E-Book, Deutsch, Band 5, 464 Seiten
O’Brian Sturm in der Antarktis
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-311-70512-3
Verlag: Kampa Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das fünfte Abenteuer für Aubrey und Maturin
E-Book, Deutsch, Band 5, 464 Seiten
Reihe: Die Abenteuer von Aubrey und Maturin
ISBN: 978-3-311-70512-3
Verlag: Kampa Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Patrick O'Brian, geboren 1914 in Chalfont St Peter bei London, machte früh erste Schreibversuche und veröffentlichte im Alter von fünfzehn Jahren seinen ersten Roman. Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete er als britischer Geheimagent. Nach Kriegsende zog er mit seiner zweiten Frau Mary zunächst nach Wales, später ließen sie sich in Südfrankreich nieder. Lange Zeit lebte O'Brian von bescheidenen Einkünften aus der Schriftstellerei und Übersetzungen, unter anderem von Sartre und Colette. 1969 schrieb er den ersten Band seiner maritimen Abenteuerserie um Jack Aubrey und den Schiffsarzt Dr. Stephen Maturin, die ihn zum internationalen Bestsellerautor machte. Es erschienen zwanzig Bände, die weltweit Millionenauflagen erzielten. Auch der Hollywoodfilm Master & Commander - Bis ans Ende der Welt basiert auf dieser Reihe. Patrick O'Brian starb 2000 in Dublin, ein einundzwanzigster Band der Reihe blieb unvollendet.
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I
Das Frühstückszimmer war der heiterste Raum in Ashgrove Cottage. Die Bauleute hatten den Garten mit Haufen von Backsteinen, Sand und ungelöschtem Kalk verunziert, und die feuchten Wände des neuen Flügels, zu dem dieses Zimmer gehörte, rochen noch nach Putz. Aber auf den abgedeckten Silberschüsseln funkelte das hereinströmende Sonnenlicht und ließ das Gesicht von Sophie Aubrey erstrahlen, die dort saß und auf ihren Gatten wartete. Es war ein ausnehmend liebliches Gesicht, waren doch die Sorgenfalten ihrer früheren Armut nun annähernd verschwunden, jetzt aber lag ein bedrückter Ausdruck darauf. Als Frau eines Seemanns wusste sie die überraschend lange Zeit des Zusammenseins mit ihrem Mann zu schätzen: Die Admiralität hatte ihn in ihrer unendlichen Güte (und ziemlich gegen seinen Willen) mit dem Kommando über die örtliche Küstenwacht betraut, in Anerkennung seiner Verdienste im Indischen Ozean, und sie spürte, dass dieser Zeitabschnitt nun zu Ende ging.
Als sie seine Schritte hörte, verwandelte sich ihre sichtbare Sorge in ungetrübte Freude. Die Tür öffnete sich, das Sonnenlicht fiel auf Kapitän Aubreys strahlendes rotwangiges Gesicht mit den hellen blauen Augen, und sie wusste, dass er das Pferd gekauft hatte, das er hatte haben wollen, wusste es so sicher, als ob es auf seiner Stirn geschrieben stünde. »Hier bist du, Liebling«, rief er und ließ sich neben ihr in einen breiten Lehnstuhl fallen, der unter seinem Gewicht ächzte.
»Kapitän Aubrey, ich fürchte, Euer Speck wird kalt«, sagte sie.
»Zuerst eine Tasse Kaffee und dann allen Speck dieser Welt.« Er hob die Deckel mit seiner freien Hand. »Mein Gott, Sophie, das ist ja ein Seemannsparadies hier – Eier, Speck, Koteletts, Räucherhering, Nierchen, Weißbrot … Was macht der Zahn?« Dies galt seinem Sohn George, dessen Geschrei dem ganzen Haus schon seit einiger Zeit Sorgen bereitete.
