Nouwen | Du schenkst mir Flügel | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 160 Seiten

Nouwen Du schenkst mir Flügel

Gedanken der Hoffnung in Zeiten der Trauer.
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-86334-736-9
Verlag: adeo Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Gedanken der Hoffnung in Zeiten der Trauer.

E-Book, Deutsch, 160 Seiten

ISBN: 978-3-86334-736-9
Verlag: adeo Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Wir können schmerzhaften Erfahrungen, Krankheit, dem Verlust eines geliebten Menschen und auch dem eigenen Versagen nicht ausweichen. Schmerz und Leid lassen sich nicht verhindern. Doch es hängt viel davon ab, dass wir lernen, damit umzugehen - damit wir nicht verzweifeln und verbittern, sondern uns dem Leben stellen. Henri Nouwen weiß sich getragen von seinem christlichen Glauben, er ist sich sicher, dass uns inmitten des Leids immer wieder Türen zu einem anderen Leben offen stehen. Er hat für sich selbst erfahren, dass der Glaube neue Hoffnung schenkt. Dass er uns, bildhaft gesprochen, neue 'Flügel' verleiht, sodass wir aufsteigen können aus den Tiefpunkten unseres Lebens; dass wir frei werden für das, was noch vor uns liegt. Ein Buch gegen die Verzweiflung und die Angst. Ein Buch voller Trost und Hoffnung.

Henri Nouwen, geboren am 24. Januar 1932, gestorben am 21. September 1996. Er war Professor für Psychologie und Pastoraltheologie u. a. an den Universitäten von Yale und Harvard in den USA. 1986 schloss er sich der 'Arche'-Bewegung an, einer Lebensgemeinschaft von Menschen mit und ohne Behinderung. Bis zu seinem Tod war er geistlicher Leiter der Arche-Gemeinschaft 'Daybreak' in Toronto/Kanada. Henri Nouwen gehört zu den bekanntesten geistlichen Schriftstellern der Gegenwart.
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Kapitel 1

Von unserem kleinen Ego zu einer größeren Welt

Als ich als geistlicher Leiter in die Daybreak-Gemeinschaft kam, in der Betreuer mit behinderten Menschen ihr Leben teilen, erlitt ich ziemlich viel persönlichen Schmerz. Die vielen Jahre in der akademischen Welt, meine Reisen nach Mittelamerika und später meine weltweite Vortragstätigkeit hatten mich ausgelaugt. Mein Terminkalender hielt mich auf Trab. Ich eilte durch meine Tage, aber statt durch mein ständiges Hasten meinen inneren Konflikten zu entkommen, nahm der Aufruhr in mir nur stetig weiter zu. Wegen meines völlig ausgebuchten Terminkalenders konnte ich mich meinem inneren Schmerz jedoch nicht wirklich und vollständig stellen. Ich blieb der Illusion verhaftet, dass ich die Kontrolle hatte, dass ich die Punkte meiden konnte, mit denen ich bei mir persönlich und auch in meinem Umfeld nicht konfrontiert werden wollte.

Als ich dann aber in Daybreak ankam, wurde ich Zeuge des ungeheuren Leids der geistig und körperlich behinderten Menschen, die hier leben. Nach und nach sah ich meine eigenen schmerzlichen Probleme in einem neuen, ganz anderen Licht. Mir wurde klar, dass sie Teil eines sehr viel größeren, umfassenderen Geschehens waren, und durch diese Erkenntnis bekam ich neue Kraft, mit meiner eigenen Not zu leben.

Mir wurde klar, dass Heilung beginnt, wenn wir unseren Schmerz aus seiner teuflischen Isolation herausholen und erkennen, dass wir gemeinsam mit der ganzen Menschheit, ja sogar mit der gesamten Schöpfung leiden. Wenn wir es so sehen und praktizieren, werden wir an dem großen Kampf gegen die Mächte der Finsternis beteiligt. Mit unserem kleinen Leben haben wir dann Anteil an etwas sehr viel Größerem.

Und ich fand in Daybreak noch etwas, nämlich Menschen, die nicht so sehr fragen: „Wie werde ich mein Leiden los?“, sondern: „Wie kann ich es als Chance zur Weiterentwicklung und Erkenntnis nutzen?“

Unter diesen Menschen, von denen die meisten nicht lesen oder schreiben und viele sich nicht einmal selbst versorgen können, habe ich miterlebt, wie Menschen lernen, den Zusammenhang zwischen menschlichem Leiden und dem Leiden Gottes herzustellen. Sie haben mir geholfen zu erkennen, dass der Weg durchs Leid nicht darin besteht, es zu leugnen, sondern ganz und gar mitten darin zu leben. Sie stellten sich die Frage, wie sie es erreichen könnten, Schmerz nicht mehr als lang anhaltende Störung des Lebens, sondern als Chance zu betrachten.

