E-Book, Deutsch, 300 Seiten
Reihe: Piper Spannungsvoll
Neumann Finsternis im Herzen
18001. Auflage 2018
ISBN: 978-3-492-98478-2
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Thriller
E-Book, Deutsch, 300 Seiten
Reihe: Piper Spannungsvoll
ISBN: 978-3-492-98478-2
Verlag: Piper ebooks in Piper Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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Sonntag
Eva Langenberg und ihr Mann Lars hatten gekocht. Etwas Leichtes, Fischfilet mit Senfsauce, grünen Bohnen und Reis, weil sie danach noch etwas vorhatten. Sie wollten ein Baby machen. Eva war im letzten Monat 36 Jahre alt geworden, es wurde also langsam Zeit. Alle ihre Freunde hatten bereits Familien gegründet. Eva schob den halbvollen Teller von sich. Normalerweise liebte sie es, mit Lars zu kochen. Und danach gemütlich vorm Fernseher zu sitzen und seine Weinsammlung zu dezimieren. Für andere Hobbys ließ ihnen sein stressiger Klinikalltag auch kaum Zeit. Aber heute bekam sie ihr Essen einfach nicht herunter. »Möchtest du einen Espresso?«, fragte Lars, der offenbar auch Zeit schinden wollte, bevor es zur Sache ging. Eva nickte und beobachtete ihren Mann, der die beiden Teller in die Spüle stellte und sich an seinem heiß geliebten Edelstahlkaffeeautomaten zu schaffen machte. Ein Designerstück, das er sich selbst zum letzten Geburtstag geschenkt hatte. Mit geübten Bewegungen ließen seine Chirurgenfinger den Siebträger in seine Halterung einrasten. Er drückte auf Start und beobachtet die dampfende Flüssigkeit, die durch das Pulver in die Tassen gepresst wurde, als müsse sie dabei beaufsichtigt werden. Eva wurde mulmig, wenn sie an das dachte, was sie gleich tun würden. Sie mochte Kinder. Keine Frage. Aber bei dem zahlreichen Nachwuchs ihrer Freunde hatte sie sich einen guten Eindruck davon verschafft, was auf sie zukommen würde, wenn sie die Verantwortung für einen neuen Menschen übernahm. Und sie war sich nicht sicher, ob sie das wirklich wollte. Trotzdem, manchmal konnte sie förmlich spüren, dass etwas in ihrem Leben fehlte. Sie hatte einen guten Job, einen Mann, um den sie jede Frau beneidete – rein objektiv ging es ihr so gut wie noch nie. Und doch spürte sie diese Leere tief in sich drin. Ein Kind würde diese Lücke füllen. Hoffte sie. Lars zog die schweren Vorhänge im Schlafzimmer zu und zündete Kerzen an. Das hatten sie lange nicht mehr getan. Allerdings war es auch sehr lange her, dass sie sich überhaupt Zeit für Sex genommen hatten. Meistens fielen sie abends todmüde nebeneinander ins Bett und schliefen auf der Stelle ein. In letzter Zeit hatte sie manchmal sogar während des Akts auf den Wecker geschaut und die Stunden gezählt, die sie noch würde schlafen können. Aber war das nicht normal, wenn man so lange zusammen war? Eva legte ihre Brille auf ihr Nachttischchen. Lars trat zu ihr ans Bett und küsste sie, ein wenig unbeholfen. Dann ließen sie sich auf das breite Bett sinken. Lars rollte sich zur Seite, um sein Hemd besser aufknöpfen zu können. Eva hatte es mit ihrem dünnen Pulli leichter. Mit geübten Bewegungen zogen sie sich aus. Eva hatte extra neue Unterwäsche gekauft, die unbeachtet auf dem Holzparkett landete. Jetzt waren sie beide nackt. Lars drehte sich zu ihr, streichelte ihren Hals, ihre Brüste, während sie versuchte, sich zu entspannen. Doch es wollte ihr einfach nicht gelingen. Sie hielt seine Hand fest, die sich routiniert nach unten vorarbeitete. Er öffnete die Augen und schaute sie überrascht an. »Alles in Ordnung?