Oswald | Im Himmel | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

Reihe: Piper Edition

Oswald Im Himmel

Roman
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-492-98663-2
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 192 Seiten

Reihe: Piper Edition

ISBN: 978-3-492-98663-2
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein gesellschaftskritischer Roman über die Welt der Reichen und Schönen am Starnberger See Paradies nennen die Einwohner von Welting am Starnberger See das am Ufer gelegene reiche Villenviertel. Dort geht es zu, wie man sich das Leben in Paradiesen dieser Art so vorstellt. Man hat Geld und zeigt es auch. Es wird geprotzt und gefeiert - doch wird man das Gefühl nicht los, dass die Beteiligten ahnen, dass die große Party längst vorüber ist. Protagonist dieses Romans ist der zwanzigjährige Marcel. Er erzählt die Geschichte seiner letzten großen Ferien: von Pool-Partys, die regelmäßig in Umnachtung enden, von den Nachbarn, wo Mutter und Tochter sich einen Liebhaber teilen und anderen Dingen, die nur den Beteiligten als weitgehend normal erscheinen...

Georg M. Oswald, geboren 1963, arbeitet als Schriftsteller und Jurist in München. Seine Romane und Erzählungen zeigen ihn als gesellschaftskritischen Schriftsteller, sein erfolgreichster Roman »Alles was zählt«, ist mit dem International Prize ausgezeichnet und in zehn Sprachen übersetzt worden. Zuletzt erschienen von ihm der Roman »Vom Geist der Gesetze« und der Band »Wie war dein Tag, Schatz?«.
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2


Nach dieser Nacht verfiel ich wieder in die Lethargie der großen Ferien, der ich mich tagelang mehr oder weniger regungslos ergab. Nur hin und wieder kam es zu kleinen Ausbrüchen. Im Wohnzimmer fand ich eine Doppel-CD, die sich mein Vater gekauft hatte: »God Save the Queen – Punk-Hits 1977–1980«. Das fand ich sehr witzig. Mein Vater, der Rechtsanwalt und Porsche- und BMW-Fahrer, als Punk! Er erzählte ja immer gerne, dass er sich während der Studienzeit sein Geld als Musikjournalist verdient hatte. Sein absolutes Highlight war ein Interview mit Joey und Dee Dee Ramone in München. Er besitzt noch die Kassette, auf der das drauf ist. Paps hörte sie sich noch mal an, als letztes Jahr Joey und Dee Dee ziemlich schnell hintereinander starben, Joey an Krebs, Dee Dee an einer Überdosis. Sie waren beide neunundvierzig Jahre alt. »Erst«, sagte Paps traurig. Es war schaurig, sich das Band anzuhören, die Stimmen der Toten, die Stimme von Paps, die klingt heute noch genauso.

Ich verdunkelte mein Zimmer, überspannte die Schreibtischlampe mit rotem Krepppapier, warf die CD ein, setzte mir die kabellosen Kopfhörer auf und stieg mit »Holiday in Cambodia« von den Dead Kennedys ein, dann kamen die Vibrators, Sham 69, Exploited, UK SUBS, Stranglers, die Sex Pistols und dann wie der die Dead Kennedys. Ich steigerte mich da hinein. Mein Vater hatte die Buzzcocks 1979 in London im Hammersmith Odeon gesehen. Jetzt war ich es, der vor einer Horde blutgieriger, besoffener Punks stand, die alle an Skorbut litten, weil sie sich nur von Hundefutter ernährten, aber immer noch stark genug waren, mich auf der Stelle zu zerfetzen, wenn ich es jetzt nicht brachte. Ich riss ein schwarzes T-Shirt aus dem Schrank, zog es mir über und zog die Ärmel über die Schultern. Und ich gab weiter Gas. Meine Bühnenshow nahm das gesamte Zimmer in Anspruch. Manch mal riss ich aus Versehen ein Möbelstück um oder stürzte. Aufgeschreckt von dem Gerumpel, sah meine Mutter nach mir. Sie öffnete die Zimmertür und fand mich schweißüberströmt mit schmerzverzerrtem Gesicht am Boden liegen, wo ich mir den Knöchel hielt wie ein gefoulter Fußballer. Als ich sie sah, sprang ich auf und riss mir den Kopfhörer herunter, aus dem die Dead Kennedys weiter »Too drunk to fuck« plärrten.

»Was machst du denn da?« Meine Mutter klang, als wäre sie nicht sicher, ob sie die Antwort wirklich hören wollte.

