E-Book, Deutsch, 208 Seiten
Ott / Müller / Ackerschott Kameras gegen Gewalt. Wie effektiv ist die öffentliche Videoüberwachung?
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-656-48758-6
Verlag: GRIN Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 208 Seiten
ISBN: 978-3-656-48758-6
Verlag: GRIN Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Die Zunahme von öffentlichen Gewaltdelikten, Amokläufen und nicht zuletzt Terrorakten hat die westliche Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten massiv verunsichert. Als Folge stieg die Präsenz öffentlicher Videoüberwachung weltweit rapide an. Doch wirken diese Systeme wirklich präventiv oder richten sie sich letztendlich gegen den Bürger selbst? Dieser Band liefert Diskussionsanregungen und einen aktuellen Überblick zum Thema Videoüberwachung in Deutschland und Europa. Drei fundierte Beiträge nähern sich diesem kontroversen Thema aus kriminologisch-rechtlicher, ethischer und empirischer Sicht. Aus dem Inhalt: Juristische Voraussetzungen der Videoüberwachung; Theorien der Kriminalprävention; Nachweisliche Erfolge, Misserfolge und Probleme von Videoüberwachung; Kriminalität, Kriminalitätsfurcht und öffentliche Meinung; Methoden der Überwachung und soziale Akzeptanz in Großbritannien, Deutschland und Österreich
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Kriminologische und rechtliche Einordnung
Videoüberwachung aus Sicht kriminologischer Theorie
Die Kriminologie „[...] befasst sich mit den im menschlichen und gesellschaftlichen Bereich liegenden Umständen, die mit dem Zustandekommen, der Begehung und der Verhinderung von Verbrechen sowie mit der Behandlung von Rechtsbrechern zusammenhängen.“[2] Obwohl das Aufstellen von Überwachungskameras eine rein technische Maßnahme ist, wird oft davon ausgegangen, dass der Videoüberwachung eine kriminologische Doppelfunktion innewohnt: Einerseits soll sie durch ihren präventiven Charakter Verbrechen verhindern, andererseits soll sie durch ihre repressive Eigenschaft die Überführung von Rechtsbrechern erleichtern. Diese Unterscheidung erscheint logisch, solange man die Folgen der Überwachung betrachtet. Bedenkt man hingegen den psychologischen Mechanismus, der Verbrechen verhindern soll, beruht auch die Prävention lediglich auf der Angst vor dem gesteigerten Repressionsrisiko.[3] Damit steht die Kausalitätsvorstellung von der Funktionsweise der Videoüberwachung in der Tradition der ökonomischen Kriminalitätstheorie, wie sie vor allem im Rahmen der New Yorker Polizeioffensive der 1990er Jahre umgesetzt wurde. Sie geht davon aus, dass jeder Akteur vor der Entscheidung zu einer kriminellen Handlung die jeweils situationsspezifischen Kosten und Nutzen der Tat rational kalkuliert. Erhöht man durch Videoüberwachung das Risiko, erfolgreich entdeckt und anschließend bestraft zu werden, so sinkt quasi automatisch die Kriminalität. Damit grenzt sich der ökonomische Ansatz von älteren Root-Causes-Theorien der Kriminologie ab, die ihren Fokus primär auf die Lebenssituation von Täter und Opfer legen.[4] Vor diesem Hintergrund lässt sich Videoüberwachung als Interventionsprogramm zur spezifischen Kriminalitätsprävention in die kriminologische Theorie einordnen, da sie sich unmittelbar gegen strafbares Verhalten richtet und auf sozialer Kontrolle basiert. Sie hat nicht den Anspruch tiefere Ursachen der Kriminalität zu bekämpfen.[5] Staatliche Videoüberwachung
