Oberkofler | Eva Priester | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 180 Seiten

Oberkofler Eva Priester

Eine jüdische Frau im Kampf für eine gerechte Menschheit. Mit Originaltexten aus ihrem poetischen und essayistischen Werk
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7065-6248-5
Verlag: Studien Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Eine jüdische Frau im Kampf für eine gerechte Menschheit. Mit Originaltexten aus ihrem poetischen und essayistischen Werk

E-Book, Deutsch, 180 Seiten

ISBN: 978-3-7065-6248-5
Verlag: Studien Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Eva Priester, geboren am 15. Juli 1910 in Petersburg als Eva Beatrice Feinstein, kam mit ihren jüdischen Eltern 1919 nach Berlin. Als Mitarbeiterin einer Berliner Tageszeitung löste sie sich jedoch bald aus dem gutbürgerlichen Milieu und beteiligte sich aktiv am Kampf gegen den heraufziehenden Faschismus. Das führte so weit, dass sie nach dem Reichstagsbrand (1933) verhaftet und im Gestapogefängnis inhaftiert wurde. Entlassen flüchtete die als illegale Kommunistin und als Jüdin verfolgte Eva Priester 1935 zuerst nach Wien, dann nach Prag und von dort 1939 nach London. Insbesondere die Wiederherstellung der Unabhängigkeit Österreichs war ihr ein Anliegen. Um die Sympathien der Engländer für Österreich zu gewinnen, veröffentlichte sie das Heft "Austria. Gateway to Germany". Nach dem Krieg wird Eva Priester 1945/46 in Wien verantwortliche Redakteurin von Zeitungen der Kommunistischen Partei Österreichs, es erscheint ihre materialistische "Geschichte Österreichs" und ein Gedichtband "Aus Krieg und Nachkrieg". Doch sie war nicht nur im Schreiben aktiv: 1951 reiste Eva Priester mit einer internationalen Frauenkommission zur Untersuchung der US-amerikanischen Kriegsverbrechen nach Korea und 1956 beobachtete sie die Ereignisse in Ungarn und nahm 1958 in Paris und Algier am algerischen Befreiungskampf Anteil. All ihre dabei gesammelten Erfahrungen sammelte sie in reflektierenden Essays, die auch von Nordafrika, der Tschechoslowakei und Polen, der Sowjetunion, vom Befreiungskampf unter der Fahne des Islam sowie von Israel und Palästina handeln.

Am 15. August 1982 ist Eva Priester verstorben, ihre Urnengrabstätte am Wiener Zentralfriedhof ist aufgelassen. "Es war einmal …" – eine Kommunistin, die ihre Weltanschauung nie verloren hat und ihrem Ziel, einen Beitrag zur humanistischen Erziehung des Menschen zu leisten, treu geblieben ist.

