E-Book, Deutsch, 160 Seiten
Paganini / Huncke Wer zur Hölle ist der Teufel?
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-451-83037-2
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Faszination des Bösen in Bibel und Geschichte
E-Book, Deutsch, 160 Seiten
ISBN: 978-3-451-83037-2
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ob in Pop-Songs, bei Netflix oder in Bestsellern – der Teufel fasziniert bis heute. Doch wer ist eigentlich der Teufel? Die Kirche hat sich nur selten offiziell mit ihm beschäftigt. Der Bibelwissenschaftler Simone Paganini und der Historiker Sebastian Huncke begeben sich auf eine packende Spurensuche. Sie beginnt im alten Orient und führt über Adam und Eva, die Zeit Jesu, Augustinus und Werwolf-Legenden bis in die Goethe-Zeit. Dabei zeigen sie: Religiöse und zivile Autoritäten benutzten die Vorstellung vom Teufel, um Menschen einzuschüchtern. In Krisenzeiten hatte der Teufelsglaube Hochkonjunktur. Ein spannendes Buch über die Hintergründe einer uralten Faszination.
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2. Verführerisch und anklagend
Das Leben Adams und Evas, eine jüdisch-apokryphe Schrift, stammt aus dem 1. Jh. n. Chr. und wurde später von christlichen Autoren überarbeitet. Sie enthält viele Details zum Leben des ersten Menschenpaares, die so in der Bibel nicht vorkommen. Darüber hinaus erfährt man, warum der Teufel, der eigentlich in der gesamten biblischen Tradition ein enger Mitarbeiter Gottes gewesen ist, aus dem Himmel verstoßen und auf die Erde hinabgestürzt wurde. Die lateinische Fassung des Werkes beginnt mit einem Bußakt Adams und Evas nach dem Sündenfall. Geschildert wird auch, wie Adam dem Teufel außerhalb des Gartens Eden begegnet. Als die beiden ins Gespräch kommen, erklärt der Teufel, dass er von Gott im Zorn verstoßen wurde, als er sich weigerte, den Menschen als Ebenbild Gottes anzubeten: »Ach, Adam, meine ganze Feindschaft, mein Neid und Schmerz geht gegen dich, weil ich um deinetwillen vertrieben wurde, ich bin meiner Herrlichkeit beraubt worden, die bei den Engeln ich im Himmel hatte, deinetwegen wurde ich auf die Erde hinabgestoßen.« (Vita Adae et Evae, 12) Der Engel Michael hatte das von ihm verlangt, doch der Teufel fühlte sich dem Menschen überlegen, schließlich sei er auch früher erschaffen worden. Als Gott ihn daraufhin zur Strafe in die Welt hinunterwarf, trauerte der Teufel um die verlorene Vision von der Herrlichkeit Gottes. Anstatt sich aber zu besinnen und um Entschuldigung zu bitten, traf er eine gänzlich andere Entscheidung, die er, nicht ohne eine gewisse Genugtuung, nun Adam mitteilt: »… mit List umgarnte ich deine Frau und bewirkte, dass du durch sie von diesen Freuden und Wonnen vertrieben wurdest, gleich wie ich von meiner Herrlichkeit vertrieben wurde.« (Vita Adae et Evae, 16) Der gefallene Engel
Die Annahme, dass die Schlange, von der Eva im Garten Eden in Versuchung geführt wurde, der Teufel sein könnte, ist in der christlichen Tradition tief verankert – so tief, dass diese Vorstellung sogar Eingang in den Katechismus der katholischen Kirche gefunden hat. Obwohl im Originaltext des Buches Genesis nichts vom Teufel zu lesen ist, haben sich jüdische und später auch christliche Gelehrte jahrhundertelang mit dem Ursprung und der Beschaffenheit dieses Wesens beschäftigt. Bleibt man beim biblischen Text (Gen 3), ist die Schlange wirklich nur ein einfaches Tier; sie wird nirgends mit einem Dämon in Verbindung gebracht. Darüber hinaus ist sie ein sprechendes Tier, was die ganze Erzählung des Sündenfalls in der Gattung der