Paganini | Der neue Gott. Künstliche Intelligenz und die menschliche Sinnsuche | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 176 Seiten

Paganini Der neue Gott. Künstliche Intelligenz und die menschliche Sinnsuche


1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-451-84846-9
Verlag: Verlag Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

ISBN: 978-3-451-84846-9
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Ist Künstliche Intelligenz der neue Gott des digitalen Zeitalters? In diesem tiefgründigen Essay entfaltet Claudia Paganini eine philosophisch brisante These: Erstmals erschafft der Mensch einen Gott, statt ihn nur zu denken. Die KI übernimmt zunehmend, was einst der Religion vorbehalten war: Sinnstiftung, Orientierung, allzeit verfügbare Antworten. Wir beten nicht mehr, wir klicken.   Mit analytischer Schärfe und theologischem Weitblick untersucht Paganini die spirituellen Konsequenzen dieser Entwicklung und zeigt: Im anbrechenden dritten Jahrtausend könnten nicht nur Menschen durch KI ersetzt werden, sondern auch kein geringerer als Gott selbst. Eine provokante Überlegung an der Schnittstelle von Religion und Technik. 

Claudia Paganini, geb. 1978,  hat  2005 in Philosophie promoviert und 2018 im Fach Medienethik habilitiert. Nach beruflichen Stationen in Athen, Limerick, Mailand und Zagreb  war sie von 2021-2024 Inhaberin der Professur für Medienethik an der Hochschule für Philosophie München. Derzeit lehrt und forscht Sie an der Universität Innsbruck. Außerdem publiziert sie Sachbücher für ein breites Publikum und nimmt regelmäßig an Science Slams teil.
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Gott, der Einzige


Gut bewacht und millionenfach fotografiert findet sich im ersten Stock des Ägyptischen Museums Kairo ein aus Kalkstein gefertigtes Relief, das in der sogenannten Amarna-Zeit entstanden ist und den ägyptischen Pharao Echnaton (Amenophis IV.) zusammen mit seiner Familie zeigt: Der übergroße Regent im Zentrum und seine deutlich kleiner dargestellte Frau Nofretete heben anbetend ihre Hände in Richtung einer Sonnenscheibe am oberen Rand des Bildes. Von dieser Sonnenscheibe gehen lange Strahlen aus, einige berühren die Gesichter der Herrscherfamilie, andere münden in kleinen Händen, die winzige Anch-Kreuze halten und damit zum Ausdruck bringen, dass der Gott Aton dem Menschen Leben und Segen schenkt.

Diese Darstellung ist nicht nur deshalb einzigartig, weil sie eindrucksvoll die Verbindung zwischen Gott und Mensch verkörpert, sondern vor allem, weil sie sich eklatant von den anthropomorphen Götterbildern der damaligen Zeit abhebt. Zum ersten Mal in der Religionsgeschichte wird ein Gott als eine abstrakte, allumfassende Kraft abgebildet, von der das Leben in seiner Fülle ausgeht. Indem manche Strahlen den Pharao und seine Frau treffen, wird veranschaulicht, dass die göttliche Kraft von Aton direkt auf die königliche Familie übergeht. Gestützt wird diese Interpretation durch den »Großen Aton-Hymnus«, einen poetischen Text aus der Regierungszeit Echnatons, der die Rolle von Aton als Schöpfer und Lebensspender zum Thema hat: »Du erscheinst herrlich am Horizont des Himmels, oh lebender Aton, Ursprung allen Lebens! Deine Strahlen umarmen die Erde, und alle Wesen erwachen zu deinem Licht.«

Aber nicht nur die abstrakte Darstellung der Gottheit ist für die damalige Zeit als revolutionär anzusehen. Fast noch bahnbrechender ist das damit verbundene Bekenntnis, dass dieser Aton als einziger Gott die gesamte Schöpfung umfasst und belebt. In der Religionswissenschaft gilt die Aton-Verehrung daher als erster Versuch der Menschheit, einen monotheistischen Kult einzuführen. Aton ist nicht bloß der Hauptgott innerhalb eines Pantheons von niedrigeren Göttern, er ist der einzige Gott, alleiniger Ursprung des Lebens, das er ebenso spenden wie entziehen kann. Der Pharao als Oberpriester agiert dann als Mittler zwischen diesem Gott und der restlichen Menschheit. Aton leitet das Geschick des Königs und seiner Familie, ist ihm als sein persönlicher Gott verbunden, zugleich aber auch ganz unähnlich, transzendent.

