E-Book, Deutsch, Band 2, 686 Seiten
Reihe: Ley-Reihe
Palmatier Die gefallene Welt
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7325-7368-4
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Roman
E-Book, Deutsch, Band 2, 686 Seiten
Reihe: Ley-Reihe
ISBN: 978-3-7325-7368-4
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
In den Ruinen der Stadt Erenthrall gilt nur ein Gesetz: Töten oder getötet werden. Vom einstigen Prunk ist nichts mehr übrig, seitdem das Kraftnetz zusammengebrochen ist, das die Stadt mit magischer Ley-Energie versorgt hat. Besonders die Lumagier leben in diesen Zeiten gefährlich. Trotzdem machen sich die Magierin Kara und ihr Gefährte Allan auf den Weg in die einstige Stadt des Lichts, um den Wiederaufbau voranzutreiben. Doch dann wird Kara von den mächtigen Weißmänteln gefangen genommen, die ihre ganz eigenen Pläne mit der Stadt haben ... und dafür brauchen sie Karas Magie.
Joshua Palmatier wurde in Coudersport, Pennsylvania, geboren und lebte als Jugendlicher in diversen Staaten der USA, da sein Vater beim Militär war. Er ist promovierter Mathematiker und unterrichtet an einer Universität in New York. Palmatier schreibt seit seiner Jugend und hat bereits viele Fantasy-Romane veröffentlicht, darunter seine erfolgreiche Geisterthron-Trilogie.
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Eins
Kara Tremain kniete auf den Steinen am Ufer. Sie streckte die Hände mit dem Hemd aus ins eiskalte Wasser und schrubbte kräftig. Böschungen aus Stein und Sand erhoben sich zu beiden Seiten des Baches. Vor ihr erstreckte sich ein großer Tümpel, in dem das Wasser langsamer floss und tiefer war. Ein paar der jüngeren Kinder von Muld plantschten darin, beobachtet von ihren Müttern oder Vätern, die am Ufer an ihrer eigenen Wäsche arbeiteten.
Kara zog das Hemd aus der Strömung, wrang es aus und warf es in den Korb zu ihrer Linken, bevor sie nach dem nächsten griff. Es handelte sich um eines von Cory, das nach seinem Schweiß roch. Sie atmete seinen Duft ein, ehe sie es in Wasser tränkte und kurz innehielt, um es in der Mitte mit etwas getrockneter Seife zu besprenkeln, bevor sie wieder zu schrubben begann.
Nach dem ersten Waschtag hatten ihre Schultern anschließend eine Woche lang geschmerzt. Mittlerweile hatten ihre Arme sowohl Sonnenbräune angenommen als auch Muskeln entwickelt. In Erenthrall vor der Zersplitterung hatte sich immer jemand anders ihrer Wäsche angenommen – ihre Mutter, als sie jünger gewesen war, und nachdem ihre Eltern durch die Kormanley gestorben waren, hatte sich stets einer der Diener der Lumagierschule darum gekümmert. Dasselbe galt für all die Ley-Knoten, in denen sie danach gearbeitet hatte. Damals war es ihr nicht einmal aufgefallen, wenn jemand gekommen war, um die Wäschekörbe zu leeren oder die saubere Kleidung zurückzubringen, waren die Bediensteten doch nahezu unsichtbar gewesen.
Natürlich hatte man bei der Wäsche in Erenthrall auf die Hilfe der Ley zurückgreifen können, und die Arbeit war sehr viel leichter gefallen.
Instinktiv streckte Kara die Sinne danach aus. Doch anders als in Erenthrall wartete die Ley hier in Muld nicht, stand nicht bereit, um durch einen bloßen Gedanken benutzt zu werden. Es gab weder einen Nexus noch irgendwelche Knoten zur Verstärkung ihrer Macht. Vorhanden war die Ley aber dennoch.
Kara war es – mithilfe der anderen Lumagier in ihrer Gruppe – gelungen, sie in einem eigenen Netzwerk zu stabilisieren, womit sie den Wünschen einiger Bewohner von Muld zuwidergehandelt hatte. Die Ley floss stark genug, um die Flüchtlinge der Zersplitterung während der härtesten Wintermonate mit Heizsteinen für ihre Zelte zu versorgen. Kara vermutete, dass viele sonst nicht überlebt hätten, vor allem während der unnatürlich bitteren Kältewelle, die zum Ende des Jahres fast zwei Wochen lang angehalten hatte. Sie hatten trotzdem zwei Menschen verloren, und ein Dutzend andere hatten Erfrierungen erlitten.
