Buch, Deutsch, 176 Seiten, Format (B × H): 145 mm x 200 mm, Gewicht: 326 g
Reihe: Epik
Roman
Buch, Deutsch, 176 Seiten, Format (B × H): 145 mm x 200 mm, Gewicht: 326 g
Reihe: Epik
ISBN: 978-3-86356-188-8
Verlag: Pop, Traian
Die Autorin über „Der Himmel im Bauch“
Ich habe „Der Himmel im Bauch“ so geschrieben, wie man eines Morgens den Schrank öffnet und sich das schönste Kleid anzieht. Man fragt sich nicht, ob dafür das richtige Wetter ist, ob man im Büro oder der Straßenbahn unpassend gekleidet erscheinen könnte. Mit großen Blumen, sommerlich, duftig oder nicht, grade oder glockenartig, deine kleine Verrücktheit, die du wenigstens für einen Tag nach außen trägst. Ich habe dieses Buch zweifach geschrieben. Erst in Fragmenten - einfach und ohne jede Literarizität - über die Tage, in denen ich selbst schwanger war. Dann durchzog ich den Text, ohne dabei an ein Genre zu denken, mit Prosa und Lyrik und setzte dabei vor allem auf Authentizität.
In „Der Himmel im Bauch“ bin ich Mutter, kartographiere mein neues Leben - mit meinen elf Geschwistern an der Seite, anderen Müttern, die ich kannte oder über die ich in der Zeitung gelesen hatte, einem kleinen, ungeborenen Jungen und immer ganz nah Mir, Mircea Cartarescu, der zukünftige Vater.
Dieses Buch handelt nicht von der Gnade der Mutterschaft, sondern von Krankenhäusern, Vorurteilen und konkretem Leid. Es handelt von uns, von dem neuen Jahrhundert, dessen Perle wir auf dem Abakus weitergeschoben haben. Über das Wunderbare, die Menschheit und die Liebe. Es ist ein Buch darüber, wie und dass sich die Geschichte durch die Frauen hindurch fortsetzt.
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Unansehnliche Anarchie
Vor 18 Jahren lernte ich Ioana Nicolaie kennen. Wir waren beide eigentlich noch Mädchen. Wir erkannten auf Anhieb, dass wir etwas gemeinsam hatten, das unsere Freunde, Schriftsteller, Übersetzer, nicht teilten, so sehr sie sich auch anstrengten: Wir waren beide vom Land, wir waren beide in weiter Entfernung von unserem jetzigen Leben zur Welt gekommen, und dazu als Mädchen. Wir kannten nicht nur die Farben der Wiesen in allen Jahreszeiten und ihre Lichtschattierungen.
Wir kannten die Grundlagen der Heuernte, der Viehfütterung, wir hatten barfuß in allen Arten Schlamm gestanden. Die Daten der Unerbittlichkeit von Wetter, Zeit, Schicksal, innerem Kampf funkten auf eine ganz unpoetische Art in unsere Erinnerung. Unsere Art, Wörter zu sprechen, zu schreiben, zu lesen, war eine grundlegend andere als die der Literaten um uns herum, wir verstanden die Verwandlung, die wir in unseren Körpern durchmachten, als eine Art Anarchie, unsere Leben waren unlogisch, wir kamen aus den Wäldern und gaben uns elegant zwischen Manuskripten, Essays, diskutierten Worte im Einzelnen und hatten dabei eine gewisse Art unansehnliche, erdige Aufmüpfigkeit zur Verfügung - mit der wir uns den Erwartungen der anderen entzogen, die uns mächtig sein ließ, wenn wir es wollten. Ja, so projiziere ich auf Ioana, wie sie mir damals begegnete, ich fühlte mich bis in die Zehenspitzen solidarisch mit ihr. Eine gute Grundlage, um die schicksalhafte Sprachblutsbrüderschaft… -schwesternschaft zwischen Autorin und Übersetzerin einzugehen.
