Oates | Blond | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 1024 Seiten

Reihe: Ecco Verlag

Oates Blond


1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7530-5004-1
Verlag: Ecco Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 1024 Seiten

Reihe: Ecco Verlag

ISBN: 978-3-7530-5004-1
Verlag: Ecco Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein eindrucksvolles Porträt der größten Hollywood-Legende des zwanzigsten Jahrhunderts: Marilyn Monroe
1926 wird Norma Jeane Baker in Los Angeles geboren. Ihre Kindheit ist von Einsamkeit und Sehnsucht geprägt. Als junge Frau hat sie bereits verinnerlicht, dass es für sie nur einen Weg gibt, sich ihres Selbstwertes zu versichern: über das Begehren der Männer. Ab da beginnt die Verwandlung zur Kunstfigur Marilyn Monroe. Einfühlsam und sprachgewaltig erzählt Joyce Carol Oates in ihrem Roman von der größten Hollywood-Legende des zwanzigsten Jahrhunderts, von ihrem Schmerz, ihrer Strahlkraft, ihren Träumen und ihrem tragischen Ende.

»?Blond? ist ein moderner Klassiker.« Belletristik-couch.de, 30.03.2021

»Absolut packend und ehrlich.« Martina Sievers, Für Sie, 12.05.2021

'Ein erzählerisch wildester Ritt.' Thea Dorn, Das literarische Quartett ZDF, 14.05.2021

'Ein ganz beeindruckendes Werk, wie ein Punkkonzert. ' Eva Menasse, Das literarische Quartett ZDF, 14.05.2021

'Brutal, entlarvend.' Eva Menasse, Das literarische Quartett ZDF, 14.05.2021

» [...] historisch wie aktuell bestürzende[s] wahrhaftige[s] Buch«Wolfgang Schütz,Augsburger Allgemeine, 01.06.2021



Joyce Carol Oates wurde 1938 in Lockport, New York, geboren. Sie zählt zu den bedeutendsten amerikanischen Autorinnen der Gegenwart. Für ihre zahlreichen Romane und Erzählungen wurde sie mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem National Book Award. 2019 erhielt sie den Jerusalem Prize. Joyce Carol Oates lebt in Princeton, New Jersey, wo sie Literatur unterrichtet.

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Das Bad

Ob wir es mit einem geborenen Schauspieler zu tun haben, zeigt sich bereits in frühester Kindheit, denn in diesem zarten Alter wird die Welt noch als geheimnisvoll, als Mysterium erfahren. Und alle Schauspielkunst entspringt der Fähigkeit, angesichts des Geheimnisvollen zu improvisieren.

