Özdogan | DZ | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 384 Seiten

Özdogan DZ

Roman
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-7099-7301-1
Verlag: Haymon Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 384 Seiten

ISBN: 978-3-7099-7301-1
Verlag: Haymon Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Zwei Geschwister, zwei Welten: Um seiner Mutter ihren letzten Wunsch zu erfüllen, macht sich Ziggy auf die Suche nach seinem Bruder Damian. Vor Jahren hat Damian Europa mit seinen strikten Gesetzen und Überwachungssystemen verlassen und eine Heimat in der DZ gefunden, einem Land, das unter der tropischen Sonne Südostasiens ein Leben in Freiheit und grenzenlosen Zugang zu Drogen verspricht. Während Ziggy in eine Welt von Chatrooms und Onlinecommunities einer modernen Drogenszene eintaucht, um dort eine Spur von Damian zu finden, stößt sein Bruder in der DZ auf eine neuartige Substanz, die den Geist für ungekannte Wahrnehmungen und Einsichten öffnet. Rasch erkennt Damian die Macht und die Gefährlichkeit der Substanz und beschließt, in den Untergrund abzutauchen.

In seinem großen neuen Roman erzählt Selim Özdogan von der schönen neuen Drogenwelt des Internet, der Suche nach dem Glück und brüchigen Utopien. Er nimmt seine Leser mit auf eine atemberaubende Reise, die hinter unsere Horizonte führt.

