E-Book, Deutsch, 117 Seiten
Reihe: Dialoge
Ohly Kirche und Krisen
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-89308-005-2
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Theologische Perspektiven auf Inhalt und Form
E-Book, Deutsch, 117 Seiten
Reihe: Dialoge
ISBN: 978-3-89308-005-2
Verlag: Narr Francke Attempto Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Reformation erscheint heute vorrangig als mediales Ereignis: ohne Buchdruck, Bibelübersetzung und Kirchenlied keine Botschaft. In unserer modernen Welt verlangt jeder Inhalt so sehr nach einer passenden, wirksamen Form, dass die Form das Wesentliche zu werden droht und der Inhalt nachrangig. Was bedeutet das für die Theologie, deren Gegenstand per Definition keine Gestalt und keine Form hat? Ihre Denkweisen bieten Anregungen, um die 'Formalismuskrise' nicht nur der Theologie zu überwinden. Dazu bedient sich der Theologe und Pfarrer Lukas Ohly auch interdisziplinärer Theorien von Denkern wie Charles S. Peirce oder Ludwig Wittgenstein. Am Beispiel der Flüchtlingskrise 2015 und digitaler kirchlicher Angebote während der Corona-Krise 2020 zeigt er, wie wir Dingen auf den Grund gehen, Sachverhalte verstehen und Sinn finden können.
Prof. Dr. Lukas Ohly lehrt Systematische Theologie und Religionsphilosophie an der Goethe-Universität Frankfurt. Zudem ist er Gemeindepfarrer in Nidderau (Hessen).
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1.2 Die interdisziplinäre Herleitung des Formalismus
Der Form-Inhalt-Zusammenhang wird interdisziplinär gestützt: Semiotisch gibt es keine Inhalte „an sich“, die erst sekundär an bestimmte Ausdrucksformen geknüpft würden. Vielmehr sind Inhalte immer schon an Ausdrucksformen gebunden. Zwar lasse sich Neues ausdrücken, aber nur, weil der dafür herangezogene Ausdruck selbst eine Form habe.1 Dieser Formalismus dürfte weitgehend der trivialen Variante entsprechen: Es gibt keine formlosen Inhalte. Insofern bestimmt die Form den Inhalt, was aber nicht heißt, dass derselbe Inhalt nicht auch in einer anderen Form ausgedrückt werden könnte. Auch die Ästhetik „macht uns darauf aufmerksam, dass Inhalte immer nur in einer bestimmten Form für uns zugänglich sind. Das Was ist immer mit dem Wie verknüpft. Deshalb ist die Ästhetik falsch verstanden, wenn man sie – wie es nicht selten geschieht – auf Äußerlichkeiten, Stilfragen und formale Aspekte reduziert. Die Ästhetik ist vielmehr eine durch und durch inhaltsorientierte Wissenschaft.“2 In diesem Sinne wird dann sogar von einer „Kongruenz“3 von Form und Inhalt gesprochen. Hierbei handelt es sich um die eigentliche Kongruenzthese im nicht-trivialen Sinn: Wenn Inhalt und Form kongruent sind, folgt nämlich, dass eine Veränderung der Form unmittelbar zu einem anderen Inhalt führt. Ich werde im nächsten Schritt zeigen, dass diese These so konzipiert ist, dass sie sich nicht begründen lässt. Das kann man aber bereits an der geometrischen Metaphorik der Kongruenz erkennen: Das Verhältnis von Form und Inhalt liegt zwischen beiden und besteht dann – im Bild – in der Flächendimension, in der die beiden aufeinanderliegen. Die Kongruenz zeigt sich also in diesem Dritten. Solange aber nicht geklärt ist, was dieses Dritte ist, lässt sich die Kongruenzthese nicht begründen. Ist sie Inhalt2 oder Form2 oder eine Neuheit, wie ich das Verhältnis bestimmen möchte? Was passiert aber, wenn der Formalismus keine solche dritte Dimension annimmt? Durch den Prozess reiner Selbstreferenz wird nämlich die Flächendimension eingespart. Dadurch wird die Form die „Fläche“ für den Inhalt und der