O'Brien | Der dritte Polizist | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 272 Seiten

O'Brien Der dritte Polizist


1. Auflage, neue Ausgabe 2012
ISBN: 978-3-0369-9142-9
Verlag: Kein & Aber
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)

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ISBN: 978-3-0369-9142-9
Verlag: Kein & Aber
Format: EPUB
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Dem Ich-Erzähler stößt Seltsames zu. Er erbt Haus, Hof und ein Pub. Statt seinem Anwesen widmet er sich jedoch den Studien des Gelehrten Selby. Um diese Passion finanzieren zu können, verübt er gar einen Raubmord. Der Protagonist entgeht nur knapp der eigenen Hinrichtung und wird nun, erinnerungslos, immer wieder seine Straftat, den Weg zu Revierwache und seine Flucht von neuem erleben. Übersetzt und durchgesehen von Harry Rowohlt.

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II De Selby hat zum Thema Häuser einiges Interessante zu sagen.1 Er sieht eine Häuserreihe als eine Reihe notwendiger Übel an. Die Verweichlichung und Degenerierung der menschlichen Rasse führt er auf ihre zunehmende Vorliebe für Interieurs und auf ihr schwindendes Interesse an der Kunst des Ausgehens und Draußenbleibens zurück. Dies wiederum sieht er als das Resultat immer mehr um sich greifender Tätigkeiten wie Lesen, Schachspielen, Trinken, Ehe und dergleichen, von denen nur wenige unter freiem Himmel ausgeübt werden können. An anderer Stelle2 definiert er ein Haus als »großen Sarg«, als »Gehege« und als »Schachtel«. Offensichtlich galt sein Haupteinwand der Beschränkung auf ein Dach und vier Wände. Dagegen schreibt er etwas weit hergeholte therapeutische Wirkungen – besonders auf die Lungen – jenen Strukturen zu, die er »Habitats« nennt; von diesen existieren auf den Seiten von Country Album noch einige rohe Skizzen. Es gab zwei Arten dieser Strukturen, dachlose »Häuser« und »Häuser« ohne Wände. Erstere hatten weit offene Türen und Fenster sowie einen ungewöhnlich plumpen Überbau, der aus Zeltbahnen bestand, die gegen schlechtes Wetter über Spanten gerollt wurden; – das Ganze sah aus wie ein zerschelltes Segelschiff, auf einer Plattform aus Mauerwerk errichtet, kurz, eine Stätte, in der man nicht einmal Vieh unterbringen möchte. Der andere Typus von »Habitat« wies zwar das herkömmliche Schieferdach auf, hatte aber keine Wände, außer einer, welche nach der Himmelsrichtung gezogen werden sollte, aus der vorwiegend der Wind wehte; an den anderen Seiten hingen die unvermeidlichen Zeltbahnen locker von Walzen herunter, die an der Dachrinne befestigt waren, wobei die Gesamtstruktur von einem winzigen Burggraben umgeben war, einer Grube, die den Militärlatrinen nicht unähnlich war. Im Lichte heutiger Theorien, Wohnen und Hygiene betreffend, kann kein Zweifel bestehen, daß de Selby mit diesen Ideen empfindlich irrte, in der lange zurückliegenden Zeit seines Wirkens jedoch verlor mehr als ein kranker Mensch im irregeleiteten Bestreben, seiner Gesundheit zu dienen, das Leben in diesen phantastischen Unterkünften.3 Diese meine Überlegungen zu de Selby wurden durch den Besuch des Hauses des alten Mr Mathers angeregt. Als ich mich dem Haus auf der Straße näherte, erschien es mir als nobles, geräumiges Backsteingebäude ungewissen Alters mit einfacher Veranda und acht oder neun Fenstern auf jeder Etage. Ich öffnete das eiserne Tor und ging, so leise ich konnte, den Kiesweg hinauf, auf welchem reichlich Unkraut sproß. Mein Kopf war seltsam leer. Das Gefühl, daß ich im Begriff war, einen Plan erfolgreich zu Ende zu führen, an dem ich drei Jahre lang unermüdlich bei Tag und Nacht gearbeitet hatte, stellte sich nicht ein. Ich fühlte den Funken der Freude nicht, und die Aussicht, reich zu werden, regte mich nicht auf. Alles, was mich beschäftigte, war der mechanische Auftrag, eine schwarze Kassette zu finden. Die Tür zur Halle war geschlossen, und obwohl die davorliegende Veranda breit war, hatten Wind und Regen einen Belag aus Staubgrus gegen die Türfüllung und tief in die Türspalte gepeitscht, so daß man deutlich sah, daß die Tür seit Jahren nicht geöffnet worden war. Ich stand auf einem vernachlässigten Blumenbeet und versuchte, das Schiebefenster links von der Tür hochzudrücken. Ächzend und widerspenstig gab es meiner Krafteinwirkung nach. Ich klomm durch die Öffnung und befand mich nicht sogleich in einem Zimmer als vielmehr auf dem breitesten Fensterbrett, das ich je gesehen habe. Als ich den Fußboden erreicht hatte und lärmend auf ihn hinuntergesprungen war, schien das offene Fenster sehr weit entfernt und viel zu klein, um mich eingelassen zu haben. Das Zimmer, in dem ich jetzt war, starrte vor Staub. Es roch stockig und war bar jeden Mobiliars. Spinnen hatten große Spannen ihrer Netze vor die Öffnung des Kamins gewoben. Ich ging schnell auf die Halle zu, stieß die Tür des Raumes auf, in dem