Diese religiöse Revolution vollzog sich etwa im 14. Jh. v. Chr. während der 18. Dynastie, und zwar in dem Moment, als Echnaton den Aton-Kult zur Staatsreligion erhob. Vermutlich hatte das in erster Linie politische Gründe. Denn wie schon sein Vater strebte der Pharao danach, sich selbst eine Art Machtmonopol zu verschaffen, und musste dafür die einflussreiche Priesterklasse schwächen. Das gelang, indem er sich selbst als den alleinigen Priester eines einzigen Gottes inszenierte, wodurch alle übrigen Priester nicht nur entmachtet, sondern letztlich überflüssig wurden. Natürlich stieß das auf heftigen Widerstand seitens der traditionellen Priesterschaft. Aber auch die Bevölkerung rebellierte, denn sie wollte sich die Verehrung ihrer alten Gottheiten nicht nehmen lassen. Echnatons Reform stellte einen massiven Bruch mit der ägyptischen Tradition dar, weshalb man sie auch bald nach dem gewaltsamen Tod des Pharaos wieder rückgängig machte. Die radikale Abkehr vom Polytheismus war als Bedrohung der eigenen kulturellen Identität erlebt worden, ja, man nimmt sogar an, dass Echnaton aufgrund seiner Religionsreform ermordet wurde. Sein Nachfolger änderte dann übrigens seinen Namen Tutanchaton (»das lebende Abbild des Aton«) in Tutanchamun, um durch diesen expliziten Bezug auf den Gott Amun die Rückkehr zu den alten Göttern zu symbolisieren. Das Erbe Echnatons dagegen wurde gezielt aus der damaligen »Geschichtsschreibung« getilgt, der verstorbene Pharao als »Ketzerkönig« gebrandmarkt und einer damnatio memoriae unterzogen.

Echnaton hatte den Fehler begangen, sein monotheistisches Experiment in einem Umfeld zu wagen, das von der Existenz einer Vielzahl von Göttern überzeugt war und die revolutionäre Vorstellung von einem einzigen Gott daher nicht annehmen konnte. Trotz seines Scheiterns schuf der Pharao aber eine Art Vorlage für den ersten »erfolgreichen« Monotheismus der Geschichte, der einige Jahrhunderte später allmählich heranreifen sollte. Sigmund Freud schrieb dazu: »Der Moses, der das jüdische Volk aus Ägypten führte, war ein ägyptischer Mann, der die monotheistische Religion Echnatons übernahm und an das jüdische Volk weitergab.«

Gemeint ist hier das Judentum, auch wenn man heute weiß, dass es sich beim biblischen Mose nicht um eine historische Gestalt handelt und dass die Darstellung des Exodusbuches eine literarische Relektüre ist, die ein idealisiertes Bild vermittelt. Der jüdische Glaube war in der damaligen Zeit nämlich noch kein reiner Monotheismus, sondern höchstens eine frühe Form der Monolatrie. Das bedeutet, dass nur ein Gott angebetet werden durfte, man aber von der Existenz anderer Götter ausging. Zum Ausdruck kommt dies beispielsweise zu Beginn der Zehn Gebote, wo es heißt »Du sollst keine anderen Götter haben neben mir!« In einem streng monotheistischen Denken würde eine solche Weisung keinen Sinn machen, denn nicht existierende Götter können natürlich auch nicht angebetet werden.

Bis zur endgültigen Etablierung des ersten Monotheismus der Religionsgeschichte dauerte es dagegen bis zum 6. Jh. Rom mit seinem Glauben an ein riesiges Pantheon, in dem alle Götter der besiegten Völker versammelt und verehrt werden sollten, war zu dieser Zeit noch ein unbedeutendes Dorf in Mittelitalien. Und den homerischen Göttern des Olymps – Zeus, Apollon, Hera, Poseidon, Hades & Co – kam lediglich eine regionale Bedeutung zu. In der mythologisch-religiösen Literatur der damaligen Zeit ergriffen die verschiedenen Götter bald für den einen, bald für den anderen Stadtstaat, etwa für Athen oder Sparta, Partei und kämpften – in der Regel siegreich – für ihre Lieblingsstadt, in der sie selbstredend besondere Verehrung erfuhren. Der Vielgötterglaube wurde dabei in der Regel als Henotheismus praktiziert, d. h. man glaubte zwar an mehrere Götter, verehrte aber bestimmte Götter bevorzugt. So konnten Städte oder Völker eine Hauptgottheit haben, wie beispielsweise Apollon in Troja, und mussten dennoch nicht die Existenz anderer Götter leugnen.

