E-Book, Deutsch, 168 Seiten
Noack Valentine heißt man nicht
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-95824-678-2
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Roman
E-Book, Deutsch, 168 Seiten
ISBN: 978-3-95824-678-2
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Barbara Noack (1924-2022) schrieb mit ihren mitreißenden und humorvollen Bestsellern deutsche Unterhaltungsgeschichte. In einer Zeit, in der die Männer meist die Alleinverdiener waren, beschritt sie bereits ihren eigenen Weg als berufstätige und alleinerziehende Mutter. Diese Erfahrungen wie auch die Erlebnisse mit ihrem Sohn und dessen Freunden inspirierten sie zu vieler ihrer Geschichten. Ihr erster Roman »Fräulein Julies Traum vom Glück«, auch bekannt unter dem Titel »Die Zürcher Verlobung«, wurde zweimal verfilmt und besitzt noch heute Kultstatus. Auch die TV-Serien »Der Bastian« und »Drei sind einer zu viel«, deren Drehbücher Barbara Noack selbst verfasste, brachen in Deutschland alle Rekorde und verhalfen Horst Janson und Jutta Speidel zu großer Popularität. Barbara Noack veröffentlichte bei dotbooks ihre Romane »Brombeerzeit«, »Danziger Liebesgeschichte«, »Das kommt davon, wenn man verreist«, »Das Leuchten heller Sommernächte«, »Der Bastian«, »Der Duft von Sommer und Oliven«, »Der Traum eines Sommers«, »Der Zwillingsbruder«, »Die Melodie des Glücks«, »Drei sind einer zuviel«, »So muss es wohl im Paradies gewesen sein«, »Valentine heißt man nicht«, »Was halten Sie vom Mondschein?«, »Die Lichter von Berlin« und »Fräulein Julies Traum vom Glück«. Ebenfalls bei dotbooks veröffentlichte Barbara Noack ihre Romane »Eine Handvoll Glück« (auch erhältlich im eBundle »Schicksalstöchter - Aufbruch in eine neue Zeit«) und »Ein Stück vom Leben«, die auch ebenfalls im Doppelband »Schwestern der Hoffnung« erhältlich sind. Im Sammelband erschienen sind auch »Valentine heißt man nicht & Der Duft von Sommer und Oliven«. Die heiteren Kindheitserinnerungen »Flöhe hüten ist leichter«, »Eines Knaben Phantasie hat meistens schwarze Knie«, »Ferien sind schöner« und »Auf einmal sind sie keine Kinder mehr« sind außerdem im Sammelband »Als wir kleine Helden waren« erhältlich.
Autoren/Hrsg.
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So etwas wie eine Einleitung
Ich weiß schon, was Sie jetzt denken. Einleitungen sind meistens langweilig.
Meine Einleitung wird Sie dazu noch herrlich verwirren, weil so viele Namen in ihr vorkommen. Die Namen meiner zahlreichen Familie. Zuerst will ich aber unsere Kampfstätte vorstellen: Ruine Marschall, Stendhalstraße 7-9, Berlin-Grunewald.
Sie ist verspieltes Marzipanrokoko und sieht so aus, als ob man sie schon einmal hochgehoben, wieder fallen gelassen und die übriggebliebenen Teile zusammengekittet hätte. (Aber daran ist nicht unser turbulentes Familienleben, sondern der Krieg schuld.)
Französische Fenster öffnen sich auf eine Terrasse mit dicklichen Steinputten, die Blumenkörbchen schwenken und Blockflöte blasen, unbekümmert um die Tatsache, daß ihre Köpfe seit Jahren im Gras liegen. Die ganze Ruine wirkt wie ein Form gewordenes, im zwanzigsten Jahrhundert komponiertes Schäferliedchen – ein bißchen Sanssouci und ein bißchen kitschig.
Es ist gerade Mittag und die Luft erfüllt von trägem Spatzenschilpen, Blätterseufzen und wütendem Tellerklappern aus unserem geöffneten Küchenfenster. Dort mißhandelt Anna Krieger den Abwasch, und wenn ich nachher Scherben im Mülleimer finde, sagt sie bestimmt, es sind die Hunde gewesen. Die Spaniels haben bei uns an allem schuld. Sie zerschlagen nicht nur das Geschirr, sie verbrauchen den ganzen Kaffee, verbummeln Philips Autoschlüssel und…
Hören Sie? Eben rief der Pirol. Er ruft seinen Namen »Krischan Füerhoak«, was Kristian Feuerhaken heißt, aber Philip meint, man muß schon aus der Uckermark stammen, um ihn zu verstehen. (Das soll natürlich eine Spitze gegen meine bäuerliche Herkunft sein. Macht nichts.)