Wie stellen wir persönlich solche Zusammenhänge her? Wie schaffen wir den Wechsel von der Schmerzvermeidung, dem Ausweichen, hin zu der Bitte an Gott, den Schmerz durch sein Einwirken zum Guten zu nutzen?

Unsere Verluste feststellen

Einer der ersten Schritte in dem Tanz klingt ganz einfach, ist aber oft nicht leicht zu erlernen: Wir sind dazu aufgefordert, unsere Verluste zu betrauern. Es mag paradox klingen, aber Heilung und Tanz beginnen beide damit, dass man sich ganz direkt anschaut, was den Schmerz verursacht. Wir stellen uns den schmerzlichen Verlusten, die uns lähmen und gefangen halten in Leugnung, Beschämung oder Schuld. Wir geben die Illusion auf, dass wir wie beim Himmel-und-Hölle-Spiel die Schwierigkeiten hüpfend hinter uns bringen können. Denn indem wir versuchen, Teile unserer Geschichte vor Gottes Augen und unserem eigenen Gewissen zu verbergen, werden wir zu Richtern über unsere eigene Vergangenheit. Wir begrenzen die Gnade Gottes auf das bisschen, was unsere menschlichen Ängste zulassen. Unser angestrengtes Bemühen, uns von unserem eigenen Leiden abzukoppeln, führt dazu, dass wir uns auch von dem Leiden Gottes für uns abkoppeln. Der Weg heraus aus unseren Verlusten und Verletzungen ist der Weg hinein und hindurch.

Als Jesus sagte: „Denn ich bin gekommen, um die Sünder zu rufen, nicht die Gerechten“ (Mt 9,13), bestätigte er damit, dass nur diejenigen, die sich ihrem verletzten Zustand stellen, Heilung erfahren und zu neuem Leben gelangen können.

Manchmal müssen wir uns selbst fragen, worin unsere Verluste eigentlich bestehen; was wir konkret verloren haben. Dadurch werden wir noch einmal daran erinnert, wie real die Erfahrung eines Verlustes ist. Vielleicht wissen Sie, wie es ist, wenn ein Elternteil stirbt.

Wie gut ich mich an den Schmerz und die Trauer erinnere, die ich während der Krankheit und nach dem Tod meiner Mutter empfand! Vielleicht erleben wir den Tod eines Kindes oder eines Freundes. Oder, was manchmal ebenso weh tut, wir verlieren Menschen durch Missverständnisse, Konflikte oder Zorn. Vielleicht erwarte ich, dass mich ein Freund besucht, aber er kommt nicht. Ich halte einen Vortrag und erwarte, dass ich gut ankomme, muss dann aber erleben, dass das, was ich sage, offenbar niemanden berührt hat. Vielleicht nimmt uns jemand die Arbeitsstelle, Aufstiegschancen oder unsere Ehre. Vielleicht erleben wir mit, wie durch zunehmende körperliche Gebrechlichkeit Hoffnungen langsam erlöschen, oder dass Träume plötzlich ausgeträumt sind. Vielleicht geht ein Familienmitglied im Zorn fort, und wir fragen uns, ob wir versagt haben.

Manchmal ist unser Verlustgefühl geradezu überwältigend. Ich lese die Zeitung und stelle fest, dass alles schon wieder schlimmer ist als am Vortag. Unsere Seele ist traurig über all die Armut, den Krieg und die Zerstörung. Und vielleicht können wir keinen Sinn mehr in unserem Glauben sehen, nicht nur, weil wir innerlich müde werden, sondern auch, weil irgendjemand sich über unsere Arten des Denkens und Betens lustig macht. Unsere Überzeugungen scheinen plötzlich altmodisch, unnütz. Selbst unser Glaube scheint auf wackeligen Beinen zu stehen. So oder ähnlich können Enttäuschungen in jedem Leben aussehen.

Typisch für uns ist jetzt, dass wir solche Nöte als Hindernisse betrachten, die uns davon abhalten, so zu sein, wie wir eigentlich sein sollten, nämlich gesund, schön und ohne Sorgen. Wir betrachten Leid bestenfalls als ärgerlich, schlimmstenfalls als völlig sinnlos und eine Zumutung. Wir sind bestrebt, unsere Schmerzen loszuwerden, egal wie.

