E-Book, Deutsch, Band 9, 400 Seiten
Nooter Über die Vielfalt der Liebe
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-98609-598-7
Verlag: FinanzBuch Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Alte Weisheiten von Sappho, Platon und anderen Liebenden. Stoizismus für Gelassenheit und Glück
E-Book, Deutsch, Band 9, 400 Seiten
Reihe: Alte Weisheiten für moderne Leser
ISBN: 978-3-98609-598-7
Verlag: FinanzBuch Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Sarah Nooter ist Professorin für Klassische Philologie und Theaterwissenschaft an der University of Chicago. Sie hat bereits mehrere Bücher veröffentlicht. Ihre Forschungsgebiete sind griechische Tragödie, klassische und moderne Poesie sowie Genderstudien.
Weitere Infos & Material
Homer, Ilias
Und so kämpften sie um die dicht bemannten Schiffe.
Doch Patroklos näherte sich dem Achilles, ihrem Hirten und Anführer. Heiße Tränen rannen ihm übers Gesicht, wie ein Quell aus schwarzer Tiefe, der dunkles Wasser aus den nackten Felsen hinabströmen lässt.
Der leichtfüßige, göttergleiche Achilles sah ihn voller Mitgefühl an und sprach diese geflügelten Worte: »Warum weinst du, Patroklos, wie ein albernes, kleines Mädchen, das zu seiner Mutter läuft und auf den Arm genommen werden will, sich an ihren Röcken festklammert und sie am Weitergehen hindert, mit tränennassen Augen zu ihr emporblickt, bis es tatsächlich hochgehoben wird?
Genau wie dieses Mädchen, Patroklos, so vergießt auch du heiße Tränen.
Willst du den Myrmidonen2 etwas sagen? Oder nur mir?
Oder hast du als Einziger eine Nachricht von Phthia erhalten?
Sagen sie nicht, dass dein Vater Menoitios, Sohn des Aktors, noch lebt.
Und dass Peleus, der Sohn des Aiakos, mein Vater, immer noch unter den Myrmidonen weilt?
Den Tod von einem von ihnen würden wir wahrlich sehr betrauern.
Oder trauerst du um die Achaier,3 deren eigene Verfehlungen sie auf menschenleeren Schiffen ins Verderben führen?
Sprich und verhehle mir nichts, damit wir beide es wissen.«
Mit tiefem Seufzer antwortetest du, Patroklos, berittener Soldat, ihm: »Oh Achilles, Sohn des Peleus, größter Held der Achaier, sei nicht zornig. Denn schweres Leid lastet auf den Achaiern.
Tatsächlich liegen sie alle, die zuvor zu den Besten zählten, geschlagen und verwundet in den Schiffen.
Der starke Diomedes, Sohn des Tydeus, wurde getroffen, und auch Odysseus, der ruhmreiche Speerschütze, wurde verwundet, ebenso wie Agamemnon, und sogar Eurypylos wurde von einem Pfeil in den Schenkel getroffen.
Heilkundige Ärzte versorgen die Verletzungen und versuchen, sie zu heilen. Dennoch bleibst du unversöhnlich, Achilles.
Möge nie solcher Zorn von mir Besitz ergreifen, an dem du so unwandelbar festhältst, du Inbegriff erbitterter Tugend. Welches Erbe treten deine Nachkommen an, wenn du die Griechen nicht gegen ihren schmachvollen Untergang verteidigst? Grausamer Mann. Ich glaube nicht daran, dass der Soldat Peleus dein Vater war oder Thetis deine Mutter. Nein, dich schufen die finstere Meeresflut und die bloßen Felsen, so steinern ist dein Herz.
Aber wenn du jenes Orakel fürchtest, über das du zu sprechen dich weigerst, die Prophezeiung des Zeus, die deine Mutter dir übermittelt hat, dann schicke zumindest mich schnell zu Felde und vertraue mir deine restlichen Truppen der Myrmidonen an, um den Danaern wenigstens ein kleines Licht zu bringen.
