas Champagner auf meine Rechnung, Frau Pingstädter, kommt sofort, nehmen Sie doch schon mal da am kleinen Tisch bei der Garderobe Platz!« Herr Adam zwinkert Frau Pingstädter verschwörerisch zu. »Aber wir haben doch …« »Frau Pingstädter. Ich zeige Ihnen mal was.« Mit ausladender Geste lenkt Herr Adam das Augenmerk der Eheleute Pingstädter zum Fenster: »Sehen Sie?« Eine ganze Weile stehen die drei schweigend, betrachten das große Fenster des hell erleuchteten Restaurants, draußen die Dunkelheit, nachtschwarze Rechtecke zwischen weißen Holzrahmen. Herr Pingstädter begreift zuerst: »Es gibt nichts zu sehen!« »Es gibt nichts zu sehen.« Herr Adam nickt und holt den Champagner, er weiß, da ist noch eine Flasche mit einem Rest von gestern.   Herr Adam liebt insbesondere die ersten Abendstunden im Restaurant, die Kerzen brennen hoch, die Gäste unterhalten sich in angemessenem, gedämpftem Ton miteinander, sitzen aufrecht und aufmerksam vor unbefleckten Tischdecken, auf denen erst später mit Rotwein, Saucenfett und kalter Zigarrenasche der Verlauf des Abends festgehalten sein wird. Er mag die Klarheit der unberührten Gläser, das glänzend polierte Besteck. Er mag, dass am Anfang eines Abends alles an seinem Platz ist. Und dann der Auftritt der Kollegen: Braunthaler, der junge Sommelier im Zweireiher, silbern schimmert die kleine Traubenrispe am Revers, das Erkennungszeichen seiner Zunft; Lehrling Mirko mit dem strengen Façonschnitt und den ausbaufähigen Manieren und Helena, diese wunderschöne, große Frau. Manchmal unterbricht Adam seine Arbeit im Restaurant, unbemerkt und nur für eine Sekunde bewundert er Helenas Gang, ihre vornehmen, weichen Bewegungen, beobachtet den Lauf der Stofffalten auf ihrem akkurat gebügelten Hemd, sieht zu, wie sich ihre gepflegten Hände mit großer Zartheit um eine Wasserkara?e legen und sich die Muskeln ihrer Unterarme beim Aufnehmen der schweren Teller spannen. Eine Sekunde nur, die Adam stets gänsehäutig zu seiner Arbeit zurückkehren lässt. Adam hat sie alle ausgesucht und eingestellt, Helena, Herrn Braunthaler, Mirko, er hat sie gelehrt, dass dienen Respekt erfordert, auch vor sich selbst. Da kommen Aschmanns mit ihren Gästen, Guten Abend zwischen Mantelbergen, ich darf Sie zu Ihrem Tisch führen, dazu spielt Strauss, Johann Strauss, alle beide, der Vater und der Sohn, Best-of im Endlosloop, Gröpkes Idee. Alle 78 Minuten ertönt der Kaiserwalzer. Die Bestellung der Aschmanns bringt Adam lieber selbst in die Küche. Ungläubig starrt Gröpke auf den Bon: »Willst du mich verarschen, Adam? Sind das Aschmanns? Hab ich nicht gesagt, die sollen Menü essen?« Herr Adam ist unendlich müde: »Wollen die aber nicht.« »Arschloch«, zischt Gröpke und dreht sich um: »Bon neu! Tisch neun, zweimal das große Menü, dazu als Première zweimal die Gänsestopfleber, einmal die Langustenterrine und einmal die Austern. Deuxième: zweimal die Jakobsmuscheln. Troisième: zweimal Lamm, einmal Loup de Mer und einmal die Ente in zwei Gängen. Dessert auf Abruf.« »Oui, Chef!«, antwortet die Küchenmannschaft aus einem Mund, es folgt vielstimmiges Fluchen und Stöhnen. Noch viermal Kaiserwalzer, dann ist Feierabend, denkt Adam, und irgendwie tröstet ihn der Gedanke nicht wirklich. »Hier Tisch fünf, nimm ma mit«, grantelt Gröpke, schiebt zwei Teller unter die Wärmelampen der Durchreiche, greift zum Glas mit Kochwein, spült seinen Ärger in zwei großen Schlucken runter und annonciert: »Zweimal die Jakobsmuscheln mit Wasabi-Schaum und geröstetem Nori-Blatt.