E-Book, Deutsch, 465 Seiten
Neumann Verloren in der Neuen Welt
2. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7598-3518-5
Verlag: epubli
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Historischer Roman
E-Book, Deutsch, 465 Seiten
ISBN: 978-3-7598-3518-5
Verlag: epubli
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Katharina Kettler könnte ein ganz normales Mädchen vom Lande sein und ein vorgezeichnetes Leben wie so viele Frauen in Westfalen des späten 19. Jahrhunderts führen. Nichts anderes hätte sie sich gewünscht. Doch das Schicksal meint es von Anfang an anders mit ihr! Denn Katharina besitzt ein Talent, sich selbst wiederholt in Situationen zu bringen, die einen geregelten Lebensweg unmöglich machen. Als ledige Mutter ohnehin am Rande der Dorfgemeinschaft lebend, zwingt sie der unnatürliche Tod ihres Lohngebers der dörflichen Idylle zu entfliehen und ihr Glück im angrenzenden Ruhrgebiet zu suchen. Nicht bloß wegen ihres Hanges zum Gelegenheitsdiebstahl scheitert auch dies so kläglich, dass Katharina gezwungen ist, die Heimat und sogar den Kontinent zu verlassen. Ihre geliebte Familie zurücklassend besteigt Katharina ein Dampfschiff nach Amerika. Bereits auf der Reise kommt es erneut zu einer schicksalhaften Begegnung, welche die junge Frau bis in die Straßen von New York hinein verfolgen wird. Vollkommen allein in einer neuen Welt und einer monströsen Stadt sieht sich Katharina nicht nur selbst gemachten Schwierigkeiten gegenüber, sondern gerät auch in ein mörderisches Geflecht von Menschenhandel und Menschenversuchen. Begleiten Sie Katharina Kettler in diesem historischen Krimi, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts spielt. Gehen Sie den Weg einer (fast) normalen Frau im Zeitalter der industriellen Revolution mit, der sie von einem westfälischen Dorf ins Ruhrkohlerevier und dann über den Hamburger Hafen bis in die Five Points von New York führt. Was hat es mit dem Mann mit dem verätzten Gesicht auf sich, der Katharina bereits auf dem Auswandererschiff begegnet ist? Was haben die unleserlichen, medizinischen Notizen zu bedeuten, die ihr versehentlich in die Hände geraten sind? Wie muss man das merkwürdige Verhalten des Armenarztes Jacob Mendel aus der Lower East Side deuten, bei dem Katharina nicht sicher ist, ob sie ihn lieben oder fürchten soll?
Liebe Leser, vielleicht haben Sie schon einen meiner früheren Romane gelesen, die ich unter Simone Neumann veröffentlicht habe. Das sind 'Des Teufels Sanduhr', 'Die Schlüsselträgerin', 'Das Geheimnis der Magd' sowie 'Die Flucht der Gauklerin' - vier historische Romane, die bei Goldmann, Bertelsmann und Weltbild erschienen und aktuell als E-Books bei dotbooks erhältlich sind. Neben meiner Tätigkeit als Online-Marketing-Managerin, die ich unter meinem tatsächlichen Namen Simone Bahmann ausübe, widmet sich mein Alter Ego 'Simone Neumann' nach längerer kreativer Pause endlich wieder dem Schreiben. Ich freue mich, Ihnen nun über epubli mit 'Verloren in der Neuen Welt' eines meiner großen Herzensprojekte anbieten zu dürfen. Ihre Simone Bahmann (alias Neumann)
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Kapitel I
Ein kleines Dorf in Westfalen im Mai 1869: Das hatte sie nicht gewollt. Was sollte Katharina jetzt tun? Da lag er. Mausetot. Daran bestand nicht der geringste Zweifel. Man musste nur in seine weitgeöffneten, starren Augen blicken, um zu wissen, dass Bernhard Wennemann in Zukunft keine Möglichkeit mehr finden würde, sie zu beschimpfen, herumzustoßen oder unsittlich zu berühren. Das würde er bestimmt nie wieder tun. „Oh, Gott! Oh, Gott! Oh, Gott“, flüsterte sie hinter vorgehaltener Hand vor sich hin und konnte sich nicht rühren. Wie schnell das alles gegangen war! Das war doch nicht möglich! Katharina schloss für eine Weile die Augen. Doch als sie sie wieder öffnete, war die Lage nach wie vor dieselbe. Sie musste jetzt irgendetwas unternehmen. Sie konnte nicht hierbleiben und abwarten. Zu retten war er nicht mehr. Das war offensichtlich. Was, wenn man sie beide hier so fand? Die Leute werden sie eine Mörderin nennen oder wenigstens eine Totschlägerin. Vor Gericht wird sie sicherlich müssen und dann wartete womöglich der Galgen auf sie. Dabei hatte sie sich doch nur zur Wehr gesetzt. Doch würde man ihr das glauben? „Reiß dich zusammen, Trine“, sagte sie leise und versuchte die Situation zu überblicken. Das war nicht einfach, denn sie bebte am ganzen Körper, ihr Herz zersprang bald in der Brust und in ihrem Kopf tobte ein Wirbelsturm. „Reiß dich zusammen!