Der plattdeutsche Pirol und zahlreiche Spatzen wohnen zusammen mit einer Amsel in den hohen Bäumen unseres Gartens, der dringend eines Friseurs bedarf. Durch seine Struppigkeit zieht sich vom pompösen Schmiedeeisenportal bis zur Ruine herauf ein breiter Scheitel – die »Auffahrt«.
(Es ist zwar alles verwildert und ramponiert bei uns, aber die vornehmen Bezeichnungen von früher, wie »Auffahrt« für den breiten, verunkrauteten Kiesweg und »Gewächshaus« für ein paar Ziegelsteine mit besplittertem Gestänge darüber, haben wir beibehalten.)
Vor kurzem erwartete Philip einen sehr feinen Herrn aus Hamburg. Diesen Besuch nahm er zum Anlaß, sein Besitztum mit Feldwebelblicken zu durchstreifen, und nach dieser Musterung zeigte er sich sehr mißgestimmt und nannte unsere liebe Ruine einen Saustall. Er beschloß ihren Ausbau zum Herbst und ließ sich vom Gärtner einen Kostenvoranschlag für die Instandsetzung des Gartens machen. Nachdem er diesen gelesen hatte, entdeckte er die Reize seiner verwilderten Umgebung und bezeichnete sie fortan als »urwüchsig«, denn urwüchsige Reize kann man logisch vertreten, aber verwilderte –?
Gerade trottet die schöne, sanfte Anette über den Kiesweg und die wenigen Stufen zur Terrasse hinauf, schnuppert kurz an den überhängenden Füßen unseres schlafenden Hausvorstandes und streckt sich nach mehreren Umdrehungen im Schatten seiner Liegekarre aus.
Wenn ich Philip so betrachte – voilà un homme, möchte ich dann sagen. Voilà – ein erstaunlicher Mann, zumindest der Statur nach, wenngleich seine überhängenden Füße und ein wenig infantile Schlafmiene sein Äußeres auch beeinträchtigen. Philip ist kein adonischer Held – nichts mit Prädikaten wie markig, sehnig, strahlend jung. Er ist eher ein Gebäude – etwa Barockstil. Sein Brustumfang liegt schon jenseits jeder üblichen literarischen Brustumfangsschilderung eines Helden, sofern es sich bei diesem nicht um einen Preisringer handelt.
Es muß anstrengend sein und sicher eine Menge Mut und Kraft kosten, um die Hoffnungen nicht zu enttäuschen, die vor allem Frauen (Sie ahnen nicht, wie viele!) in seine Figur setzen. Dabei ist Phil auch ganz gern einmal feige. Wer ist das nicht außer den Leuten, die Denksprüche über den ununterbrochenen Mannesmut verfassen.
Wegen seines zufriedenen Grinsens und seiner beruhigenden Alltagsintelligenz, die nicht zu hohe Anforderungen an die seiner Mitmenschen stellt, ist er allgemein beliebt. Er hat viele Freunde, auch unter jenen Leuten, die man kennen muß, um »Wer« zu sein. Er ist sozusagen ein Mann mit guten Beziehungen und der noch besseren Einsicht, daß man mit den besten Beziehungen genauso gut verhungern kann wie ohne.
Übrigens ist Philip Modefotograf, ein immer bekannterer sogar, und im Augenblick hat er den Schlaf sehr nötig. Denn hinter ihm liegen die anstrengendsten Wochen eines Halbjahres: das Fotografieren der Herbst- und Winterkollektionen der Haute Couture und der Textilfirmen. Das hieß: sechsunddreißig Stunden Arbeit pro Tag.
Zuviel Kaffee und Zigaretten.
Ärger mit der Konkurrenz und den Moderedakteurinnen und seinem steifbeinigen Fotomodell Valentine (das bin ich).
Zu hoher Blutdruck.
Hetztouren nach Westdeutschland.
Als Ruhepol dazwischen ein kriegsinvalides Zuhause, in dem stündlich etwas Überraschendes geschieht:
Der Hund Dickie erstickt um ein Haar im Misthaufen.
Hausdrache Anna Krieger erhält eine Beleidigungsklage von Bäcker Przstulla. (Wir müssen unsere Semmeln jetzt drei Straßen weiter einkaufen.)
Spaniel Boogie buddelt sich in den angrenzenden Garten durch und pinkelt die Tomaten des Nachbarn an. Im Wiederholungsfalle soll Boogie erschossen werden, drohte der Nachbar.
Die Tigerkatze Emma hat sich in der vergangenen Mondscheinsaison mit dem schwarzen Mulle von Bäcker Przstulla eingelassen und verwechselt unser elegantes französisches Bett mit dem Kreißsaal. Anna Krieger ersäuft die Brut bis auf ein rotgestreiftes Kätzchen, das keine Ähnlichkeit mit dem schwarzen Romeo Przstullas hat.
