Nikolic / Nikolic | Die Frauen meines Lebens | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 198, 196 Seiten

Reihe: Lindemanns

Nikolic / Nikolic Die Frauen meines Lebens


1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-88190-743-9
Verlag: Lindemanns VERLAG & AGENTUR
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, Band 198, 196 Seiten

Reihe: Lindemanns

ISBN: 978-3-88190-743-9
Verlag: Lindemanns VERLAG & AGENTUR
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Zwei dunkle Augen schauen mich an, in denen der Schmerz und die Weisheit der ganzen Welt liegen. Sie war erst neun Jahre alt, doch ihre Augen blickten, als habe sie schon alles im Leben gesehen und verstanden.

Mit dem Blick in die Augen der neunjährigen Clarissa begann alles. Ihr Schicksal stand am Anfang einer Spurensuche nach Heldinnen unserer Zeit, nach starken Frauen mit Löwenherz und ungewöhnlicher Aura. „Die Frauen meines Lebens“ erzählt von acht ganz unterschiedlichen Charakteren, von geheimnisvollen Frauen, jungen Mädchen, Frauen in der Mitte des Lebens und am Ende des Lebens. Es sind Erinnerungen, die manchmal süß und manchmal bitter schmecken, Geschichten der Großmütter, die aus dem Krieg heimkehren und sich fragen, was von ihren Träumen und Sehnsüchten bleibt, Liebesgeschichten, die nur für kurze Augenblicke den Duft vom Glück bringen, Freundschaften, die sich in der Weite des Horizonts verlieren.

