E-Book, Deutsch, 344 Seiten
Özdogan Wo noch Licht brennt
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-7099-3803-4
Verlag: Haymon Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 344 Seiten
ISBN: 978-3-7099-3803-4
Verlag: Haymon Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Geschichte einer beeindruckenden Frau
Es gibt drei Möglichkeiten, dem Leben zu begegnen: dulden, kämpfen, fliehen. Nach acht Jahren in der Türkei verlässt Gül zum zweiten Mal ihre anatolische Heimat in Richtung Deutschland: Um wieder bei ihrem Mann Fuat zu sein, der in Bremen arbeitet, und um noch einmal Fuß zu fassen in einem Land, das ihr eine bessere Zukunft verspricht, obwohl es ihr stets fremd geblieben ist. Heimweh und Sehnsucht hat sie gelernt zu erdulden, indem sie ihrer Umwelt immer liebevoll und voller Akzeptanz begegnet. Mit ihrer Herzlichkeit und Wärme berührt Gül jeden – über die Grenzen kultureller und sozialer Konventionen hinweg.
Einfühlsamer Roman über Heimat, kulturelle Identität und das Leben zwischen zwei Welten
Es ist das Leben einer beeindruckenden Frau, das Selim Özdogan mit viel Gefühl und Poesie, aber ohne Sentimentalität schildert. Ein Leben, das geprägt ist von Melancholie und Trennung ebenso wie von Warmherzigkeit und Anteilnahme. Er erzählt damit die Geschichte eines Schicksals, das uns im Leben täglich begegnet: das Schicksal unserer Mütter und Großmütter, die ihre Heimat verließen, um eine bessere Zukunft zu finden. Das Schicksal der Frauen, die wir aus dem Bus oder aus dem Supermarkt kennen, deren Welt uns dennoch unbekannt bleibt. Das Schicksal unserer Arbeitskolleginnen und Freundinnen. Ein Leben, viele Leben, denen in der Literatur aber bisher nur wenig Platz zugestanden wurde. "Wo noch Licht brennt" ist ein zutiefst menschlicher Roman und ein Gegengift gegen die Unsichtbarmachung und Diskriminierung, unter der muslimische Frauen in Ländern wie Deutschland, Österreich oder der Schweiz leiden.
Die Kraft des Herzens
Nach den Romanerfolgen "Die Tochter des Schmieds" und "Heimstraße 52" erzählt Selim Özdogan die Geschichte seiner Protagonistin Gül weiter, mit der er bereits viele Leser*innen in den Bann gezogen hat. Eine einfache Frau mit einem guten und weisen Herzen, voller Lebenserfahrung. Sie erfährt, was es bedeutet, Heimat zu verlieren und neue Heimat zu finden - nicht nur durch die Migrationserfahrung, auch durch die Entfremdung von der Familie und von der Welt der Kindheit. Mit der Zeit jedoch lernt sie umzugehen mit den Schmerzen, die einem das Leben zufügt. Denn da ist das Licht, das immer noch brennt, nämlich im eigenen Herzen.
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Leser*innenstimmen:
"Selim Özdogan schafft es, dass man versteht, wie sich Menschen zwischen zwei Kulturen fühlen. In der Türkei nicht mehr zu Hause, aber auch in Deutschland nie richtig angekommen, gehört Gül nirgendwo mehr so richtig hin. Berührend und sehr liebevoll beschreibt der Autor das Leben dieser Frau und ihrer Mitmenschen."
"Selim Özdogans Sprache hat einen ganz besonderen Zauber, der seinen Figuren Leben einhaucht. Man fühlt förmlich die Sorgen und Freuden, die Gül durchlebt."
"Die Hauptprotagonistin Gül ist eine beeindruckende Frau. Trotz der vielen Probleme, die sich in ihrem Leben ergeben, macht sie immer weiter und behält sich eine Wärme gegenüber ihren Mitmenschen, die ergreifend ist."
