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E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Parks Hotel Milano


1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-95614-577-3
Verlag: Kunstmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

ISBN: 978-3-95614-577-3
Verlag: Kunstmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



März 2020, die Welt hat sich über Nacht verändert. Frank ist kurzfristig nach Mailand gereist und sitzt nun in seinem Luxushotel fest, wo er eine folgenschwere Begegnung hat. Eine berührende Geschichte über die Freundlichkeit von Fremden und über einen Mann, der angesichts der Möglichkeit, ein Leben zu retten, auch eine Bilanz seines eigenen ziehen muss. Franks zurückgezogene Existenz in einem ruhigen Stadtteil Londons wird empfindlich gestört, als er zur Beerdigung seines alten Freundes Dan nach Mailand kommen soll. Er hofft, dort seine Ex-Frau Connie, die auch Dans Geliebte war, wiederzutreffen, und fliegt selbstvergessen in das Epizentrum einer Krise, die er in den Nachrichten kaum registriert hat. Es ist Frühling, das Hotel Milano, in dem er abgestiegen ist, bietet jeden erdenklichen Komfort - Frank will es sich ein paar Tage gutgehen lassen, um die jähe Konfrontation mit seiner Vergangenheit zu verdauen. Doch dann gilt von einem Tag auf den anderen eine Ausgangssperre, das gesamte öffentliche Leben kommt zum Erliegen, Frank bekommt keinen Heimflug mehr und sitzt auf unbestimmte Zeit fest. Als er nachts vom Geräusch dumpfer Schläge aufwacht und auf der Suche nach deren Ursprung auf dem Dachboden des Hotels landet, trifft er auf Hakim, einen kleinen Jungen, der sich mit Mutter und Großvater hier versteckt hält. Frank muss eine Entscheidung treffen, die sein Leben und das der Familie für immer verändern wird.

Tim Parks, geboren in Manchester, wuchs in London auf und studierte in Cambridge und Harvard. Seit 1981 lebt er in Italien. Seine Romane, Sachbücher und Essays sind hochgelobt und mit vielen Preisen ausgezeichnet. Er schreibt für den Guardian, The New Yorker und The New York Review of Books und übersetzte u.a. die Werke von Moravia, Calvino, Calasso, Tabucchi und Machiavelli. Er lebt in Mailand.
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I


AM FREITAG, DEM 6. MÄRZ 2020, erhielt ich, völlig unerwartet, gegen Mitternacht einen Anruf, mit dem man mich zu Dan Sandows Beerdigung einlud. Sie sollte am folgenden Nachmittag in Mailand, Italien, stattfinden. Der Leichnam befand sich an Bord eines Fluges, der soeben vom JFK-Airport gestartet war.

Das Wort ›einlud‹ ist vielleicht irreführend. Es war mehr ein Appell.

Ich hoffe, mein Anruf kommt nicht zu spät, Mr. Marriot.

Den Namen des Mannes hatte ich nicht verstanden, aber ich nahm an, er sei Junior Editor, einer der vielen Junior Editors bei der renommierten Zeitschrift, die Dan so lange geleitet hatte. Mein alter Freund und Rivale ist also in Amt und Würden gestorben, dachte ich. Saß bis zum Schluss fest im Sattel.

Diese Verfügung hat uns alle überrascht, sagte die Stimme in entschuldigendem Tonfall. Er wollte neben seiner geliebten Vittoria bestattet werden, wissen Sie.

Wusste ich nicht.

Allerdings werden wir, da man uns erst heute Nachmittag darüber informiert hat – er hat uns alle im Dunkeln gelassen –, nicht rechtzeitig anreisen können. Aus New York. Deshalb rufen wir unsere Mitarbeiter in Europa an, in der Hoffnung, dass einige von ihnen dabei sein können. Um die Zeitschrift zu vertreten. Das ist uns wichtig nach allem, was er für uns getan hat.

Es gab tausend gute Gründe, warum ich nicht auf Dan Sandows Beerdigung gehen sollte. Ich gehöre auch nicht zu den Menschen, die unerwarteten Anfragen spontan nachkommen. Trotzdem versprach ich dem Junior Editor, ich würde mich gleich nach Flügen erkundigen.

Wunderbar, sagte der höfliche junge Mann. Wir sind Ihnen sehr dankbar. Ich maile Ihnen in Kürze die Details.

Eine halbe Stunde später hatte ich einen British-Airways-Flug von London Gatwick nach Mailand-Malpensa gebucht. Zu einem unverschämt hohen Preis. Übernahm die Zeitschrift eigentlich die Kosten? fragte ich mich. Ich lag auf dem Bett und war ziemlich aufgeregt. Es war Jahre her, seit ich zum letzten Mal in ein Flugzeug gestiegen war, und noch länger, seit ich für Dans renommierte Zeitschrift geschrieben hatte. Überhaupt für irgendeine Zeitschrift. Warum also betrachtete man mich dort als einen »unserer europäischen Mitarbeiter«? Wie viele andere hatten sie angerufen, ehe sie auf mich gekommen waren? Ein Relikt.