»Er ist durch!«, rief Mrs Aubrey. »In der Nacht durchgebrochen, und jetzt ist er wieder obenauf, der Arme. Nach dem Frühstück wirst du ihn sehen, Jack.«
Jack lachte vor lauter Freude laut auf, sagte aber nach einer Pause in etwas angestrengtem Ton: »Ich bin heute Morgen zu Horridge rübergeritten, um ihnen Beine zu machen. Ihn habe ich nicht angetroffen, aber sein Vorarbeiter sagte, sie wollten diesen Monat nicht kommen. Der Kalk ist anscheinend nicht genügend gelöscht, und in jedem Fall würde es nicht vorangehen, solange ihr Zimmermann das Bett hütet und die Rohre noch gar nicht ausgeliefert sind.«
»Was für ein Unsinn! Gerade gestern noch hat eine ganze Truppe von denen bei Admiral Hare Rohre verlegt. Mama hat sie im Vorbeifahren gesehen, und hätte Horridge sich nicht hinter einem Baum versteckt, hätte sie ihn auch angesprochen. Bauleute sind schon seltsame und unbegreifliche Wesen. Du warst wohl sehr enttäuscht, Liebster?«
»Nun, ein bisschen geärgert habe ich mich schon, das gebe ich zu, noch dazu mit leerem Bauch. Aber weil ich nun einmal da war, bin ich bei Carroll auf den Hof gegangen und habe das Stutenfüllen gekauft. Er ist bei ihm auch noch vierzig Guineen runtergegangen. Und es ist ein gutes Geschäft, verstehst du, selbst wenn ich mal von den Fohlen absehe, die es werfen wird. Es wird mit Hautboy und Whiskers laufen und aus denen das Beste herausholen. Ich wette fünfzig zu eins, dass ich Hautboy bei den Rennen in Worral unterbringe.«
»Ich bin gespannt auf es«, sagte Sophie, wobei ihr allerdings der Mut sank. Abgesehen von der ganz sanften Sorte mochte sie die meisten Pferde nicht, besonders nicht diese Rennpferde, selbst wenn sie über Old Bald Peg von Flying Childers und dem Darley-Araber höchstpersönlich abstammten. Es gab viele Gründe für ihre Abneigung, aber sie war immer besser als ihr Ehemann darin gewesen, Gefühle zu verbergen, und so fuhr er ohne Punkt und Komma mit einem Ausdruck glücklicher Vorfreude fort: »Irgendwann am Vormittag wird es gebracht. Das Einzige, was mich ein wenig stört, ist der neue Boden im Stall. Wenn wir nur ein wenig Sonne und eine schöne steife Nordostbrise gehabt hätten, wäre er jetzt vollständig abgetrocknet … Nichts ist so schlimm für Pferdehufe wie so ein Rest von Nässe. Wie geht’s denn deiner Mutter heute Morgen?«
»Es geht ihr wohl ganz gut, Jack, danke. Ein wenig Kopfweh hat sie noch, aber ein paar Eier und eine Schüssel Hafergrütze hat sie schon gegessen. Sie wird nachher mit den Kindern herunterkommen. Wegen der Arztbesuche ist sie schon ganz aufgeregt und war früher angezogen als sonst.«
»Wo Bonden nur bleibt?« Jack warf einen Blick auf seine astronomische Uhr, den strengen Gebieter über seine Zeit.
»Vielleicht ist er wieder einmal von der Leiter gefallen«, sagte Sophie.
»Killick war bei ihm, um ihn zu stützen. Nein, nein – zehn zu eins, dass die im Brown Bear wieder mit ihren Reitkünsten prahlen, die gottverdammten Dummköpfe.« Bonden war Kapitän Aubreys Steuermann, Killick sein Steward. Die beiden zogen mit ihm von einem Kommando zum Nächsten, wann immer es sich einrichten ließ. Beide waren von Kindesbeinen an zur See gefahren – Bonden war sogar zwischen zwei Unterdeckskanonen der Indefatigable zur Welt gekommen –, und obwohl erstklassige Seeleute für ein Kriegsschiff, gaben sie doch kümmerliche Pferdeknechte ab. Die Post für den kommandierenden Offizier der Küstenwacht, dies war allen klar und ziemte sich auch nicht anders, musste jedoch von einem berittenen Diener geholt werden, und so ritten die beiden täglich auf einem kraftstrotzenden, untersetzten Pferd, das passenderweise den Rücken nur wenig über dem Boden trug, über die Downs.