Märchen verortet. Doch die religionsgeschichtlichen Entwicklungen sind komplex und die Schlange wurde schon sehr früh als widergöttliche Kreatur wahrgenommen. Das hängt sehr wahrscheinlich mit der Tatsache zusammen, dass sie in der ägyptischen und in den mesopotamischen Religionen göttliche Züge aufwies. So wurde sie zum Sinnbild von Gottes Widersacher. Und als solches Tierwesen, das nach der göttlichen Bestrafung auf dem eigenen Bauch kriechen muss, erweckte es das Interesse der Gelehrten, die sich mit ihm beschäftigten. Man stellte sich eine Urschlange mit Füßen vor oder – wie im Bibelkommentar des Rabbi Eliezer aus dem 8. Jh. n. Chr. – ein behaartes, kamelartiges Wesen, das als Reittier eines Teufels namens Samael diente. In hellenistischer Zeit dann entstand das biblische Weisheitsbuch. Zu dessen Beginn heißt es: »Wegen des Neids des Teufels ist der Tod in die Welt gekommen.« (Weish 2,24) Kommt die Schlange hier zwar nicht explizit vor, war für die gebildete jüdische Leserschaft der Bezug zur Genesisgeschichte aber klar ersichtlich. Ganz unmissverständlich hingegen tritt die »alte Schlange« des Genesisbuches wieder im letzten Buch des Neuen Testaments in Erscheinung, in der Offenbarung des Johannes. Dort wird sie direkt mit dem Teufel gleichgesetzt: »… der große Drache, die alte Schlange, der Teufel und Satan genannt wird, der den ganzen Erdkreis verführt, wurde auf die Erde gestürzt.« (Offb 12,9) Auf der Erde darf die teuflische Schlange ihr Unwesen treiben, doch nicht lange; bereits im Genesisbuch ist ihr Untergang prophezeit: »Er (der Nachwuchs der Frau) wird dir (der Schlange) den Kopf zerquetschen!« (Gen 3,15), bis schließlich »der Drache, die alte Schlange, die der Teufel und der Satan ist, überwältigt« wird (Offb 20,2). Mit all seinen dämonischen Begleitern geht er in einem See von Feuer und Schwefel unter (Offb 20,10) und die Schöpfung wird in ihren ursprünglichen Zustand – also ohne Teufel und ohne Schlange – zurückversetzt [s. Kap. 7]. Man sollte nicht den Fehler machen, diese beiden Erzählungen unkommentiert hintereinanderzustellen: Bis sich die Vorstellung in der Johannesoffenbarung entwickelt hat, dauerte es sehr lange. Zwischen der Schlange im Buch Genesis und der Erzählung im Buch der Offenbarung liegen, je nach Datierungshypothese, 500 bis 800 Jahre! In diesem Zeitraum wurde das Bild von der Schlange als Teufel maßgeblich von anderen apokalyptischen Texten beeinflusst, in denen die Schlange ganz selbstverständlich als feindliche dämonische Macht identifiziert wird, wie zum Beispiel im eingangs erwähnten Vita Adae et Evae (Das Leben Adams und Evas). Hinzu kamen weitere Theorien und Erzählungen über den Ursprung des Teufels, die sich teilweise ganz unterschiedlich entwickelt hatten. Beispielsweise präsentieren sowohl das Buch Henoch, eine jüdisch-apokryphe Schrift aus dem dritten oder zweiten vorchristlichen Jahrhundert, wie auch das zur gleichen Zeit entstandene Buch der Jubiläen den Teufel als Gestalt, die ihren Ursprung als ein himmlisches Wesen hatte. Im Fall der sogenannten Wächter im Buch Henoch handelt es sich um eine Gruppe von Engeln, die mit menschlichen Frauen Unzucht getrieben hatten und deshalb dazu verdammt wurden, den Himmel zu verlassen und fortan auf der Erde zu wohnen. Im Buch der Jubiläen hingegen ist der Hauptteufel namens Mastema derjenige, der Gott darum bittet, auf der Erde sein Unwesen treiben zu dürfen, was ihm auch gestattet wird. Zur gleichen Zeit entsteht jene Erklärung für die Präsenz des Teufels auf der Erde, die sich durchsetzen wird: Der Sturz Satans aus dem