Hatte der höfliche junge Mann vielleicht »unsere historischen europäischen Mitarbeiter« gesagt? Mir war plötzlich so, als hätte ich das Wort gehört. Das würde Sinn machen. Doch als ich die Unterhaltung, die meine übliche mitternächtliche Suche nach dem passenden Lesestoff fürs Bett unterbrochen hatte, im Geiste noch einmal durchging, war ich mir nur einer einzigen Sache sicher, und das war die Höflichkeit des jungen Amerikaners, sein respektvoller Ton. Dan hat sich immer mit höflichen jungen Männern umgeben, fiel mir ein. Respektvollen jungen Frauen. Sie gehörten zu der renommierten Erscheinung, die Dan Sandow abgab, waren Teil des Raums, den er so viele Jahre lang besetzt hatte. Allerdings klaffte ein Abgrund zwischen seiner Erfahrung und ihrem Eifer. Seiner Gerissenheit und ihrer Hingabe. Hatte er Affären mit ihnen? Spielte das eine Rolle? Er hatte MeToo ohne das leiseste Raunen überstanden, um jetzt, ehrenvoll, im Sattel zu sterben, umringt von jungen Gefolgsleuten, die darauf brannten, ihm einen gebührenden Abschied zu bereiten. Nach allem, was er für uns getan hat.

Auf jeden Fall hatte er eine Affäre mit Connie gehabt.

Ich lag ganz still. Dies ist eine bescheidene Wohnung. In Maida Vale. Nichts Anspruchsvolles. Ich putze selbst. Ab und zu. Manchmal sage ich mir, wenn ich wirklich vorhätte, mich zurückzuziehen, gänzlich – manchmal kommt mir das Wort Läuterung in den Sinn –, dann wäre es nur logisch, diese Bleibe hier zu verkaufen, von den Londoner Immobilienpreisen zu profitieren und für das Geld etwas Abgelegenes zu erwerben, an der Grenze nach Wales vielleicht, oder im schottischen Hochland. Oder auch an der irischen Westküste. Manchmal surfe ich durch die Immobilienanzeigen und schaue mir Bilder von einsamen Küsten an, von Heidesträuchern, Farnkraut und steinigen Stränden. Ich stelle mir vor, wie ich in festen Stiefeln über sanfte Hügel wandere, vielleicht mit einem Wanderstock in der Hand, bereit, in Wälder und Fluten einzutauchen, bis mein Geist nicht mehr als ein Gezeitentümpel ist, in dem der Himmel sich spiegelt und der nur auf die nächste heranrollende Welle wartet, die alle Reflexionen mit sich fortträgt. Aber ich habe mich noch kein einziges Mal nach einer diesen entlegenen Immobilien erkundigt. Ich hänge an London. Ein Einsiedler im Tollhaus. Nicht, dass ich mitmache. Die Zeiten sind vorbei. Ich habe kein Verlangen nach höflichen jungen Leuten, die mir zuarbeiten. Aber ich kann mich auch nicht aufraffen, wegzuziehen. Meine Spaziergänge führen mich durch die belebtesten Straßen. Ich beobachte die Menschen. In überfüllten Kneipen. Ich sauge ihre Gespräche ein, ohne daran teilnehmen zu wollen. Zu Hause verfolge ich nicht die Nachrichten. Vade retro Satana. Nur etwa einmal im Monat schaue ich mir die Börsenberichte an. Ich glaube, mein Geld wird reichen.

Connie, sage ich leise. Hatte ich mich zum Besuch von Dan Sandows Beerdigung bereit erklärt, weil ich hoffte, Connie dort zu treffen?

Ich stand auf und fing an, Kleidungsstücke herauszusuchen. Hatte ich etwas Passendes für eine Beerdigung? Etwas Sauberes? Wann hatte ich das letzte Mal einen Anzug getragen? Mit einem Stab konnte man die Bügel von der oberen Kleiderstange herunterholen. So viele Jacketts und Hemden, die ich ganz vergessen hatte. Natürlich würde sich niemand darum scheren, wie ich aussah. Und wenn doch, war es mir egal. Warum stocherte ich also mit meinem Stab oben im Schrank herum und suchte nach dem schwarzen Anzug? Anstrengend war das. Und wie lange wollte ich eigentlich bleiben? Ich hatte keinen Rückflug gebucht. Es wäre zu schade, in eine Stadt wie Mailand zu fliegen und sich nicht ein bisschen umzuschauen. Aber bestimmt nicht länger als ein paar Tage. Ich schleppte die Trittleiter aus dem Bad herüber und zog einen kleinen Rollkoffer vom Schrank. Völlig eingestaubt. Jetzt schwebte der Staub nach unten aufs Bett. Man sah die Flocken im Licht der Lampe. Staub zu Staub. Ich ging in die Küche, um einen Lappen zu holen.