“, wiederholte sie. Katharina befand sich oben auf dem Heuboden des Stalles und schaute durch die geöffnete Luke in die große Diele hinab. Von dort aus starrte Bauer Wennemann mit weit aufgerissenen Augen zurück. Er lag rücklinks auf seinem neuen Pflug. Es sah so aus, als habe sich das scharfkantige Gerät in seinen Rücken gebohrt, denn um Wennemann herum begann sich langsam eine dunkle Blutlache zu bilden. So, wie er dalag, hätte er ebenso gut auch das Opfer eines Unfalls sein können, dachte Katharina. Ja, es sah ganz nach einem tragischen Unglück aus. Er war gestolpert und durch die geöffnete Luke hinabgestürzt. Es sind schon viele vom Heuboden in den Tod gefallen. Doch was war wirklich geschehen? Katharina hatte den Heuboden gefegt, als der Bauer fluchend und schimpfend die Leiter hochkam. Wieder einmal hatte er seine Aushilfsmagd schlagen wollen, hatte ihr unterstellt, Eier gestohlen zu haben. Aber nicht nur das, ein ganzes Huhn fehle ihm. Er sei sich sicher, hatte er gebrüllt, es auf dem kläglichen Hof von Katharinas Eltern im Staube pickend wiederzufinden. Doch dieses heruntergewirtschaftete, stinkende Loch würde er erst gar nicht betreten. Sollen sie doch an dem Huhn ersticken, allen voran die kleinen Bastarde, die Katharina sich regelmäßig von Landstreichern einfinge. Das war bereits zu viel für Katharina gewesen. Doch dann hatte er sie auch noch gepackt, um sie nach möglichem Diebesgut zu untersuchen. Als er begann unter ihren Rock zu greifen, schaffte sie es irgendwie, sich loszureißen und ihm ins Gesicht zu schlagen. Daraufhin war er vollends außer sich geraten. Mit hochrotem Kopf und weit geöffnetem Mund stürzte er auf sie los. Katharina rannte davon in Richtung der offenen Luke. Doch sie schaffte es nicht, die Leiter zu erreichen. Es gab ein Gerangel. Ob sie Wennemann dabei versehentlich oder absichtlich die Luke hinunterstieß – daran wollte Katharina sich nicht mehr erinnern. Nun lag er da - mausetot. Wie sehr sie sich wünschte, dass er sich doch noch einmal regte, dass er einfach aufstand, sie wieder anzuschreien begann und ihr eine Ohrfeige verpasste. Doch diesen Gefallen tat er ihr nicht. Katharina verharrte noch eine Weile, dann stieg sie langsam und zitternd die Leiter hinunter, schlich - den Blick abwendend - an der Leiche vorbei und nahm aus einem Holzregal in der Diele einen schweren Hammer. Dann stieg sie erneut die Leiter bis fast nach oben hinauf und schlug mit dem Hammer gezielt auf die drittletzte Sprosse ein, bis sie in der Mitte brach. Anschließend stieg sie wieder hinunter und ließ die Leiter nach hinten kippen, sodass diese nicht mehr vorne, sondern an der Rückseite der Luke angelehnt war. Beobachtet wurde sie dabei lediglich von der Hofkatze, die jedoch unbeeindruckt zu sein schien. Katharina legte den Hammer zurück an seinen Platz und ging hinaus in Richtung Schweinestall, um dort auszumisten. Seit mehr als vierundzwanzig Jahren lebte Katharina Kettler nun schon in diesem Dorf. Sie war dort geboren, aufgewachsen und so gut wie nie an einem anderen Ort gewesen, obwohl sie das Leben hier verabscheute. Es war ihr eine Last, morgens aufzustehen, den Kotten ihrer Eltern zu verlassen und die Dorfstraße zu betreten. Zu Festen ging sie nie und selbst in der Kirche ließ sie sich nur an den wichtigsten Feiertagen blicken. Wenn ihr jemand aus dem Dorf begegnete, grüßte sie leise murmelnd und blickte sofort wieder zu Boden. Überall in der Öffentlichkeit spürte sie die verächtlichen Blicke und hörte das böse Murmeln hinter vorgehaltener Hand. Ob das wirklich so war oder ob Katharina in ihrer Empfindlichkeit manches Verhalten falsch deutete, ist nicht sicher. Sicher jedoch war: Katharina war anders als alle anderen jungen Frauen aus diesem Ort. Und sicher war auch, dass niemand Anständiges etwas mit ihr zu tun haben wollte. Sie war eines von den Mädchen, von denen die Dorfburschen sagten, sie tauge nur, um mit ihr ab und an