E-Book, Deutsch, 288 Seiten
Noack Der Bastian
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-95824-415-3
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Roman
E-Book, Deutsch, 288 Seiten
ISBN: 978-3-95824-415-3
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Barbara Noack (1924-2022) schrieb mit ihren mitreißenden und humorvollen Bestsellern deutsche Unterhaltungsgeschichte. In einer Zeit, in der die Männer meist die Alleinverdiener waren, beschritt sie bereits ihren eigenen Weg als berufstätige und alleinerziehende Mutter. Diese Erfahrungen wie auch die Erlebnisse mit ihrem Sohn und dessen Freunden inspirierten sie zu vieler ihrer Geschichten. Ihr erster Roman »Fräulein Julies Traum vom Glück«, auch bekannt unter dem Titel »Die Zürcher Verlobung«, wurde zweimal verfilmt und besitzt noch heute Kultstatus. Auch die TV-Serien »Der Bastian« und »Drei sind einer zu viel«, deren Drehbücher Barbara Noack selbst verfasste, brachen in Deutschland alle Rekorde und verhalfen Horst Janson und Jutta Speidel zu großer Popularität. Barbara Noack veröffentlichte bei dotbooks ihre Romane »Brombeerzeit«, »Danziger Liebesgeschichte«, »Das kommt davon, wenn man verreist«, »Das Leuchten heller Sommernächte«, »Der Bastian«, »Der Duft von Sommer und Oliven«, »Der Traum eines Sommers«, »Der Zwillingsbruder«, »Die Melodie des Glücks«, »Drei sind einer zuviel«, »So muss es wohl im Paradies gewesen sein«, »Valentine heißt man nicht«, »Was halten Sie vom Mondschein?«, »Die Lichter von Berlin« und »Fräulein Julies Traum vom Glück«. Ebenfalls bei dotbooks veröffentlichte Barbara Noack ihre Romane »Eine Handvoll Glück« (auch erhältlich im eBundle »Schicksalstöchter - Aufbruch in eine neue Zeit«) und »Ein Stück vom Leben«, die auch ebenfalls im Doppelband »Schwestern der Hoffnung« erhältlich sind. Im Sammelband erschienen sind auch »Valentine heißt man nicht & Der Duft von Sommer und Oliven«. Die heiteren Kindheitserinnerungen »Flöhe hüten ist leichter«, »Eines Knaben Phantasie hat meistens schwarze Knie«, »Ferien sind schöner« und »Auf einmal sind sie keine Kinder mehr« sind außerdem im Sammelband »Als wir kleine Helden waren« erhältlich.
Autoren/Hrsg.
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Kapitel 1
Bastian macht einen Krankenbesuch
An einem Dienstagmorgen Anfang Juli stand Bastian Guthmann auf dem Viktualienmarkt vor einem Blumenstand und wußte nicht recht, was er kaufen sollte.
Er zog ein Bund Margeriten zu zwei Mark aus einem Eimer, der Strauß tropfte auf seine Schuhe und erschien ihm ein bißchen wenig.
»Dann nehmen S' doch zwei«, sagte die Blumenfrau.
Dies wiederum erschien Bastian ein bißchen teuer. Er hatte etwas zu zwoachtzig im Sinn gehabt.
»Für welchen Zweck soll's denn sein?«
»Meine Großmutter«, sagte er, »sie liegt im Spital.«
Der Satz ging der Blumenfrau zu echtem Herzen. »Ah geh –schlimm?«
»Nichts Gefährliches«, sagte Bastian, aber genau wußte er auch nicht, was ihr fehlte. Seine Schwestern, die ihn abwechselnd anriefen, um ihn daran zu erinnern, daß er Großmutter besuchen müßte, sprachen diskret von Omas Vorfall, worunter sich Bastian wenig vorzustellen vermochte. Auf alle Fälle hatte es etwas mit ihrem Unterleib zu tun.
Bastian wunderte sich, daß so eine alte Frau überhaupt noch einen Unterleib besaß, der Schwierigkeiten machen konnte.
»Ich denke, der zu zwei Mark wird genügen«, sagte er, »sie kriegt ja noch von anderen Blumen.«
Nachfolgend bestieg er seine »Else«, einen Deux Cheveaux, Baujahr 59, aber Luxusausgabe. Der Motor lief noch fabelhaft, nur der Rost machte Else zu schaffen. Er hatte ihren Unterboden so gründlich aufgefressen, daß Bastian während der Fahrt das Straßenpflaster unter seinen Füßen betrachten konnte. Solange er nicht durch eine Pfütze fuhr, störte das nicht. Die Risse und Triangel im Verdeck hatte er mit Isolierband verpappt. Auf den durchhängenden Sitzen glichen Sofakissen das Schlimmste aus. Bastian liebte seine Else wie einen alten Hund.
