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E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Obst Kompetenzorientiertes Lehren und Lernen im Religionsunterricht

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

ISBN: 978-3-647-99730-8
Verlag: Vandenhoeck & Ruprecht
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Religionslehrerinnen und -lehrer stehen heute vor der Aufgabe, landesweite, kompetenzorientierte Lehrpläne umzusetzen: Schulinterne Curricula sind zu entwickeln, Überprüfungs- und Bewertungsverfahren für die erzielten Kompetenzen auszuarbeiten. Der eigene Unterricht ist so zu gestalten, dass Schülerinnen und Schüler Kompetenzen religiöser Bildung erwerben können.

Das Buch leitet durch die pädagogische und religionspädagogische Diskussion. Standard- und kompetenzorientierte Modelle religiöser Bildung werden gesichtet. Sodann steht die kompetenzorientierte Praxis im Zentrum: Was ist bei der Planung zu bedenken? Wie unterrichtet man kompetenzorientiert? Wie können Kompetenzen überprüft werden?
Die 4. komplett überarbeitete und aktualisierte Auflage wurde inhaltlich in allen Aspekten der derzeitigen religionspädagogischen Debatte aufgearbeitet und erstrahlt auch optisch in neuem Glanz.
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1. Einleitung: Von einer neuen Schule träumen – oder: Wie kommt man dorthin, wo man hin will? Über die Ergebnisse der ersten internationalen Vergleichsuntersuchungen der 1990er Jahre (z. B. TIMSS 1997) herrschte ungläubiges Staunen, wenn sie denn in der Öffentlichkeit überhaupt wahrgenommen wurden. Der Schock der PISA-Untersuchung dagegen saß. Das deutsche Bildungssystem, das sich als unangefochtener Spitzenreiter wähnte, war auf ein blamables Mittelmaß geschrumpft – ein Resultat, das Experten zwar schon lange vorausgesagt hatten, das aber erst jetzt die Politiker aufschreckte und sie in hektische Betriebsamkeit verfallen ließ. Kompetenz- und Standardorientierung war das Paradigma, mit dem das Bundesministerium für Bildung und Forschung 2003 eine Umsteuerung des nationalen Bildungswesens einzuleiten versuchte. Das vom Ministerium veröffentlichte sog. Klieme-Gutachten (Klieme et al. 2003) plädierte dafür, bundesweit geltende Bildungsstandards zu formulieren, die verbindliche Anforderungen für Schülerinnen und Schüler beschreiben sollten. Die regelmäßige Überprüfung der Schülerleistungen werde dann – so das Kalkül – das Niveau der in der Schule vermittelten Kompetenzen heben und insgesamt zu einer Steigerung der Qualität schulischer Arbeit beitragen. Seither haben die in der Kultusministerkonferenz versammelten Repräsentanten der Bundesländer die Schulsysteme ihrer Länder einer grundlegenden Revision unterzogen und sie im Sinne kompetenz- und standardorientierter Strukturen umgestaltet. Die »Metastruktur Kompetenzorientierung« hat inzwischen alle Bereiche des Schulwesens – von den Kernlehrplänen über Abschlussstandards, Vergleichsarbeiten und zentrale Abituranforderungen bis hin zu Unterrichtswerken und Lehrerfortbildung – erfasst. Gegen die Erhöhung des administrativen Drucks auf die Schulen, die Schüler und die Lehrer setzten Journalisten wie Reinhard Kahl eindrucksvolle Bilder: Kahl verwies in mehreren Filmdokumentationen auf vorbildhafte skandinavische Schulen (vgl. Treibhäuser der Zukunft), die in der PISA-Untersuchung sehr gut abgeschnitten hatten, oder mahnte an, dem Beispiel deutscher Reformschulen zu folgen. Unter dem Motto »Bildung ist mehr als PISA« trat das von ihm 2007 begründete Netzwerk Archiv der Zukunft (vgl. Kahl Archiv1) an, für eine Erneuerung der Schulen zu sorgen, ohne dass die ausgetretenen Pfade von Leistungsdruck und Vereinheitlichung beschritten werden sollten. »Wäre es nicht ein lohnendes Projekt, Schulen und andere Bildungshäuser zu Kathedralen einer nachindustriellen Gesellschaft zu kultivieren? Orte, an denen die Gesellschaft zeigt, was ihr wichtig ist? Häuser, in denen nicht nur Worte, sondern viele Einzelheiten vom gelungenen Leben und von der Schönheit erzählen?