E-Book, Deutsch, Band 39, 220 Seiten
Reihe: Pulp Master
Nisbet Welt ohne Skrupel
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-927734-64-7
Verlag: PULP MASTER
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 39, 220 Seiten
Reihe: Pulp Master
ISBN: 978-3-927734-64-7
Verlag: PULP MASTER
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Klinger hat schon einiges durchgemacht und hängt am liebsten unter seinesgleichen in den lausigsten Kaschemmen San Franciscos ab. Mit Kaffee, Zigaretten und ein paar Drinks durch den Tag zu kommen und eine Bleibe für die Nacht zu finden sind sein Ansporn, sich als Kleinkrimineller seinen Pflichtanteil am Leben zu ergaunern. Doch als er einen Betrunkenen aufs Korn nimmt, der sich als wichtiger App-Entwickler entpuppt, schnallt Klinger, dass sich mit einem glimmenden Smartphone oder einem Börsengang weitaus mehr absahnen lässt als mit den kleinen Gaunereien der Nacht ...
In Jim Nisbets Roman kämpft die Welt der altbewährten Form zwischenmenschlicher Kommunikation Rückzugsgefechte gegen eine Technologie der Kontrolle, die jede menschliche Regung registriert und analysiert.
Jim Nisbet, Jahrgang 1947, ist Autor von dreizehn Romanen und mehreren Lyrik-Bänden. In den letzten vierzig Jahren veröffentlichte er darüber hinaus diverse Artikel, Essays und Shortstorys in Zeitungen, Zeitschriften und Anthologien sowie ein Sachbuch über Bau und Design retro-futuristischer Möbel. Er lebt mit seiner Frau in San Francisco.
Autoren/Hrsg.
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1
Der Miata überwand die Kante und knickte einen Lichtmast ab. Der Zusammenprall löste die Airbags aus, aber Chainbang war zur Stelle. Er zerstach den von Klinger, bevor sich das Ding vollständig entfaltet hatte, und den eigenen, bevor der die Crackpfeife in seiner, Chainbangs, Brusttasche zerdrücken konnte. Die fünfzehn Zentimeter lange Klinge schoss durch das Nylon wie ein Pitbull durch einen Kindergarten. So zumindest Klingers Gedanke. Damit beschäftigt, die vom Rand des Lenkrades übertragenen Erschütterungen mit den Armen abzufangen, achtete er nicht auf den Schnitt in seiner rechten Wange, hervorgerufen von einer Klinge, die in ihrer Bahn von dem sich aufblähenden Gewebe abgelenkt worden war. Und dann, beim Zerfetzen der eigenen Sicherheitsvorrichtung, stach Chainbang sich selbst, unterhalb des Kinns. Keiner von beiden bekam es mit. Der Lichtmast krachte kopfüber auf die nach Norden führenden Fahrspuren der Webster Street und ließ einen Funkenregen auf dem Bürgersteig niedergehen. Mit abgesoffenem Motor landete der Miata jenseits des Mittelstreifens, mitten zwischen den beiden nach Süden führenden Fahrbahnen, die Schnauze Richtung Norden. Es war halb vier am Morgen. Kein Verkehr derzeit. Klinger betätigte den Anlasser. Die Zündung gab nur ein schwaches »klick!« von sich. Er drehte den Schlüssel ein weiteres Mal. Gleiches Ergebnis. »Die Scheißkarre gibt auf, obwohl sie in Führung liegt«, bemerkte Chainbang. »Wie man’s nimmt«, meinte Klinger, »sie steigt aus, obwohl wir im Verzug sind.«
