Oberhollenzer Von der Liebe zur Kunst
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-99039-037-5
Verlag: Limbus Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Warum es unser Leben so bereichert, sich auf sie einzulassen. Essay
E-Book, Deutsch, 176 Seiten
ISBN: 978-3-99039-037-5
Verlag: Limbus Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Kann man Kunst verstehen? Was ist überhaupt Kunst? Wie kann man sie vermitteln? Und was macht eigentlich ein Kurator? Günther Oberhollenzer stellt sich grundlegende Fragen der Kunst und geht der weit verbreiteten Meinung auf den Grund, nach der die zeitgenössische Kunst als schwierig, abgehoben und elitär wahrgenommen wird. Oberhollenzer erzählt von seiner persönlichen Leidenschaft für die Gegenwartskunst, aber auch von seinen Vorurteilen, die er ihr anfangs entgegengebracht hat, er untersucht das Spannungsverhältnis von Zensur, Politik und Religion und stellt sich die Frage nach dem eigentlichen Wert von Kunst jenseits monetärer Maßstäbe. Der Essay ist ein Plädoyer für mehr Subjektivität, Leidenschaft und Emotion im Umgang mit zeitgenössischer Kunst, aber auch für das Wiederentdecken der Neugierde und für den Mut, neue Erkenntnisse in unser Leben zu lassen.
Autoren/Hrsg.
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Können wir Kunst verstehen? Wir werden nicht mit einem Verständnis für zeitgenössische Kunst geboren – auch wenn manche Kunstkritiker und Kuratoren diesen Eindruck vermitteln. Hören wir ihnen bei Eröffnungsreden, in Diskussionen und Interviews zu oder lesen wir in Katalogbeiträgen und Zeitschriften ihre Texte, glauben wir bisweilen, sie wüssten schon seit Kindertagen, dass dieser oder jener zeitgenössische Künstler von großer Bedeutung ist und sein Werk eine unschätzbare Bereicherung für Kunst und Kunstgeschichte darstellt. Den Ausführungen haftet oft etwas scheinbar Objektives, ja Allgemeingültiges an. Ihre intellektuelle Sprache ist wissend und abgeklärt, ihr Auftreten nüchtern und emotionslos. Keine Zweifel klingen durch. Kein Ringen mit schwierigen (sprich provokanten oder konzeptionellen) Positionen. Man übt sich in ironischer Distanz bis hin zur arroganten Attitüde, nach dem Motto: Mich kann nichts mehr erschüttern oder überraschen, ich habe alles schon gesehen. Das muss langweilig sein. Wo bleibt die Leidenschaft? Die Hingabe, der Glaube an die Sache? Sollten wir nicht mit Begeisterung über Kunst sprechen, das Risiko in Kauf nehmend, sich damit zu exponieren oder einmal völlig danebenzuliegen? Ist es nicht schöner, für etwas zu brennen und das auch zu zeigen, als vorsichtig jedes Wort abzuwägen, zu versuchen, jede These kunsthistorisch zu untermauern und die eigenen Gedanken hinter theoretischen Exkursen und geschliffenen Satzkonstruktionen zu verschleiern? Es gibt sie, die leidenschaftlichen Menschen im Kunstbetrieb. Aber wieso tut man sich so schwer, diese Begeisterung unverblümt zu zeigen? Weil man sich angreifbar macht, wenn man Kunst mit Emotionen in Verbindung bringt? Natürlich ist das nicht immer möglich, denn manchmal ist eine etwas nüchterne, fachlich ausgewogene Form sinnvoll und ein subjektiver Gefühlsausbruch wenig zielführend und erwünscht. Gegen eine ernsthafte, intellektuell vertiefende Betrachtung eines Kunstwerks oder einer künstlerischen Position ist auch nichts einzuwenden. Doch wenn ich heute manchen Eröffnungsrednern zuhöre, wundert es mich nicht, dass viele Menschen damit nichts anfangen können. Ich erlebe den Umgang mit und das Betrachten von zeitgenössischer Kunst oft wie die eines elitären Zirkels, dem nur Kenner und Wissende angehören können – eine