»Ach, ich höre nur ein bisschen Musik«, antwortete ich, unüberhörbar außer Atem, und weil mir das nicht ganz ausreichend schien, ergänzte ich: »Irgendwie muss ich mich dabei angestoßen haben.«

»Es gibt Neuigkeiten«, sagte sie und schloss die Tür.

Die nachdrückliche Behutsamkeit, mit der sie das tat, schien mir darauf hinzudeuten, dass sie sie vermutlich gerne verriegelt hätte. Aber ich wusste natürlich, was sie von mir erwartete. Ich sollte zu ihr ins Wohnzimmer kommen, um mir ihre Neuigkeiten anzuhören. Trotzdem wirkte es.

Als ich mich zu ihr setzte, fragte ich:

»Warst du eigentlich auch auf Punkkonzerten?«

»Na klar.«

Sie stellte ihre Teetasse auf das Biedermeiertischchen neben ihr. Sie trug ein safrangelbes Kostüm mit dicken Goldknöpfen und einen Cartier-Ring.

»Toll«, sagte ich.

Sie zog die Stirn in Falten.

»Hast du schon gehört? Britta Schmidt wird heiraten.«

»Nein, hab ich noch nicht gehört. Wird sich mein Leben dadurch verändern?«

»Nun, zumindest insoweit, als du mit deinem Vater und mir die Hochzeitsfeier besuchen wirst, wie ich hoffe.«

Dagegen sprach nichts.

»Und wann wird die sein?«, fragte ich.

»In zwei, drei Wochen wahrscheinlich. Der genaue Termin wird heute Nachmittag bei einer Gartenparty der Schmidts bekannt gegeben, zu der du, wie ich wiederum hoffe, auch mitkommst. Wir gehen hinüber, sobald Paps vom Golfspielen zurückkommt.«

Dagegen sprach auch nichts.

»Es wäre von Vorteil, wenn du dich dem Anlass entsprechend kleiden würdest.«

Dagegen sprach eine Menge. Ich sagte:

»Ich bin entsprechend angezogen« und zupfte an meinem schwarzen T-Shirt.

»Punkrock ist nicht deine Generation, mein Lieber. Ihr müsst euch schon etwas Neues einfallen lassen.«

Besser hätte es die Queen auch nicht sagen können.

Irgendwann kam mein Vater zurück, und meine Eltern verschwanden für Stunden in ihrem Schlafzimmer. Als sie wieder herauskamen, staunte ich nicht schlecht.

Mama hatte das safrangelbe Kostüm gegen ein weißes getauscht, zu dem sie einen breitkrempigen Sommerhut gleicher Farbe aufsetzte.

Sie sah schick aus. Bei Paps hingegen konnte ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. Er trug eine Smokinghose mit Samtstreifen an den Seiten und ein weißes Dinnerjacket mit samtschwarzem Revers, darunter eine schwarze Schärpe, die vermutlich seinen Schmerbauch unsichtbar machen sollte. Und weil das nicht genug war, hatte er irgendwas mit seinen Haaren gemacht. Seine Seitenscheitelfrisur sah aus wie ein Helm.

Er bemerkte, wie ich ihn ansah, und schien zu erraten, was ich dachte.

»Das ist Stil, mein Sohn. Vielleicht ein Stil, der dir nicht gefällt, aber darauf kommt es nun einmal überhaupt nicht an. Und wie siehst du überhaupt aus?«

Er konnte mich nicht ärgern. Ich wusste, dass ich verdammt gut aussah in meinem schwarzen Anzug mit dem weißen offenen Hemd darunter, unter dem kein Schmerbäuchlein wabbelte, das sich nach einer Schärpe sehnte.

»Du hast dir doch die Haare toupiert, oder?«, fragte ich.

Er winkte ab und fauchte irgendwas Verächtliches.

Ich legte nach: »Ich finde, du siehst aus wie ein Glücksrad-Moderator.«

Paps stimmte ein kurzes, heftiges Gebell an, das mich zum Schweigen brachte. Mama ermahnte ihn, nicht so heftig zu sein.