Inhalt die „Fläche“ für die Form. Das führt dazu, dass Form und Inhalt äquivoke Begriffe werden: Sie sind zum einen die Flächendimension, in der das jeweils andere gelegt wird, als auch die Form, die mit der anderen übereinstimmt. Diese Äquivozität beruht auf der reinen Selbstreferenz der formalistischen Begründungsfigur: Wenn Form und Inhalt kongruent sind, weil sie füreinander als passende Dimension definiert werden, kann Beliebiges passend gemacht werden. Die biblische Auslegung (Exegese) hat in ihren Methodenkanon im 20. Jahrhundert die Formgeschichte aufgenommen. Ihr liegt die Beobachtung zugrunde, dass in der Entstehungszeit biblischer Texte individuelle Einsichten durch die Formen der jeweiligen Gattungen stark begrenzt worden sind. Von „gattungsmäßiger Gebundenheit alt- und neutestamentlicher Texte“4 wird gesprochen. Das Ziel der Formgeschichte besteht zwar darin, den individuellen Anteil in einem Schriftwerk rekonstruieren zu können. Allerdings heißt das gerade nicht, dass sich der individuelle Anteil sozusagen „freischwebend“ auf die Gattungen legt. Mit der Disziplin der Formgeschichte wird der Inhalt nicht einem Individuum zugesprochen, während die Gattung die Form bildet. Vielmehr ist mit „gattungsmäßiger Gebundenheit“ auch eine Gebundenheit der Inhalte an die Form gemeint. Aber auch wenn man Jesus als einen individuell ausgezeichneten Geschichtenerzähler stilisiert, hält man am Formalismus fest. Die neutestamentliche Gleichnisforschung behauptet dann, dass die Form des Gleichnisses nicht willkürlich bestimmt worden ist, sondern sich ihr Inhalt nur so entfalten kann. Die individuelle Gleichniserzählung (Parabel) hat eine typische Form, die sich nicht in einer Aussage zusammenfassen lässt. Form und Inhalt finden hier zu einem Verhältnis in einem Dritten, nämlich in „strukturellen Gegebenheiten“5. Was für die Parabel im Besonderen gilt, gilt im Allgemeinen für die „Gleichnisstruktur“ der theologisch repräsentierten Wirklichkeit: Die „besondere Leistung des frühen Christentums besteht offensichtlich darin, diese Gleichnisstruktur gerade bezogen auf Jesu Tod und im Namen des Osterglaubens auf den Gesamtkomplex des Lebens Jesu übertragen zu haben.“6 Die Beobachtungen der Gleichnisforschung werden metapherntheoretisch verallgemeinert: Metaphern werden nicht als stilistische Verzierungen verwendet und stellen auch keine Behauptungen auf, die sich verifizieren ließen. Vielmehr bilden sie neue Sinnhorizonte, um den Realitätsbezug überhaupt erst erschließbar zu machen. Sie werden daher dazu verwendet, neue Entdeckungen auf der Ebene des Sinns zu erschließen. Theologisch ist die Metapher daher diejenige Sprachform, das eschatologisch Neue in der Sprache des alten Menschen auszudrücken.7 Form und Inhalt müssen sich aus theologischen Gründen entsprechen. Diese unterschiedlichen Quellen führen nicht geradlinig zu dem einem Modell von Formalismus. Allerdings haben sie eine starke Suggestivkraft, Inhalte an ihren Formen zu bemessen. Anstatt den Inhalt an der Sache zu überprüfen, die er meint, wird er vielmehr an der Form überprüft. Dabei wird die Aufmerksamkeit von der Wahrheitsüberprüfung auf das kommunikative Gelingen einer inhaltlichen Botschaft verlagert. Denn wenn der Inhalt an die jeweilige Sprachform gebunden ist, wäre bereits die Wahrheitsüberprüfung des Inhalts an der gemeinten Sache eine formelle Überschreitung des Inhalts. Das wäre nur dann nicht der Fall, wenn der Inhalt mit der Sache strukturell übereinstimmt, wenn es also eine Form höherer Ordnung gibt, die die Übereinstimmung sicherstellt. Es ist