Bastian, Else und der Strauß Margeriten fuhren zum Krankenhaus, das war so gegen elf Uhr vormittags.
Die Empfangsschwester guckte streng aus ihrem Glaskasten. »Jetzt? Jetzt ist keine Besuchszeit. Kommen Sie morgen nachmittag wieder.«
Bastian, nun einmal da und finster entschlossen, seine Blumen loszuwerden, sagte, er käme von außerhalb, von Oberpfaffenhofen. Er habe sich extra von seinem Chef freigeben lassen, um seine alte Oma zu besuchen, er könne am nächsten Tag nicht wiederkommen. Und er lächelte.
Bastian konnte überwältigend lächeln, wenn er wollte.
Die Schwester sagte: »Dritter Stock, Zimmer 338, Gynäkologische, links durch die Glastür, wo ›Professor Dr. Klein‹ draufsteht. Wenn der Herr Chefarzt Visite macht, müssen Sie verschwinden, hören Sie?«
Bastian nahm den Lift. Der Lift roch nach frisch behandeltem Unglücksfall. Krankenhäuser waren ihm ein Greuel.
Als kerngesunder junger Mann, der sogar noch über seinen Blinddarm (27) verfügte, hatte er eine kerngesunde Scheu vor allem, was mit Leiden, Blut und Bahren zu tun hatte und mit Spritzen. Bastian hatte schon dreimal eine in den Arm gekriegt und eine ins Gesäß. Und niemand hatte ihn bedauert.
Als er den Lift im dritten Stock verließ, wehte eine weiße, gewichtige Wolke an ihm vorüber – der Chefarzt mit eilfertigem Gefolge auf der Rückkehr von der Visite. Ein königlicher Aufmarsch in Weiß, weißer ging's nicht, selbst die Schuhe, alles weiß – bis auf das Gesicht des Oberarztes. Ihm sah man an, daß er schon 14 Tage Costa Brava hinter sich hatte.
Bastian ließ die Prozession an sich vorüberziehen, hörte im Geist Barocktrompeten und zog ergriffen einen Hut, den er nicht besaß.
Dann suchte er sich an den Zimmertüren entlang. Zimmer 314 – 315 – Eintritt verboten – 317 – 318 – Fäkalienspüle (die deutsche Sprache verfügt wirklich über hervorragende Wortkompositionen) – 319 ...
Auf dem Gang bewegten sich Patientinnen mit plattgelegenen Frisuren und geblümten Morgenröcken. Manche trugen Söckchen oder heruntergerollte Strümpfe in Puschelpantoffeln. Alle sahen Bastian nach.
Zu der Unbehaglichkeit, sich in einer Krankenanstalt zu befinden, gesellte sich nun auch noch das peinliche Gefühl, in eine verbotene, weibliche Welt eingedrungen zu sein – ein Gefühl ähnlich dem, das er empfunden hatte, als er einmal aus Versehen in eine Damentoilette geraten war.
Zimmer 338.
Großmutter Guthmann lag mit zwei anderen Frauen in einem länglichen, hellblau gestrichenen Zimmer. Im Bett am Fenster. Sie trug ein langärmeliges Anstaltshemd mit blauen Borten und las Zeitung.
Bastian hatte sie noch nie im Bett gesehen. Auch im Bett strahlte sie die vorsorgliche Sauberkeit einer Frau aus, die jeden Augenblick damit rechnet, daß ihr etwas Unvorhergesehenes zustoßen könnte. Ihr fast faltenloses, ostisches Gesicht glühte vor mühsam gezügelter Streitlust. Wie eine Leidende sah sie nicht aus.
»Grüß dich, Martha«, sagte er ungewiß in den Raum.
Sie nahm die Brille ab und lachte. »Der Bub ist da.«
Bastian ging an ihr Bett und küßte sie auf den Kopf. Sie duftete nach Baldrian und Kölnisch Wasser. Er wickelte seine Margeriten aus und dachte, ich hätte doch zwei Bund zu vier Mark nehmen sollen. Er wollte den Strauß zu den anderen Blumen stecken, die schon auf ihrem Nachttisch standen, aber Großmutter hinderte ihn daran.