«, fragen die Gründer des Netzwerks (Kahl Archiv2). Dennoch hat es das reformpädagogische Projekt einer Schule, in der Schülerinnen und Schüler mit Freude bei der Sache sind und in einer anregenden Schulgemeinschaft das Zusammenleben erproben und gestalten, angesichts der aktuellen bildungspolitischen Großwetterlage schwer. Diese Tatsache veranlasste Annemarie von der Groeben, langjährige didaktische Leiterin der Bielefelder Laborschule, zur Formulierung des folgenden Traums: Als die deutschen Kultusministerinnen und -minister sahen, wie schlecht es um ihre Schulen stand, beschlossen sie, das Bildungssystem grundlegend zu verändern. Sie wurden getragen von einem breiten gesellschaftlichen Konsens, eine Welle des pädagogischen Umdenkens ging durch das Land. Man suchte und fand Vorbilder. Von den skandinavischen Ländern lernten die Deutschen, was es heißt, mit dem Grundsatz »Wir dürfen kein Kind verlieren« Ernst zu machen. Sie verstanden: Wir müssen zuallererst dafür sorgen, dass es unseren Kindern und Jugendlichen an Leib und Seele gut geht. Das hatte weitreichende Folgen. Es begann mit »Kleinigkeiten«, die bald an allen Schulen zu vor-unterrichtlichen Mindeststandards gehörten: ein gutes, nahrhaftes Frühstück oder Mittagessen, ein Gesundheits- und Beratungsdienst, ein flexibler, den Bedürfnissen der Kinder angepasster Tagesrhythmus, gute Möbel, Ausstattung der Schule mit vielfachen Lerngelegenheiten, Ausstattung der Klassen und Arbeitsplätze mit handlichen, anregenden, gut geordneten Materialien. Zum Kern der Entwicklungsarbeit wurde die Neugestaltung des Unterrichts und der Lernangebote. Die Vorgabe war: Lernen muss Freude machen, mit relevanten Erfahrungen verbunden sein, geschieht am besten in der Auseinandersetzung mit bedeutsamen Gegenständen. Schon nach wenigen Jahren waren die Schulen nicht wiederzuerkennen. Sie waren einladend, freundlich und anregend gestaltet, Orte, an denen Kinder den ganzen Tag über gern und gut leben und lernen konnten. Niemand wurde beschämt, niemand musste sich als Versager fühlen. Darum hatte man das Sitzenbleiben abgeschafft, die Zensuren durch Beratungsgespräche ersetzt, den Unterricht ganz darauf ausgerichtet, der Unterschiedlichkeit der Kinder gerecht zu werden. Die Schulen waren in ihrer Arbeit weitgehend autonom, so wurde ihre ganze pädagogische Kreativität für diese Aufgabe freigesetzt. Starre Jahrgangsklassen und -normen erwiesen sich mehr und mehr als kontraproduktiv. Bald schon wurde es hierzulande so normal wie in Schweden, dass Zwölf- und Fünfzehnjährige zusammen Englisch lernen oder im Labor experimentieren konnten. Bewertet wurden ihre Leistungen nach dem individuellen Lernfortschritt. Als Orientierungsrahmen dienten fachliche Mindeststandards, die die systematische Progression des Lernens abbildeten. Tests wurden den Schulen als diagnostische Hilfsmittel zur eigenen Verwendung angeboten. Am Ende der Schullaufbahn mussten Basisqualifikationen in individueller Abstufung nachgewiesen werden. Was der einzelne Absolvent darüber hinaus vorzuweisen hatte, zeigte sein individuelles Leistungsportfolio. Ein verzweigtes, früh greifendes System von Fördermaßnahmen sorgte dafür, dass 90 von 100 Schülern eines Jahrgangs diese Prüfung bestanden. So