Mit der Klinge seines Messers schlug Chainbang ein paar Takte auf der Lippe des aufgerissenen Mauls des Armaturenbretts. Die nächste Feuerwehrwache liegt nur vier Straßenkreuzungen weiter an der Turk und Webster. Das nächste Polizeirevier befindet sich von der Feuerwache aus gesehen gleich um die Ecke, Höhe Turk und Fillmore. Chainbang starrte auf die Straße und klopfte mit seinem Messer rhythmisch auf das Vinyl, als oberhalb des Garagentors der Feuerwache ein rotes Licht zu rotieren begann. »Sinnlose Gewalt«, sagte Klinger. Er drehte den Schlüssel im Zündschloss, als drehe er einen Korkenzieher in einen Korken. »Meinst du, du hast den Typ umgebracht?« Chainbang zuckte mit den Achseln. »Ich habe so hart wie möglich zugeschlagen.«
»Sollte gereicht haben«, befand Klinger finster, und jetzt – obwohl er dem bockigen Anlasser Geduld entgegengebracht hatte – brach der Bart des Schlüssels im Zündschloss ab. So ist das mit dem Adrenalin, dachte Klinger und fuhr mit dem Daumen über den Stumpf des Schlüssels im Schatten der Lenkradsäule. Unter seinem Einfluss weiß ein Mann nichts von seinen Kräften. Hinter dem nach oben gleitenden Garagentor von San Franciscos Feuerwache 5 sandte eine Sirene ihr Auftaktgeheul nach draußen. Klingers Hand fiel auf den Türgriff. »Wird Zeit abzuhauen.« Er streckte die andere Hand aus. »Gib mir die Hälfte von dem, was deine Tasche hergibt.«
Chainbang starrte weiter durch die Windschutzscheibe und er schlug weiter mit der Klinge seines Messers auf die Überbleibsel des Armaturenbrettes. Sein Blick konzentrierte sich auf das Glas. Jetzt fiel ihm der lange Sprung auf, der wie ein Mäander von der unteren rechten Ecke der Windschutzscheibe bis zu ihrer linken oberen Ecke auf der Fahrerseite verlief. Er mäanderte, wie der Snake River durch das in Nebel gehüllte Reservat seiner Jugend mäandert war. »In Nebel gehüllt« trifft es nicht – Chainbangs Erinnerung an seine Jugend lag nachhaltig verfremdet hinter der beschmierten Stärke einer beliebigen Anzahl mit Graffiti versehener Polycarbonatplatten. Mit heulender Sirene, mit flackerndem Licht, so rollte das Feuerwehrfahrzeug durch das offene Garagentor der Feuerwache. Chainbang erwog, die fordernde Hand auf den Schaltknauf zu spießen, bevor er verduften würde. Aber, so seine Überlegung, die Nachricht über diesen minderschweren Verrat würde unweigerlich in jedem Schuppen die Runde machen, wo er nach diesem oder einem anderen Fischzug aufschlagen würde, und Scheißkerl hin oder her, niemand, auch nicht ein Klinger, der auf diese ungewöhnliche Weise ans Messer geliefert werden würde, war gänzlich ohne Freunde. Und war nicht sogar er in dieser Hinsicht einer von Klingers Freunden? Das Feuerwehrfahrzeug hatte, einer Seenadel gleich, sein Versteck vollständig verlassen und richtete seine Scheinwerfer gen Süden, auf den Miata, die Sirene voll aufgedreht. »Hey! Aufwachen! Rück’s raus!«
Chainbang schob die freie Hand in die Tasche seiner Windjacke und fischte eine Handvoll Scheine heraus. Hier, im Dunkeln, hätte er nichts über Wert und Anzahl der Scheine sagen können und doch drückte er sie Klinger in die ausgestreckte Hand. »Du solltest einiges davon in Fahrstunden investieren, Arschloch.«