»Im Krankenhaus muß jeder Strauß seine eigene Vase haben, egal, wie spillrig er ist.«
Dann stellte sie ihn den anderen Betten vor. »Das ist Bastian Guthmann, mein Enkel. – Frau Schüssle – Frau Kynast. Bastian, sag den Damen guten Tag!«
Bastian begrüßte zuerst Frau Schüssle (etwa 45) und dann Frau Kynast (schon alt). Frau Kynast sagte: »Gestern hatte ich Geburtstag. Ich bin aus Gleiwitz.«
Bastian sagte: »Herzlichen Glückwunsch.«
Großmutter sagte: »Du mußt schreien. Sie ist taub wie eine Nuß.«
Bastian schrie: »Herzlichen Glückwunsch nachträglich!«
Frau Kynast nickte: »Ja, ja, aus Gleiwitz.«
Darauf zog er sich lächelnd zu Großmutters Bett zurück, schon ziemlich erschöpft. »Wie geht's dir denn?«
»Ach, gut soweit. – Hast du deine Klausuren geschrieben?«
»Ja. Hab ich.«
»Na und?«
»In den nächsten Wochen kriege ich Bescheid.«
»Achgottachgott!«
»Es wird schon schiefgehen«, beruhigte er sie. »Aber nun erzähl mal – wie war die Operation?«
»Stell dir vor, Bub, sie geben einem eine Spritze, und eh man denkt, nun geht's los, ist es schon vorbei.« Sie beugte sich vor und flüsterte: »Ich bin nicht einmal sicher, ob sie mich überhaupt operiert haben. Wie soll man das nachprüfen, wenn man schläft? Aber bezahlen muß ich.«
»Ja, bist du denn in keiner Kasse?« fragte er erschrocken.
»Nein. Wozu? Soll ich die Versicherungen reich machen, wo ich bisher mit Baldrian ausgekommen bin!?«
Frau Kynast sagte: »Schwester Theresa ist auch aus Gleiwitz«, und sah Bastian dabei an.
Bastian brüllte: »Aha.«
Frau Kynast sagte: »Die jungen Schwestern taugen nichts. Sie schimpfen, wenn man Soße aufs Bett kleckert. Weil sie zu faul sind, einen neu zu beziehen.«
»Aber der Chefarzt ist nett«, sagte Frau Schüssle. »Er hat das Majestätische.«
»Und das Fräulein Doktor Freude ist nett«, sagte Großmutter.
»Hat sie auch das Majestätische?«
»Sie hat schöne Augen«, sagte Großmutter.
»Das Essen taugt nichts«, sagte Frau Schüssle. »Ganz billige Wurst gibt's, und der Kaffee schmeckt wie fünfundvierzig.«
In diesem Augenblick kam Schwester Theresa aus Gleiwitz herein, und Bastian mußte auf den Flur.
»Typisch Kynast!« schimpfte Großmutter. »Kaum kriegt man Besuch, muß sie auf die Schüssel.«
Bastian stand auf dem Gang herum. Eine Frau wischte den Fußboden immer dort, wo seine Füße gerade waren. Um eine Flurecke sauste ein Bett auf Rädern, begleitet von silberhellem Gesang:
»Zwei Apfelsinen im Haar
und an der Hüfte Banaanen –
Lalalalalala ...«
Eine ganz junge Lernschwester schubste das Bett vor sich her im Takt zu ihrem mexikanischen Geträller. In dem Bett lag eine gelbgesichtige Frau ohne Zahnprothesen, ein bestürzender Anblick für einen wie Bastian, der keinen täglichen Umgang mit Frischoperierten hatte.
Es reichte ihm. Er wollte raus hier, bloß raus, und das so rasch wie möglich. Die beklemmende Krankenhausatmosphäre. Frau Kynast und noch eine Bahre mit Musik! Er war geschafft.
Wie von Bakterien gejagt, rannte er den Flur hinunter und mußte sehr scharf bremsen, um nicht einen weißen Kittel zu überfahren, der ihm von rechts in den Weg trat – mit einer Spritze in der Hand.
»Na, na!« sagte der Kittel.
Bastian wußte später nicht mehr, was es zuerst gewesen war. Auf keinen Fall die Spritze und auch nicht der Kittel. Er gehörte nicht zu den Leuten, die auf weiße Kittel standen. Im Gegenteil.
Es gelang ihm nachträglich nicht einmal, sich präzis an die Ärztin zu erinnern, die ihn getragen hatte.
Sie war eher klein. Er liebte große Frauen. Kurze, helle Kinderhaare voller Wirbel fielen ihr ins Gesicht. Bastian hatte lieber Dunkelhaarige mit langen, seidigen Mähnen. Blond war er selber.
Nur einen Augenblick lang sah sie ihn verwundert an.
Dieser Augenblick mußte es wohl gewesen sein.
Bei ihm.
Bei ihr nicht.
Ein Augenblick, wo im Film die Geigen einsetzen.
Für ihn.
Nicht für sie, die einen Haken um Bastian schlug wie um ein Hindernis, das ihr im Weg stand, und den Flur hinunterging. Er folgte ihr verzaubert.
Sie war...