Mrs Williams, eine kräftige, untersetzte Frau und Kapitän Aubreys Schwiegermutter, betrat den Raum, gefolgt von der Amme mit dem Säugling und den zwei kleinen Mädchen in Obhut eines einbeinigen Seemanns. In Ashgrove Cottage waren die meisten der Bediensteten Seeleute, was zumindest teilweise auf die außerordentlichen Schwierigkeiten zurückzuführen war, die es bereitete, Dienstmädchen innerhalb der Reichweite von Mrs Williams’ herrischer Stimme zum Bleiben zu bewegen. Seemänner dagegen ließ ihre scharfe Zunge ungerührt, waren sie doch seit Langem an die Ansprache durch den Bootsmann und seine Gehilfen gewöhnt. Auch zügelte sie auf jeden Fall ihre Zunge merklich, weil sie Männer waren und alles nachweislich so sauber hielten wie auf der königlichen Yacht. Die penibel geraden Linien im Garten und um die angepflanzten Büsche und Sträucher waren vielleicht nicht jedermanns Sache, ebenso wenig die weiß getünchten Begrenzungssteine, die ohne Ausnahme die Pfade säumten. Aber auf jeden, der ein Anwesen führte, musste der Anblick der blitzsauberen Fußböden großen Eindruck machen. Jeden Tag wurden sie noch vor Sonnenaufgang mit Sand gescheuert, abgeschrubbt und trockengefeudelt. Und ebenso eindrucksvoll mussten das blitzende Kupfer in der pieksauberen Küche und die glänzenden Fensterrahmen mit ihrem stets frischen Farbanstrich wirken.
»Ihnen einen guten Morgen, Ma’am«, sagte Jack und erhob sich.
»Sie sind wohlauf, hoffe ich?«
»Guten Morgen, Kommodore – oder besser: Kapitän. Sie wissen, ich beklage mich nie. Aber ich habe hier eine Liste« – dabei wedelte sie mit einem Blatt Papier, auf dem sie alle ihre Symptome aufgelistet hatte –, »und bei der werden die Ärzte Augen machen. Ich frage mich, ob der Friseur vor ihnen hier sein wird. Aber wir sollten nicht über mich sprechen: Hier ist Ihr Sohn, Kommodore – oder besser: Kapitän. Er hat gerade seinen ersten Zahn bekommen.« Mit sanftem Druck auf deren Ellbogen ließ sie die Amme vortreten, und Jacks Blick fiel auf ein kleines, rosarotes, fröhliches und erstaunlich menschenähnliches Gesicht in einem Haufen von Wolle. George lächelte ihn an und gluckste, wobei er seinen Zahn zeigte. Jack stupste seinen Zeigefinger in die wollene Verpackung und sagte:
»Nun, wie geht’s uns denn? Großartig, denke ich doch, erstklassig. Ha, ha.« Das Baby schien verwirrt oder gar erschreckt. Die Amme wich zurück, und Mrs Williams sagte mit tadelndem Blick: »Wie können Sie nur so laut werden, Mr Aubrey?« Sophie nahm das Kind in ihre Arme und flüsterte: »Ist ja gut, mein Herzblatt, ist ja gut.«
Rings um George schloss sich der Kreis der Frauen. Sie sprachen untereinander von den empfindlichen Ohren, die Babys doch hätten – schon ein Donnerschlag könne bei ihnen einen Anfall auslösen – kleine Jungen seien viel empfindlicher als kleine Mädchen … Einen Augenblick lang fühlte Jack einen wenig noblen, eifersüchtigen Stich, als er die Frauen und besonders Sophie sah, wie sie das kleine Wesen mit so viel Zuneigung und Ergebenheit überhäuften. Kaum hatte er angefangen, sich dafür zu schämen und sich innerlich zu sagen, er sei zu lange hier der Hahn im Korb gewesen, als Amos Dray (vormals Bootsmannsgehilfe auf der HMS Surprise und im Dienst der gewissenhafteste und unparteiischste Auspeitscher der ganzen Flotte, bis er ein Bein verlor) eine Hand vor den Mund hielt und mit tiefer Flüsterstimme grummelte: »In Linie antreten, meine Lieben!«
Zwei kleine vollmondgesichtige Zwillingsschwestern in sauberen Schürzenkleidern traten bis zu einer bestimmten Markierung auf dem Teppich vor und piepsten gemeinsam mit hohen und schrillen Stimmchen: »Guten Morgen, Sir.«
»Guten Morgen, Charlotte. Guten Morgen, Fanny«, begrüßte sie ihr Vater und beugte sich mit knarzend protestierenden Hosen hinunter, um ihnen einen Kuss zu geben. »Aber Fanny, du hast ja eine Beule auf der Stirn.«
»Ich bin nicht Fanny!« Charlotte verzog das Gesicht. »Ich bin...