Wie in der Kriminologie, so ist auch in der Rechtswissenschaft die Differenzierung zwischen Prävention und Repression von großer Bedeutung. Insbesondere, weil für beide Teilaspekte in der föderalistischen Bundesrepublik unterschiedliche Gesetzgeber verantwortlich sind. So obliegt es den Ländern präventive Kriminalpolitik mit Hilfe ihrer jeweiligen Polizeigesetze zu betreiben. Der Bund ist rechtlich gesehen hingegen für alle strafverfolgenden Tätigkeiten verantwortlich, die er in der Strafprozessordnung regelt. Staatliche Videoüberwachung, soll sie nicht nur zur Observation dienen sondern für den Fall tatsächlicher Straftaten auch Aufzeichnungen ermöglichen, berührt aufgrund ihrer Doppelfunktion beide Teilbereiche. Daher gibt es juristisch keine einseitige Kompetenzzuordnung sondern die Notwendigkeit zu Komplementärregelungen. Von Seiten des Bundes wurde hierauf mit einer Generalermächtigung reagiert, die in Paragraph 163 der Strafprozessordnung verankert ist. Sie erlaubt es der Polizei kurzfristige Aufzeichnungen von Täter und Tatverlauf zu machen.[6] Auf Seiten der Länder ist die Rechtslage differenzierter. Zwar wird öffentliche Videoüberwachung in zahlreichen Polizeigesetzen geregelt, doch Umfang und Ausgestaltung unterscheiden sich. So ist in einigen Ländern lediglich die Überwachung öffentlicher Plätze und allgemein zugänglicher Flächen geregelt, in anderen Ländern hingegen auch die Überwachung gefährdeter Objekte. Die meisten Länder setzen außerdem auf das Prinzip der Offenheit. Videokameras müssen also entweder für jedermann offensichtlich angebracht oder es muss ausdrücklich auf sie hingewiesen werden.[7] In wenigen Bundesländern sind auch verdeckte Überwachungsmaßnahmen möglich, wenn damit zu rechnen ist, dass „[...] die Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten an anderer Stelle, zu anderer Zeit oder in anderer Weise begangen werden.“[8] Aufgrund der vielen Unterschiede kann hier keine komparative Betrachtung aller Regelungen stattfinden. Daher wird am Beispiel Nordrhein-Westfalens lediglich exemplarisch dargelegt, welche Voraussetzungen gegeben sein und welche Vorgaben beachtet werden müssen, sollen Videoüberwachungssystem dort errichtet werden. Nachdem kriminalpräventive Videoüberwachung in Nordrhein-Westfalen lange Zeit nicht ausdrücklich erlaubt war,[9] ist sie seit dem Jahr 2000 in Paragraph 15a des nordrhein-westfälischen Polizeigesetzes geregelt. Notwendig war diese Neuerung, weil Videoüberwachung einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung darstellt und deshalb immer einer gesetzlichen Grundlage bedarf.[10] Über die Einführung von staatlicher Videoüberwachung entscheidet laut Gesetz der jeweils zuständige Behördenleiter der Polizei, im kommunalen Bereich also der örtliche Polizeipräsident. Er hat sicherzustellen, dass Videoüberwachung in erster Linie der Verhütung von Straftaten und keinen anderweitigen Zwecken dient. Daher darf er sie nur an einzelnen Orten zulassen, die sich durch Kriminalitätshäufung ausgezeichnet haben, sich durch ihre Beschaffenheit begünstigend auf das Begehen von Straftaten auswirken und wo zukünftig mit weiteren Delikten zu rechnen ist. Sind diese Voraussetzungen erfüllt und werden Überwachungssysteme genutzt, so müssen diese entweder offensichtlich angebracht oder deutlich erkennbar gemacht werden.