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Ziggy moafeen sah aus, als hätte man sie abgeschnitten, oder sie steckte bis zu den Hüften in der Straße, ihre Hände lagen auf dem Teerbelag und sie sagte: – Ziggy, ich kann hier nicht mehr weg. Ich fragte mich, woher sie meinen Namen wusste. Dann tauchte wieder dieses Mädchen auf. Ich wusste, dass ich sie kannte, konnte mich aber nicht mehr erinnern wo­her. – Warum weiß moafeen deinen Namen, du aber ihren nicht?, fragte sie mich. – Wie kann ich ihr helfen?, wollte ich wissen. – Du hast schon dem Metzger die falsche Frage gestellt, sagte das Mädchen. Du musst vorsichtiger sein mit deinen Fragen. – Welchem Metzger? – Schon wieder eine Frage ohne nachzudenken. Achtsam. Du musst achtsam sein. Neunsam, sagte sie dann und lachte. – Ich würde gerne moafeen helfen, sagte ich. Doch moafeen war auf einmal verschwunden, da war nur noch die Straße. – Und ich würde gerne Elodie helfen, sagte das Mädchen, kannst du ihr etwas von mir ausrichten? Noch bevor ich antworten konnte, fiel mir ein, wen sie mit Metzger gemeint hatte und dass ich sie aus dem Traum kannte. Also träumte ich schon wieder. Vielleicht konnte ich immer an der Anwesenheit dieses Mädchens erkennen, dass ich träumte, und dann luzide werden. Ich blickte mich um, doch moafeen blieb verschwunden. Jetzt, wo ich den Traum durchschaue, hätte ich sie befreien können, dachte ich. – Du träumst immer noch, sagte das Mädchen. Ich wachte auf. Verstört hörte ich die Vögel zwitschern, es dämmerte, Elodie gab im Schlaf ein Geräusch von sich, das weder Stöhnen noch Seufzen war, und ich hatte eine Erektion. Ich drehte mich um und versuchte weiterzuschlafen, doch die Zeiten, in denen ich Fortsetzungen von Träumen träumen konnte, waren unwiderruflich vergangen, wahrscheinlich schon seit der zweiten oder dritten Klasse. Ich konnte nicht mal mehr einschlafen, stattdessen versuchte ich den Traum zu analysieren, aber ich schämte mich fast meiner Erklärungsansätze. Dass moafeens Unterleib unter der Erde war, konnte man als unerfüllbare Sehnsucht deuten, sie stellte eine Art Meerjungfrau dar, und gleichzeitig zensierte ich selbst im Traum die Möglichkeit des Geschlechtsverkehrs. Man konnte den Traum auch so deuten, dass ich sie von der Straße holen wollte, man konnte ihn so deuten, dass moafeen viel näher am echten Leben war als ich. Doch jede Auslegung setzte voraus, dass es in mir eine Instanz gab, die damit beschäftigt war, Wünsche zu verschlüsseln. Wer hätte das sein sollen? Und nach welchem Schlüssel? Wo sollte diese Übersetzung in Symbole stattfinden? Und – was geschah mit dieser Instanz, wenn man luzide wurde? Woher kam dieses Mädchen in meinem Traum? Sie ähnelte niemandem, den ich kannte, und mein Hirn hatte sie bereits zwei Mal erschaffen. Erfand ich sie, um luzide zu werden? Warum erschien sie mir jetzt im Wachen glaubhafter als die anderen Personen in meinem Traum, die ja auch nur scheinbar autonom handelten? Du musst vorsichtiger mit deinen Fragen sein, hatte sie gesagt. Aber was hatte sie Elodie ausrichten wollen? Das würde ich nächstes Mal als Erstes fragen, nahm ich mir vor. Davon ausgehend, dass es ein nächstes Mal geben würde. Elodie drehte sich um, blinzelte leicht, sah, dass ich wach war, schmiegte sich an mich und strich über meinen Schritt. Es gelang mir, meine Gedanken beiseite zu schieben. Mit Anfang zwanzig mochte man es noch als einen Sieg betrachten, wenn man zur Arbeit oder zur Universität ging und bereits Sex gehabt hatte. Mit Anfang zwanzig konnte das noch ein Grund sein, den Rest des Tages zu strahlen, als habe man etwas Großes vollbracht. Mit Anfang vierzig hatte sich dieses Gefühl vielleicht noch nicht abgenutzt, aber es wurde überlagert von Pflichten, Moral, Überlegungen und Verantwortungen. Das ganze Leben war so kompliziert, dass ein Orgasmus in einer Frau nicht mehr den ganzen Tag erhellte, sondern nur ein Farbklecks auf der Leinwand eines Malers war, der sich schon lange verzettelt hatte. Ein Maler, der nicht wahrhaben wollte, dass ihm jegliche Kontrolle über die Komposition fehlte und der nur deswegen noch weiter an dem Bild arbeitete, weil er schon so viel Zeit und Energie reingesteckt hatte. Oder das Gefühl hatte sich einfach doch abgenutzt. Diana nahm die Dinge möglicherweise deswegen so leicht, weil alle Gefühle sich abgenutzt hatten, weil die Bodenlosigkeit und das Feuer der Jugend auch in der Erinnerung verblassten. Da war vielleicht keine Emotion mehr, die sie ans Leben fesselte. Aber warum hatte sie dann ein letztes Mal LSD nehmen wollen? Woher kam so ein Wunsch? Und warum wusste ich, dass diese Frage ohne Antwort bleiben würde? Liebe ist keine Lösung, hatte sie gesagt. Es gibt kein Mittel dagegen, pflegte Robert zu wiederholen. Vielleicht sollte ich mal mit diesen Fragen aufhören. Ich