sich die Kassette befand, und blieb auf der Schwelle stehen. Es war ein dunkler Morgen, und das Wetter hatte die Fenster mit Schlieren grauen Überzugs bedeckt, welche den größten Teil des schwachen Lichts am Eindringen hinderten. Die entfernteste Ecke des Raumes war ein einziger verschwommener Schatten. Ich hatte plötzlich das dringende Bedürfnis, meine Aufgabe hinter mich zu bringen und für immer aus diesem Haus zu verschwinden. Ich ging über die nackten Dielen, kniete in der Ecke nieder und ließ meine Hände auf der Suche nach der lockeren Diele über den Fußboden gleiten. Zu meiner Überraschung fand ich sie ganz leicht. Sie war gut zwei Fuß lang und federte hohl unter meiner Hand. Ich hob sie an, legte sie beiseite und entzündete ein Streichholz. Im Halbdunkel der Vertiefung gewahrte ich eine schwarze metallene Geldkassette. Ich senkte die Hand in die Öffnung und hangelte mit gekrümmtem Finger nach dem losen, nachgiebigen Griff der Kassette, aber plötzlich flackerte das Streichholz, verlosch, und der Griff der Kassette, die ich etwa einen Zoll hochgelupft hatte, glitt schwer von meinem Finger. Ohne mich mit dem Anreißen eines zweiten Streichholzes aufzuhalten, stieß ich meine leibliche Hand in die Öffnung, und als sich meine Finger um die Kassette hätten schließen sollen, geschah etwas. Ich kann nicht hoffen, hinlänglich zu beschreiben, was es war, aber es hatte mich schon geängstigt, ehe ich es auch nur annähernd verstand. Es ging ein Wechsel mit mir vor, oder er ging mit dem Zimmer vor, unbeschreiblich subtil und trotzdem von großer Tragweite, unaussprechlich. Es war, als hätte sich das Tageslicht mit unnatürlicher Plötzlichkeit geändert, als wäre die Temperatur des Abends plötzlich eine ganz andere geworden, oder als wäre die Luft plötzlich zweimal so knapp oder doppelt so dicht geworden wie noch vor einem Augenblick; vielleicht passierte all dies und noch mehr gleichzeitig, denn jeder meiner Sinne war verwirrt und konnte mir keine Aufklärung verschaffen. Die Finger meiner rechten Hand, durch die Fußbodenöffnung gestoßen, hatten sich mechanisch geschlossen, nicht das Geringste gefunden und waren leer zurückgekehrt. Die Kassette war weg! Hinter mir hörte ich ein Hüsteln, sanft und natürlich, aber dennoch störender als jedes einem menschlichen Ohr zugängliche Geräusch. Daß ich nicht vor Angst starb, ist, glaube ich, auf den Umstand zurückzuführen, daß meine Sinne bereits in Unordnung geraten waren und mir nur Stück für Stück übermitteln konnten, was sie wahrgenommen hatten; außerdem auf die Tatsache, daß mit dem Ausstoßen dieses Hustens eine noch entsetzlichere Veränderung aller Dinge einherzugehen schien, geradeso, als hätte es für einen Moment den Stillstand des Universums bewirkt, die Planeten in ihrem Lauf aufgehalten, die Sonne gebremst und alles, was, von der Erde angezogen, fiel, mitten in der Luft festgehalten. Ich sank matt aus meiner knieenden Stellung hintenüber und kauerte lahm auf dem Fußboden. Schweiß brach auf meiner Stirne aus, und meine Augen blieben eine lange Zeit weit geöffnet, ohne Blinzeln, glasig und beinahe blicklos. In der dunkelsten Ecke des Raumes saß ein Mann am Fenster, der mich mit mildem, aber nicht nachlassendem Interesse beobachtete. Seine Hand war über den kleinen Tisch, der neben ihm stand, gekrochen, um sehr langsam eine Öllampe heller zu stellen, die auf diesem Tisch stand. Der Glaszylinder der Lampe gestattete einen undeutlichen Blick auf den Docht, welcher wie Gedärm in Windungen gerollt war. Auf dem Tisch stand Teegeschirr. Der Mann war der alte Mathers. Er beobachtete mich schweigend. Er rührte sich nicht und sprach auch nicht und hätte tot sein können, wenn die leichte Bewegung seiner Hand nicht gewesen wäre, als er sich an der Lampe zu schaffen machte, jenes ganz behutsame Schrauben mit Daumen und Zeigefinger, um den Docht höher zu drehen. Die Hand war gelb, die runzlige Haut lose über die Knochen gespannt. Über dem Knöchel seines Zeigefingers konnte ich deutlich die Schleife einer dünnen Vene sehen. Es ist schwer, über eine solche Szene zu schreiben oder die Gefühle, die auf meinen betäubten Sinn einhämmerten, mit herkömmlichen Worten zu vermitteln. Ich weiß zum Beispiel nicht, wie lange wir dort saßen und einander betrachteten. Dieser unbeschreibliche und nicht vermeßbare Zeitraum konnte Jahre oder Minuten mit gleicher Leichtigkeit geschluckt haben. Das Licht des Morgens schwand aus meiner Sicht, der staubige Fußboden war wie ein absolutes Nichts unter mir, mein ganzer Körper löste sich auf und ließ mich so zurück, daß ich nur noch in dem dummen Starren existierte, das von dort ausging, wo ich saß, und in der anderen Ecke des Zimmers endete. Ich erinnere mich, auf kalte, mechanische Weise verschiedene Dinge bemerkt zu haben, so, als gelte meine einzige Sorge der Registrierung all dessen, was es zu sehen gab. Sein Gesicht war ...