[11] Damit folgt staatliche Videoüberwachung in Nordrhein-Westfalen zwei zentralen Prinzipien: Sie beruht erstens auf der Maxime der Offenheit, durch die die Einschränkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung abgeschwächt und der Präventionseffekt erreicht werden soll. Zweitens beschränkt sie ihre Ausweitung selbst, da sie stets für ein Jahr befristet wird und eine Verlängerung nur möglich ist, sofern anhand stichhaltiger Tatsachen ein berechtigtes Wiederholungsrisiko nachgewiesen werden kann. „Das bedeutet, dass die Videoüberwachung dann zu unterbleiben hat, wenn ihr präventiver Zweck erreicht ist, also [...] an diesem Ort keine Straftaten mehr vorkommen.“[12] Dadurch soll sichergestellt werden, dass Videoüberwachung in jedem Fall eine streng präventive Ausrichtung verfolgt. Daher dürfen aufgezeichnete Daten in der Regel auch nicht länger als 14 Tage gespeichert werden.[13] Insgesamt ist die Einführung von staatlicher Videoüberwachung keine politische Entscheidung, sondern lediglich ein individuell-abstrakter Verwaltungsakt der Polizei. Private Videoüberwachung
Deutlich verbreiteter als staatliche Videoüberwachung sind private Überwachungssysteme. Rechtlich unterscheidet man diese hauptsächlich nach der Art des zu überwachenden Raumes: Ist dieser nicht öffentlich zugänglich, sind Überwachungsmaßnahmen weitgehend uneingeschränkt möglich. Geht es hingegen um öffentlich zugängliche Räume in privatem Besitz, wird die Legalität von Videoüberwachung detailliert im Bundesdatenschutzgesetz geregelt. Das gestattet die Durchführung von privaten Überwachungsmaßnahmen auch dann, wenn dadurch keine kriminalpräventive Wirkung erzielt werden soll. So ist nicht-öffentliche Videoüberwachung bereits legal, wenn sie der Wahrnehmung berechtigter Interessen oder des Hausrechtes dient. Neben diesen, in erster Linie privaten Zielen, kann private Videoüberwachung jedoch auch zu öffentlichen Zwecken betrieben werden. So ist optisch-elektronische Überwachung ebenfalls erlaubt, wenn sie die Aufgabenerfüllung öffentlicher Stellen erleichtert. Was dies im konkreten Einzelfall bedeutet, definiert das Gesetz nicht.[14] Grundsätzlich beruht private Videoüberwachung auf Freiwilligkeit. Gleichwohl kann sie über gesetzliche Umwege in bestimmten Fällen vorgeschrieben werden. Grundlage hierfür ist Paragraph 15 des siebten Sozialgesetzbuches. Er fordert die Träger der gesetzlichen Unfallversicherungen zum Erlass von Unfallverhütungsvorschriften auf.[15] In einigen dieser Vorschriften ist Videoüberwachung verankert und muss in bestimmten Fällen durchgeführt werden. Betroffen sind etwa Kassenräume von Banken.[16] Dabei gehen die Versicherungsträger offenbar davon aus, durch den repressiven Charakter von Videoüberwachung Kriminalität vorzubeugen und damit die Arbeitssicherheit bzw. das Unfallrisiko für die Arbeitnehmer zu reduzieren. Obwohl Videoüberwachung auf diesem Wege privaten Akteuren vorgeschrieben werden kann, kommt solchen Regelungen aus kommunaler Perspektive kaum Bedeutung zu. Schließlich liegen die Unfallverhütungsvorschriften außerhalb des kommunalen Einflusses. Gleichwohl darf vermutet werden, dass private Überwachungssysteme kriminologisch mit ähnlichen Wirkungen verbunden sein könnten, wie staatliche Videoüberwachung. Daher sollte man sich ihrer Voraussetzungen bewusst sein. Typen von Videoüberwachung
Neben der rechtlichen Differenzierung, lässt sich Videoüberwachung auch anhand technisch-funktionaler Kriterien typologisieren. In diesem Zusammenhang unterscheidet Laue zwischen blinden, passiven und aktiven Formen der Videoüberwachung, ohne diese jedoch konkret so zu benennen. Jeder Typ ist aus kriminaltheoretischer und juristischer Sicht dabei mit spezifischen Vor- und Nachteilen verbunden. Blinde Videoüberwachung ist im eigentlichen Sinne gar...