Und überlass mir deine Rüstung, die ich mir um die Schultern binde in der Hoffnung, dass die Trojaner mich für dich halten und sich vom Kampf zurückziehen, damit die kriegerischen Söhne der Achaier wieder zu Kräften kommen können, denn sie sind erschöpft. Der Krieg gönnt den Beteiligten keine Ruhe. Wir, die wir noch frisch sind, können die kriegsmüden Kämpfer der Stadt von unseren Schiffen und Zelten zurücktreiben.«
So flehte er, dieser verblendete Narr, womit er sein Schicksal besiegelte und seinen eigenen fürchterlichen Tod heraufbeschwor.
Zutiefst erregt antwortete der leichtfüßige Krieger Achilles:
»Oh gottgleicher Patroklos, was redest du da! Weder bekümmert mich irgendein Orakel, noch hat meine Mutter mir etwas von Zeus berichtet. Aber mein Herz ist von tiefem Schmerz erfüllt, da dieser Mann bereit war, mir, der ich ihm doch ebenbürtig bin, meine Trophäe fortzunehmen und seine Machtbefugnisse damit zu überschreiten. Das bereitet mir schreckliche Pein, die ich bis ins Mark meiner Seele spüre.
Dieses Mädchen, das die Söhne der Argeier mir zum Ehrengeschenk auserkoren haben, nachdem ich mit dem Speer die gut befestigte Stadt erobert und geplündert hatte, ausgerechnet sie entriss mir jener Fürst Agamemnon, der Sohn des Atreus, wieder, als sei ich irgendein niedriger Vagabund. Aber lassen wir die Vergangenheit ruhen. Denn ich habe nicht die Absicht, auf ewig Groll in meinem Herzen zu hegen. Obwohl ich ursprünglich glaubte, dass mein Zorn erst verrauchen würde, wenn das Schlachtgetümmel und der Krieg selbst meine Schiffe erreicht hätten. Nun denn, lege meine berühmte Rüstung an, und sei der Anführer der kriegslüsternen Myrmidonen im Kampf, denn die dunklen Wolken der Trojaner ziehen sich um unsere Schiffe zusammen und die Argeier werden bis zu den Wellen des Meeres zurückgedrängt. Nur wenig Land bleibt ihnen noch, und die gesamte Stadt Troja prescht ihnen kühn entgegen. Denn sie sehen meinen Helm nirgendwo blitzen. Hätte ihr Feldherr Agamemnon mir gegenüber Anstand bewiesen, würden sie schon bald die Flucht ergreifen und die Bäche in der Umgebung wären voll mit ihren Toten. Nun aber kämpfen sie rings um das Lager.
Denn der Speer wütet nicht in den Händen des Diomedes, des Sohnes des Tydeus, um die Danaer vor dem Untergang zu bewahren. Und auch die verhasste Stimme von Atreus’ Sohn habe ich kein einziges Mal vernommen. Nur den Schrei des mordenden Hektors, der die Trojaner vorantreibt. Und mit ihrem Kriegsgeschrei überziehen sie das Land und besiegen die Achaier im Kampf.
Also, Patroklos, stürze dich wild in die Schlacht, um die Schiffe vor der Zerstörung zu bewahren. Verhindere, dass wütende Feuersbrunst sie verzehrt und uns der Möglichkeit beraubt, in unsere geliebte Heimat zurückzukehren. Doch lausche meinen Worten, damit ich dir meinen Plan genauestens auseinandersetzen kann. Die Rettung der Danaer wird dir und mir zu Ruhm und Ehre gereichen, sodass sie dieses wunderschöne Mädchen zu mir zurückschicken und mir zudem viele herrliche Geschenke darbringen.
Sobald du aber die Troer von den Schiffen vertrieben hast, kehre zu mir zurück.