hinterm Busch zu verschwinden. Der Grund für dieses Ausgestoßensein war nicht die Armut ihrer Familie, sondern Katharinas Vergangenheit. Mit neunzehn Jahren hatte sie sich von einem Unbekannten schwängern zu lassen. Ein Zigeuner sei es gewesen, so ging das Gerücht im Dorf. Und als wäre das nicht schmachvoll genug, hatte Katharina bereits zwei Jahre später ein weiteres Kind zur Welt gebracht. Von wem auch immer dieser kleine Bastard abstammte. Verdächtige gab es reichlich, allesamt waren es Durchreisende - versteht sich. Denn kein Mann aus der Nachbarschaft wollte jemals wirklich etwas mit ihr zu tun gehabt haben, auch wenn man sich in der Dorfkneipe gern und in allen Einzelheiten über sie unterhielt. Katharina selbst wusste es besser, aber sie schwieg, erduldete und träumte von einem anderen Leben. Ein kleiner Ort war es, am Rande einer kleinen Stadt, welche wiederum am Rande eines monströsen Gebildes gelegen war, das sich seit einigen Jahrzehnten um das Flüsschen Ruhr herum auszubreiten begann. Dort wuchsen Fördertürme in den Himmel und unter der Erde arbeiteten Hunderte, mittlerweile sogar Tausende von Männern, die das schwarze Gold zu Tage brachten. Kohle, welche zu so vielen modernen Zwecken unabdinglich war und die dieser neuen Zeit ihren Antrieb gab. Alles war in Bewegung, alles veränderte sich, nur Katharinas Leben stand still - und das war ihre eigene Schuld. Was für eine Zukunft hatte eine Frau wie sie? Jung zwar, aber ohne Geld, hübsch, aber mit zwei kleinen Kindern? Sie hatte froh sein können, in diesem Örtchen hier und da eine vorübergehende Arbeit zugeteilt zu bekommen. Ein paar Taler hatte sie sich verdienen können, indem sie bei der Ernte oder beim Schlachten half, indem sie vor dem Pflügen Steine von den Äckern auflas oder Laub zusammenkehrte. Doch nun? Nun hatte sie einen der einflussreichsten Männer des Ortes auf dem Gewissen. Und damit war endgültig alles aus. Verwirrt ging sie ihres Weges, immerzu starr auf den Boden blickend; erst als sie sich in der Nähe des Häuschens ihrer Eltern wusste, schaute sie nach oben. Es versetzte ihr einen Stich, ihre Mutter freundlich winkend in der Tür stehen zu sehen. Schon wieder müsste sie ihre Eltern enttäuschen, diese guten, treuen Menschen, die nichts besaßen außer Liebe. Eine unerschütterliche Liebe, die Katharina so oft aus misslicher Lage geholfen hatte, die ihr Halt gab, ihr aber dennoch weh tat. Denn diese guten Leute hatten es nicht verdient, ihr weniges Geld und ihren bescheidenen Ruf für solch eine verdorbene Tochter zu opfern. Katharina betrat das winzige, schiefe Fachwerkhäuschen, welches die Familie bereits seit Generationen bewohnte. Seit einigen Jahrzehnten schon durften sie das Haus und auch ein kleine Stück Land ihr Eigen nennen. Die Grundherrschaft gehörte der Vergangenheit an, doch für diese Freiheit musste man bezahlen. Zwanzig Jahre noch würden sie die Tilgungsraten und Zinsen an die Rentenbank abstottern, die ihnen das Darlehen für die Übernahme des Hofes zur Verfügung gestellt hatte. Eine Belastung, die tragbar gewesen war, solange der Vater und Katharinas Brüder als Dorfschäfer ein zusätzliches Einkommen hatten. Doch mittlerweile gab es kaum noch Schafe im Ort. Wolle war bloß für den Eigenbedarf gefragt. Auch Leinenweberei stellte keine Einnahmemöglichkeit mehr dar, denn in Fabriken hergestellte Baumwolle hieß das Massenprodukt der neuen Zeit. Die Kettlers waren also eine Familie, der die Zeiten des allgemeinen Wandels weniger gut mitgespielt hatte, dennoch waren sie, mit Ausnahme Katharinas, keineswegs unglücklich. Vater wie Mutter verfügten über ein geduldiges Gemüt und während der Alte von besonders humorvoller Natur war, ging die fromme Anna Kettler in der Fürsorge für ihre Kinder und Enkelkinder auf. Drei von fünf Kindern waren ihnen geblieben, zwei Jungen und Katharina. Die beiden Brüder hatten bereits die wenigen Meilen hin zu den aufstrebenden Städten an der Ruhr zurückgelegt, um dort im Kohlebergbau zu arbeiten. Katharina lebte als Einzige daheim und das würde sich auch nicht ändern. Kein Mann würde das Mädchen heiraten und zusätzlich noch zwei weitere kleine Mäuler stopfen wollen. Aber es war nicht die Art der Kettlers sich darüber zu sorgen. Im Gegenteil,...