Nicolaie | Der Norden | Buch | 978-3-937139-43-2 | sack.de

Buch, Deutsch, 122 Seiten, Format (B × H): 145 mm x 200 mm, Gewicht: 177 g

Reihe: Lyrik

Nicolaie

Der Norden

Gedichte
1. Auflage 2008
ISBN: 978-3-937139-43-2
Verlag: Pop, Traian

Gedichte

Buch, Deutsch, 122 Seiten, Format (B × H): 145 mm x 200 mm, Gewicht: 177 g

Reihe: Lyrik

ISBN: 978-3-937139-43-2
Verlag: Pop, Traian


Heranwachsend
Ioana Nicolaie thematisiert in „Der Norden“ eine Mädchenkindheit
Von Anke PfeiferRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anke Pfeifer
Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Titel „Der Norden“ assoziiert Kühle, ja Kälte. Diese Gedankenverknüpfung unterstreicht auch das Buchcover, das ein Porträtfoto der Dichterin ziert, deren Haar und schwarze Mütze mit Schnee bestäubt sind. Zwar ist die Lyrikerin tatsächlich im Norden geboren und aufgewachsen, aber es ist der Norden Rumäniens – ganz in der Mitte Europas. Von dieser geographischen Heimat handeln die Gedichte auch. Eher ist es eine emotionale Frostigkeit, die über dem Werk liegt. Gefühle wie Angst, Entsetzen, Trübseligkeit, Gleichförmigkeit und Verlassenheit sind vorherrschend.

Der Band enthält 53 Gedichte, die überwiegend Ein-Wort-Titel tragen, wie „Teer“, „Belauert“, „Damals“ oder „Schämen“. Die meisten der Gedichte haben einen Umfang von ein bis zwei Seiten, lediglich „Rückkehr“ umfasst 18 Seiten und integriert auch Prosapassagen.

Die Gedichte von Ioana Nicolaie zeichnen sich durch eine hohe Ich-Bezogenheit aus. Geboren 1974, ist sie eine Vertreterin jener Generation, die in den 1990er-Jahren debütierte und sich bevorzugt mit dem eigenen Leben, dessen Alltäglichkeiten und ebenso mit traumatischen Erfahrungen künstlerisch auseinandersetzt. In der den Gedichten vorangestellten Widmung erscheinen namentlich neben den Eltern auch alle ihre zehn Geschwister, die in den Poemen Erwähnung finden.

Nicolaie zeichnet die Entwicklung eines Mädchens bis ins junge Erwachsenenalter nach und greift dabei bis auf die Zeit vor ihrer Geburt zurück. Die Lektüre hinterlässt beim Leser einen bedrückenden Eindruck. Ioana Nicolaie präsentiert eine wenig glückliche Kindheit. Immer wieder wird die Mutter ungewollt schwanger, ist von der Arbeit überlastet. Das Ich in den Gedichten fühlt sich ungeliebt und einsam. Schon das Leben des Kindes ist angefüllt mit Arbeit, sei es bei der Beaufsichtigung der jüngeren Geschwister, deren Aufzucht trotz Liebe strapaziös ist, oder bei der Mithilfe in Haus und Garten. Die Rede ist von Armut, Hunger und unerfüllten kindlichen Wünschen. In der Schule scheint das lyrische Ich Außenseiterin zu sein, findet sich hässlich und von anderen beleidigt. Daraus entwickelt sich eine große Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit, die die erwachsen Gewordene in der Rückschau dann doch in einzelnen Momenten entdecken kann, etwa dann, wenn der Vater über alles wacht. Nur das lange Gedicht „Rückkehr“ lässt so etwas wie Harmonie und Einssein mit dem Vater oder der Großmutter spüren.

Protokolliert wird die körperliche Entwicklung vom Mädchen zur Frau. Zunächst noch wie ihre Brüder knabenhafter Gestalt und in Hosen gekleidet, fühlt sie sich eher geschlechtslos („die schiefen Knäule der Brüste; die kleben nachts schmerzend; auf deinem rechten Brustbein; du Jungenmädchen“), später als Mädchenmädchen.

Ioana Nicolaie versucht, weiblichem Denken und Gefühlen Ausdruck zu verleihen, besteht dabei auf Authentizität und Übertragung der Wahrheit ins Ästhetische. Sie veröffentlichte in Rumänien seit 2000 unter anderem vier Lyrikbände sowie einen Roman und wird zu den wichtigsten jungen Stimmen der Gegenwartliteratur ihres Landes gezählt. Eva Ruth Wemme hat dazu stimmige Nachdichtungen geschaffen.

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Krümel

Mutter war die beste und mit Abstand
die schönste Frau auf der Welt...

sie fing an bei etwas über ein Meter sechzig

mit rehbraunen Augen und ihre Wimpern bogen die Forellen
in jenem Gewässer voll goldhaltiger Rückstände
das bei den Minen von Rodna farbig wird

sie war ein einfaches Mädchen,
fast immer war sie allein unter der Haut, die wölbte
ihr Kleid aus billigem Stoff,
wölbte es alle zwei Jahre sehr,
noch lang nach dem vierten Kind,
das war ich

Mutter war immer
ein bisschen da, immer ein bisschen größer,
in ihrer aufgeblühten Traurigkeit kramte sie nach Kleingeld,
brachte Arzneien an und Bonbons,
verausgabte sich Tropfen für Tropfen
in den klebrigen Kreuzungen der Stadt,
in der ihre Eltern sie in die Ehe gegeben hatten,
mit ungefähr sechzehn

Mutter lachte viel und sagte mir
wie das ist mit den Dummheiten, wie das ist mit den Nachbarjungs,
mit meinen zahlreichen Brüdern,
mit den kaputten Sandalen, den Geliebten später,
dem Unglücklichsein und der Unruhe

und sie lachte noch mehr
sooft sich zwischen Streit und Wäschewaschen

ein Glück verfestigte,

brachte mich zum Arzt,
kaufte mir die blaue Schuluniform
zwischen Glück und Vergessen

und lachte

zum Lachen musst du die Asche ausfegen,
lass leuchtend die Lauge übers Leinen gleiten

und sie lachte weil sie wusste,
dass sie nicht eines Sonntags weggehen würde,
nicht eines Sonntags uns und Vater vergessen
um ihre Hysterie zu ersticken,
um die entsetzliche Angst zu verpfänden,
in der sie fast immer schwebte
wie in einem Wirbelsturm

und lachte
über ihr Leben aus Zellophan,
über die Fragen, die mit den Altkleidern auf dem Dachboden verkamen,
über die Feiertage, an denen sie inmitten anderer Mütter
keinen Geburtstag hatte,
sie kochte schlecht, immer schlechter
und ihre goldhaltigen Wimpern wurden finster
zwischen dem einen und anderen Elternsprechtag,
zwischen der einen und andern Angst...

Mutter war ein verrückter Backfisch
und blieb so, eine kleinere Schwester
an die ich oft denke,

die mir fehlt obwohl ihr Haar schütter obwohl sie fett geworden ist...



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