O'Brien | Durst und andere dringende Dinge | E-Book | www2.sack.de
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E-Book, Deutsch, 282 Seiten

O'Brien Durst und andere dringende Dinge


1. Auflage, neue Ausgabe 2012
ISBN: 978-3-0369-9143-6
Verlag: Kein & Aber
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)

E-Book, Deutsch, 282 Seiten

ISBN: 978-3-0369-9143-6
Verlag: Kein & Aber
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Durst versammelt verstreute Perlen aus Flann O´Briens Werk, die zwischen 1938 und 1966, O´Briens Todesjahr, entstanden sind: Das Roman-Fragment 'Slatterys Sago-Saga' oder 'Von unter der Erde bis hoch auf den Baum', eine kuriose Geschichte darum, wie die Ernährung der Iren von der krankheitsanfälligen Kartoffel auf das angeblich nahrhaftere Sago umgestellt werden soll. Da sind des Weiteren die beiden kuriosen Dramen 'John Duffys Bruder' und 'Faustus Kelly', die intelligent-komische Erzählung 'Die Krone des Märtyrers' und 'Wie man im Tunnel ein Fass aufmacht', ein Gleichnis über James Joyce und Literaturkritik in einem. Übersetzt und durchgesehen von Harry Rowohlt.

Flann O´Brien, geboren am 5. Oktober 1911 als Brian O´Nolan in Strabane/County Tyrone, studierte Gälisch, klassische Philosophie und Deutsch in Dublin und Köln und wirkte von 1937 bis 1953 als Ministerialbeamter. 1939 begann er mit »Auf Schwimmen-zwei-Vögel« seine Karriere als Schriftsteller, ab 1940 schrieb er, unter dem Pseudonym Myles na gCopaleen - Myles von den Pferdchen - zudem 26 Jahre lang Kolumnen in der Irish Times. Flann O´Brien starb am 1. April 1966 in Dublin. Bei Kein & Aber erschien 2007 die Gesamtausgabe seiner Werke.
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Mr Toole und Mr O’Hickey gingen morgens zusammen die Straße entlang.

Mr Toole hatte eine Eigenart. Er hatte die Gewohnheit, wenn er von einer anderen Person begleitet wurde, wildfremde Menschen zu grüßen; jedoch nur, wenn diese Fremden gewichtig auftraten und kostspielig gekleidet waren. Auf diese Weise wollte er kundtun, daß er Freunde in hohen Positionen hatte und daß er selbst, obzwar arm, eine Person von Rang und daß seine gegenwärtige unglückliche Lage das Resultat eines geheimgehaltenen Opfers war, welches er schon früh in seinem Leben seinen unverrückbaren Prinzipien gebracht hatte. Die meisten Fremden, aus ihren privaten Gedanken aufgeschreckt, stotterten ihrerseits einen Gruß. Und Mr Toole war gewitzt. Er beließ es dabei. Er sagte nichts weiter zu seinem Gefährten, aber mit Hilfe einer kleinen privaten Geste, eines Kicherns, eines Schüttelns des Kopfes, eines unterdrückten Fluchs erzielte er die eine Frage, die seinem Ohr am melodiösesten klang: »Wer war das?«

Mr Toole war abgerissen, und das war Mr O’Hickey ebenfalls, aber Mr O’Hickey war von einer säuberlichen und sorgfältigen Abgerissenheit. Er war ein älterer und klügerer Mensch und mit Mr Tooles Schlichen wohl vertraut. Wenn Mr Toole in Hochform war, dachte Mr O’Hickey, dann war er besser als Theater. Und so wußte er nun, daß Mr Toole dabei war, die Straße mit wachem Auge abzuschätzen.

»Meine Güte!« sagte Mr Toole plötzlich.

Jetzt geht’s los, dachte Mr O’Hickey.

»Sehen Sie diesen Knirps mit dem Stock und dem Hut?« sagte Mr Toole.

Mr O’Hickey sah ihn. Ein junger Mann von unvergleichlicher Eleganz näherte sich; groß, blond, dunkel gekleidet; selbst auf fünfzig Meter Entfernung schien sein Hochmut Mr O’Hickeys Teil der Straße gefrieren zu lassen.

»Zehn zu eins, daß er mich wie Luft behandelt«, sagte Mr Toole. »Dieser Mann ist ein ganz besonders erlesenes Erzeugnis.«

Mr O’Hickey machte sich auf einen mehr als außergewöhnlichen Aufprall gefaßt. Die Gegner näherten sich einander.

»Na, wie geht’s denn immer, Sean, a chara?« rief Mr Toole.

Die Selbstkontrolle des jungen Mannes war superb. Es gab kein Starren, keinen verächtlichen Blick, nicht das geringste Zeichen. Fort war er, aber in seinem Kielwasser hatte er einen so vollendeten Eindruck von Geringschätzung hinterlassen, daß sogar Mr Toole kurz erbleichte. Das Erlebnis beängstigte Mr O’Hickey.