Sie meinen vielleicht, das seien keine Gründe zur Aufregung? Für uns sind es welche, denn wir nehmen unsere kleine, unordentliche, engbevölkerte Welt sehr ernst.
Neulich war der Reporter einer Berliner Abendzeitung hier. Er schrieb einen Artikel über uns, in dem er die Ruine als »Arche Marschall« bezeichnete, in der alles zu finden sei, was nicht aussterben dürfe: liebenswerte Menschen und Tiere.
Das war sehr schmeichelhaft für uns, hätte aber gewiß anders geklungen, wenn Philip ihm nicht einen Kognak angeboten und versprochen hätte, seine Flanellhose reinigen zu lassen, an der Boogie seine Teerpfoten abgewischt hatte.
Anna Krieger hat sich den Artikel ausgeschnitten und trägt ihn ständig bei sich, um ihn all denen zu zeigen, die behaupten, sie wäre von einem liebenswerten Menschen so weit entfernt wie ein Rabenaas von einem Rotkehlchen.
***
Philip schläft noch immer. Eben hat er sehr höflich und halblaut im Traum »Wie bitte?« gefragt und sich dann auf die Seite gerollt. Ich gehe auf Zehenspitzen ins Haus.
Im Kaminzimmer blinzelt mich Boogie schläfrig durch das Gitter des zwar schäbigen, aber doch formschönen Windsorsessels an. Auf dem Schreibtisch liegt die Katze Emma und duftet nach Bückling. Und im Schlafzimmer treffe ich Eliza Doolittle und ihre Schwester Demoiselle. An den beiden ist noch alles weich und rund mit drei blanken Schuhknöpfen da, wo einmal Augen und Schnauze sitzen werden.
Eliza hat sich auf meiner frisch gebügelten Wäsche zusammengerollt, und Sellchen pustet friedlich in dem geöffneten Koffer, der auf dem Fußboden steht.
Und da fällt mir ein, daß ich Ihnen noch schnell die Geschichte unserer drei Jüngsten erzählen muß, die Geschichte von Eliza Doolittle, Demoiselle und ihrem verfressenen Bruder Dickie.
Philips treuester Kumpan und ständiger Reisebegleiter war der rote Spaniel Butler. Ein feiner, kluger, tapferer, schöner, unbestechlicher Hund. Seit seinem Tode sogar der klügste, feinste, schönste, tapferste Hund, den es jemals gegeben hat (fragen Sie Philip!).
Ehe Butler in diesem Frühjahr unter den Rädern eines Autos endete, betätigte er sich noch einmal als Bräutigam. Er hat seine Babys nicht mehr erlebt, und wir wollten sie anfangs auch nicht sehen. Philip wollte überhaupt keinen Hund mehr sehen – auch seine Anette und meinen Boogie nicht, dabei konnten die beiden doch nichts dafür, daß er sie nicht so liebte wie seinen Butler!
Und dann kam unsere Hochzeit, der bedeutende Tag, an dem ich Frau Marschall wurde. Und mit der Hochzeit auch die Frage: Was schenke ich Philip? Es sollte etwas ganz Besonderes sein. Etwas Beziehungsreiches. Gewiß, er wollte keinen Hund mehr, aber so ein winzigkleiner, hilfloser Butlerableger –?!
Er sollte nach der Trauung in die Ruine gebracht werden. Heimlich natürlich. In einem königsblauen Hutkarton mit weißen Sternchen.
Es war eine sinnige Idee. Aber leider hatte ich sie nicht allein. Philip beschloß ebenfalls, mir eins von Butlers Kindern zu schenken, und meine Schwiegermutter Elisabeth Marschall, die wir Lieschen nennen, beschloß – eben. Im Allgemeinen gelingt es uns nicht, ein Geschenk bis zu seinem Bestimmungstage geheimzuhalten. Diesmal gelang es. Leider.
So kam es, daß in dem Augenblick, als wir, von der Trauung kommend, von links in die Stendhal-Straße einbogen, von rechts ein klappriger Tempowagen heranratterte und statt einer gleich drei Hutschachteln vor Nr. 7 ablud. Darin hockten unsere verängstigten Hochzeitsüberraschungen. Sie waren ganz benommen von der Schuckelei im Auto und heilfroh, als ich sie aus ihrer königsblauen Geschenkverpackung schälte.
Keinem von uns hatte der Schreck die Stimme belassen, nur Hans Fichte, unser ehrenamtlicher Tierarzt, Trauzeuge und Philips bester Freund seit der Schulzeit. Hänschen seufzte: »Au fein, jetzt habe ich noch...