Ob Connie wusste, dass Dan gestorben war? Über seinen Tod war sicher überregional berichtet worden. Das Ende einer Ära. Elder Statesman der amerikanischen Intelligenzia. Aber wusste sie auch über die Beerdigung Bescheid? Vermutlich nicht, wenn selbst der höfliche junge Mann erst heute davon erfahren hatte. Sicher hatten alle mit New York gerechnet. Es sei denn, die beiden hatten noch Kontakt gehabt. Aber selbst wenn sie von seinem Tod und der Verfügung bezüglich der Beerdigung wusste, würde sie dafür anreisen? Aus Berlin. Falls sie noch in Berlin wohnte.

Als ich fertig gepackt hatte, war es fast zwei Uhr morgens. Wenn ich zwei Stunden vor Abflug in Gatwick sein wollte, musste ich den Wecker auf sechs stellen. Lohnte es sich überhaupt, schlafen zu gehen?

Ich legte mich wieder aufs Bett, noch angezogen, und versuchte, ein paar klare Gedanken zu fassen. Durch die Wand hinter mir drang leises Wehklagen aus einem Fernseher. Irgendein Melodram näherte sich seinem Höhepunkt. Es hat mich schon immer gestört, die Fernseher anderer Leute zu hören. Erst recht, seit ich selbst meinen Fernseher abgeschafft hatte. Doch jetzt merkte ich plötzlich, dass diese spätabendlichen Fernsehgeräusche und der Gedanke an die Schauenden, die sich um dieses Melodram versammelt hatten wie um den häuslichen Herd, mich beruhigten. Vielleicht beruhigte mich auch die Aussicht, mich darüber ärgern zu können. Der Gedanke war überraschend. Dans Beerdigung hat dich wachgerüttelt, dachte ich. Und musste lächeln. Wachgerüttelt zur Totenwache.

Aber wenn ich dem höflichen jungen Lektor tatsächlich nur zugesagt hatte, weil ich bereits hoffte, fürchtete oder sonst wie darauf fixiert war, Connie zu begegnen, wäre es dann nicht nur logisch, ihr eine E-Mail zu schreiben und sie zu fragen, ob sie kommen würde? Ich könnte sie sogar anrufen.

Ich lag auf dem Bett und beobachtete eine Spinne in der Ecke über dem Schrank. Ich musste beim Herunterholen des Koffers ihr Netz zerstört haben, und jetzt war sie dabei, es zu reparieren, um die Dinge wieder in den Zustand zu bringen, in dem sie gewesen waren, ehe der höfliche junge Amerikaner mit seiner Geschichte von einem Leichnam, der mit dem Flugzeug von New York nach Mailand unterwegs war, alles durcheinandergebracht hatte. Du kannst immer noch einen Rückzieher machen, dachte ich, falls Connie nicht hinfliegt. So oder so wäre es sicher besser, zu wissen, was dich erwartet, wenn du auf der Beerdigung eintriffst. Die wo stattfand? Wohl kaum in einer Kirche, das konnte ich mir nicht vorstellen. Vielleicht direkt auf dem Friedhof. Ich griff nach meinem Handy und schaute in die E-Mails, aber es war noch...


Parks, Tim
Tim Parks, geboren in Manchester, wuchs in London auf und studierte in Cambridge und Harvard. Seit 1981 lebt er in Italien. Seine Romane, Sachbücher und Essays sind hochgelobt und mit vielen Preisen ausgezeichnet. Er schreibt für den Guardian, The New Yorker und The New York Review of Books und übersetzte u.a. die Werke von Moravia, Calvino, Calasso, Tabucchi und Machiavelli. Er lebt in Mailand.

Tim Parks, geboren 1954 in Manchester, studierte in Cambridge und Harvard. Seine Romane, Sachbücher und Essays sind hochgelobt und mit vielen Preisen ausgezeichnet. Zuletzt erschien sein Sachbuch 'Der Weg des Helden' (2022). Parks schreibt für den Guardian, The New Yorker und The New York Review of Books und übersetzte u.a. die Werke von Moravia, Calvino, Tabucchi und Machiavelli. Er lebt in Mailand.

Tim Parks, geboren 1954 in Manchester, studierte in Cambridge und Harvard. Seine Romane, Sachbücher und Essays sind hochgelobt und mit vielen Preisen ausgezeichnet. Zuletzt erschien sein Sachbuch »Der Weg des Helden« (2022). Parks schreibt für den Guardian, The New Yorker und The New York Review of Books und übersetzte u.a. die Werke von Moravia, Calvino, Tabucchi und Machiavelli. Er lebt in Mailand.



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