O'Brien, Flann
Flann O´Brien, geboren am 5. Oktober 1911 als Brian O´Nolan in Strabane/County Tyrone, studierte Gälisch, klassische Philosophie und Deutsch in Dublin und Köln und wirkte von 1937 bis 1953 als Ministerialbeamter. 1939 begann er mit »Auf Schwimmen-zwei-Vögel« seine Karriere als Schriftsteller, ab 1940 schrieb er, unter dem Pseudonym Myles na gCopaleen - Myles von den Pferdchen - zudem 26 Jahre lang Kolumnen in der Irish Times. Flann O´Brien starb am 1. April 1966 in Dublin. Bei Kein & Aber erschien 2007 die Gesamtausgabe seiner Werke.

Rowohlt, Harry
Flann O´Brien, geboren am 5. Oktober 1911 als Brian O´Nolan in Strabane/County Tyrone, studierte Gälisch, klassische Philosophie und Deutsch in Dublin und Köln und wirkte von 1937 bis 1953 als Ministerialbeamter. 1939 begann er mit »Auf Schwimmen-zwei-Vögel« seine Karriere als Schriftsteller, ab 1940 schrieb er, unter dem Pseudonym Myles na gCopaleen - Myles von den Pferdchen - zudem 26 Jahre lang Kolumnen in der Irish Times. Flann O´Brien starb am 1. April 1966 in Dublin. Bei Kein & Aber erschien 2007 die Gesamtausgabe seiner Werke.

Flann O´Brien, geboren am 5. Oktober 1911 als Brian O´Nolan in Strabane/County Tyrone, studierte Gälisch, klassische Philosophie und Deutsch in Dublin und Köln und wirkte von 1937 bis 1953 als Ministerialbeamter. 1939 begann er mit »Auf Schwimmen-zwei-Vögel« seine Karriere als Schriftsteller, ab 1940 schrieb er, unter dem Pseudonym Myles na gCopaleen - Myles von den Pferdchen - zudem 26 Jahre lang Kolumnen in der Irish Times. Flann O´Brien starb am 1. April 1966 in Dublin. Bei Kein & Aber erschien 2007 die Gesamtausgabe seiner Werke.



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