Klinger verlor keine Zeit. Die Tür auf seiner Seite klemmte, war sie es gewesen, die den Lichtmast gerammt hatte. Da sie ihre Überfälle auf die Schnapsläden mit zurückgeklapptem Verdeck durchgezogen hatten, unfähig dahinterzukommen, wie sie es hätten aufstellen können, versuchte er jetzt, mit Würde aus dem gestohlenen Sportwagen zu steigen. Doch seine Beine verhedderten sich in den Resten des Airbags und er fiel samt seiner Würde kopfüber auf die Straße. Durch Klingers Erfahrung schlau geworden, nahm sich Chainbang die Zeit, seinen Airbag schadenfroh in Fetzen zu reißen, bevor er die Beifahrertür öffnete und auf den begrünten Mittelstreifen – einst Standort des gefällten Lichtmastes – trat. Das Feuerwehrfahrzeug war jetzt drei Blocks entfernt. Irgendwo etwas weiter entfernt ertönte die klar zu unterscheidende Sirene eines Rettungswagens. Die für San Francisco übliche Maßnahme in Notfällen: ein oder zwei Fahrzeuge der Feuerwehr und ein Rettungswagen. Erst wenn jemand entschieden hatte, dass ein Verbrechen vorliege, wurden die Cops alarmiert. Östlich der Webster, hinter dem Lichtmast, lagen acht Blocks mit Sozialwohnungen, wo sich Chainbang nur zu gut auskannte. Es hatte Zeiten gegeben, da hätte er eines der Eingangstore überwunden und Zuflucht in einer verlassenen Wohnung gesucht oder bei den zahlreichen Fixertreffpunkten oder dort, wo man bekanntermaßen Flüchtige gegen Bares aufnahm. Früher verfolgten die Cops einen Mann nur bis zum Rand der Anlage, machten dort halt, unabhängig davon, wie intensiv ihre Verfolgungsjagd gewesen sein mochte, denn selbst die Cops schreckten davor zurück, ohne entsprechende Unterstützung die Grenzen dieser und anderer Sozialbausiedlungen zu überschreiten, sogar am Tage. Aber diese Zeiten waren vorbei. Heute Nacht – Chainbang ließ die Gegend an seinem geistigen Auge vorüberziehen – bot sich ihm mit dem Alamo Square, zwei Blocks die Grove Street hoch, eine bessere Möglichkeit. Er konnte den Rest der Nacht dort zubringen, versteckt in Strauchigem Salbei von den Ausmaßen eines Heuhaufens. Solange die Cops keine Hunde einsetzten, war für ihn alles in Butter. Er ging um das Heck des Miata und setzte Klinger einen Fuß auf die Brust. »Hey, was soll das?«
»Komm mir nicht hinterher, Mann«, sagte Chainbang. Er zeigte auf die hügelige Straße. »Such dir deinen eigenen Weg.« Er deutete auf die Sozialbausiedlung. »Keine Sorge, du Wichser«, sagte Klinger, nachdem er sich von der Überrumpelung erholt hatte. »Ich bin genug hinter dir her. Das reicht für eine Nacht.«
»Du hast die Knarre, oder?«
»Die Knarre?« Klinger wollte sich aufsetzen, doch der Fuß hielt ihn unten. Klinger fügte sich. »Als ich sie das letzte Mal gesehen habe, lag sie auf der Mittelkonsole.«
Chainbangs Blick wanderte zum Wagen. Ein Scheinwerfer war noch intakt, aber sein Strahl verlief sich in den Bäumen, die entlang des Mittelstreifens Richtung Norden aufgereiht standen. Das Wageninnere war ein Knäuel aus dunklem Nylon. Zwei Kreuzungen weiter, an der Webster Ecke McAllister Street, brach das Feuerwehrfahrzeug in wütendes Hupen aus, als der SUV eines entgeisterten Fahrers, der trotz Lärms und Scheinwerfern auf die Kreuzung gefahren war, direkt vor dem Feuerwehrfahrzeug zum Halten kam. Zwei weitere Kreuzungen weiter fuhr der rote Einsatzleitwagen aus der Feuerwache und bog mit heulender Sirene und flackerndem Licht nach Süden ab. Klinger sah hoch zu Chainbang und lachte. »Warst du nicht der Letzte, der mit einer Knarre hantieren würde?«
Chainbangs Miene verdüsterte sich und er hob das Messer. Klinger schleuderte Chainbang die Geldscheine ins Gesicht, verdrehte das Knie über dem ihn beleidigenden Fuß und...