»Wer … wer war das?« fragte er schließlich.

»Die Mutter kannte ich recht gut«, sagte Mr Toole versonnen. »Die Frau war eine Heilige.« Dann war er still.

Mr O’Hickey dachte: Hier hilft nur Bestechung – wieder einmal. Er ging voraus in eine Gastwirtschaft und bestellte zwei Flaschen Stout.

»Wie Sie wissen«, setzte Mr Toole an, »war ich Bart Conlons rechte Hand. Bart hat dann natürlich im Jahre zwoundzwanzig die Seiten gewechselt.«

Mr O’Hickey nickte und sagte nichts. Er wußte, daß Mr Toole seinem Land keinerlei Militärdienst erwiesen hatte.

»Auf jeden Fall«, fuhr Mr Toole fort, »geschah es an einem ganz bestimmten Tag früh im Jahre einundzwanzig, da hören wir, daß eine Razzia im Sinn Fein-Büro droben in der Harcourt Street befohlen worden sei. Zufällig gab es da so einen Tölpel von einem Viehhändler aus der Grafschaft Meath, der gegenüber sein Büro hatte. Und der war dick befreundet mit einem Zeitgenossen namens Mick Collins. Ich glaube, Sie wissen, worauf ich hinaus will?«

»Allerdings«, sagte Mr O’Hickey.

»Wir waren zu sechst«, sagte Mr Toole, »mit mir und Bart Conlon, der den Oberbefehl hatte. Mein Viehhändler kriegt nun einen dringenden Anruf, er soll um vier zufällig mit Absicht nicht im Büro sein, und um halb vier sitzen wir sechs in seinem Laden, und wir haben sechs Maschinenpistolen, die Flinten und so eine Art hausgemachte Bombe, die Bart in seiner Küche zu basteln pflegte. Um fünf erschien das Militär auf zwei Mannschaftswagen gegenüber. Das war die Uhrzeit, auf die sich der Befehl bezogen hatte. Ich glaube, dieser Mann, Mick Collins, hatte Burschen, die für ihn im Kriegsministerium drüben in London arbeiteten. Er nahm es peinlich genau damit, daß die Briten auf die Sekunde pünktlich waren.«

»Er war ein wunderbarer Organisator«, bemerkte Mr O’Hickey.

»Na ja, wir standen mit dem Rücken zur hinteren Wand und beharkten sie durchs offene Fenster, als sie von den Mannschaftswagen absaßen. Bei allen heiligen Paten! So ein Schlachtfest hab ich mein Lebtag nie gesehen. Die Männer wußten gar nicht, wo es her kam, und einige machten sich auch keine großen Sorgen darüber, als alles vorbei war, weil sie keinen Kopf mehr für Sorgen auf dem Leib hatten. Dann gibt Bart den Befehl zum Rückzug über die Hintertreppe; in nullkommanix sind wir auf der Gasse, und fünf Minuten später sind wir alle sechs im ersten Stock von Martin Fulhams Kneipe in der Camden Street. Der arme Martin ist ja inzwischen tot.«

»Ich kannte den Mann gut«, bemerkte Mr O’Hickey.

»Gewiß doch«, sagte Mr Toole mit Wärme. »Wir sechs standen natürlich auf der Abschußliste. Auf jeden Fall kamen urn sechs neue Befehle. Alle Mann sollten sich in militärischer Formation, einzeln, auf verschiedenen Routen zum Hause eines hohen Tiers im Cumann na mBan verfügen, das war eine Witwe namens Clougherty, die in der South Side wohnte. Wir sollten uns alle ruhig verhalten, verstehen Sie, bis neue Befehle eintreffen, daß wir rauskommen und wieder kämpfen sollen. Bei allen heiligen Kriegen, das waren rauhe Tage damals; werde ich wohl jemals Mrs Clougherty vergessen?! Sie war wirklich eine fabelhafte Frau. Ich habe noch nie eine Frau Brot backen sehen so wie sie.«

Mr O’Hickey blickte auf.

»War sie«, sagte er, »war sie … soweit in Ordnung?«

»Sie war ganz gewiß nicht eine von der Sorte«, sagte Mr Toole laut und scharf. »In jenen Tagen hatten wir weißgott andere Sachen im Kopf. Da war diese unglückselige Frau in einem zweistöckigen Eigentumshaus, mit irgendeinem seltsamen Herrn in der Wohnung im ersten Stock, sie selbst im Erdgeschoß und sechs blutrünstige Grobiane, die sich oben im zweiten Stock verstecken, jeder einzelne bereit, sich den Weg freizuschießen, wenn sie Ärger kriegen. Wir haben dort Sachen zu essen gekriegt, die ich weder vorher noch nachher zu Gesicht bekommen habe, und jeden Morgen den Independent. Greueltat in der Harcourt Street. Dann machten sich die Bewaffneten aus dem Staube und bewerkstelligten ihre Flucht. Das kann ich Ihnen verdammtnochmal sagen, daß wir unsere Flucht bewerkstelligten. Die Sache hatte nur einen Haken. Wir konnten uns nicht rühren. Keinerlei Bewegung – und das bedeutet natürlich nur eins …«

»Verstopfung?« schlug Mr O’Hickey vor.