hatte Gedanken beiseitegeschoben, nur um mich von anderen überrollen zu lassen. Es war Teil meiner Arbeit, Fragen zu stellen, und je weniger sie zu beantworten waren, desto eher schienen sie in die richtige Richtung zu deuten. Ich musste schmunzeln. Vielleicht sah ich glücklich aus, als ich kam, aber ich war nicht bei der Sache. Sex konnte mich nicht überwältigen. Als ich später vor der Mittagspause auf die Toilette ging, überfiel mich der Gedanke, dass ich in einen Unfall verwickelt werden könnte und dass man dann den Streifen LSD in meiner Geldbörse finden würde. Zu Hause hatte ich ihn nirgends verstecken wollen, wir hatten Kinder. Ich ging ins Büro und legte den in Alufolie eingeschlagenen Streifen in Jenseits von Gut und Böse. Mir war klar, dass ich gekündigt werden würde, sollte das jemals herauskommen, doch als ich das Buch am Rücken fasste und hin und her schüttelte, fiel nichts heraus. Elodie hatte ich nichts von dem LSD erzählt, nur er­wähnt, dass ich keine Quelle für das wmk finden konnte und dass es die Substanz innerhalb der DZ offensichtlich nicht zum Verkauf gab, was für meine Theorie sprach, dass sie fiktiv sein könnte. – Wenn man bei einer Droge nicht weiß, ob sie real ist oder nicht, wie muss sie dann erst wirken, wenn man sie nimmt, hatte Elodie gesagt. Ich hatte sie nicht auf die Widersprüchlichkeit dieser Aussage hingewiesen, doch sie hatte mein Zögern bemerkt. – Eine irreale Droge kann die Realität nicht beeinflussen. Das glaubst du, ja? Das kann sie wohl. Ohne wmk hätte es dieses Gespräch hier nicht gegeben und das Ge­spräch ist real. Ich hatte einfach genickt und sie war stolz gewesen, wenn ich mich nicht irrte. Seit vier Tagen hatte moafeen nicht zurückgeschrieben und ich wurde unruhig. Wäre Schweigen nicht Gold gewesen? Warum musste ich ihr von den Lieblingsbüchern meiner Frau schreiben? Wirkte dieses ständige Wiederholen nicht so, als wollte ich sie auf Abstand halten? Würde ich auch nach Bern fahren, wenn es nicht die Gelegenheit gäbe, sie zu treffen? Oder würde ich in Basel bleiben? Ich konnte Elodie ja kaum erzählen, dass die Tagung doch wieder verkürzt worden war. Nein, ich würde lieber durch die Gassen meiner Kindheit gehen. Und alleine LSD nehmen? Immerhin hatte die Schweiz die Gesetze gelockert, man konnte nicht mehr für Konsum belangt werden, nur für Handel und Herstellung, so wie es auch mal in Deutschland gewesen war. Die Versuchung, mich auch auf der Arbeit bei Edit einzuloggen, war groß, aber es wäre ausgesprochen dumm gewesen, ihr nachzugeben. Zu Hause hatte ich die neue Angewohnheit, als erstes an den Rechner zu gehen und meine privaten Nachrichten im Forum und meine Mails bei molchanje zu abzurufen. Manchmal wurde ich gegen Abend ungeduldig, ab und zu, wenn ich schon bei Diana war, ertappte ich mich dabei, wie ich ihr nicht richtig zuhörte, weil ich schnell nach Hause wollte. Owsley schrieb, dass er eine ganze Kiste voller Bücher von seinem Bruder habe, der Science-Fiction-Fan gewesen war. Ich bot ihm zweihundert Euro für die Kiste. Wenn nur ein Buch dabei war, das ähnlich wertvoll wie Vurt war, hatte sich der Kauf schon gelohnt. Außerdem wollte Owsley wissen, ob ich mit der Ware zufrieden gewesen sei. Ich schrieb zurück, dass ich noch nicht zum Testen gekommen sei, aber eine Bewertung auf undrugged schreiben würde, sobald ich oder einer meiner Freunde den ersten Trip hinter sich hatte. Und ich fragte ihn nach einer Quelle für wmk. Er könne sich umhören, schrieb er prompt zurück, aber er selbst habe nur eine Droge im Angebot. Und er beabsichtige auch nicht auf das Buchgeschäft umzusatteln, schrieb er, und ich fragte mich, ob er ahnte, dass er übervorteilt worden war. Die Kiste wollte er mir dennoch verkaufen. Diese Mails und die pornographischen Filmchen, die ich mir anschaute, lenkten mich von der Tatsache ab, dass keine Nachricht von moafeen einging. Beim Abendessen war ich gereizt und herrschte mehr oder weniger grundlos zunächst Samuel und dann auch Leonie an, die sofort aufstand und auf ihr Zimmer ging. – Was ist denn los?, fragte Elodie hinterher. – Ich komme nicht weiter, sagte ich und hob die Schultern. Diese kurzen Antworten ärgerten sie, also holte ich tief Luft. – Weder auf der Arbeit, noch bei der Suche nach Damian, noch bei der Suche nach diesem wmk. Ich weiß, das ist kein Grund, so zu explodieren. Mehr fiel mir nicht ein und ich stand auf, bevor Elodie auf die Idee kam, eines dieser Themen...


Selim Özdogan, geboren 1971, lebt in Köln. Verfasst Romane und Kurzgeschichten, liest und erzählt gerne vor Publikum. Veröffentlichte u.a. die Romane Es ist so einsam im Sattel, seit das Pferd tot ist (1995), Im Juli (2000) und Heimstraße 52 (2011), zuletzt bei Haymon: Der Klang der Blicke. Geschichten (2012).



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