kleine, eingeschworene Gruppe, die der Kunst einen intellektuellen Überbau und so auch eine Aura des Bedeutsamen, des Unantastbaren verleiht, bestehend aus Inhalten, die nur für diese erwählte Minderheit erschließbar sind. Liest man manche Katalogessays, beschleicht einen das Gefühl, hier wird den Lesern nicht Kunst vermittelt, sondern entrückt – weit weg, in eine andere Sphäre mit exklusivem Zugang. Wir Kuratoren müssen weg von unserem Elfenbeinturm-Denken. Wie von einer Panoramawarte aus betrachten wir das künstlerische Schaffen, teilen ein und katalogisieren, bewerten und analysieren – und das natürlich mit größtmöglicher Distanz und sprachlicher Nüchternheit, als würden wir ein physikalisches Experiment oder eine mathematische Formel beschreiben. Dabei handelt es sich bei Kunst doch um ein visuelles Medium, das unsere Sinne anspricht und, nachdem es als Bild auf die Netzhaut getroffen ist, sich seinen Weg in unseren Geist, Verstand und – ja, ich wage es zu schreiben – auch unser Herz bahnen soll. Viele „Verhaltensregeln“ und „Gesetze“ im Kunstbetrieb erscheinen wie in Stein gemeißelt. Sie sind es nicht. Sie wurden von uns selbst aufgestellt und sind verhandelbar. Ich kann zum Beispiel auch heute noch mit manchen, anscheinend sehr wichtigen zeitgenössischen Positionen (glaubt man zumindest dem Kunstmarkt bzw. sieht man diesen als Gradmesser für die Wichtigkeit) wenig, bisweilen auch gar nichts anfangen. Nur weil ein Künstler bekannt, berühmt und von vielen Kritikern gelobt wird, hat man als einzelner subjektiver Betrachter dennoch das Recht, anderer Meinung zu sein. Auch habe ich in Ausstellungen von sogenannten Künstlerstars schon Werke gesehen, die vermutlich kaum Beachtung fänden oder bei einer Ankaufsjury durchfallen würden, stünde nicht der bekannte Name dabei. Dann aber gefällt mir wieder ein Künstler, der von Kollegen einstimmig als kitschig, flach oder schlicht vernachlässigbar erachtet wird. Das darf man ruhig zugeben. Warum auch nicht? Wir sind glücklicherweise individuelle Geschöpfe, es wäre doch sonderbar, wenn wir alle den gleichen Geschmack hätten. Ich weiß auch längst nicht alles über zeitgenössische Kunst, kenne bei Weitem nicht alle wichtigen Künstler. Das ist eine Selbstverständlichkeit, dennoch traut sich das kaum jemand laut zu sagen. Es existiert ein sonderbares Bild von uns Menschen im Kunstbetrieb. Wir sind nicht allwissend, auch wenn dieser Eindruck oft vermittelt wird. Ich muss immer wieder erstaunt feststellen, wie leicht es in diesem Zusammenhang ist, bei einer Ausstellungsführung die Besucher zu irritieren. Die Überraschung ist groß, wenn ich offenlege, ein Kunstwerk nicht erklären zu können und stattdessen schlichtweg eines als gut, ein anderes als schlecht zu empfinden. Würde mir alles gleich gut gefallen, hieße das doch, dass in der Ausstellung alles ohne Wertigkeit gleichrangig ist und damit auch irgendwie gleichgültig. Zur Verunsicherung trägt bei, dass ich zugebe, wenn ich eine Arbeit nicht verstehe, ihren Inhalt nicht ergründen kann – und das kann von Künstlerseite durchaus so intendiert sein. Unser Bedürfnis, alles zu erklären, dingfest zu machen und zu objektivieren, macht auch vor der Kunst nicht Halt. Kunst ist keine objektive Wissenschaft wie Mathematik oder Physik. Es hat wenig Sinn, darüber zu diskutieren, ob eins und eins zwei ist. Das ist eine Tatsache – in der Kunst hingegen gibt es nicht die eine Wahrheit. Man muss sich grundsätzlich von dem Gedanken verabschieden, dass es eine völlige Objektivierbarkeit von Kunst gibt. Natürlich gibt es Richtlinien und Qualitätskriterien für die Bewertung von Kunst. Auch ich habe meine