Mit einem Schütteln löste sich Kara aus der Ley. Eines der Kinder spritzte sie nass, und sie schnippte voll gespielter Verärgerung mit dem Hemd nach dem Mädchen. Die Kleine ergriff quiekend durch das Wasser die Flucht. Lächelnd ließ Kara das Hemd in den nassen Korb fallen, griff nach dem nächsten Kleidungsstück und stellte fest, dass sie fertig war.
Die anderen Bewohner von Muld riefen ihr zu, als sie sich den Korb an die Hüfte klemmte und den steilen Hang erklomm, der hinauf zur Hauptgruppe der Gebäude führte. Sie wischte sich Schweiß von der Stirn, während sie sich unter den Ästen der Bäume ringsum hindurch duckte. Als sie oben ins Sonnenlicht gelangte, bog sie nach links zwischen zwei Hütten ab, wo Frauen und Kinder in den kleinen Kräutergärten arbeiteten. Einige Hunde bellten ihr zu und trabten ein Weilchen neben der jungen Frau einher, bevor sie zurückblieben. Das kleine Dorf lag nahezu verwaist da, denn die einheimischen Bewohner befanden sich zusammen mit den Menschen, die nach der Zersplitterung hier Zuflucht gesucht hatten, bereits draußen auf den Feldern, um den Rest der Frühjahrsernte zu säen.
Kara konnte nicht nachvollziehen, warum sie sich die Mühe machten. Sie hatte vor, die Verkrümmung zu beseitigen, die Erenthrall derzeit umhüllte, und anschließend zurückzukehren, um zumindest einen Anschein der Stadt wiederherzustellen, in der sie aufgewachsen war. Verlassen hatte sie ihre Heimat nur, weil es dort zu gefährlich geworden war. Gewalttätige Gruppen von Überlebenden hatten begonnen, wahllos zu töten, während gleichzeitig Rudel wilder Halbwölfe durch die Straßen streiften. Und die Beben, die unberechenbaren Ausbrüche der Ley sowie die willkürlich auftretenden Himmelslichtstürme vergrößerten die Gefahren nur zusätzlich.
Es war sicherer gewesen, sich nach Muld zurückzuziehen.
Als ihre Wagen damals auf dem schmalen Feldweg angehalten hatten, der einzigen Straße von Muld, hatten die Dorfältesten – Paul und Sophia – sie bereits erwartet. Sophia, über ein halbes Jahrhundert alt, was ihr dünnes, weißes Haar, ihre Runzeln und die Altersflecken bewiesen, war damals sofort auf Allan zugegangen, um ihn mit einer Umarmung und einem Kuss auf die Wange zu begrüßen. Gleichzeitig hatte sie dabei eine Hand ausgestreckt und auch Allans Tochter Morrell in die Umarmung gezogen. Morrell war in Tränen ausgebrochen und hatte sich an Sophia festgeklammert. Die hatte ihr zuerst übers Haar gestreichelt, bevor sie den Blick stechender, intelligenter Augen auf den Rest der Ankömmlinge gerichtet hatte.
»Und wen haben wir da, Allan? Gäste?«
»Ich fürchte nein. Das sind alles Flüchtlinge aus Erenthrall.«
Sophia schleuderte ihm einen harten Blick entgegen. »Erenthrall?«
Allans Schultern sackten herab. »Der Ort ist Geschichte. Zerstört.«
»Geschieht ihnen allen recht«, fauchte Paul. »Das hat die Nutzung der Ley über sie gebracht. Wir sollten sie nicht nach Muld hereinlassen. Sollen sie doch alleine mit den Folgen ihres Tuns zurechtkommen.«
»Still, Paul.« Sophias Stimme klang sanft, doch in ihrem Kern schwang Eisen mit, und Kara erkannte auf Anhieb, dass man hier bereits über Erenthrall Bescheid wusste. Sie mussten die Zersplitterung sogar hier in den Hügeln, mehrere Wochen beschwerlicher Reise nordwestlich, gespürt oder gehört haben.
Paul verstummte, behielt jedoch ablehnend die Arme vor der Brust verschränkt.
