Star Wars und die Bibel
E-Book, Deutsch, 112 Seiten
ISBN: 978-3-451-82684-9
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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Die Prequel-Trilogie: Einleitungsfragen
Warum etwas so ist, wie es ist, ist eine wichtige Frage. Die Einleitungswissenschaft innerhalb der bibeltheologischen Forschung dient dazu, solche Fragen zu beantworten. Es geht dabei noch nicht um die Bedeutung der Texte selbst, sondern um diejenigen Aspekte, die wichtig sind, um die Texte überhaupt verstehen zu können: Wann sind die Texte entstanden? Wer hat sie geschrieben? Aus wie vielen Texten und aus welchen genau besteht eine »kanonische« Sammlung? In welchen Kontexten sind sie verfasst worden und wer sind die Adressaten? Die Antworten auf diese und ähnliche Fragen beleuchten die sozialen Aspekte eines Textes, das ursprüngliche Ambiente, in dem sie entstanden sind und sich entwickelt haben – den sogenannten »Sitz im Leben« – und nicht zuletzt die Problematik der Zusammensetzung einer Textsammlung, die oft mit dem Fachbegriff »Kanon« bezeichnet wird. Wenn man sich mit der Bibel beschäftigt, sind solche Einleitungsfragen von großer Bedeutung. Im Fall von Star Wars verhält es sich ähnlich. »Wenn Ihr nicht auf meiner Seite steht, dann seid Ihr mein Feind.«
Die Welten, in denen Star Wars entstand
»Wenn Ihr nicht auf meiner Seite steht, dann seid Ihr mein Feind« – in dieser Aussage gipfelt der Dialog zwischen Anakin und Obi-Wan Kenobi, die in Episode III ihren epischen Kampf auf dem Lavaplaneten Mustafar ausfechten. Anakin Skywalker wird besiegt, verbrennt fast vollständig, bleibt aber am Leben. Er ist von der dunklen Seite der Macht nicht mehr abzubringen und verwandelt sich nach einer schmerzhaften Operation schlussendlich auch optisch in Darth Vader. Seine Drohworte gegen den ehemaligen Jedi-Bruder und Lehrer sind nicht nur als Umkehrung der evangelischen Botschaft zu verstehen – »Wer nicht gegen uns ist, der ist für uns« (Mk 9,40; Mt 10,42 und Lk 9,50) –, sie erinnern nebenbei auch an die Worte, mit denen George W. Bush am 20. September 2001 die Weltöffentlichkeit auf den Irakkrieg einschwor: »Entweder ihr seid für uns, oder ihr seid für den Terrorismus.« Als vier Jahre nach dieser historischen Ansprache Episode III von Star Wars erschien, war dem aufmerksamen Zuschauer klar, dass die Worte des US-Präsidenten im Mund des künftigen Darth Vader einer massiven Kritik an der Politik von Bush und dem Irakkrieg gleichkamen. Aus der Feder von George Lucas war das nicht überraschend. Denn schon im ersten 1977 erschienenen Star Wars-Film hatte der Regisseur nicht mit Kritik an Krieg gespart. Tatsächlich kann man Star Wars nicht richtig verstehen, wenn man die soziale und politische, aber auch die literarische und kulturelle Situation, in der die Filme entstanden sind, unberücksichtigt lässt. Der Bibel-Babel-Streit und der »Sitz im Leben« von Texten
Am 13. Januar 1902 hielt der deutsche Assyriologe Friedrich Delitzsch in Anwesenheit von Kaiser Wilhelm II. und den Mitgliedern der Deutschen Orient-Gesellschaft einen Vortrag, der unter dem Titel »Babel und Bibel« den Beitrag der altorientalischen Forschung zum Verständnis des Alten Testamentes aufzeigen wollte. Unter Bezugnahme auf eine Fülle von archäologischen Zeugnissen und unter Berufung auf die literarischen Abhängigkeiten vertrat Delitzsch die These, dass die jüdische Religion und die Schriften der hebräischen Bibel sehr stark von ihrem assyrischen und babylonischen Umfeld beeinflusst worden waren. Es ist daher Friedrich Delitzsch zu verdanken, wenn einer breiten Öffentlichkeit erstmals klar wurde, dass Erzählungen wie die Sintflut-Geschichte mit ihrem Protagonisten Noah und seiner Arche keine Besonderheit der biblischen Tradition waren. Diese findet sich nämlich in sehr ähnlicher Form im deutlich älteren Gilgamesch-Epos wieder. Der besagte Vortrag jedenfalls setzte den Anfangspunkt für eine stark polemisch geführte Kontroverse, die als »Babel-Bibel-Streit« in die Geschichte eingegangen ist. Wenngleich der Bibelwissenschaftler Hermann Gunkel bereits 1903 vehement gegen Delitzsch argumentierte und seine Position als »unzulänglich, unzureichend und kurzlebig« bezeichnete, lässt sich rückblickend festhalten, dass die von Gunkel mitbegründete bibelwissenschaftliche Schule sich ohne die Auseinandersetzung mit Delitzsch nicht entwickelt hätte. Gunkel formulierte nämlich als Erster ein exegetisches Prinzip, das besagt, dass man die ursprüngliche Entstehungssituation eines Textes für seine Interpretation mitberücksichtigen muss. Das wiederum bedeutet, die historisch und soziologisch relevanten Aspekte der Umwelt des Textes zu untersuchen, den Kontext also – von Gunkel »Sitz