Aus Solidarität, aus Liebe zu unseren geheimen, unter Kajal und Puder immer ungeschminkten, wilden Gesichtern, die wir aneinander erkannten, übersetzte ich ihren Gedichtband „Der Norden“, noch ohne an einen Verlag zu denken. 2008 erschien er im Pop-Verlag. Ioana schrieb darin über ihre Kindheit, ihre Herkunft aus einer großen Fremde, dem Norden Rumäniens. Ich notierte ihre Worte in meiner Sprache, übersetzt: Ich legte mein aufgeschnittenes Handgelenk an ihrs.
Damals gab es bereits den vorliegenden Band auf Rumänisch, Ioana hatte kurz zuvor ihren Sohn geboren, ich habe ihn in seinem Bett liegen sehen, habe ihn aber nicht im Arm gehalten, nur sie, die Mutter. In der Widmung, die mir Ioana in ihr Buch schrieb, nannte sie dieses Buch die Radiographie einer schwer sichtbar zu machenden Zeit.
Ich habe das Buch, nachdem ich es nach Hause getragen hatte, versucht zu übersetzen, ich wusste damals, 2005, dass es mich reizte. Aber noch war mir das Buch nicht ganz zugänglich, ich übersetzte es zur Hälfte und gab dann auf. Als ich selbst Mutter wurde, nahm ich es wieder in die Hand. Vorher waren mir viele Stellen schleierhaft erschienen, jetzt verstand ich jedes Wort, oder: Ich verstand jede Leere zwischen den Wörtern - die Öffnung der Sprache in den leeren Raum der gepressten Buchseite oder der schweigend atemholenden Stimme, in das Unsagbare oder Nochnichtgesagte. Auf diese Weise sprach das Buch von dem, was sich mir in beruflicher, künstlerischer und privater Beschäftigung mit dem Thema der Geburt inzwischen eröffnet hatte. An den Stellen, an denen die Gelenke der Metaphern sich in Auflösung befinden, erkannte ich aus der eigenen Erfahrung heraus eine verblüffende schriftstellerische Präzision. Es gab dort tatsächlich eine radiographische Genauigkeit, mit der Ioana die Prozesse der Schwangerschaft, der Mutterwerdung und der diesen Vorgang umgebenden Welt beschreibt: die Zusammenhänge von eigenem Körper, Gesellschaft, Normen, Werten, Historie, dem Körper eines unbegreiflich im eigenen Selbst heranwachsenden anderen Menschen, die großen und kleinen Erzählungen der Mutterschaft. Ich wusste: Ioana berührte mit diesem Buch ein wie unter Tabu stehendes Thema: die schöpferische, gebärende Weiblichkeit - in einem überhaupt nicht esoterischen Sinn, wohin es in letzter, beschämter Not oft geschoben wird. Ich sah jetzt deutlich das Buch als Geste einer unansehnlichen Anarchie, - eins der Kriterien, die ich für mich zum Maßstab für die Schönheit von Texten gemacht habe. Unansehnlich im Sinne von: unschmeichelhaft der künstlerischen Wahrhaftigkeit, nicht der geltenden, männlichen Ästhetik verpflichtet.
Ioana ruft auf anarchische, also unerhörte, gegenwärtige Weise die Felder ihres Themas ins Licht.
Gabriela Adame?teanu schreibt in ihrem Vorwort zur rumänischen Ausgabe:
„Der poetische Mut der Weiblichkeit lässt die Autorin die Schwangerschaft als einen intensiven, poetischen Zustand „wiedererlangen“, als eine profane und zugleich himmlische Erfahrung…“
(…) „Ein Kind zu erwarten ist für die Bewohner Rumäniens in den letzten zwei Jahrzehnten ein Grund zu großem Stress geworden. Ein kollektiver Zustand ist entstanden, in dem Mutterschaft abgelehnt wird, wobei die Ausnahmen nicht mehr zählen. Tiefgreifend, bezaubernd, so stellt Ioana Nicolaies Buch einen Akt des Exorzismus dieser negativen Gefühle dar, ein natürliches, modernes Sich-Hineinbegeben in die Normalität.“
Eva Ruth Wemme