« Herr Adam nimmt die Teller auf und verschwindet aus der Hitze. Kurz vor der Schwingtür zum Restaurant biegt er ab ins Getränkeoffice.   Er stellt die Teller auf den Schanktresen, betrachtet sie lange und denkt, was er schon oft gedacht hat: Seltsam, dass so ein grober, schlichter Mensch wie Gröpke so etwas berührend Schönes, Filigranes erdenken und auf den Teller bringen kann. Adam stippt mit der Fingerspitze in die Sauce und leckt ab, cremig schmilzt der Schaum im Mund, die würzige weiße Fischsauce ist intensiv und reich, fein geschärft mit grünem Meerrettich aus Japan und einer feinen Säure von Limette und Zitronengras. Mit seinem Kellnermesser schneidet er von jeder Jakobsmuschel ein Stückchen ab. Das Muschelfleisch ist perfekt gebraten, noch schön glasig, knisternd schmilzt das knusprig geröstete Algenblatt. Eine Weile sieht er noch dem Schaum zu, der sich leise zersetzt, verflüssigt und zergeht, dann trägt er die Teller zurück in die Küche: »Reklamation, Tisch fünf! Den Gästen ist das Essen zu kalt!« Gröpkes Augen weiten sich, schlagartig tritt Zornesröte in sein Gesicht, die geplatzten Adern auf seinen Wangen schimmern in kräftigem Lila. »Arschlöcher!«, schreit er, »alles Arschlöcher« und wirft eine Pfanne mit zwei Hirschmedaillons quer durch die Küche, dann noch mal: »Arschlöcher!« Adam denkt an die Textur und das Aroma der Sauce, an das perfekt gegarte Muschelfleisch, zuckt mit den Schultern, er versteht es nicht: so ein Mensch. Und dann so ein Essen. »Was gibt's denn da so schwul mit den Schulten zu zucken, Adam, das ist ja wohl deine Schuld, das zieh ich dir auch vom Gehalt ab, wenn ich das schon seh, wie du da immer im Schneckentempo raus servierst, klar wird das kalt, die Jakobsmuscheln zieh ich dir ab!«   Im Restaurant geigt Der Ziegeunerbaron auf Adams Nerven herum, der Sechsertisch will zahlen, aber bitte getrennte Rechnung, ja, auch den Wein, irgendwie umschichtig auf die sechs Einzelrechnungen verteilen, das sei ja wohl kein Hexenwerk. Während Herr Adam an der Computerkasse zaubert, flutet ein Gast an Tisch zwölf seine Sitznachbarin mit teurem Rotwein. Sommelier Braunthaler wirft mit Stoffservietten, sagt: »Macht doch nichts«, weiter lässt er sich nichts anmerken. An Tisch fünf mault Herr Lehmann, es sei hier auch alles schon mal ein bisschen schneller gegangen, man warte nun schon ewig auf zweimal Jakobsmuscheln, und Frau Pingstädter vom Garderobentischchen...


Stevan Paul, 1969 geboren, lebt in Hamburg. Der gelernte Koch schreibt heute als freier Autor kulinarische Texte, Kolumnen und Reisereportagen für Zeitschriften und Magazine, arbeitet als Foodstylist und als kulinarischer Berater für Agenturen und Verlage. Sein erster Erzählband "Monsieur, der Hummer und ich" erschien 2009. Zuletzt sind von ihm zudem die Kochbücher "Auf die Hand" und "Deutschland vegetarisch" erschienen. Stevan Paul betreibt eines der meistgelesenen Foodblogs im deutschsprachigen Raum.
www.stevanpaul.de
www.nutriculinary.com


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