Paganini | Warum sind immer die Juden schuld? | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 176 Seiten

Paganini Warum sind immer die Juden schuld?

Antisemitismus in der Bibel
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-451-83685-5
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Antisemitismus in der Bibel

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

ISBN: 978-3-451-83685-5
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Antisemitismus ist kein Phänomen der Moderne. Bereits in der Antike wurden Juden von den Ägyptern, Persern, Griechen, Römern und schließlich auch von den Christen gehasst und verfolgt. Antike Autoren verbreiteten fantasievolle Verleumdungen: Juden galten als illoyale Parasiten oder als reiche und mächtige Verschwörer und Drahtzieher der Gesellschaft. Diese Verschwörungsmythen, die sich bis heute halten, sind auch tief in den biblischen Texten verwurzelt. Simone Paganini, Bibelwissenschaftler, beleuchtet diese antisemitischen Klischees und zeigt auf, wie sie entstanden sind - und was uns das über heutige Formen des Hasses lehrt.

Prof. Dr. theol., geb. 1972 in Italien, Studium der katholischen Theologie in Florenz, Rom und Wien. Professor für Biblische Theologie an der RWTH Aachen. Autor zahlreicher wissenschaftlicher und populärwissenschaftlicher Bücher, unter anderem über Qumran und skurrile Episoden in der Kirchengeschichte. Auch auf Science Slams begeisterte er schon ein großes Publikum.
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1. Antisemitismus, Antisemitismen und das Problem einer nicht eindeutigen Definition eines vermeintlich klaren Sachverhalts


Im Sommersemester 2022 wurde an der RWTH Aachen, der Technischen Hochschule Nordrhein-Westfalens, eine Lehrveranstaltung des britisch-israelischen Historikers Ilan Pappé kurzfristig untersagt. Die Deutsch-Israelische Gesellschaft hatte bei der damaligen NRW-Kultusministerin interveniert. Bereits wenige Jahre zuvor war Ilan Pappé in München ausgeladen worden, nachdem man ihn zuvor gebeten hatte, einen Vortrag zu halten. Die Stadtverwaltung hatte nach einem Anruf der Israelitischen Kultusgemeinde beim Oberbürgermeister die Nutzung von städtischen Räumlichkeiten verweigert. Die im Rahmen der Wiener Festwochen 2024 gehaltene Rede des israelisch-deutschen Philosophen Omri Boehm wurde von hochrangigen Vertretern der Wiener Israelitischen Kultusgemeinde und sogar vom Präsidenten des Europäischen Jüdischen Kongresses scharf kritisiert. Auch im Anschluss an die Preisverleihung bei der Leipziger Buchmesse im Jahr 2024 wurde seine Rede von Protesten jüdischer Institutionen begleitet. Und schon im Jahr 2010 war der jüdische US-amerikanische Politikwissenschaftler Norman Finkelstein, Sohn polnischer Auschwitzüberlebender, nach Protesten der jüdischen Gemeinde in Berlin zunächst aus den Räumlichkeiten der evangelischen Trinitatis-Kirche in Charlottenburg und später auch aus den Räumen der den Grünen nahestehenden Heinrich-Böll-Stiftung ausgeladen worden.

Die dabei vorgebrachten Begründungen waren zwar durchaus unterschiedlich, beinhalteten aber alle ein gemeinsames Element: den Vorwurf des Antisemitismus aufgrund der israelkritischen Positionen der Referenten. Der Umstand, dass die Personen, denen eine antisemitische Haltung vorgeworfen wurde, selbst Juden – bzw. manche von ihnen sogar Israelis – waren, bot ihnen offensichtlich keinen Schutz vor dem Vorwurf, „antisemitisches Gedankengut zu verbreiten“.

Der Begriff Antisemitismus wird in der öffentlichen Diskussion in der Regel dafür verwendet, die Ursachen der schrecklichen Verbrechen des Nationalsozialismus zu benennen. Darüber hinaus wird er gebraucht, wenn ganz allgemein Hass, Feindseligkeit oder die diffuse Ablehnung jüdischer Menschen und jüdischer Institutionen adressiert werden sollen bzw. – seit den 1970er-Jahren – gelegentlich auch des (jüdischen) Staates Israel.