Himmelreich als Strafe für ein nicht näher identifiziertes Vergehen. Dieses wird später in der Verweigerung der Anbetung des Menschen gesehen. Eine solche »endgültige« Version der Geschichte wird in einer Schrift mit dem verheißungsvollen Titel Die Schatzhöhle aus dem 3. Jh. n. Chr. erzählt, die heute nur noch in einer syrischen Fassung aus dem 6. Jh. erhalten ist. Ähnlich wie in Das Leben Adams und Evas stritten sich die Engel nach der Erschaffung des Menschen auch in dieser Überlieferung darum, ob der Mensch als Ebenbild Gottes anzubeten sei. Als sich der Satan – natürlich noch als Engel – dem verweigerte, stürzte ihn Gott vom Himmel auf die Erde hinab, wo er aus Rache gleich die arme Eva verführte [s. Kap. 1]. Interessant ist zudem, dass es für die Vorstellung vom Sturz des Teufels nur einen einzigen biblischen Beleg gibt, und das ist eine wenig eindeutige und daher unter Bibelwissenschaftlern umstrittene Formulierung aus dem Buch des Propheten Jesaja: »Du bist vom Himmel gefallen, du strahlender Sohn der Morgenröte. […] Ja, in die Unterwelt bist du hinabgeworfen, in die äußerste Tiefe.« (Jes 14,12.15) Dass an dieser Stelle der König von Babylon verspottet wird und keineswegs der Teufel gemeint sein kann, störte die damaligen jüdisch-christlichen Theologen nicht. Sie sahen in diesem Text eine Anspielung auf den gefallenen Engel und so wurde diese Passage im Laufe der späteren Auslegung immer relevanter. Aufgrund der Anspielung auf den Morgenstern, der in lateinischer Übersetzung »Luzifer« genannt wird, wurde diese Stelle auch maßgeblich für den berühmtesten aller Teufelsnamen. Diese Version der Geschichte dürfte auch Jesus geläufig gewesen sein, wenn ihm im Lukasevangelium der Spruch in den Mund gelegt wird: »Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen.« (Lk 10,18) Es verwundert nicht, dass diese Erzählung nicht nur viele Christen beeindruckt hat. Auch im Koran wird sie an mehreren Stellen erwähnt (Sure 2,34; 7,11–18;15,26–44 u. 38,71–85). Der Fürst der Finsternis
Satan – so der Eigenname des gefallenen Engels im Neuen Testament – ist im Hebräischen zunächst ein einfaches Nomen und bedeutet »Hindernis«. Das Wort an sich hat also keine direkte Verbindung zum Bösen, Widergöttlichen oder gar Teuflischen. Fast scheint das Gegenteil der Fall zu sein, denn in der hebräischen Bibel ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sowohl das Gute als auch das Schlechte von Gott stammt. Das ist die logische Folge des Ein-Gott-Glaubens, so wie es im Buch des Propheten Jesaja beschrieben ist: »Ich erschaffe das Licht und mache das Dunkel, ich bewirke das Heil und erschaffe das Unheil. Ich bin Gott, der das alles vollbringt.« (Jes 45,7) Einen Teufel braucht es zunächst nicht. Wird das hebräische Wort satan als Verb verwendet, sind die handelnden Personen meistens ganz gewöhnliche Menschen, manchmal auch Boten oder sogar Berater Gottes – beispielsweise in der Episode des Sehers Bileam im Buch Numeri (Num 22) oder zu Beginn des Buches Ijob (Ijob 1). Bileam ist Prophet einer fremden Gottheit und soll im Auftrag des Königs von Moab einen Fluch gegen Israel aussprechen. Als er sich mit seiner Eselin auf den Weg macht, versperrt ihm ein Engel Gottes dreimal den Weg. Die Handlung dieses Engels wird mit dem Verb satan beschrieben. Zu Beginn des Ijob-Buches kommt ebenfalls ein »Satan« vor. Er gehört zum Kreis der engsten Vertrauten Gottes, ist sogar Teil seines Hofrates. Er hat zugegebenermaßen keine besonders nette Aufgabe: Er muss die Menschen anklagen. Doch diese Aufgabe erfüllt er sehr gewissenhaft und erscheint...