Qualitätskriterien, die ich mit Leidenschaft vertrete und verteidige. Mir muss aber immer bewusst sein, dass diese nicht absolut sind und nicht von allen anerkannt werden. Ich muss darauf vorbereitet sein, dass sie hinterfragt werden, und ich muss bereit sein, sie gegebenenfalls zu revidieren und neu zu verhandeln. Es ist selbstverständlich, dass die öffentliche Hand Gremien und Beiräte einsetzt, die über Fördermittel für künstlerische Projekte entscheiden, dass es in öffentlichen Kunstinstitutionen Juroren gibt, die die Gewinner eines Kunstpreises nominieren, über Kunstankäufe abstimmen oder „artist in residence“-Stipendien vergeben. Das ist gut und richtig. Wenn eine Jury kompetent aufgestellt ist, wird dadurch eine große Bandbreite an Fachwissen gebündelt und das Kunstgeschehen aus vielen Blickwinkeln beleuchtet. Dies führt im Idealfall zu ausgewogenen Entscheidungen, mit dem Anspruch, dem Kunstgeschehen des jeweiligen Landes gerecht zu werden oder die bestmögliche Auswahl für eine Ausstellung oder einen Ankauf zu treffen. Objektiv ist dieses Prozedere indes nicht. Und damit bleibt es auch immer angreifbar. Eine Jury mit anderen Kunstexperten hätte in der Auswahl einige Überschneidungen, hätte aber auch manch andere Entscheidung getroffen. Dass Qualitätskriterien immer wieder neu verhandelt werden müssen, zeigt uns auch die Kunstgeschichte. El Greco oder Caspar David Friedrich hatten, wie hinlänglich bekannt, lange Zeit nicht jene Bedeutung, die ihnen heute zugestanden wird, von Vincent van Gogh ganz zu schweigen. Viele Kunstwerke oder auch Kunstströmungen waren zur Zeit ihrer Entstehung höchst umstritten: Michelangelos freizügige Darstellungen in der Sixtinischen Kapelle, die revolutionäre Malereiauffassung der Impressionisten, das erotische Werk Egon Schieles, von vielen bahnbrechenden Werken des 20. Jahrhunderts abgesehen – heute gelten sie als Meisterwerke und Ikonen der Kunstgeschichte. Künstler sind ihrer Zeit oft voraus und erst die Zukunft zeigt, welche künstlerische Position wirklich Bestand hat. Die Fragestellungen, die im Zusammenhang mit dem Kunstwerk stehen, können dabei ganz andere sein als jene, die auftauchen, sobald dieses das Atelier verlassen hat und dem Blick des Betrachters ausgesetzt ist. Die Qualität einer Arbeit bemisst sich auch daran, dass sie sich aus beiden Perspektiven bewährt. Ein Kunstwerk lebt dann weiter, so der Kunsthistoriker Dieter Ronte, „wenn es sich auch Themen stellt, die vom Künstler vielleicht gar nicht mitgedacht waren, und es auch in Zukunft in Inhalt und Form gegenwärtig und aktuell ist“. Künstler werden mitunter unbegründet gehypt oder aber übersehen. Manche haben das Glück, im richtigen Moment am richtigen Ort zu sein, andere kennen die richtigen Leute, manche sind Marketinggenies und Lieblinge der Medien, andere arbeiten lieber im Stillen und jenseits des Kunstmarktes. Die Bekanntheit eines Künstlers oder auch sein Marktwert sagen nicht unbedingt etwas über die Qualität seiner künstlerischen Leistung aus. Man sollte sich als Betrachter oder auch Kurator nicht blenden lassen. Wie oft erlebe ich, dass es nur um die Person und ihre bisherige Rezeption geht: Wie bekannt ist der Künstler? Welche Preise hat er schon gewonnen? Wo überall hat er schon ausgestellt? Und natürlich die Lieblingsfrage: Was ist das Kunstwerk wert? Aber ist das wirklich so wichtig? In dem Moment, in dem ich das Kunstwerk betrachte? Nein. Hochpreisigkeit oder auch Bekanntheitsgrad allein sind kein Garant für ein starkes Kunstwerk. Es berührt mich und fordert mich geistig heraus oder auch nicht, egal ob es nun 1000 oder 100.000 Euro kostet. ...