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E-Book, Deutsch, Band 2, 479 Seiten
Reihe: Orange County Morde
Parker Rote Schatten
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-98952-841-3
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kriminalroman | Orange County Morde 2 | Für Fans der Jack-Reacher-Reihe
E-Book, Deutsch, Band 2, 479 Seiten
Reihe: Orange County Morde
ISBN: 978-3-98952-841-3
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Der amerikanische Bestsellerautor T. Jefferson Parker ist mit dem kalifornischen Setting seiner gefeierten Kriminalromane bestens vertraut: Er wurde in Los Angeles geboren und wohnt heute in San Diego. Seinen Abschluss machte er an der renommierten UC Irvine und anschließend arbeitete er fünf Jahre lang als Zeitungsreporter. In dieser Zeit entstand sein erster Roman, »Feuerkiller«, der 1987 von HBO verfilmt wurde und den Start seiner erfolgreichen Schriftstellerkarriere markiert. Es folgten über 28 Kriminalromane, zahlreiche Platzierungen auf Bestsellerlisten und mehrfache Auszeichnungen, u.a. mit dem Edgar Prize und dem Los Angeles Book Prize. Die Website des Autors: www.tjeffersonparker.com Bei dotbooks veröffentlichte der Autor seine »Orange County Morde«-Reihe sowie seine Standalones »Feuerkiller«, »Der stille Mann«, »Der Fall Rebecca«, »Hidden Enemy«, »Sister Case«, »Summer of Fear« und »Family Business«.
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Kapitel 2
Merci traf Mike um sieben zum Frühstück in der Gerichtscafeteria. Sie hatte nur drei Stunden geschlafen und konnte noch nicht klar denken. Tim junior war aufgewacht, als sie in sein Zimmer gekommen war. Sie hatte ihn im Arm gehalten, bis er wieder eingeschlafen war. Er war inzwischen eineinhalb Jahre alt, ihr kleiner Mann, der ihr alles bedeutete.
Heißhungrig wie immer morgens holte sie sich ein großes Frühstück. Mike stellte sein Tablett mit Joghurt, Obst und Kaffee mit einem neidischen Seitenblick ab. Er hatte einen Ordner unter dem Arm und überreichte ihn Merci.
»Eine Kopie von Whittakers Akte«, sagte er. »Ich habe gedacht, ich könnte dir ein bisschen Arbeit abnehmen.«
Sie betrachtete das Deckblatt: eine Verurteilung wegen Trunkenheit am Steuer zwei Jahre zuvor, eine Festnahme wegen Haschisch, wofür sie lediglich an einem Drogenentwöhnungsprogramm teilnehmen musste, eine anhängige Klage wegen der Ausübung der Prostitution – die aber fallen gelassen werden sollte für ihre Kooperation mit dem Sittendezernat, das wegen eines Callgirl-Rings ermittelte.
»Wir hatten Aubrey Whittaker endlich so weit, dass sie uns dabei helfen wollte, dem Callgirl-Ring auf die Spur zu kommen«, sagte er frustriert.
Mike hatte ein hübsches Gesicht und war ein ernster Typ. Und während der vergangenen Monate schien er noch ernster geworden zu sein. Im letzten Jahr war er immer mal wieder für sie da gewesen. Sie mochte ihn und vertraute ihm, und er akzeptierte, dass sie ein wenig Distanz zwischen ihnen hielt, ein kleines Polster. Heirat: nein, nicht jetzt. Zukunft: später. Die Isolierung schien Teil ihres Charakters zu sein. Mike verstand das, auch wenn sie es selbst manchmal nicht tat.
»Das war erst vor zwei Tagen«, sagte Mike.
»Welcher Callgirl-Ring?«
»Epicure.«
»Ist das nicht der italienische Prinz?«
»Er ist ein JAKS-Killer.«
JAKS war eine neue Abkürzung bei der Polizei. Sie stand für Gangster aus Jugoslawien, Albanien, Kroatien und Serbien, die sich – obwohl sie die Schlachtfelder der Geschichte mit ihren in Bruderkriegen gefallenen Toten übersät haben – aus ethnischen Gründen verbündet hatten. Sie agierten in der Regel an der Ostküste, aber das südliche Kalifornien wurde ebenfalls nicht von ihnen verschont.