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
II
Es ist heiß in der Wohnung und Gül steht oft am offenen Dachfenster und sieht hinunter auf die Straße. Die Wohnung in Bremen ist ihr siebtes Zuhause. Zuerst hat sie bei ihren Eltern gewohnt, anfangs auf dem Dorf, dann in der Stadt, später ist sie in das Haus ihrer Schwiegereltern gezogen, von dort nach Deutschland, wo sie zuerst zusammen mit Fuat in einer kleinen Wohnung lebte, bevor sie in die Heimstraße übersiedelten, die nicht asphaltiert war und in der hauptsächlich Türken wohnten. Auf die Jahre in der Heimstraße, in der sie sich immer wohl gefühlt hat, folgte die Jahre im eigenen Haus in der Türkei und nach den Wochen auf der Couch bei Ceyda ist sie nun hier in einer Altbauwohnung gelandet. Wenn sie aus dem Fenster schaut, sieht sie auf eine Straße mit vielen Geschäften, Imbissen und Restaurants, auf junge Menschen mit bunt gefärbten Haaren, Studenten, Obdachlose und auf solche, die abwesend aussehen, sich etwas zu langsam bewegen und keine Orientierung zu haben scheinen. Sie sieht und hört Deutsche, Türken, Kurden, Italiener und ihr fällt auf, dass hier auf der Straße keine Kinder spielen. Unter ihnen im Haus wohnt ein älteres deutsches Ehepaar, das nicht grüßt, in der Wohnung darunter hat sie noch nie jemanden gesehen. Ihr erster Bekannter hier ist Herr Bender, der Besitzer der Buchhandlung im Erdgeschoß. Ein Mann mit silbergrauen Haaren um die fünfzig, der Hemden in dunklen Farben trägt und dessen blaue Augen hinter seinen Brillengläsern immer freundlich zu lächeln scheinen. Stets grüßt er und spricht Gül auch einige Male an. Es sind Güls erste Gespräche auf Deutsch, seit sie wieder zurück ist. In den letzten Wochen hat sie viel Deutsch gehört, sich erneut an diese Sprache gewöhnt, doch als sie anfängt zu sprechen, merkt sie, dass sie noch schneller als früher an ihre Grenzen stößt. Das ist ihr unangenehm, doch sie lächelt, weil sie Herrn Bender nicht entmutigen möchte. So gut sie eben kann, erzählt sie, dass sie jahrelang in der Nähe gelebt hat, dass sie einige Jahre in der Türkei verbracht hat, dass sie jetzt ein zweites Mal nach Deutschland gezogen ist, dass sie zwei verheiratete Töchter hat. Und dass sie zurzeit arbeitslos ist. Herr Bender sucht für den Laden gerade eine neue Putzfrau. Zwei Wochen wohnt Gül in der Dachwohnung, als sie anfängt nach Ladenschluss die Buchhandlung sauber zu machen. Wenn er davon wüsste, würde es Fuat vielleicht gefallen, dass seine Frau sich als gewieft erweist. Doch wenn er von der Schicht nach Hause kommt, nimmt er wortlos sein Essen zu sich, schenkt sich eine Whisky-Cola ein und setzt sich vor den Fernseher. Er schaut deutsche Quizshows, amerikanische Actionserien, Nachrichten, er schaut wahllos, doch er scheint dankbar dafür zu sein, dass die Auswahl größer geworden ist und er häufiger umschalten kann. Nur wenn ein Quizkandidat Geld gewinnt, macht Fuat den Mund auf und sagt: Kaum fassbar. Wenn es viel Geld ist, macht er auch mehr Worte: So viel Asche für nur zwanzig Minuten Arbeit, nur einen Lottoschein auszufüllen geht schneller. Wahrscheinlich braucht der nicht mal Geld, sieh ihn dir mal an. Was für ein Leben, in dem immer nur die Reichen gewinnen. Wenn