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I. Kindheit in Petersburg, Begegnung mit Rotarmisten
Ende der 1950er Jahre warf Jean-Paul Sartre (1905–1980) zeitgenössischen Marxisten vor, sich nur mit Erwachsenen zu befassen. Der Hintergrund für diese existentialistische Vorhaltung war, dass es intellektuelle Mode geworden war, den „jungen“ Karl Marx (1818–1883) dem „alten“ Marx gegenüberzustellen.2 Diese Rückerinnerung an den Existentialismus ist nicht der Anstoß zur Beschäftigung mit Kindheit und Jugend von Eva Priester (im Folgenden: EP), vielmehr soll die Gelegenheit wahrgenommen werden, der Frage nachzugehen, wie früh im Prozess der Mündigwerdung eines Menschen sich Optionen für einen realen Humanismus zeigen können. EP ist als Eva Beatrice Feinstein am 15. Juli 1910 in St. Petersburg als Einzelkind von Ljuba Feinstein geborene Wolpe und Salomon Feinstein geboren. Über die Familie ist nur wenig bekannt, die Mutter hatte, weil Frauen an den russischen Universitäten nicht zugelassen waren, an der Sorbonne studiert, der Vater war hochqualifizierter Techniker. Der Name Feinstein war unter Ostjuden ein verbreiteter Name. Die Petersburger Feinsteins gehörten zur säkularen jüdisch-bürgerlichen Oberschicht, die mit ihrer jüdischen Religion ebenso wenig anfangen konnte wie mit dem verordneten russischen Patriotismus oder mit dem seit 1893 sich ausbreitenden Zionismus, der auf die Errichtung eines Nationalstaates des jüdischen Volkes in Palästina abzielte. Die Chowewe Zion (Zionsfreunde), als deren Haupt der Arzt Leon Pinsker (1821–1891) wirkte, wurde in diesen Kreisen vielleicht wahrgenommen, weil mit der „Autoemanzipation“ der Juden nicht die Kolonisation von Palästina verknüpft war.3 Das Judentum blieb im Leben der Familie Feinstein präsent, formte die psychosomatischen Strukturen von EP und zog sie zeitlebens in die historische Realität hinein. Ihre fragmentarisch erhalten gebliebenen Kindheitserinnerungen konzipierte EP um 1940/1941 in Großbritannien.4 Diese sind keine kohärente Erzählung, bringen aber Impressionen, die da und dort erhellen, wie die privilegierte jüdische Intelligenz in Petersburg lebte und was ihr wichtig war. EP beginnt mit einem Blick auf ihr Zuhause: Wenn meine Mutter jemandem ihre Adresse gab, vergaß sie selten hinzuzufügen: „Es ist nur fünf Minuten vom Newski-Prospekt. Und um die Ecke ist die Fontanka5.“ Unsere Gegend war eine sogenannte gute Wohngegend und der Newski-Prospekt war Petersburgs Prunkstraße. Links vom Haus war eine Kirche und gegenüber ein Obstmarkt. So roch es im Herrenzimmer immer nach Weihrauch und im Wohnzimmer mit den roten Ledermöbeln nach Leder und nach Wassermelonen. In alten Häusern ringsum gab es Wohnungen und Souterrainwohnungen. In den Wohnungen lebten Menschen wie meine Eltern, in den Souterrainwohnungen lebten die armen Leute, Schuster, Schneider, Markthändler, Tartaren, die mit bunten Teppichen hausieren gingen. Arbeiter sah man in unserer Gegend fast nie. Sie lebten in einem anderen Teil der Stadt, jenseits der Newa. Die Fenster der Souterrainwohnungen lagen nur zu einem kleinen Stück oberhalb des Straßenpflasters. Es war dort fast immer dunkel und dumpfig, und man konnte nur die Füße der Vorübergehenden sehen. Mittags, wenn ich vom Spazierengehen zurückkam, versuchte ich immer in die Fenster hineinzuschauen. Manchmal, wenn es ein sehr heller Tag war, sah ich die Leute im Zimmer. Es waren immer sehr viele, und meistens saßen sie um diese Zeit beim Essen. Sie aßen Suppe aus Emailschüsseln und Brot dazu. Ich habe oft zur Mittagszeit hineingeschaut und hab sie niemals etwas anderes essen sehen als Suppe und Brot, auch sonntags. Noch für lange Zeit verband sich für mich der Begriff „arm sein“ mit Wohnen in einem Zimmer, das nach Kraut und alten Kleidern riecht und wo man vom Fenster aus auf die Füße der Vorübergehenden sieht, und damit, dass man mittags immer nur Suppe bekommt. St. Petersburg6, dessen Grundstein mit der Peter-Pauls-Festung 1703 gelegt und von Architekten unterschiedlicher Herkunft planmäßig aufgebaut worden war, war seit 1712 mit seinem Hafen Metropole des zaristischen Russlands und blieb das bis nach der Oktoberrevolution. Die historische Innenstadt ist geprägt von über 2.000 Palästen, Prunkbauten und Schlössern. Im Newski-Bezirk von St. Petersburg gab es zu Anfang des 19. Jahrhunderts technisch moderne Fabriken und Manufakturen wie eine russisch-amerikanische Maschinenfabrik, ein Armaturenwerk, eine Waggonfabrik oder eine Schwellen-Imprägnierungsfabrik. Die Arbeitsbedingungen waren katastrophal, Arbeiter wurden bei Hungerlöhnen wie Tiere ausgebeutet, Fabrikkasernen mit Schlafsälen waren verbreitet, Frauen- und Kinderarbeit waren die Regel. Der russische Weltrevolutionär Wladimir Iljitsch Lenin (1870–1924), den Albert Einstein (1879–1955) als „Hüter und Erneuerer des Gewissens der Menschheit“ bezeichnete,7 wohnte in St. Petersburg und befasste sich dort mit dem