T. Navarro

Das Paradoxon der Schauspielkunst

1

»Siehst du? Der Mann dort ist dein Vater.«

Es kam der Tag, Norma Jeanes sechster Geburtstag, der erste Tag des Juni 1932, ein verzauberter Morgen in Venice Beach, Kalifornien: gleißend grellweiß außer Atem. Eine frische, kühlende Brise wehte vom Pazifischen Ozean her, prickelnd und von nur einem Hauch soliger Fäule und dem üblichen Geruch nach Strandgut begleitet. Und dieser selbe Wind, so schien es, trug Mutter herbei. Hohlwangige Mutter mit den sattroten Lippen und den gezupften, nachgezogenen Brauen, die Norma Jeane aus dem großelterlichen Apartment, dem heruntergekommenen Wohnblock mit dem verwitterten Putz am Venice Boulevard, holen kam – »Norma Jeane, komm!«. Und was lief Norma Jeane, lief zu Mutter! Das kleine Patschhändchen in Mutters schmaler Hand, so wunderbar fremd vom schwarzen Tüllhandschuh umschlossen. Denn Grandma hatte raue Altfrauenhände, und Grandmas Geruch war ein Altfrauengeruch, während Mutter so gut roch, dass einen schwindelte, wie prickelnde zuckrige Zitrone auf der Zunge. »Norma Jeane, Herzchen, komm.« Mutter war »Gladys«, und »Gladys« war die wahre Mutter des Kindes. Wenn ihr danach war. Wenn sie die Kraft hatte. Wenn es die Anforderungen der Produktionsgesellschaft erlaubten. Denn Gladys’ Leben spielte in »drei Dimensionen an der Schwelle zur vierten«, es war eben nicht mit anderer Leute Leben zu vergleichen, nicht »flach wie ein Parcheesi-Brett«. Grandma Dellas aufgeplusterte Missbilligung strafte Mutter mit Verachtung, im Triumph entführte sie Norma Jeane aus dem nach Zwiebeln, Seifenlauge, Hühneraugentinktur und Grandpas Pfeifentabak riechenden Apartment im dritten Stock, überging schlicht die vor Entrüstung schrille Stimme der alten Frau, eine Radiokomikerstimme – »Gladys, wo hast du diesmal wieder den Wagen her! Sieh mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede, Mädchen: Hast du Drogen genommen? Oder getrunken?« – »Wann bringst du mir meine Enkelin wieder?« – »Verdammt, warte doch, bis ich die Schuhe anhabe, ich komme mit runter! Gladys!« Doch ungerührt trillerte Mutter in glockenhellem Sopran: »Qué será, será.« Und schon flogen Mutter und Tochter gackernd wie ungezogene Ausreißer die Treppe hinunter, als wäre diese ein Berghang, außer Atem und Hand in Hand, hinaus, hinaus! auf den Venice Boulevard und geradewegs hin zum jedes Mal aufregenden, weil nie vorhersehbaren Gladys-Wagen; da wartete er am Randstein: an diesem grell gleißenden Morgen des ersten Juni 1932 stand Norma Jeane andächtig vor einem buckligen Nash in der Farbe von dreckigem Spülwasser, dessen Beifahrerfenster wie ein Spinnennetz gesplittert und mit Klebeband geflickt war. Aber was für ein herrlicher Wagen, und wie jung und wie munter Gladys doch war, denn sie, die Norma Jeane selten berührte, hob das Kind nun mit beiden behandschuhten Händen auf den Beifahrersitz – »Hoppla, Herzchen!« –, so, als hebe sie es in die Gondel des Riesenrads am Santa Monica Pier, damit es mit vor Staunen aufgerissenen Augen in den Himmel entschwebte. Schlug die Autotür fest zu. Vergewisserte sich, dass sie geschlossen war. (Denn es gab eine alte Angst der Mutter um die Tochter, davor, dass bei solchen Fluchten eine Tür aufflog, so wie im Stummfilm eine Falltür auffliegt, und dann wäre es um die Tochter geschehen!) Stieg auf der Fahrerseite in den Wagen wie Lindbergh in das Cockpit der Spirit of St. Louis. Ließ den Motor aufheulen, schob den Gang rein und fädelte sich in dem Moment in den Verkehr ein, da die arme dicke Grandma Della mit hektischen Flecken im Gesicht in ihrem verschossenen Baumwollmorgenmantel, den fleischfarbenen Stützstrümpfen und ihren Altfrauenschuhen verzweifelt fuchtelnd herausplatzte auf die offene Veranda des Apartmentblocks wie Charlie Chaplin als kleiner Tramp.

»Halt! Warte doch! Du Wahnsinnige! Drogensüchtige! Ich verbiete es! Ich rufe die Polizei!«

Aber es gab kein Halten mehr, nein, nein. Es gab kaum Zeit, Luft zu holen!

»Achte nicht auf deine Großmutter, Herzchen. Sie ist Stummfilm, und wir haben Ton.«

Denn Gladys, die wahre Mutter des Kindes, dachte nicht daran, sich an diesem besonderen Tag um den Genuss der Mutterliebe bringen zu lassen.

Heute, wo sie endlich »die Kraft hatte«, und ein paar Dollar übrig, war Gladys gekommen, um ihre Norma Jeane an deren sechstem Geburtstag (wirklich schon der sechste? O Gott, deprimierend) zu holen, wie sie es hoch und heilig versprochen hatte. »Bei Wind und Wetter, gesund oder krank, bis dass uns der Tod scheide, ich schwör’s.« Wenn sie in dieser Stimmung war, würde nicht einmal ein Rumoren der San-Andreas-Verwerfung Gladys zurückhalten. »Du gehörst mir. Du gleichst mir. Dich nimmt mir keiner weg, Norma Jeane, wie meine anderen Töchter.«

Diese schrecklichen siegesgewissen Worte hörte Norma Jeane nicht, hörte sie nicht, nein, gar nicht, vom rauschenden Fahrtwind verweht.