»Aber genau«, sagte Mr Toole.

Mr O’Hickey schüttelte den Kopf.

»Wir waren eine Woche dort. Haben geraucht und Kartell gespielt, aber wenn die Uhr neun schlug, kam Mrs Clougherty nach oben, und – Protestant, Katholik oder Judenmensch – alle Mann mußten wir runter auf die Knie. Eine sehr gute … strenge … Frau, falls Sie verstehen, was ich meine, eine wahre Tochter Irlands. Und was ich Ihnen jetzt erzähle, ist verdammt gut. Eines Abends gegen fünf Uhr hörte ich unten ein Geräusch und spähte aus dem Fenster. Bei allen gottseligen und heiligen Paten!«

»Was war das für ein … für ein Geräusch?« fragte Mr O’Hickey.

»Na, was glauben Sie? Es waren nur zwei Mannschaftswagen, bis oben voll Soldaten, und mein alter Kumpel, der Offizier, hüpft heraus und rennt die Treppe hoch, um gegen die Tür zu hämmern, und sämtliche Tommys sitzen da mit durchgedrücktem Rücken und entsicherter Knarre. In der Falle! Ein schöner Ausdruck: In der Falle! Wenn es jemals Ratten in der Falle gab, dann waren das meine unglückseligen tapferen Männer von der Schlacht in der Harcourt Street. Gott!«

»Sie waren denen gegenüber also sozusagen im Nachteil«, räumte Mr O’Hickey ein.

»Sie war selbst im Zimmer, mit der Teekanne. Sie hatte eine prächtige silberne Satängbluse an; ich sehe sie noch vor mir wie heute. Sie wandte sich uns zu und bedachte uns alle mit einem Blick, welcher sagte: Jetzt seid bloß still, ihr Nervenbündel. Dann fummelte sie ein bißchen vor dem Spiegel herum und verläßt das Zimmer und knallt dabei päng-päng-päng mit den Absätzen, so daß das Haus erzittert, als sie die Treppe hinuntergeht. Und ich habe etwas gesehen …«

...


Rowohlt, Harry
Flann O´Brien, geboren am 5. Oktober 1911 als Brian O´Nolan in Strabane/County Tyrone, studierte Gälisch, klassische Philosophie und Deutsch in Dublin und Köln und wirkte von 1937 bis 1953 als Ministerialbeamter. 1939 begann er mit »Auf Schwimmen-zwei-Vögel« seine Karriere als Schriftsteller, ab 1940 schrieb er, unter dem Pseudonym Myles na gCopaleen - Myles von den Pferdchen - zudem 26 Jahre lang Kolumnen in der Irish Times. Flann O´Brien starb am 1. April 1966 in Dublin. Bei Kein & Aber erschien 2007 die Gesamtausgabe seiner Werke.

O'Brien, Flann
Flann O´Brien, geboren am 5. Oktober 1911 als Brian O´Nolan in Strabane/County Tyrone, studierte Gälisch, klassische Philosophie und Deutsch in Dublin und Köln und wirkte von 1937 bis 1953 als Ministerialbeamter. 1939 begann er mit »Auf Schwimmen-zwei-Vögel« seine Karriere als Schriftsteller, ab 1940 schrieb er, unter dem Pseudonym Myles na gCopaleen - Myles von den Pferdchen - zudem 26 Jahre lang Kolumnen in der Irish Times. Flann O´Brien starb am 1. April 1966 in Dublin. Bei Kein & Aber erschien 2007 die Gesamtausgabe seiner Werke.

Flann O´Brien, geboren am 5. Oktober 1911 als Brian O´Nolan in Strabane/County Tyrone, studierte Gälisch, klassische Philosophie und Deutsch in Dublin und Köln und wirkte von 1937 bis 1953 als Ministerialbeamter. 1939 begann er mit »Auf Schwimmen-zwei-Vögel« seine Karriere als Schriftsteller, ab 1940 schrieb er, unter dem Pseudonym Myles na gCopaleen - Myles von den Pferdchen - zudem 26 Jahre lang Kolumnen in der Irish Times. Flann O´Brien starb am 1. April 1966 in Dublin. Bei Kein & Aber erschien 2007 die Gesamtausgabe seiner Werke.



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