O'Brien Das harte Leben
1. Auflage, neue Ausgabe 2012
ISBN: 978-3-0369-9141-2
Verlag: Kein & Aber
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
E-Book, Deutsch, 224 Seiten
ISBN: 978-3-0369-9141-2
Verlag: Kein & Aber
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Flann O´Brien, geboren am 5. Oktober 1911 als Brian O´Nolan in Strabane/County Tyrone, studierte Gälisch, klassische Philosophie und Deutsch in Dublin und Köln und wirkte von 1937 bis 1953 als Ministerialbeamter. 1939 begann er mit »Auf Schwimmen-zwei-Vögel« seine Karriere als Schriftsteller, ab 1940 schrieb er, unter dem Pseudonym Myles na gCopaleen - Myles von den Pferdchen - zudem 26 Jahre lang Kolumnen in der Irish Times. Flann O´Brien starb am 1. April 1966 in Dublin. Bei Kein & Aber erschien 2007 die Gesamtausgabe seiner Werke.
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3
Die Jahre vergingen langsamin diesem Haushalt, wo die Atmosphäre als tot beschrieben werden konnte. Der Bruder, fünf Jahre älter als ich, war der erste, der in die Schule geschickt werden mußte, indem Mr Collopy mit ihm eines Morgens früh davonmarschierte, um den Rektor der Schule der Christlichen Brüder in der Westland Row zu sehen. Man könnte meinen, die Gelegenheit wäre lediglich eine der formellen Vorstellung und Eintragung gewesen, aber als Mr Collopy zurückkehrte, war er allein.
– Durch Gottes Willen, erklärte er, wurde Manus’ Fuß heute auf die erste Sprosse der Leiter des Lernens und der Leistung gestellt, und von jenem Gipfel winkt der einsame Stern.
– Der unglückselige Junge hatte kein Mittagessen, sagte Mrs Crotty mit schriller Stimme.
– Sie könnten vielleicht bedenken, Mrs Crotty, daß der Herr schon gebenwird, wie Er den Vögeln der Luft gibt. Ich habe dem Nichtsnutz zwei Pence gegeben. Bruder Cruppy hatmir gesagt, die Jungen können in einem Barbiersalon die Gasse hinauf eine gute Tüte Keksbruch für einen Penny bekommen.
– Und was ist mit Milch?
– Haben Sie den Verstand verloren, Frau? Sie wissen doch selbst, welche Kämpfe Sie ausfechten müssen, damit er hier in dieserKüche seine Milch trinkt. Er hält Milch für Gift, so, wie Sie einen Tropfen Malzwhiskey für Gift halten. Das erinnert mich –, ich glaube, ich habe einen Kleinen verdient. Wo ist meine Kruke?
Der Bruder, der, indem die Zeit verging, immer geheimnistuerischer wurde, vertraute mir nicht viel über seine neue Stellung im Leben an, außer daß »Schule der letzte Scheiß« ist. Früher, als ich dachte, sollte auch ich an die Reihe kommen. Eines Abends fragte mich Mr Collopy, wo die Zeitung sei. Ich überreichte ihm die nächste, die ich finden konnte. Er reichte sie mir zurück.
– Die von heute morgen, habe ich dir gesagt.
– Ich dachte, das ist die von heute morgen.
– Du dachtest? Kannst du nicht lesen, Junge?
– Äh … nein.
– Nun, möge der süße Allmächtige Gott mit Mitgefühl auf uns herniederschauen! Ist dir klar, daß Motz Art in deinem Alter vier Symphonien und jede Gottesmenge lieblicher Lieder geschrieben hatte? Pagger Nie-Nie hatte vor dem König von Preußen ein Konzert gegeben, und Johannes der Täufer war in der Wüste gestrandet und hatte ja denkste zu essen, nur Heuschrecken und wilden Honig. Schämst du dich denn gar nicht, Mann?
– Na ja, ich bin ja noch jung.
– Ach, Tatsache? Du bist genau wie alle anderen, du zählst vom falschen Ende her. Woher willst du wissen, daß dir nicht mehr nur noch drei Monate bis zum Ende deines Lebens bleiben?
– O mein Gott!
– Hä?
– Aber ––––––
– Du darfst deine Abers wieder in die Tasche stecken. Ich werde dir sagen, was du tun wirst. Du wirst morgen früh Schlag acht aufstehen, und du wirst dich gut und gründlich waschen.
In jener Nacht sagte der Bruder im Bett, nicht ohne Schadenfreude, er glaube irgendwie, ich würde bald Meister in Latein und Shakespeare sein und Bruder Cruppy würde in seinem Unterricht in Christlicher Glaubenslehre himmlisches Brot auf mich herniederregnen lassen und mir eine Ahnung davon geben, was die frühen Christen in der Arena durchgemacht hätten, indem er mir das Leben herausprügelte. Unglücklich war das Auge, welches ich in jener Nacht schloß. Aber der Bruder hatte nur teilweise recht. Zu meiner Überraschung führte mich Mr Collopy am nächsten Morgen mit zügigem Schritt das Ufer des Kanals entlang, drang in die Synge Street ein und läutete die Glocke am Wohntrakt der dortigen Anstalt der Christlichen Brüder. Als ein schlampiger junger Mann in Schwarz öffnete, sagte Mr Collopy, er wolle den Superior, Bruder Gaskett, sehen. Wir wurden in ein karges kleines Zimmer geführt, an dessen einer Wand ein Stahlstich des Kopfes von Bruder Rice hing, dem Gründer des Ordens. Ein paar Stühle und einen Tisch gab es noch –, sonst nichts.