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Meine Großmutter
oder
Das Glück liegt in mir Du sitzt vor mir und bist wütend. Es ist keine Wut, die mit Donnergetöse und Fauchen kommt, es ist eine kleine, feine Wut, wie das Summen einer Biene, die sich im Zimmer verirrt hat und nun den Weg nach draußen sucht. „Er hat mir schon wieder die Haare zu kurz geschnitten“, sagst du zornig. „Warum schimpfst du so? Ich finde deine Frisur sehr schön!“, antworte ich und streiche mit den Fingern durch die kurzen silbernen Locken. Sie fühlen sich weich und zart an – wie Daunen. „Ich habe es ihm schon hundert Mal gesagt: Ich will die Haare über den Ohren länger haben, damit man mein Hörgerät nicht sieht.“ Ich muss schmunzeln. Auch mit 92 Jahren erlaubst du dir noch, ein wenig eitel zu sein. Dann sehe ich plötzlich das Glitzern in deinen Augen, das ich so gut kenne, und mit dem du immer in die Vergangenheit reist. Du schaust mich an und ich spüre, wie die Luft vibriert. Dann beginnst du zu erzählen: „Ich kann mich noch ganz genau an den Tag erinnern, als ich beim Friseur war, um mir meine langen Zöpfe abschneiden zu lassen. Es war ein ganz besonderer Tag. Es war der Tag, an dem Reichspräsident Paul von Hindenburg gestorben ist.“ Das ist einer jener Sätze, den nur meine Großmutter sagen kann. Er ist einmalig. Kein anderer Mensch auf dieser Welt teilt mit ihr dieses Erlebnis. Paul von Hindenburg, der Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannte und damit den Nationalsozialisten den Weg geebnet hatte, starb am 2. August 1934. Da war meine Großmutter 14 Jahre alt. Ein Teenager auf dem Weg zu einer jungen Frau. In einer Zeitschrift hatte sie die Bilder der „Flappers“ gesehen, jener jungen Frauen, die in den Kreisen der Bohème Charleston tanzen. Sie trugen die Haare ganz kurz im Nacken. So wollte Großmutter auch aussehen. Die Zeit der Jungmädchenzöpfe war vorbei. Sie saß gerade im Friseurgeschäft und wartete gespannt auf ihre neue Frisur, als die Nachricht vom Tod Hindenburgs im Radio kam. Wenn meine Großmutter über diese Zeit spricht, dann höre ich Lautsprecher erschallen, Schlachtrufe ertönen, Hitler-Geschrei und ich sehe Menschen, die Hakenkreuzfahnen schwenken. Mittendrin entdecke ich ein kleines, zierliches Mädchen, das verloren mit einem Paar Zöpfen in der Hand durch die Straßen geht. Großmutter hat nie geschimpft über den Krieg, nie mit dem Schicksal gehadert, obwohl die Kriegsjahre auch ihr Leid und Tod gebracht haben und sie mehr verloren hat als nur zwei Zöpfe. Meine Oma Elisabeth wird am 3. März 1920 in Frankfurt geboren. Ihre Kindheit ist glücklich – bis zu dem Tag, als ihr Vater die Familie verlässt, um mit einer anderen Frau zusammenzuleben. Sie ist jünger als ihre Mutter und wohnt in einem Viertel von Frankfurt, das man als anständiger Bürger nicht betritt. Bald gibt es keinen Kontakt mehr. „Ich durfte meinen Vater nicht besuchen, meine Mutter hat es nicht erlaubt.“ Kurz darauf zieht ein anderer Mann in das Haus ein. Er ist sehr streng. Wenn die Kinder nicht parieren, gibt es Ohrfeigen. Großmutter mag den Mann nicht, den man ihr als neuen Vater vorsetzt: „Er hatte einen gewaltigen Schnurrbart. Die Barthaare gingen weit nach unten und dann in einen Bogen nach oben. Die Enden seines Bartes hat er immer mit einer furchtbar stinkenden Bartwichse nach oben gezwirbelt. Mein Stiefvater trug einen richtigen Kaiser-Wilhelm-Bart. Beim Essen blieb immer etwas in seinem Bart hängen. Mein Bruder und ich haben darüber heimlich gelacht.“ Großmutter wird früh erwachsen, weil sie einen kühlen und wachen Verstand braucht, um aus dem tristen Umfeld zu Hause zu entfliehen. Sie ist erst 17 Jahre alt, als sie meinen Großvater heiratet. Kennengelernt hat sie ihn mit 16 Jahren. Nach der Schule beginnt sie eine Schneiderlehre. Auf dem Weg zur Schneiderei begegnet sie Großvater. Jeden Morgen und jeden Abend sieht sie ihn in der Straßenbahn sitzen. „Er hat immer so getan, als würde er die Zeitung lesen, aber heimlich hat er mich beobachtet. Ich habe seine Blicke gespürt und bekam richtig Gänsehaut.“ Dann eines Tages kommt es zur ersten Begegnung. „Ich hatte mir eine Tüte mit Lakritz am Kiosk gekauft. Ich ging die Straße hinunter und habe dabei Lakritz gegessen. Plötzlich greift eine Hand von hinten über meine Schulter und langt in die Tüte. Er war es. Mit einem frechen Grinsen hat er sich einige Lakritz genommen und in den Mund geschoben.“ Meine Großmutter heiratet den schelmischen Dieb und schon ein Jahr später kommt Ingrid auf die Welt – meine Mutter. Großvater hat gerade mit dem Studium begonnen, Ingenieur will er werden. Er studiert und arbeitet nebenher, um seine Familie zu ernähren. „Sonntags saß er immer am Schreibtisch an seinen Zeichnungen für die Universität. Ich wollte aber lieber am Main oder im Park spazieren gehen. Deshalb habe ich mich zu ihm gesetzt und ihm dabei geholfen. So waren wir schneller fertig.