»Wir haben nicht vor zu bleiben«, meldete sich Kara zu Wort.
Die ältere Frau musterte Karas zerfledderte, von der Reise fleckige purpurne Lumagierjacke, dann begegnete sie ihrem Blick. »Ich denke, wir können noch Platz für einige weitere Menschen schaffen.«
Der Anflug von Erleichterung, der von der Wagenkolonne hinter ihr ausging, war geradezu mit Händen greifbar. Als Kara damals in Dankbarkeit ihren Kopf geneigt hatte, standen brennende Tränen in ihren Augen. Dann hatte Cory den Arm um ihre Mitte geschlungen, und sie hatte sich an ihn, an seine Stärke angelehnt. Sie hatte ein Schluchzen vernommen, als Sophia, Paul und eine Handvoll weiterer Dorfbewohner, die das Geschehen aus der Ferne beobachtet hatten, herbeikamen und die Neuankömmlinge zu einer weitläufigen Wiese im Westen führten, die nur einen kurzen Fußmarsch abseits des Dorfes lag.
Nun ging Kara zwischen Hütten hindurch, deren Bewohner sie mittlerweile alle namentlich kannte. Schließlich gelangte sie zu dem Grünstreifen, der Muld von jener Wiese trennte. Wenig später trat sie zwischen den Bäumen hervor.
Über die gesamte Länge der Grasfläche waren Zelte aufgeschlagen. Im hinteren Bereich errichtete eine Gruppe von Karas Flüchtlingsgefährten gerade eine Reihe von Hütten, kleiner als jene in Muld selbst, dennoch wesentlich solider als die Zelte. Zwei waren bereits fertiggestellt, eine dritte stand kurz davor, und von zwei weiteren standen zumindest schon die Gerüste aus Stützbalken und Trägern. Sie hielten keinen Vergleich mit den Gebäuden von Erenthrall aus, wirkten aber dennoch dauerhafter, verwurzelter, als es Kara lieb war.
Mit einem Schulterzucken verdrängte sie den Gedanken und steuerte auf das Zelt zu, das Cory und sie für sich beanspruchten. Kara schob den Korb mit der nassen Kleidung durch die Klappe, bevor sie selbst hinterherkroch. Dann stellte sie den Korb zur Seite, berührte den breiten, abgerundeten Heizstein und entsandte ihre Sinne nach der Ley. Der Stein begann, sich unter ihren Fingern zu erwärmen. Sie summte bei sich, als sie die Kleidungsstücke nacheinander auf Wäscheleinen hängte, die sich über dem Stein durch das Zelt spannten.
Als sie das letzte der Hemden aufgehängt hatte, bemerkte sie aus dem Augenwinkel durch die Zeltklappe eine Bewegung. Sie kniff die Augen zusammen und schirmte sie mit einer Hand ab.
Ihr Herz setzte einen Schlag aus, als sie Cory erkannte. »Warum hilfst du nicht auf den Feldern, Cory?« Er bewegte sich zwar schnell, rannte aber nicht ganz. Max, das Hündchen, das Kara nicht mehr von der Seite wich, seit sie es aus einer Verkrümmung gerettet hatte, preschte hinter Cory her. Beide hielten geradewegs auf sie zu.
Sie entsandte erneut die Sinne in die Ley, doch die verriet ihr nichts, und wenn es einen Unfall gegeben hätte, würde Cory nicht sie aufsuchen, sondern Logan oder Morrell.
Womit nur eine andere Möglichkeit blieb.
Kara warf die unbenutzten Wäscheklammern in den Korb und verstaute ihn im Zelt. Dann griff sie sich ihre purpurne Lumagierjacke, schlüpfte rasch hinein und schnappte sich einen Wasserschlauch.
Cory sah sie warten und winkte. Max bellte und raste ihm voraus. Kara kniete sich hin, als ihr der kleine Hund in die Arme sprang und ihr das Gesicht zu lecken versuchte. Sie wehrte ihn mit einer Hand ab. Sein Schwanz wedelte so wild, dass er sich nur verschwommen abzeichnete.
»Es geht um die nach Erenthrall entsandte Gruppe, nicht wahr?«, fragte sie, als sich Cory nah genug befand, um sie zu hören. »Allan, Bryce und die anderen sind...