Antisemitismus und Shoah


In der europäischen Geschichte ist der Begriff des Antisemitismus vor allem mit den grauenvollen Ereignissen assoziiert, die zur Ermordung von über sechs Millionen Juden bzw. von Menschen, die nach den Rassengesetzen als Juden kategorisiert wurden, während der Zeit des Nationalsozialismus führten. In Anbetracht der äußerst belasteten Geschichte wäre zu erwarten, dass die Definition des Begriffs allgemein akzeptiert ist. In der Tat assoziieren die meisten von uns mit diesem Wort eindeutig antisemitische Äußerungen oder Handlungen im Kontext der Shoa. Eine theoretisch-wissenschaftliche Definition von allgemeiner Gültigkeit erweist sich jedoch alles andere als eindeutig oder gar selbstverständlich. Das mag überraschen, denn die Benennung antisemitischer Phänomene erscheint auf den ersten Blick trivial, ja selbsterklärend. Die Identifikation von Manifestationen des Antisemitismus kann jedoch nicht nur komplex sein, sondern in der Praxis auch zu skurrilen Aporien führen – beispielsweise, wenn selbst jüdische Israelis, die sich kritisch gegenüber der Politik ihres Landes positionieren, als Antisemiten bezeichnet werden.

Der Begriff Antisemitismus wird in der wissenschaftlichen Literatur in den letzten Jahren zunehmend als umfassende Bezeichnung für jegliche Form von Judenfeindschaft verwendet. In Abhängigkeit davon, welche Aspekte jeweils betont werden sollen – historische, religiöse, politische, soziologische oder psychologische –, lassen sich demnach unterschiedliche Formen des Antisemitismus unterscheiden. So wurde Antisemitismus zunächst für judenfeindliche Handlungen verwendet, die ab dem Zeitpunkt stattfanden, als dieser Begriff eingeführt wurde (gegen Ende des 19. Jahrhunderts). Für die Zeit davor werden in der wissenschaftlichen Literatur eher die Begriffe Antijudaismus, Judenfeindschaft oder Judenhass gebraucht. In der historischen Entwicklung lassen sich zunächst ein antiker und ein christlicher Antijudaismus ausmachen, bevor sich ein rassistischer, völkischer, latenter, sekundärer und zuletzt auch antizionistischer bzw. islamischer Antisemitismus entwickelte.

In der Alltagssprache wird Antisemitismus jedoch häufig unscharf verwendet, um eine gewisse historische Kontinuität der Judenfeindschaft von den ersten Vorkommnissen in der antiken Welt bis hin zu den israelkritischen Erscheinungen der Gegenwart zu suggerieren. Die Betrachtung des Antisemitismus als ein durch die Geschichte der Menschheit von der Antike bis heute sich durchziehendes allgegenwärtiges Phänomen birgt jedoch die Gefahr, die gesamte Geschichte des Judentums ausschließlich als eine Geschichte der Verfolgung zu deuten. Dies ist ein Interpretationsmuster, das stark von der Perspektive des europäisch-westlichen Judentums geprägt ist. Ihm zugrunde liegt die Überzeugung, dass die verschiedenen Ausprägungen des Antisemitismus im Verlauf der Geschichte als kontingente Phänomene anzusehen sind, die alle auf einen ursprünglichen Hass gegen jüdische Menschen zurückgeführt werden können.

Diese Position wird insbesondere vor dem Hintergrund der – in ihrer abscheulichen Dimension – als ‚einmalig‘ betrachteten Shoah massiv infrage gestellt und von manchen Forscherinnen und Forschern gar als absurd bezeichnet. Sie betrachten den Antisemitismus, der zur Ermordung von sechs Millionen europäischen Juden geführt hat, nämlich als etwas wesentlich anderes als alle Formen des Judenhasses, die es davor gab. Die Verfolgung von jüdischen Menschen vor der Shoah sei aufgrund der jeweiligen ideologischen Wurzeln, der verfolgten Ziele, konkreten Ausformungen und nicht zuletzt der – in der konkreten Zeit und geografischen Region, in der die Verfolgung stattfand – vermittelten Inhalte mit den Ereignissen während des Nazi-Regimes nicht vergleichbar.