gelang es Deutschland mit einer großen gesellschaftlichen Anstrengung, den Anschluss an die Spitzenländer in wenigen Jahren zurückzugewinnen. (Groeben 2005, 78) Das, was in den Dokumentationen Kahls zu staunenswerten Bildern geronnen ist, entwirft von der Groeben als konzeptionelles Gegenbild zur kultusministeriell verordneten Schulwirklichkeit. Vieles an diesem modernen bildungspolitischen »Märchen«, so nennt es Annemarie von der Groeben, überzeugt sofort – besonders die Überlegungen zu Raumgestaltung, Lernmaterialien, Tagesrhythmus und Ernährung. Dringend notwendige Veränderungen werden beschrieben, ein imponierendes Szenario von der Schule als Lebens- und Lernwelt der Schülerinnen und Schüler entsteht. Anderes ist differenzierter, manches in dem Traum von der Groebens auch mit Skepsis zu betrachten: So führt etwa die Ersetzung der Zensuren durch Beratungsgespräche keineswegs notwendig zu einer klareren Einschätzung der Leistungen von Schülerinnen und Schülern. Auch die ausschließliche Orientierung am individuellen Lernfortschritt verschafft nicht zwingend eine realistische Selbsteinschätzung der eigenen Leistungsmöglichkeiten und -grenzen: Individuelle Unterforderung ist dabei ebenso wenig ausgeschlossen wie ständige Überforderung einzelner Schüler. Märchen überzeugen, weil sie die Realität überschreiten, weil sie davon erzählen, wie es auch und wie es besser sein könnte. In guten Märchen aber wird die Brutalität der Realität nicht ausgeklammert: der böse Wolf, der die heile Welt von Rotkäppchen stört, die eifersüchtige Stiefmutter, Hunger und Tod. Diese Härte der Wirklichkeit fehlt jedoch in dem Märchen von Annemarie von der Groeben, so z. B.: – lärmende, aggressive Jugendliche, die ihren Mitschülern und Lehrern verbal und brachial Gewalt antun, – Schülerinnen und Schüler, für die alles andere als die Schule von höchstem Interesse ist und die daher dem Lernen in ihren praktischen Tagesvollzügen nur eine nachrangige Bedeutung zumessen, – die Allgegenwart digitaler Medien, die zu ständiger virtueller Präsenz in sozialen Netzwerken verführen und gemeinschaftszerstörendes Cyber-Mobbing geradezu herausfordern, – Lehrer und Lehrerinnen, die überfordert, ausgebrannt und demotiviert sind oder einfach schlecht unterrichten, – die Leistungsanforderungen einer globalisierten Welt, in der Jugendliche ohne Hauptschulabschluss und auch mit Hauptschulabschluss, z. T. sogar mit Realschulabschluss, keine Chance mehr auf einen Ausbildungsplatz haben, – und last, but not least: die notorisch klammen Finanzen der Städte und Länder, die oft nicht einmal die Grundinstandhaltung der Schulen gewährleisten können. Auch als Märchen würde von der Groebens Traum mehr überzeugen, wenn beides, die Wirklichkeit, wie sie ist, und die Vision davon, wie sie sein könnte, stärker aufeinander bezogen wären. Nur dann ist ein Traum keine Illusion und ein Märchen eine Geschichte, die die Wirklichkeit verändern kann. Annemarie von der Groeben selbst kommt in ihrem Traum nicht ohne die Thematisierung von Standards und Kompetenzen aus, sie greift zentrale Elemente der Diskussion auf, wandelt sie aber in charakteristischer Weise ab. Ihre »vor-unterrichtlichen Mindeststandards« beziehen sich auf die schülergerechte Ausstattung und die gesundheitsförderliche Einrichtung, die »fachlichen Mindeststandards« markieren nur das Minimum der Basisqualifikationen, die Schüler nachweisen sollen – allerdings in »individueller Abstufung«. Tests werden nicht von oben verfügt, sondern den Schulen als diagnostisches Hilfsmittel und Dienstleistung angeboten....


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