Ein Teil von uns hält sich gern an der Illusion fest, dass unsere Verluste gar nicht real sind, dass es sich dabei nur um vorübergehende Störungen handelt. Die Aufrechterhaltung dieser Leugnung kostet uns sehr viel Kraft. „Unsere Verluste sollten uns nicht daran hindern, am Eigentlichen festzuhalten“, sagen wir uns.

Es gibt mehrere Versuchungen, durch die diese Art von Leugnung Nahrung erhält. Unsere unablässige Geschäftigkeit beispielsweise wird zu einer Methode, vor dem wegzulaufen, dem wir uns eines Tages auf jeden Fall stellen müssen. Die Welt, in der wir leben, ist in der Hand des Bösen, und der Böse lenkt uns lieber ab und füllt jeden freien Raum mit Dingen, die zu tun sind, mit Menschen, die man treffen muss, mit Geschäften, die abgeschlossen werden müssen, mit Waren, die produziert werden müssen. Er lässt keinen Raum für echte Trauer oder echtes Klagen. Unsere Geschäftigkeit wird zum Fluch, auch wenn wir glauben, wir könnten dadurch Linderung unseres inneren Schmerzes erreichen. Unser voll gestopftes Leben trägt nur dazu bei, uns von der Auseinandersetzung mit den unausweichlichen Schwierigkeiten abzuhalten, denen wir uns alle irgendwann stellen müssen.

Die Stimme des Bösen versucht außerdem, uns dazu zu verführen, dass wir uns eine undurchdringliche Fassade zulegen. Begriffe wie Verletzlichkeit, Loslassen, Sicheinlassen, Weinen, Klagen und Trauer kommen im Wörterbuch des Teufels nicht vor.

Jemand hat einmal zu mir gesagt: „Zeige nie deine Schwäche, sonst wirst du ausgenutzt; verlass dich nie auf andere, sonst verlierst du deine Freiheit.“ Das mag sich zwar ziemlich weise anhören, ist es aber keineswegs. Denn es wird dabei nur einer Welt das Wort geredet, die will, dass wir die sozialen Grenzen und Zwänge, die unsere Gesellschaft für uns definiert hat, respektieren, und zwar ohne sie zu hinterfragen.

Sich den eigenen Verlusten zu stellen, bedeutet auch, der Versuchung zu widerstehen, das Leben als reine Übungseinheit dafür zu betrachten, wie man für die Erfüllung aller eigenen Bedürfnisse sorgen kann. Wir sind in der Tat bedürftige Menschen: Wir wollen Aufmerksamkeit, Zuwendung, Einfluss und Macht, und unsere Bedürfnisse sind anscheinend nie befriedigt. Sogar scheinbar selbstlose Taten können mit diesen Bedürfnissen zu tun haben. Wenn dann diese Bedürfnisse nicht von Menschen oder Umständen befriedigt werden, entziehen wir uns entweder oder schlagen um uns. Wir lecken die Wunden unseres verletzten Geistes und werden dabei immer bedürftiger. Wir verzehren uns nach Bestätigung und ignorieren alles, was in eine andere Richtung deuten könnte.

Auch mühelos errungene Siege gefallen uns: Wachstum und Entwicklung ohne Krise, Heilung ohne Schmerzen, die Auferstehung ohne das Kreuz. Kein Wunder, dass wir uns gern Paraden anschauen und heimkehrenden Helden, Wunderheilern und Rekordbrechern zujubeln. Da ist es nicht weiter verwunderlich, wenn unser Gemeinwesen so organisiert ist, dass es das Leiden auf Abstand hält: Menschen werden auf eine Weise bestattet, die den Tod mit Beschönigung und schmückendem Beiwerk verschleiert. Institutionen verstecken die psychisch Kranken und die Straftäter in der hartnäckigen Leugnung, dass auch sie zur Menschheitsfamilie gehören. Selbst unsere Umgangsformen im Alltag verleiten dazu, Gefühle zu verbergen, lieber zwischen zusammengebissenen Zähnen Höflichkeitsfloskeln von uns zu geben und dadurch eine echte, heilsame Auseinandersetzung zu verhindern. Freundschaften bleiben oberflächlich und kurzlebig.

Jesus war da ganz anders. Jesus brachte zwar...


Henri Nouwen, geboren am 24. Januar 1932, gestorben am 21. September 1996. Er war Professor für Psychologie und Pastoraltheologie u. a. an den Universitäten von Yale und Harvard in den USA. 1986 schloss er sich der "Arche"-Bewegung an, einer Lebensgemeinschaft von Menschen mit und ohne Behinderung. Bis zu seinem Tod war er geistlicher Leiter der Arche-Gemeinschaft "Daybreak" in Toronto/Kanada. Henri Nouwen gehört zu den bekanntesten geistlichen Schriftstellern der Gegenwart.



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