»Ich dachte, die JAKS würden Supermärkte ausrauben und LKWs klauen«, sagte Merci.
»Nun, dieser hier handelt mit Fleisch und gibt sich als italienischer Prinz aus.«
Mike schälte lustlos seine Banane, dann biss er genauso lustlos hinein. Das war typisch für ihn, dachte sie: Sein ganzes Leben wurde davon bestimmt, was er sollte, anstatt von dem, was er wollte. Dieses Verhalten war das, was seinen Charakter ausmachte, was seine Anständigkeit und manchmal auch seinen Edelmut begründete. Hundert Kilo Muskeln, ein jungenhaftes Lächeln und blaue Augen wie der Himmel über der Wüste, was auch immer das wert war. Manchmal war es eine Menge wert, bei anderen Gelegenheiten hielt sie ihn schlicht für eitel.
»Vorgeschichte?«
»Hier in Kalifornien gibt es Anzeigen wegen Zuhälterei und Gewalttätigkeiten. Natürlich gegenüber Frauen. Was er drüben in New York treibt, wer weiß?«
»Hoffentlich schnappt ihr ihn.«
Mike schüttelte langsam den Kopf. »Sie ... Aubrey Whittaker hat anfangs versucht, den Kerl zu decken. Meinte, wenn wir jemanden verhaften wollten, sollten wir doch sie verhaften. Wollte nicht zugeben, dass er fast den ganzen Gewinn aus ihrer Arbeit einstrich. Sie wollte auch nicht zugeben, dass man von ihr verlangte, ihre Kunden zufrieden zu stellen, egal wie. Und auch nicht, dass sie nur für ein Trinkgeld arbeitete. Er ist ein Schwein, das Neunzehnjährige an alte Säcke verhökert, an High-Tech-Klemmis mit Millionen-Firmen und ohne Moral. Wer das einem Mädchen antut, raubt ihm die Seele. Ich werde ihn kriegen. Und du wirst das widerliche Schwein schnappen, das sie umgebracht hat.«
Mike trug ein silbernes Kreuz um den Hals. Merci sah das Kettchen hinter dem offenen Kragen seines blauen Anzughemds glitzern. Er trug es seit einigen Monaten, seit er sich der Kirchengemeinde angeschlossen hatte. Merci war nur zweimal mitgegangen. Sie hatte keine Lust, eine Kirche aufzusuchen, wo die Gläubigen gezwungen waren, aufzustehen und ihre Nachbarn zu begrüßen.
»Viel Glück bei der Suche nach ihren Angehörigen«, sagte Mike. »Sie hat ihren Namen bei Gericht ändern lassen und wollte mir nicht sagen, wie ihr richtiger lautete.«
»Wo ist sie aufgewachsen?«
»Sie wollte nicht mit der Wahrheit herausrücken. In Oregon, Seattle, Texas oder auch Ohio, je nachdem, mit wem sie darüber sprach. Mir hat sie gesagt, in Iowa.«
»Und kam dann nach Kalifornien, um ein neues Leben anzufangen.«
»Eine traurige Geschichte. Und was hast du herausgefunden?«
Sie fasste zusammen, was sie wusste. Sie würde später noch einmal alles gemeinsam mit Zamorra durchgehen, sobald die Laborergebnisse vorlagen. Erst dann würden sie sich ein Bild machen können. Was sie bis jetzt hatten – ein Einzeltäter, der womöglich eine schallgedämpfte Waffe benutzt hatte; möglicherweise jemand, den Aubrey gut genug gekannt hatte, um ihm die Tür zu öffnen; keine Vergewaltigung und auch kein Raub. Motiv – bisher Fehlanzeige. Zeugen – einer, der Geräusche gehört hatte. Verdächtige – keine. Es sei denn, man wollte ihre Freier aus dem schwarzen Büchlein mit einbeziehen, von denen es zahlreiche gab.
Mike hörte zu, während seine Augen hin und her wanderten. Wenn ihn irgendetwas beunruhigte, wurde sein Blick unstet und fand keinen festen Punkt.