im Leben« genannt –, in dem die mündlichen und schriftlichen Überlieferungen entstanden sind bzw. sich entwickelt haben. Natürlich ist es so, dass Texte nach ihrer Entstehung eine selbstständige Entwicklung durchmachen, die zu ganz unterschiedlichen Sinnzuschreibungen führen kann. Ohne ihre Entstehungssituation zu berücksichtigen, kann man Texte jedoch nur begrenzt verstehen. Was nun Friedrich Delitzsch betrifft, so spitzte dieser seine These – als Reaktion auf deren massive Ablehnung – dahingehend zu, dass er die altbabylonische Welt gegenüber der Bibel als überlegen erklärte. Seine Ablehnung der hebräischen Bibel, die zu einem guten Teil antisemitisch begründet gewesen sein dürfte, wurde massiv kritisiert, dennoch blieb die Relevanz seiner Ausführungen zur engen Zusammengehörigkeit von biblischer und altorientalischer Umwelt bis heute bestehen: Ohne, um nur ein Beispiel zu nennen, die Flut-Erzählung im Gilgamesch-Epos zu berücksichtigen, kann man die Noah-Erzählung der Bibel nicht vollständig verstehen. Was Gunkel für die Bibelwissenschaft annahm, ist mittlerweile auch in der Literatur- und Kulturwissenschaft Konsens. Star Wars und die 1970er-Jahre
In Star Wars werden Themen bearbeitet, die im Laufe der letzten 45 Jahre gesellschaftlich relevant waren. Die einzelnen Episoden spiegeln nicht bloß die Umwelt der Autoren wider, sie sind streng genommen nur unter Berücksichtigung ihres »Sitzes im Leben«, also ihrer Entstehungssituation, zu verstehen. Als George Lucas zu Beginn der 1970er-Jahre damit begann, den Star Wars-Kosmos zu entwerfen, befanden sich die USA in einer innenpolitischen Krise. Die Watergate-Affäre, mit der die Präsidentschaft von Richard Nixon 1974 unrühmlich zu Ende gehen sollte, stellt ein wichtiges Element für den Sitz im Leben der klassischen Trilogie dar. Durch die ganze Saga zieht sich hingegen wie ein roter Faden die Sorge, dass sich eine gut funktionierende Demokratie quasi über Nacht in eine Diktatur verwandeln könnte. Ähnliches gilt für die Korruption in der galaktischen Republik. Auffallend ist schließlich eine offensichtliche Kriegskritik. Die US-Politik war zu Beginn der 1970er-Jahre geprägt von den gesellschaftlichen und sozialen Folgen des Vietnam-Kriegs. Episoden wie die, in der eine starke, technologisch überlegene Supermacht versucht, kleine Planeten zu zerstören, sind offensichtlich als Kritik am Einsatz der US-Soldaten in Vietnam zu verstehen. Star Wars enthält aber auch eine generelle Warnung vor absolutistischen Regimen, wie man sie in Europa während des Zweiten Weltkrieges durchlebte. Die Erinnerung daran war in den 1960er- und 1970er-Jahren in der US-amerikanischen und der europäischen Gesellschaft sehr präsent. Die Anspielungen auf den Zweiten Weltkrieg sind, sofern man nur ein wenig auf die Bekleidung der Protagonisten oder die erbitterten Flugkämpfe im Weltraum achtet, rasch zu erkennen. Nicht nur die Farbe von Darth Vaders Kostüm, auch sein Helm erinnern an die Nazi-Uniformen der deutschen Soldaten; die Sturmtruppler deuten ebenfalls darauf hin. Auch der nach der Kriegstaktik der Nazis benannte Planet Kessel sowie der auf den Namen eines deutschen Generals getaufte Planet Hoth sind deutliche Anspielungen. In der klassischen Trilogie, aber auch im Prequel, sind weitere Parallelen zu den Vorgängen im Kalten Krieg zu erkennen: Die stetig präsente Angst vor einer alles vernichtenden (nuklearen) Katastrophe und einem damit einhergehenden gewaltigen Massenmord wird durch die Angst vor dem Todesstern abgebildet. Das Thema der Massenvernichtungswaffen bzw. einer post-apokalyptischen Welt sollte übrigens wenige Jahre nach dem Erscheinen von Episode IV zur Kernthematik des Science-Fiction-Genres werden (The Day After, Terminator, die Mad Max-Trilogie). Der Kalte Krieg spielt auch in der politischen Konstellation der Galaxie von Episoden I und II mit ihren Wirtschaftsblockaden, den Satellitenstaaten, den stark hierarchisch organisierten militärischen Strukturen u.v.m. eine große Rolle. Die starke Stagflation und die Ölpreiskrise zu Beginn der 1970er-Jahre sind schließlich die letzten beiden Elemente, die als realer Hintergrund, als »Sitz im Leben«, der Star Wars-Filme identifiziert werden können. Alles in allem wird das Imperium als ein ebenso rassistisches wie nationalistisches Gebilde dargestellt, das sich durch Ausländerfeindlichkeit auszeichnet, zu einer häufig mit Gewalt einhergehenden Diskriminierung neigt und nicht vor Massenmord zurückschreckt. Dass gegen ein solches Imperium Widerstand geleistet werden muss, ist die Grundbotschaft der gesamten Star Wars-Saga. Denn auch die Nachfolgeorganisationen des Imperiums tragen die diktatorischen Züge in sich und stellen insofern eine Antwort auf die...