« »Ja. Nein.« Direkt neben dem Bett stand Max, Lars’ alter Kater, der sie missbilligend anschaute. »Irgendwie hab ich mir das anders vorgestellt – romantischer«, erklärte sie. »Das kriegen wir schon hin«. Lars deutete ihr an, sich auf den Bauch zu legen. Eva drehte sich um, und wie zufällig schubste sie dabei ein Kissen vom Bett, das auf dem Kater landete; mit einem beleidigten Maunzen trottete er davon. Lars begann ausgiebig, ihren Nacken zu massieren. Die Anspannung ließ langsam nach. Lächelnd drehte sie sich um und küsste ihn. Sie hatten sich seit Ewigkeiten nicht mehr richtig geküsst. »Besser?«, fragte Lars. »Allerdings.« Das könnte der Beginn eines neuen Lebens sein, dachte Eva, als Lars in sie eindrang. Wenige Minuten später spürte sie, dass er kurz davor war, zu kommen. Für einen kurzen Moment zog sich etwas in ihr zusammen. Da klingelte ihr Handy. »Nicht jetzt, das darf nicht wahr sein«, erklärte Lars keuchend. »Ich hab Bereitschaft, ich muss drangehen«, erwiderte Eva, und Lars ließ sich frustriert auf den Rücken fallen. Eva griff nach ihrer Brille und lief durch den ewig langen Flur ihrer geräumigen Altbauwohnung ins Wohnzimmer, in dem ihr Telefon unermüdlich vor sich hin klingelte. »Ich bin sofort da«, versprach sie ins Handy und notierte die Adresse. »Ein Toter, in Kaiserswerth«, erklärte sie Lars, als sie auf dem Weg in ihren begehbaren Kleiderschrank am Bett vorbei kam. »Ankleidezimmer« nannte sie diesen Raum insgeheim. Fertig angezogen, eilte sie zurück ins Wohnzimmer. Lars saß inzwischen vor seinem Laptop. Max lag zufrieden schnurrend neben ihm. »Versuch bitte, leise zu sein, wenn du zurückkommst. Ich muss morgen früh raus«. Er bemühte sich erst gar nicht, seinen Unmut zu verbergen. Vor dem Fenster zerrten Windböen an den Ästen der Ginkgobäume und kündigten den ersten Herbststurm an. Bald würde es regnen. »Glaubst du nicht, dass ich den Abend lieber mit dir verbringen würde?«, fragte Eva ihren Mann. »Warum tust du es dann nicht?«, antwortete er. Lars hatte nie verstanden, warum es ihr so wichtig war, noch befördert zu werden, bevor sie Kinder bekam. Er verdiente schließlich genug Geld für sie beide. Eva seufzte, während sie ihre Walther P99 aus dem kleinen Tresor nahm und vorsichtig an ihrem Gürtel befestigte. Sie war zwar gesichert, aber Eva befürchtete trotzdem, dass sich irgendwann ein Schuss aus ihr lösen könnte. Lars stand auf und trat zu ihr. »Ich will dich ja unterstützen. Aber ab und zu will ich dich auch sehen«, erklärte er und legte die Arme um sie. »Und dieses Ding passt einfach nicht zu dir«, fügte er mit einem Blick auf ihre Waffe hinzu. Eva lächelte ihn an. »Sobald ich schwanger bin, lass ich mich wieder in den Innendienst versetzen. Versprochen.