zwar zuzugestehen, dass ein wahrheitsfähiger Satz in der Ausdrucksform von Aussagen behauptet werden muss. Daraus folgt aber nicht, dass die Wahrheitsbedingungen wechseln, wenn die Aussage in Form einer Predigt oder eines Referats in universitären Seminaren geäußert wird. Man beachte, dass der Formbegriff mehrdeutig gebraucht wird. Er bezeichnet zum einen den Ausdruck als Dimension, in der ein bestimmter Inhalt repräsentiert werden kann, zum anderen aber auch die Ausdrucksweise in (Sprach-)Stilen innerhalb dieser Dimension. Werden beide Formbegriffe nicht unterschieden, stellen sich Missverständnisse ein, bis dahin dass der Stil die Inhalte determiniere oder ein bestimmter Inhalt eine bestimmte Form erfordert und ansonsten gar nicht gedacht werden könne. Warum der Formalismus schon logisch scheitert Ist also die Form selbst der Inhalt? Dann gibt es keinen Inhalt, den sie vermittelt. Das klingt nach einer bloßen und unbegründeten Setzung. Und das muss auch so sein, denn wie soll sich ein bestimmter Inhalt anders identifizieren lassen als über die Form? Nehmen wir an, ich möchte einer Frau meine Liebe bekennen. Dann kann ich ihr der Voraussetzung nach meine Liebe nicht mitteilen. Würde ich ihr nämlich meine Liebe bloß mitteilen, würde die emotionale Bindung gerade nicht mit zum Ausdruck gebracht, die meine Liebe prägt. Also würde ich dieser Frau etwas anderes aussagen, als wenn ich ihr meine Liebe bekenne. Aber woher weiß ich dann, dass ich diese Frau liebe? Muss ich mir vorher bereits meine Liebe bekannt haben? Und besteht meine Liebe zu dieser Frau erst seit dem Zeitpunkt meines Selbstbekenntnisses? In diesem Fall wiederhole ich mein Bekenntnis gegenüber der Frau, das ich vorher mir selbst abgegeben habe. – An diesem Beispiel zeigt sich die zirkuläre Struktur formaler Selbstverweise: Die Bedeutung der Liebe wird dadurch gegeben, dass die Form eines Bekenntnisses die Form eines Bekenntnisses voraussetzt. Dadurch wird ausgeschlossen, dass man ohne diese zirkuläre Voraussetzung nachprüfen kann, dass auch wirklich der Fall ist, dass ich diese Frau liebe. Wie sollte sie nämlich erkennen können, dass ich ihr denselben Inhalt übermittelt habe, wenn ich ihr meine Liebe in Form einer Information mitteile? Es lässt sich qua Voraussetzung nicht am Inhalt verstehen, dass ich diese Frau liebe. – Das könnte mein Argument gegen die Skepsis der Frau sein: „Du bist zwar Formalistin, die sich in logische Zirkelschlüsse verstrickt, aber ich liebe dich trotzdem.“ Nun könnte meine Geliebte aber einwenden, dass es für sie wirklich einen inhaltlichen Unterschied macht, ob ich ihr meine Liebe bekenne oder mitteile. Im ersten Fall ist meine Liebe heißblütig und engagiert, im zweiten Fall kühl und distanziert. Also bedeutet Liebe, so der Einwand meiner Geliebten, jeweils etwas anderes. Wie könnte ich zeigen, dass ich in beiden Formen dasselbe meine? Ich könnte, nachdem die Mitteilung von dieser Frau skeptisch aufgenommen worden ist, nachträglich vor ihr ein engagiertes Liebesbekenntnis abgeben. Aber würde sie dann nicht skeptisch bleiben, weil sie nicht wüsste, ob ich in beiden Aussagen wirklich dasselbe meine? Selbst wenn sie meine Aussagen am Inhalt, also am Sachverhalt meiner Liebe direkt überprüfen will, hängt die Wahrheit von sprachlogischen Meta-Kriterien ab.8 Sei „p“ eine Aussage und p ein Sachverhalt. Dann ist „p“ wahr, wenn die Aussage mit dem Sachverhalt übereinstimmt. Um aber zu wissen, ob „p“ = p, muss vorher geklärt werden, wie das Gleichheitszeichen zu verstehen ist. Und das setzt eine sprachlogische Übereinkunft...