»Es ergibt keinen Sinn«, sagte er. »Ein Haufen Geld in ihrer Brieftasche, keine Vergewaltigung, nichts gestohlen? Warum bringt jemand sie um? Nur um das Geräusch einer schallgedämpften Automatik zu hören?«
»Ich kann mir auch keinen Reim darauf machen, Mike.«
»Sie war ... gerade mal neunzehn.«
»Ich glaube, dass sie ihn kannte. Lynda hat gesagt, dass es überall Fingerabdrücke gab, wie in jeder anderen Wohnung auch. Wir müssen einige davon jetzt durch die bei CAL-ID und AFIS gespeicherten Dateien schicken und sehen, ob was dabei herauskommt.«
»Ist das schwarze Notizbuch verschlüsselt?«
Sie schüttelte den Kopf. »Wenn, dann schlampig. Eine Menge Initialen und Namen, denen man nachgehen kann.«
»Manche Huren geben sich viel Mühe mit der Verschlüsselung. Dabei geht es ihnen nicht so sehr um Sicherheit als darum, ihre Freier zu Chiffren zu machen.«
»Bei ihr scheint das nicht der Fall gewesen zu sein.«
»Dann ist das womöglich der Schlüssel. Das und die Patronenhülse, falls du einen Verdächtigen und die Waffe auftreibst.«
Mike öffnete den Joghurtbecher und betrachtete die Unterseite der Alufolie. Er hatte lange blonde Wimpern, und wenn er sich entspannte und gedankenverloren auf etwas starrte, wirkte er unschuldig und verwirrt. Manchmal hatte sie das Bedürfnis, ihn fest in die Arme zu nehmen, so wie sie es mit Tim jr. tat. Mike hatte etwas Sanftes an sich – das fiel ihr besonders auf, wenn er mit seinen Hunden arbeitete. Mike trainierte die Spürhunde für das Department. Er hatte ihr geradeheraus gestanden, er sei mehr ein Hundenarr als ein Menschenfreund. Er hatte hart daran gearbeitet, das zu ändern, aus Gründen, die vielleicht nicht ganz auf eigener Einsicht beruhten.
»Merci, ich wollte Brighton bitten, uns den Fall gemeinsam bearbeiten zu lassen.«
Brighton war der Sheriff; und die Zusammenarbeit mit Mike kam nicht in Frage.
»Nein«, erwiderte sie.
»Aber es gibt starke Überschneidungen bei unseren Callgirl-Ring-Ermittlungen. Ich kann dir helfen. Glaub mir.«
»Dann hilf mir, Mike, aber ich möchte nicht, dass jemand außer mir mit dem Fall betraut wird. Außer mir und Paul.«
»Mein Gott, Merci, du könntest wenigstens mal darüber nachdenken.«
»Warum sollte ich?«
Trotz ihrer Erschöpfung und der aufsteigenden Wut bemerkte Merci die Enttäuschung in Mikes Gesicht. Er sah aus wie Tim junior, wenn er feststellte, dass die Flasche leer war: am Boden zerstört, jedes Mal wieder.
»Pass auf, Mike. Du kriegst alle Informationen. Ich werde dich auf dem Laufenden halten. Ich kann im Moment keinen Sergeant vom Sittendezernat in dem Durcheinander gebrauchen. Ich bekomme alle Hilfe, die nötig ist.«
»›Sergeant vom Sittendezernat in dem Durcheinander‹?«
»Genau.«
»Ist das so was wie das Haar in der Suppe?«
»Nein, Mike, ist es nicht.«
»Steht unsere Verabredung fürs Kino heute Abend noch?«
»Ich bin jetzt schon ziemlich erledigt. Können wir das ein andermal nachholen?«
»Wenns sein muss.«
Mit einer einzigen Bewegung stand er auf und nahm sein Tablett. Sie sah ihm zu, wie er die Essensreste in den Mülleimer kippte, das Tablett wegräumte und hinausging.
Melvin Glandis, der stellvertretende Sheriff, beugte sich mit einem Stapel abgegriffener Akten unter einem Arm über ihren Schreibtisch. Er hatte breite Schultern, schmale Hüften, kurze Beine und kleine Füße. Es hieß, er sei ein hervorragender Tänzer....