« *** Vor der Villa in Kaiserswerth hatte sich bereits die lokale Presse versammelt. Ihre Autos blockierten sämtliche legalen und weniger legalen Parkplätze, sodass Eva ihren VW Passat ein ganzes Stück die Straße hinunter abstellen musste. Graue Wolken zogen über den Himmel, heute würde es schnell dunkel werden. Es roch nach Regen. Das Blaulicht eines Streifenwagens warf seinen flackernden Schein auf den Gehweg und die Bäume, die die breite Allee säumten. Kriminalhauptkommissar Carsten Dreier, Evas neuer Chef, stand vor einer hohen Mauer auf dem Bürgersteig und stritt sich mit einem Journalisten. Er gab einem uniformierten Kollegen ein Zeichen, die Tür in dem metallenen Tor zu öffnen, als Eva bei ihm ankam. »Die werden immer dreister«, begrüßte er seine Mitarbeiterin. Sie zwängten sich durch den Spalt, den die Tür freigegeben hatte. Lautstark konkurrierten die Kameramänner und Fotografen um den besten Schuss auf das Grundstück. Nachdem sich die Tür wieder geschlossen hatte, herrschte mit einem Mal Ruhe. Eva hatte Mühe, mit Dreier Schritt zu halten, während sie durch den großzügigen, perfekt gepflegten Vorgarten der Villa eilten. »Die anderen sind schon da«, sagte Dreier. Klang da ein leiser Vorwurf mit? Sie liefen um das zweigeschossige Gebäude herum, das im kühl eleganten Bauhausstil gehalten war: Glas und weiß gestrichene Backsteine. Das Grundstück war riesengroß, allein im Vorgarten hätte man bequem Fußball spielen können. Ein breiter Kieselweg führte sie in den hinteren Garten, der direkt aus einem Schöner-Wohnen-Magazin entsprungen zu sein schien. Eva war durch ihren Mann häufig Gast in repräsentativen Häusern gewesen, aber das hier war eine völlig andere Liga als die Vorstadtvillen der Chefärzte und der Mitglieder des Tennisclubs. Die Abendsonne hatte sich durch die dunklen Wolken gekämpft und hüllte die geschmackvoll arrangierte Pflanzenpracht in ein warmes Licht. Ein Meer farbenfroher Blumen und Sträucher zierten den Weg, der zu einer Holzbrücke über einen Teich mit bunten Fischen führte. Das rot-weiße Flatterband, mit dem die Kollegen von der Schutzpolizei den hinteren Teil des Gartens abgesperrt hatten, wirkte in dieser Idylle völlig fehl am Platz. »Das Opfer ist sieben Jahre alt und heißt Abasi. Das Kind wurde vor drei Tagen von Hagen und Anna Seeger adoptiert, denen gehört das alles hier«, klärte Dreier Eva auf. Dann sah er sie kurz an. »Haare.« Eva brauchte einen Moment, um zu verstehen. Glücklicherweise fand sie direkt in ihrer Handtasche ein Haargummi, mit dem sie versuchte, ihre braunen Locken zu bändigen. Was gar nicht so einfach war. Sie hatte sich ihre langen Haare auf Kinnlänge herunterschneiden lassen, um für ihren neuen Job seriöser auszusehen. Sie waren bis auf wenige Meter an das Absperrband herangekommen. Jetzt erst sah Eva den Körper vor dem Busch am Rand des sauber gemähten Rasens. Ein Strahl der untergehenden Sonne traf direkt auf die klaffende Halswunde des kleinen Jungen. Eva blieb wie angewurzelt stehen, ihr Blick magisch angezogen von dem Grauen vor ihr. Unbewusst fasste sie sich an ihre Halskette, eine kleine rote Blüte aus Korallen. Sie hatte sich den Anhänger als Glücksbringer für den neuen Job gekauft, um die Stimmen in ihrem Inneren zu beruhigen, die regelmäßig Zweifel an ihrer Entscheidung, zur Mordkommission zu wechseln, äußerten. Einatmen, ausatmen, einatmen … befahl sie sich. »Morelli, wir sind jetzt vollständig!«, rief Dreier einem Mitarbeiter zu, der neben der Leiche kniete und den toten Jungen sorgfältig betrachtete, während er sich mit einem Kollegen im weißen Ganzkörperoverall unterhielt. Er stand auf, streifte die Schutzüberzüge von seinen Turnschuhen und kam auf sie zu. Eva mochte Marius Morelli,...