wir auch mal so eine Summe einstecken könnten ohne dafür zu buckeln und zu schwitzen. Sauberes Geld, Scheine ohne den Dreck der Fabrik. Sieh es dir doch an, jeder Pfennig, den wir beiseitegelegt haben, riecht nach Schweiß und harter Arbeit. Jeder einzelne Pfennig. Gül reagiert nicht darauf. Es ist das zweite Mal, dass sie einen Sommer in Deutschland verbringt, anstatt in die Türkei zu fahren, es ist heiß unter dem Dach, sie hat niemanden zum Reden, wenn sie die Treppen hochgeht, ist sie auf halbem Weg außer Atem und nass geschwitzt. Sie fragt sich, ob das Treppensteigen leichter wäre, wenn sie abnehmen würde. Sie fragt sich, ob sie alleine in die Türkei fahren sollte, sie fragt sich, ob ihre Töchter wissen, was los ist. Sie fragt sich, wie es weitergehen soll. Sie fragt sich, jeden Tag. Sie träumt sich in das Sommerhaus ihres Vaters, wo alle vereint sind, sie träumt sich dort hin ohne die Ereignisse der letzten Zeit, sie träumt sich einen Zusammenhalt, den sie immer nur für Wochen leben konnten, sie träumt sich zu ihren Töchtern, mit denen sie jetzt telefonieren kann, weil es im Haus ihres Vaters ein Telefon gibt. In der stickigen Telefonzelle auf der gegenüberliegenden Straßenseite wählt sie regelmäßig die Nummer. Einen Teil des Geldes, das sie bei Herrn Bender verdient, lässt sie sich in Fünfmarkstücken ausbezahlen, von denen sie eine Handvoll in der Tasche hat, wenn sie runtergeht, um zu telefonieren. Zu Hause haben sie noch kein Telefon, aber selbst wenn sie eines hätten, würde sie nicht von dort aus anrufen, sie hätte keinen Überblick über die Kosten, und so kann sie eine Münze nach der anderen einwerfen und Fuat bekommt nichts mit. Fatma spricht ihre ersten Worte, Ceyda, die im Urlaub noch keinen Migräneanfall gehabt hat, ist mit ihren Kindern Duygu und Timur in der Stadt geblieben, während ihr Mann Adem in das Dorf seiner Großeltern gefahren ist. Güls Bruder Emin, der Lehrer gewesen ist, hat seinen Beruf aufgegeben und wird nach Istanbul ziehen, wo Nalan, die jüngste seiner vier Schwestern, seit Jahren lebt. Melike, die zweitälteste, scheint darüber aus irgendeinem Grund nicht besonders erfreut zu sein. Doch die Neuigkeit des Sommers in ihrer Heimatstadt, die Gül am meisten beschäftigt, sind Mecnuns ständige Magenschmerzen. Er kann kaum noch etwas essen und hat bereits neun Kilo verloren, seit er im Urlaub ist. Neun Kilo? Er war ohnehin kaum dicker als Güls kleiner Finger, jetzt kann er nur noch Haut und Knochen sein. Wenn Gül ihm nur etwas abgeben könnte von den Kilos, die sie zu viel hat. Sie steht oft in der stickigen Zelle und sie weiß es zu schätzen, dass sie ihre Töchter hören kann und sie weiß es zu schätzen, dass in der kurzen Zeit der Telefongespräche nicht weiter auffällt, dass sie weniger erzählt als sonst. Es ist ihr zweiter Sommer in Deutschland, ein Sommer, in dem Fuat bald nach Hause kommt und kaum den Anpfiff abwarten kann. Wenn Gül die Freude sieht, mit der er die Fußballspiele verfolgt, kocht sie vor Wut. Wie kann er nur? Sein Neid auf das Geld der anderen, sein Glauben, dass Glück eine Frage des Kontostandes ist, hat sie kaum gestört, aber jetzt fragt sie sich, wie er so unbeteiligt sein kann. Güls Wut entgeht Fuat nicht, auch