Auch wenn Heras Gemahl dir Ruhm verheißt, denke keinen Augenblick daran, den Krieg gegen die kriegslüsternen Trojaner ohne mich zu gewinnen. Das würde mir nicht zur Ehre gereichen. Egal wie siegestrunken du bist, und wie viele Trojaner du erschlagen haben magst, führe unsere Truppen nicht bis zu Iliums Mauern, denn sonst läufst du Gefahr, dass einer der unsterblichen Götter vom Olymp sich einmischt. Zumindest der fernhin treffende Apollon liebt die Trojaner sehr.
Kehre also um, sobald du die Schiffe errettet hast, und lasse die übrigen weiter auf dem Feld gegeneinander kämpfen.
O Vater Zeus und Athene und Apollon: Käme doch kein einziger der Trojaner mit dem Leben davon! Aber auch keiner der Argeier. Würden doch nur wir beide der Zerstörung entgehen, um schließlich allein die heiligen Zinnen Trojas einzureißen!«
* * *
Mit tiefem Seufzer antwortete der leichtfüßige Achilles ihr: »Mutter, der Olympier hat meine Gebete erhört. Doch welche Freude bleibt mir noch, nun, da mein geliebter Freund Patroklos tot ist, den ich mehr schätzte als alle anderen Gefährten einschließlich meiner selbst? Ich habe ihn verloren. Hektor hat ihn erschlagen und ihn meiner glorreichen Rüstung beraubt, dieses wahren Wunders, dieser prächtig glänzenden Gabe, die die Götter Peleus an jenem Tag darbrachten, als sie dich ins Bett eines Sterblichen führten.
Wärest du doch nur bei den Göttern des Meeres geblieben, und hätte Peleus sich doch nur eine Sterbliche zur Frau genommen. So aber blüht auch dir unsägliche Pein, da du dein Kind verlieren und nie wieder zu Hause begrüßen wirst. Denn mein Herz will nicht länger leben und unter den Menschen weilen, es sei denn, Hektor fällt durch meinen Speer und bezahlt mit seinem Leben für den Tod des Patroklos, des Sohnes von Menoitios.«
Bitterlich weinend antwortete Thetis ihm: »Nach dieser Erklärung wirst du in der Tat bald sterben, mein Kind. Denn sogleich nach Hektors Tod erwartet dich auch der deine.«
Zutiefst bekümmert antwortete der leichtfüßige Achilles. »Dann will ich lieber gleich sterben, da ich meinen Gefährten nicht davor schützen konnte, getötet zu werden. Er fiel fern der Heimat, dabei hätte er meinen Schutz vor dem Untergang so dringend gebraucht. Daher werde auch ich nie mehr in mein geliebtes Vaterland zurückkehren. Weder dem Patroklos noch meinen anderen Gefährten habe ich Glück gebracht, denn viele wurden von dem göttlichen Hektor niedergemäht. Doch ich saß nur untätig bei den Schiffen herum, eine nutzlose Last auf der Erde. Ich, der beste Krieger der Achaier, obwohl in der Ratsversammlung andere besser sind als ich. Wie sehr wünschte ich, dass Zwist unter Göttern und Menschen ein Ende hätte, dass es keinen Zorn mehr gäbe, der selbst dem weisen Mann Kummer bereitet und der anfänglich süßer als Honig die Kehle der Männer hinabrinnt, sich dann jedoch ausbreitet wie Rauch. Denn selbst jetzt noch spüre ich Groll gegen Agamemnon, den Heerführer. Aber obwohl er mich noch schmerzt, will ich ihn hinter mir lassen, denn es ist notwendig, das teure Herz in meiner Brust zu bezähmen.
Nun also mache ich mich auf, um den Mörder dieses geliebten Mannes, jenen Hektor, zu treffen. Und ich werde den Tod willkommen heißen, wann immer Zeus und die anderen unsterblichen Götter es für angemessen halten.«
* * *
Die Älteren der Achaier umringten Achilles und beschworen ihn, etwas zu essen. Aber er weigerte sich und stöhnte: »Ich bitte euch, teure Kameraden, mir nicht schon so bald...