»Markus, ich bitte dich, er ist neunzehn.«

»Eben, er ist neunzehn. Und irgendwann wird er zwanzig.«

»Ja, irgendwann wird er zwanzig. Und dann?«

»Ja, und dann?«

Meine Eltern führen gerne mal groteske kleine Gespräche dieser Art, die in Rekordgeschwindigkeit im Nirwana der Umnachtung enden, vor allem, wenn sie nervös sind, weil sie irgendwo hingehen, wo sie glauben einen guten Eindruck machen zu müssen. Und bei den Schmidts ist das definitiv der Fall. Nicht, weil sie ihnen etwas schuldig wären oder gerne etwas von ihnen hätten, denke ich. Obwohl man sich da bei einem Anwalt, wie es mein Vater einer ist, nie sicher sein kann. Nein, Paps sagt gerne, die Schmidts seien »angenehme Leute«. Das soll heißen, dass er sie als gesellschaftlich adäquat betrachtet und sie ihn.

Mama und Paps gingen voraus, ich hinter ihnen her, die Stimmung war ein bisschen vergiftet. Wir gingen zu Fuß, obwohl einiges dafür gesprochen hätte, mit Paps’ nagelneuem silbernem Porsche Carrera von unserem Grundstück über die Straße in die Einfahrt des Schmidt’schen Anwesens hineinzurollen und dabei ein paar Mal den Motor richtig aufdonnern zu lassen.

»Sollten wir nicht den Wagen nehmen? Ich meine, wegen des Showups.«

Paps reagierte auf meinen Vorschlag einigermaßen amüsiert: »Ich glaube, du siehst zu viele Hip-Hop-Videos.«

Das war nun wirklich gelogen. Er sieht zu viele Hip-Hop-Videos. Wenn er am Wochenende vor dem Fernseher herumhängt und zappt, bleibt er unter Garantie bei dem Sender hängen, wo es die meisten Waschbrettbäuche, kreisenden Becken und Hartgummititten zu sehen gibt. Er murmelt dann so halb ironisch: »Was machen die denn da?« Er sagt, Hip-Hop sei eine ausgezeichnete Methode für die Schwarzen, ihren sozialen Protest zu artikulieren, aber mein Eindruck ist, dass er sich mehr für das interessiert, was die genannten Körperteile artikulieren. Nichts Schlimmes eigentlich, denn sie sind ja da, um angesehen zu werden, aber er könnte es zugeben, der alte Punkrocker. Ich habe diese Sachen schon zu oft gesehen, sie interessieren mich nicht mehr sonderlich. Aber wenn man, wie Paps, den ganzen Tag in Büros und Gerichtssälen verbringt, ist man sicher dankbar für diese Art von Ablenkung.

Als wir das Grundstück der Schmidts betraten, veränderte sich der Gang meines Vaters, er bekam jetzt so etwas Weltmännisch-Schlenderndes. Vielleicht muss das so sein, wenn das junge Geld dem alten begegnet, dachte ich. Es war ein wenig gehässig, ich weiß, aber ich dachte das ja nur, weil’s stimmte.

Mama wirkte natürlicher, sie ging einfach so, wie sie immer geht. Und ich? Freute mich darauf, Frank und Britta und Tom wieder zu sehen, ich war neugierig, ob wir da anknüpfen konnten, wo wir vor ein paar Tagen aufgehört hatten.

Paps drückte die Klingel an der Haustür, ein Diener oder so was, vermutlich von der Catering-Firma, machte auf und wies uns mit einem frischen »Bitte sehr!« und einer geübten Verneigung den Weg ins Hausinnere. Ich war überrascht. Niemand außer einem Haufen dieser Leute in Kellneruniformen war im Haus.

»Die Herrschaften sind im Garten, dort ist ein Zelt aufgebaut, und bei diesem Wetter …«

Ich dachte an Filme und Romane, in denen solche Catering-Crews bei vornehmen Gesellschaften Anschläge verüben. Eigentlich handelt es sich um Guerillaeinheiten. Sie sind perfekt aufeinander abgestimmt, ihre Mitglieder kennen einander genau und kommunizieren auf geheime Weise permanent miteinander. Ideale Voraussetzungen also, um unbemerkt Verbrechen begehen zu können, von denen In-die-Suppe-Pinkeln bei Weitem das Geringste ist.

Wir schritten, durch die Umstände, denen wir bei unserer Ankunft begegnet waren, noch festlicher gestimmt, in den Garten hinaus auf die weitläufige Rasenfläche. Vor uns lag der See, auf den ein weiß lackierter Holzsteg hinausführt. In der Mitte des Rasens, etwas unterhalb des Hauses, war ein rundes Zelt aus weißem Leinen aufgestellt....



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