modernen kapitalistischen Imperialismus in einem schier vorkapitalistischen Umfeld.8 1924 bis 1991 erinnerte St. Petersburg mit dem Namen „Leningrad“ an Lenin. „Leningrad“ als Stadtname wird heute wieder in die Vergessenheit gedrängt und damit auch die ungeheuren Grausamkeiten des deutschen Aggressors, der diese sowjetische Metropole, in der etwa drei Millionen Menschen vom Säugling bis zum Greis wohnten, von Anfang September 1941 an fast 900 Tagen bis zum Jänner 1944 bombardierte, beschoss und blockierte. Leningrad sollte ausgehungert und dem Erdboden gleichgemacht werden.9 Maxim Gorki (1868–1936) spürte vor der Oktoberrevolution, dass es mit dem Raubkapitalismus in Russland nicht weitergehen könne. Gorki erinnert in seiner autobiographischen Erzählung „Meine Universitäten“ an die Verse von Nikolaj Berg (1823–1884): „In dem heiligen Russland krähn die Hähne schon, / In dem heiligen Russland graut der Morgen bald …“10 Von den Putilow-Werken ausgehend kam es Anfang Jänner 1905 in Petersburg zu einem Generalstreik. Die vor der Residenz des despotisch regierenden Zaren Nikolaus II. (1868–1918) am 9. Jänner 1905 friedlich demonstrierenden Arbeiterinnen und Arbeiter wurden mit ihren Frauen und Kindern von den zaristischen Truppen mit Gewehrsalven niedergeschossen oder von den im Sold des Zaren stehenden Kosaken niedergesäbelt. Hunderte Menschen wurden an diesem Blutsonntag getötet. Bis 1907 kämpfte das russische Proletariat mit seinen revolutionären Kräften und Bauern gemeinsam für seine Befreiung.11 Die Bourgeoisie dachte und handelte konsequent konterrevolutionär. Ihre eigenen Klagen über die wenig vornehmen Züge der zaristischen Autokratie waren keine Grundlage, sich an der notwendigen revolutionären Umgestaltung der Gesellschaft, die ihr Privateigentum an den Produktionsmitteln in Frage stellte, in irgendeiner Weise zu beteiligen. Der Vater von EP, Salomon Feinstein, war ausgebildeter Techniker und war wahrscheinlich im ganzen Zarenreich tätig. Die wissenschaftlichen Institute in Petersburg waren auf höchstem Niveau und gaben den dort ansässigen wissenschaftlichen Technikern viele Anregungen. Die Elendsviertel dieser Stadt, wie sie Fjodor Dostojewski (1821–1881) in „Schuld und Sühne“ 1866 schildert, waren außerhalb der Sichtweite der Feinsteins, es war eben so. Dieses bewusste Wegschauen trifft auf alle reichen und parasitären Schichten der europäischen Städte zu, damals wie heute. Es ist das gesellschaftliche Sein, es sind die materiellen Verhältnisse, die, wie Karl Marx und Friedrich Engels (1820–1895) nachwiesen, das Bewusstsein bestimmen. Die Feinsteins hatten, wie es sich versteht, ein Sommerhaus in der Nähe des baltischen Meerbusens, an das sich EP gerne erinnerte. Jeder Petersburger, der es sich leisten konnte, also nicht Angehörige der Arbeiterklasse, ging auf „Sommerfrische“, um dem „Sommergestank“ zu entkommen.12 Im Sommer 1917 wurde EP auf der Sommerfrische von einer Gouvernante aus Köln namens Helena Harlovna in deutscher Sprache unterrichtet. Das entsprach der Tradition der jüdischen, mit Moses Mendelssohn (1729–1786) verbundenen Aufklärung, die von den jüdischen Schulen den Unterricht in Französisch und Deutsch einforderte.13 Im Salon der elterlichen Stadtwohnung empfing die schöngeistige Mutter von EP Damen aus jener Gesellschaft, der sie selbst angehörte. Eine dieser Damen machte auf das heranwachsende Mädchen EP einen bleibenden Eindruck: Berta rauchte und konnte rauchen. Die anderen zündeten sich manchmal eine Zigarette an, bliesen hinein, husteten und legten sie nach einigen Zügen mit tränenden Augen weg. Berta war die schönste, reichste und erfolgreichste unter den Frauen. Zu dieser Schlussfolgerung kommt EP, weil sie Berta über deren Ehemann identifizierte, der Fabrikant und Gutsbesitzer war und darüber hinaus auch Konsul eines osteuropäischen Staates in Petersburg. Zu den von Berta gegebenen Gesellschaften seien Balletttänzer gekommen, die jene Rolle einnahmen, die später Filmstars, Bankiers oder Duma-Abgeordneten zukam, manchmal sei auch ein Großfürst gekommen. Im Rückblick auf die Jüdin Berta beschreibt EP die Ausrichtung des im zaristischen Russland herrschenden Unterdrückungssystems mit seinen administrativen Auswirkungen auf die Masse der Juden, also die armen Juden:\d Berta stand ganz oben auf der Spitze jener Hierarchie russischer Juden, für die Judenpogrome und Numerus clausus auf der Universität, Schikanen von Subalternbeamten und die ganze antisemitische Politik des alten Russlands nicht mehr vorhanden waren. Der zaristische Antisemitismus war ein Antisemitismus gegen die armen Leute. Von einer bestimmten Einkommensgrenze, von einer bestimmten Bildungsstufe aufwärts hörte er...


Gerhard Oberkofler, Univ. Prof. i. R., Wissenschaftshistoriker, war lange Zeit als Professor an der Universität Innsbruck und als Leiter des dortigen Universitätsarchivs tätig.



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