Die polytheistische Götterwelt des Alten Orients war zu dieser Zeit ebenso hierarchisch organisiert wie die der Griechen, und auch die gesellschaftspolitische Funktion der Götter war beinahe dieselbe. Allerdings trugen Marduk, Assur oder Ischtar weniger anthropomorphe Merkmale als etwa Zeus, den sich die Griechen als Gott mit persönlichen Stärken und Schwächen sowie inneren emotionalen Konflikten vorstellten. Die orientalischen Götter standen mehr in Verbindung mit Naturkräften und kosmischen Phänomenen, waren übermächtige, beinahe entrückte Wesen. So oder so glaubte man an einen obersten Gott, der an der Spitze des Götterhofs stand und dem alle anderen Götter untergeordnet waren. Diese in der Regel durchaus stabile Hierarchie diente dazu, das universelle Gleichgewicht zu bewahren, und erlaubte den untergeordneten Göttern dabei dennoch, eine relativ autonome eigene Rolle einzunehmen.

Auch kam es zu Konflikten und Allianzen zwischen den Göttern, was wiederum die Lebenswelt der Menschen beeinflusste. Zudem legitimierten die Götter die politische und religiöse Macht der jeweiligen Herrscher und hatten im Alten Orient – gemeinsam mit der Priesterschaft – sogar eine direkte politische Funktion inne. Der König galt dort häufig als von den Göttern erwählt bzw. als göttlicher Regent, seine Herrschaft musste von den Priestern religiös legitimiert werden. Bei den Griechen nahmen die Götter zwar eine wichtige gesellschaftliche Stellung ein, in das politische System waren sie aber weniger eingebunden, auch wenn Entscheidungen häufig unter Berufung auf göttliche Orakel gefällt wurden.

Ab dem 6. Jh. v. Chr. setzte dann in Griechenland die Phase der philosophischen Reflexion und der Suche nach neuen Erklärungsmodellen für die Welt ein. Philosophen wie Thales, Heraklit und Anaximander entwickelten erstmals Konzepte, die die traditionellen Lehren von den olympischen Göttern infrage stellten und nach einem einzigen universalen Prinzip – Wasser, Feuer, Luft, Erde, Atome etc. – suchten, was zwar nicht zu einer monotheistischen Religion führte, sehr wohl aber zu einer verstärkten Entfremdung der Gesellschaft von den traditionellen Göttern. Auch spätere Vorstellungen von einem höchsten, unveränderlichen Prinzip, wie man sie in den Schriften von Platon und Aristoteles findet – bei Letzterem etwa der »unbewegte Beweger« als Urgrund des Seins –, führten nicht zur Entwicklung einer Religion im herkömmlichen Sinn.

Im Alten Orient dagegen entstand aus der theologischen Reflexion heraus ein neuer Zugang, das Göttliche zu denken: Wie sowohl archäologische Funde als auch die biblischen Schriften eindeutig belegen, kam es in der Zeit, als Jerusalem noch das Zentrum des Staates Juda war, also zwischen dem 9. und dem 7. Jh., zu einer monolatrischen Kultreform, was heißt, dass nur noch ein Gott angebetet werden sollte. JHWH, der höchste jüdische Gott, war in ständige Auseinandersetzungen mit den Göttern der Nachbarvölker verstrickt. Die Gläubigen ihrerseits waren relativ frei zu entscheiden, welchen Gott oder welche Götter sie...


Paganini, Claudia
Claudia Paganini, geb. 1978,  hat  2005 in Philosophie promoviert und 2018 im Fach Medienethik habilitiert. Nach beruflichen Stationen in Athen, Limerick, Mailand und Zagreb  war sie von 2021-2024 Inhaberin der Professur für Medienethik an der Hochschule für Philosophie München. Derzeit lehrt und forscht Sie an der Universität Innsbruck. Außerdem publiziert sie Sachbücher für ein breites Publikum und nimmt regelmäßig an Science Slams teil.

Claudia Paganini, geb. 1978,  hat  2005 in Philosophie promoviert und 2018 im Fach Medienethik habilitiert. Nach beruflichen Stationen in Athen, Limerick, Mailand und Zagreb  war sie von 2021-2024 Inhaberin der Professur für Medienethik an der Hochschule für Philosophie München. Derzeit lehrt und forscht Sie an der Universität Innsbruck. Außerdem publiziert sie Sachbücher für ein breites Publikum und nimmt regelmäßig an Science Slams teil.



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