Diese Position ist bei näherem Betrachten jedoch nicht haltbar, denn sie vernachlässigt die Tatsache, dass die Shoah als versuchter systematischer Genozid an einer Volksgruppe – so tragisch das ist – kein singuläres Ereignis darstellt, weder mit Blick auf das Judentum noch auf die Geschichte der Menschheit. Doch selbst bei einer Annahme der ‚Einmaligkeit‘ der Shoah wäre die Verwendung des Begriffs Antisemitismus ausschließlich in diesem Kontext problematisch. Die Shoah ist nämlich weit mehr als der eruptive Ausbruch des Antisemitismus. Zudem stellt jener Antisemitismus, der mit dem Versuch einhergeht, ‚die‘ Juden als Kollektiv zu vernichten, keine Besonderheit des nationalsozialistischen Deutschlands dar. Nichtsdestotrotz führt die Annahme eben dieser Einmaligkeit einen Aspekt in die Diskussion ein, der von Beginn an wesentlich erscheint: Antisemitismus hänge nicht notwendigerweise unmittelbar mit einer konkreten Situation zusammen, noch habe er seine Ursache im Verhalten derjenigen jüdischen Menschen, die angefeindet bzw. verfolgt werden.

Immer wieder neue, aber mehr oder weniger gleiche Formen des Antisemitismus


Antisemitische Auswüchse haben sich im Laufe der Zeit verändert. Das ist nicht nur eindeutig, sondern wird sogar allgemein in der Forschung anerkannt. Und: Der Antisemitismus hat mit der Shoah einen schrecklichen Höhepunkt erreicht. Auch dies ist offensichtlich und gilt als unumstritten. In der Geschichte des jüdischen Volkes kann jedoch eine erschreckende Kontinuität wahrgenommen werden. Jüdische Menschen wurden über die Jahrhunderte aus unterschiedlichen Gründen gehasst und verfolgt. Doch diese Gründe waren selten in der Realität begründet, sondern basierten in aller Regel auf einer Vielzahl an Vorurteilen und erfundenen Mythen. In den verschiedenen Phasen des Judenhasses wurden die alten Vorurteile nicht einfach vergessen oder überholt, sie wurden vielmehr beibehalten, ergänzt, bisweilen aktualisiert und an die neue Situation angepasst. So kann man die Geschichte des Antisemitismus auch als die Geschichte der Entwicklung von Ressentiments beschreiben, die bereits in den ersten literarischen Zeugnissen von Judenhass und Judenfeindlichkeit in der antiken Welt erkennbar sind. Mit den Begriffen Judenhass und Judenfeindlichkeit lassen sich daher viele Elemente des Antisemitismus beschreiben. Eine – konsensfähige – Definition zu formulieren, ist jedoch um einiges schwieriger.

In der Forschung wird Judenfeindlichkeit grundsätzlich auf der Basis von zwei gegensätzlichen Modellen erklärt. Die substanzielle oder essenzialistische Erklärungstheorie postuliert, dass die Einzigartigkeit des Judentums auf religiöser, sozialer und kultureller Ebene als Ursache antijüdischer Haltungen anzusehen ist. Historisch betrachtet, verehrt das Judentum seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. eine einzige Gottheit und pflegt religiöse Bräuche, wie beispielsweise den Sabbat und die Beschneidung, die zu einer Abgrenzung gegenüber den Nachbarvölkern geführt haben. Antijüdische Bestrebungen werden in gewisser Weise als logische Konsequenz dieser Alleinstellungsmerkmale gedacht. Der funktionalistische Ansatz hingegen lehnt die Suche nach einer monokausalen Erklärung ab und identifiziert die Ursachen für Judenfeindlichkeit in den sich im Lauf der Geschichte wandelnden...


Paganini, Simone
Prof. Dr. theol., geb. 1972 in Italien, Studium der katholischen Theologie in Florenz, Rom und Wien. Professor für Biblische Theologie an der RWTH Aachen. Autor zahlreicher wissenschaftlicher und populärwissenschaftlicher Bücher, unter anderem über Qumran und skurrile Episoden in der Kirchengeschichte. Auch auf Science Slams begeisterte er schon ein großes Publikum.

Prof. Dr. theol., geb. 1972 in Italien, Studium der katholischen Theologie in Florenz, Rom und Wien. Professor für Biblische Theologie an der RWTH Aachen. Autor zahlreicher wissenschaftlicher und populärwissenschaftlicher Bücher, unter anderem über Qumran und skurrile Episoden in der Kirchengeschichte. Auch auf Science Slams begeisterte er schon ein großes Publikum.



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