Dieser Tag, dieser Geburtstag würde der erste sein, an den sich Norma Jeane deutlich erinnerte. Dieser wunderbare Tag mit Gladys, die manchmal Mutter war, oder Mutter, die manchmal Gladys war. Eine zierliche vogelflattrige Frau mit lauerndem Blick und von ihr selbst so bezeichnetem »Habichtlächeln«, mit Ellbogen, die sich dir in die Rippen bohrten, wenn du ihnen zu nahe kamst. Der der schimmernde Rauch wie Elefantenstoßzähne aus den Nasenlöchern wuchs, sodass du dich nicht trautest, ihr überhaupt einen Namen zu geben, schon gar nicht »Mama« oder »Mommy« – diese »spuckzuckrigen« Namen hatte sich Gladys längst verbeten –, die du lieber auch nicht zu lange ansahst – »Glotz nicht, du! Großaufnahmen bitte nur nach vorheriger Ankündigung.« Weil Gladys’ nervöses Lachen sonst schartig klingen konnte – wie wenn man Eisblöcke für Drinks zerstieß. Dieser Tag der Offenbarung sollte Norma Jeane die ganzen sechsunddreißig Jahre und dreiundsechzig Tage ihres Lebens unvergesslich bleiben, eines von der eigenen Mutter überlebten Lebens; so wie kleine Puppen bequem in größeren, zu eben diesem Zweck ausgehöhlten Puppen Platz finden. Sehnte ich mich nach einem anderen Glück? Nein, nur danach, bei ihr zu sein. Mich anzuschmiegen und bei ihr im Bett zu schlafen, wenn sie mich ließ. Ich liebte sie so. Und es gab schließlich Beweise, dass Norma Jeane schon früher Geburtstage mit der Mutter verlebt hatte, jedenfalls ihren ersten, an den sich das Kind allerdings nicht erinnern konnte, oder nur dank der Schnappschüsse – HAPPY 1st BIRTHDAY BABY NORMA JEANE! –, dank der von Hand beschrifteten Papierbanderole, die dem abgelichteten blinzelnden Baby mit dem schimmernden Blick und dem niedlichen Mondgesicht, den Grübchen und den dunkelblonden Locken mit schlappohrigen Satinschleifchen nach Art der Schärpen bei Schönheitswettbewerben umgehängt war; gleich verblassenden Träumen waren diese Schnappschüsse verschwommen, zerknittert, aufgenommen offenbar von einem »Onkel«; sie zeigten eine sehr junge, sehr hübsche, aber übernervös wirkende Gladys mit Pagenkopf, Herrenwinkern und vollen, wie nach einem Wespenstich geschwollenen Lippen à la Clara Bow, die ihr ein Jahr altes Baby »Norma Jeane« unbeholfen auf dem Schoß hielt wie einen kostbaren und zerbrechlichen Gegenstand, mit Ehrfurcht, wenn auch nicht sichtbarem Vergnügen, mit eisernem Stolz, wenn auch nicht Liebe, und auf die Rückseite der paar wenigen Schnappschüsse war das Datum gekritzelt: 1. Juni 1927. Daran erinnerte sich die sechsjährige Norma Jeane ebenso wenig wie an ihre Geburt – zu gern hätte sie Gladys oder Grandma gefragt: Wie macht man das, geboren werden? Macht man das selbst? – auf der den Wohlfahrtsempfängerinnen vorbehaltenen Entbindungsstation des Los Angeles County General Hospital, nach zweiundzwanzig Stunden »ausgewachsener Höllenqualen« (Gladys’ Kommentar zu dieser Prüfung), ebenso wenig wie an die acht Monate und elf Tage in dem

»Spezial-Tragebeutel« unter Gladys’ Herzen. Sie konnte sich nicht erinnern! Wann immer sie aber gebannt diese Schnappschüsse betrachtete – sofern Gladys Lust hatte, sie ihr auf dem gerade aktuellen Bettüberwurf auf dem gerade aktuellen Bett ihres gerade aktuellen »Domizils« auszubreiten –, zweifelte sie keinen Augenblick daran, dass das Baby im Bild sie selbst war, denn mein Leben lang sollte ich mir selbst nur durch das Zeugnis und die Namen anderer fassbar sein. So wie Jesus im Evangelium nur von anderen gesehen und bezeugt wird. Ich sollte mein Dasein und den Wert dieses Daseins im Blick der anderen lesen, auf den ich eher vertrauen zu können glaubte als auf meinen eigenen.

Gladys musterte die Tochter, die sie seit – nun ja – Monaten nicht gesehen hatte. In scharfem Ton sagte sie: »Zappel nicht so. Guck nicht so verkniffen, als würde ich jeden Augenblick mit jemand zusammenstoßen, da brauchst du bald eine Brille, und was machst du dann? Und winde dich nicht wie eine kleine Schlange, die Pipi machen muss. Wo hast du nur diese Unarten her, von mir bestimmt nicht. Ich stoße schon mit niemandem zusammen, wenn du dir deswegen Sorgen machst, wie deine alberne alte Grandma. Ich...



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