wenn sie schweigt. Er sagt: – Gönnst du mir diese Spiele nicht? Ich bin jeden Tag pünktlich zu Hause, ich trinke nicht mit meinen Freunden, ich spiele nicht, ich mache gar nichts mehr, ich gehe zur Arbeit und komme nach Hause, ich bin wie ein Gefangener hier, man könnte … – Halts Maul, sagt Gül, sonst passiert noch ein Unglück, halt bloß dein verdammtes Maul. Fuat ist erschrocken genug, dass er verstummt. Gül steht am Fenster, raucht und sieht auf die Straße hinunter, die sich vor den Fußballspielen leert. Sie sieht auf die Straße hinunter und denkt jeden Tag über die Worte nach, die sie schon oft gehört hat: Man kann gehen und nicht wiederkommen können, man kann wiederkommen und niemanden mehr vorfinden können. So sagen die Ahnen. Vielleicht war die Welt damals anders, denkt Gül, vielleicht hat sie sich nicht so schnell gedreht. Damals konnte man noch zurückkehren, heute ist das nicht mehr möglich. Sie weiß, dass sie wenig von Deutschland kennt, viel weniger als von der Türkei und die kennt sie schon kaum. Weinberge, ihre Freundin Aysel hat ihr in der Türkei erzählt, dass sie in Deutschland in den Weinbergen gearbeitet hat. Gül kann sich keine Weinberge in Deutschland vorstellen, sie kennt das Land kaum, aber das Wenige, das sie kennt, hat sich verändert. Früher gab es keine Paprika und keine Auberginen, keine Wassermelonen und keine Lammkoteletts. Jetzt sieht sie aus ihrem Fenster einen Imbiss auf der gegenüberliegenden Straßenseite, der Döner und Lahmacun verkauft, die hier alle nur türkische Pizza nennen. Deutschland hat sich verändert. Während sie in der Heimstraße gewohnt hat, ist ihr das nicht aufgefallen, sie war zu nahe dran, aber jetzt sieht sie, dass es das Land, in das sie damals gekommen ist, nicht mehr gibt. So wie die Türkei nicht das Land ist, das sie damals verlassen hatte. Wer geht, kann nicht mehr zurückkehren, weil die Orte verschwinden. Was hatte sie in diesem Deutschland verloren, warum hat sie einen Mann geheiratet, der dem Ruf des Geldes gefolgt ist, warum hat Gott Fuat Augen gegeben, die immer nur den Reichtum am Horizont sehen können, aber nicht die Sorgen seiner Frau und seiner Töchter? Dennoch ist sie jetzt wieder hier, und es gibt zwar kein Wiederkommen, aber ein Wiedersehen mit den Menschen, die sie liebt. Es gibt immer ein Wiedersehen, solange man noch auf dieser Seite des Lebens ist. Man muss zusammenbleiben, denkt sie, man muss zusammenbleiben, auch wenn das bedeutet, dass man weniger hat. Es gibt keine Rückkehr und man kann auch nicht einfach gehen und eine neue Heimat finden, weil man mit der alten nicht zufrieden war. So wie man sich keine neue Frau suchen kann, nur weil man die eigene allein vorgeschickt hat, um dann nie nachzukommen. Zusammenbleiben. Dazu gehört Wille. Und Treue. Treue bedeutet nicht, ständig danach zu schielen, wo es einem besser gehen könnte, wo der eigene Vorteil liegt. Gül hat sich nicht ausgesucht, dass ihre Mutter so früh stirbt, sie hat sich nicht ausgesucht, die Älteste von fünf Geschwistern zu sein und sich um die anderen kümmern zu müssen. Aber Fuat hat sie sich ausgesucht, nachdem bereits einige andere um ihre Hand angehalten hatten. Sie war jung damals, es gibt Tage, an denen sie sich kaum...