– Es heißt, Frömmigkeit habe einen Geruch, sann Mr Collopy, halb an sich selbst gewandt. Es ist eine perverse Vorstellung. Damit meinen sie nur die Abwesenheit des Geruchs von Frauen.
Er sah mich an.
– Wußtest du, daß keine lebendige Frau Zutritt zu diesem heiligen Haus hat? So sollte es auch sein. Selbst wenn ein Bruder sich mit seiner eigenen Mutter treffen will, muß er sie heimlich unten im Imperial Hotel treffen. Was hältst du davon?
– Ich finde das sehr hart, sagte ich. Könnte sie ihn nicht hier besuchen, und ein anderer Bruder ist dabei, wie im Gefängnis, wenn an Besuchstagen ein Wärter dabei ist?
– Nun, das ist ein schiefer Vergleich, jede Wette. Tatsächlich mag dies Haus eine Art Gefängnis sein, aber die Ketten sind aus reinstem, feinstem achtzehnkarätigem Golde, welches die heiligen Brüder gern auf ihren gebeugten Knien küssen.
Lautlos öffnete sich die Tür, und ein älterer stämmiger Mann mit einem traurigen Gesicht glitt herein. Er lächelte züchtig und gab uns merkwürdig die Hand, indem er den Ellbogen angewinkelt ließ und die ausgestreckte Hand gegen seine Brust drückte.
– Ist das nicht ein herrlicher Morgen, Mr Collopy, sagte er heiser.
– Das ist es, Gott sei Dank, Bruder Gaskett, erwiderte Mr Collopy, als wir uns alle setzten. Muß ich Ihnen sagen, warum ich diesen kleinen Rüpel mitgebracht habe?
– Bestimmt nicht, damit er das Kartenspielen lernt.
– Da haben Sie ganz recht, Bruder. Er heißt Finbarr.
– Na, sehen Sie mal! Das ist ein schöner Name, einer, der von der Kirche geehrt wird. Ich nehme an, Sie möchten, daß wir Finbarrs Wissen zu erweitern versuchen?
– Das haben Sie sehr schön ausgedrückt, Bruder Gaskett. Ich glaube, da werden die Brüder sehr große Erweiterungen vornehmen müssen, denn alles, was er weiß, sind die Texte minderwertiger Lieder aus dem Weihnachtsmärchen, Kommt-alle-herbeis von Cathal McGarvey und seine Gebete. Ich vermute, Sie werden ihn aufnehmen, Bruder?
– Natürlich werde ich das. Ich werde ihm alles beibringen, von Lesen, Schreiben und Rechnen bis Euklid und Aristophanes und der Sprache der Gälen. Wir werden ihm ein umfassendes Grundwissen im Glauben geben, und falls er, mit Gottes Hilfe, eines Tages Lust haben sollte, in den Orden einzutreten, wird es in dieser bescheidenen Anstalt immer einen Platz für ihn geben. Aber natürlich erst nach seiner Ausbildung.
Der Schluß dieser Rede beunruhigte mich beträchtlich, ich war sogar versucht, eine Art Einspruch einzulegen. Nicht einmal als Scherz gefiel er mir, und der fettige Bruder, der ihn gemacht hatte, gefiel mir gleichfalls nicht.
– Ich … Ich glaube, das könnte noch ein bißchen warten, Bruder Gaskett, stammelte ich.
Er lachte unfroh.
– Ah, aber natürlich, Finbarr. Eins nach dem andern.
Dann frönten er und Mr Collopy irgendeiner gemurmelten Beratung, die Köpfe zusammengesteckt, und letzterer stand auf, um zu gehen. Ich erhob mich gleichfalls, aber er machte eine Geste.
– Wir werden bleiben, wo wir jetzt sind, sagte er. Bruder Gaskett meint, du könntest sofort anfangen. Immer besser, den Stier bei den Hörnern zu packen.
Obwohl nicht ganz unerwartet, versetzte es mir doch einen rechten Schock.
– Aber, sagte ichmit lauter Stimme, ich hatte kein Mittagessen …, keinen Keksbruch.
– Macht nichts, sagte Bruder Gaskett, dafür werden wir dir gleich zu Anfang einen halben Tag frei geben.
So trat ich durch die unheilverkündenden Portale der Schule in der Synge Street. Bald sollte ich mit dem Instrument Bekanntschaft schließen, welches als »das Leder« bekannt war. Es ist nicht, wie man sich vorstellen könnte, ein Riemen der Sorte, die man bei Tragetaschen verwendet. Es ist eine ganze Anzahl solcher Riemen, zusammengenäht, um ein Ding von großer Dicke zu formen, welches fast so starr ist wie ein Knüppel, aber eben flexibel genug, um das Brechen der Knochen der Hand zu verhindern. Schläge damit, besonders wenn sie (was oft mit Bedacht geschah) auf die Daumenspitze oder das Handgelenk gerichtet waren, bewirkten unmittelbare Paralyse, welcher Agonie folgte, wenn das Blut versuchte, an die befallene Stelle zurückzukehren. Später sollte ich vom Bruder eine bestimmte Routine der Prophylaxe lernen, sie funktionierte jedoch nur teilweise.
Wir fanden beide nicht heraus, was Mr Collopy für einen Grund dafür hatte, daß er uns auf verschiedene Schulen schickte. Der Bruder meinte, es wäre, um uns vom »Schum meln« abzuhalten oder davon, daß wir die Hausarbeiten, von denen wir jeden Abend ein immenses Programmzu bewältigen hatten, voneinander abschrieben. Das war kaum korrekt, denn in beiden Schulen existierte bereits ein kunstvolles »Schummel«-System für die, die früh am...