“ Doch das Glück der beiden ist nur von kurzer Dauer – dunkle Kriegswolken ziehen auf. Großvater wird zum Kriegsdienst eingezogen und im Sudetenland stationiert. Frankfurt ist ein beliebtes Ziel für die Bomber der Amerikaner. Der Himmel ist immer grau. Meist geschieht es in der Nacht: Erst hört man ein Surren über den Wolken. Es klingt wie ein angriffslustiger Bienenschwarm. Dann folgt ein Pfeifen. Die Bomben werden abgeworfen. Die Stadt erzittert für einen kurzen Moment. Am nächsten Tag geht das Leben weiter. Immer mehr Stadtteile von Frankfurt liegen in Schutt und Asche. Am 29. Januar 1944 fliegt die amerikanische Luftwaffe ihren ersten Großangriff auf die Stadt. 500 Flugzeuge bombardieren Frankfurt. Großmutter packt einen Koffer mit dem Nötigsten und sucht mit Ingrid einen Luftschutzkeller auf. Sie haben Glück. Obwohl die Amerikaner die Einschläge auf das gesamte Stadtgebiet verteilen, kommen sie heil davon. Sie können wieder in ihre Wohnung zurück. Noch Tage später hört man Explosionen auf der Straße. Die US-Luftwaffe hatte Bomben mit Langzeitzündern abgeworfen, die erst später ihre tödliche Wirkung entfalten. Wenige Wochen danach setzen die Amerikaner ihre Luftangriffe fort. Sie zielen vor allem auf Kasernenanlagen und Zulieferer für die Rüstungsindustrie. Dann werden die Wasserleitungen bombardiert. Tagelang ist die Stadt ohne Trinkwasser. Immer wieder müssen Großmutter und Ingrid ihren Koffer packen und in den Luftschutzkeller gehen. Dort sitzen sie mit vielen anderen zusammengekauert auf dem Boden und warten, bis die Sirenen ertönen, die das Ende des Bombardements ankündigten. Jede Nacht wiederholt sich dieser Zustand zwischen Warten, Hoffen, Bangen und Aufatmen. Als der Luftschutzkeller zerstört ist, suchen sie Schutz in einer leerstehenden Wohnung. Dort kommt auch Elke auf die Welt. Eine Nachbarin hilft Großmutter bei der Geburt. Am 22. März 1944 starten die Amerikaner ihren letzten Luftangriff auf die Stadt. Danach gibt es Frankfurt nicht mehr. 2 000 Flugzeuge bombardieren die Stadt, ein zerstörerischer Dauerregen aus über zwei Millionen Brandbomben und knapp 4 000 Sprengbomben und Luftminen fällt nieder. Auf den Regen folgt das Feuer. Die Bomben lösen einen Feuerorkan aus, der die Stadt in eine Trümmerwüste verwandelt. Der Eiserne Steg, das Wahrzeichen von Frankfurt, ist in zwei Hälften geteilt. Eine Hälfte ragt nach oben, wie ein Finger, der zum Himmel deutet, als wollte er den Weg zu den Zerstörern zeigen, die andere Hälfte ist im Main versunken. Die Bevölkerung wird evakuiert. 150.000 Menschen sind auf der Flucht. Mit Lastwagen und Zügen bringt man sie aufs Land, nach Usingen und Weilburg, Groß-Gerau, Büdingen, Schlüchtern, Geln-hausen, Wetzlar und Friedberg. Und Großmutter? Großmutter will nicht nach Wetzlar oder Friedberg. Sie hat ein anderes Ziel – sie will ins Sudetenland, zu ihrem Mann. Eine verhängnisvolle Entscheidung, doch das weiß sie in diesem Moment noch nicht. Am Bahnhof im Stadtteil Höchst steigt sie mit ihren Kindern in einen der überfüllten Züge ein. Die Menschen sind eingepfercht wie Vieh. Großmutter mitten unter ihnen, Ingrid an der Hand und Elke, ihr neugeborenes Kind, in eine Wickeldecke gepackt. Es gibt kaum etwas zu essen oder zu trinken. Elke schreit die ganze Zeit vor Hunger. Doch Großmutter hat keine Milch, sie kann sie nicht stillen. In der Nacht plötzlich hört das Kind auf zu schreien. Die Augen blicken starr zu ihr auf. Eine Frau kommt und nimmt ihr das tote Kind aus dem Arm. Großmutter und Ingrid landen schließlich in dem kleinen Ort Schönhengstgau an der Grenze zwischen Böhmen und Mähren in der ehemaligen Tschechoslowakei. Der Gebirgszug Schönhengst gab dem Ort, der heute längst nicht mehr existiert, seinen Namen. Über 700 Jahre lang war Schönhengstgau eine deutsche Sprachinsel mitten im Sudetenland. Schönhengst – ein Wort, das ich aus meiner Kindheit kenne. Das mich durch sie begleitet hat wie eine Wolke aus Parfüm. Ich konnte sie nie fassen, sie entglitt mir immer. Schön Hengst. Ich stellte mir einen schönen Hengst vor, es musste ein wunderbarer Ort sein, der nach schönen Pferden benannt ist. Doch warum flüstern Oma und Mama immer so geheimnisvoll? Etwas schwingt mit, das ich nicht verstehe, nicht begreife, aber spüre. „Weißt du noch, damals in Schönhengst?“, sagt Oma zu meiner Mutter, und dann schauen sich beide verschwörerisch an. Das kleine Dorf Schönhengstgau besteht während des Krieges aus 28 Häusern und zwei Gasthöfen. Die Menschen sind einfache Bauern, aber sie sind freundlich. Sie nehmen die beiden Flüchtlinge aus Frankfurt bei...



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