Neudeck | In uns allen steckt ein Flüchtling | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 6251, 170 Seiten

Reihe: Beck Paperback

Neudeck In uns allen steckt ein Flüchtling

Ein Vermächtnis
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-406-69921-4
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Ein Vermächtnis

E-Book, Deutsch, Band 6251, 170 Seiten

Reihe: Beck Paperback

ISBN: 978-3-406-69921-4
Verlag: Verlag C. H. Beck GmbH & Co. KG
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Rupert Neudeck, als Kind aus Danzig geflohen, hat sich ein Leben lang für seine Mitmenschen eingesetzt. Nur wenige haben so viel Erfahrung mit Flüchtlingen sammeln können wie der Gründer von Cap Anamur, der seit 1979 die vietnamesischen Boat People aus dem südchinesischen Meer fischte. Überall auf der Welt hat er geholfen, seit 2012 auch in Syrien. In seinem letzten Buch beschreibt er anhand eigener Erlebnisse, was es heißt, auf der Flucht zu sein und erinnert uns daran, dass jeder von uns zum Flüchtling werden kann. Er erzählt von denen, die schon unterwegs sind, sowie von denen, die noch kommen werden. Er verteidigt Deutschlands offene Flüchtlingspolitik und er macht Vorschläge, wie die Integration gelingen kann. Eine berührende Bilanz dieses Lebens für Flüchtlinge und eine inspirierende Lektüre für alle, die nicht wegschauen, wenn andere in Not sind.

Neudeck In uns allen steckt ein Flüchtling jetzt bestellen!

Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


1;Cover;1
2;Titel;3
3;Zum Buch;170
4;Über den Autor;170
5;Impressum;4
6;Inhalt;5
7;Vorwort;7
8;I. Unsere Flucht aus Danzig und das Flüchtlingsschiff Wilhelm Gustloff;13
9;II. Den Boatpeople musste geholfen werden;33
10;III. Flüchtlinge gibt es überall auf der Welt;79
11;IV. Die Flüchtlinge kommen;109
12;V. Gelingende Integration;141
13;Literatur;169


IV Die Flüchtlinge kommen
Die Bundesrepublik war auf einmal nicht mehr wiederzuerkennen. Alles begann im Oktober 2014, als Innenminister Thomas de Maizièrej die erfolgreiche Seenotrettungsaktion der italienischen Marine, «Mare Nostrum», stoppte, bei der über 140.000 Flüchtlinge aus dem Mittelmeer gefischt wurden. Das führte bei den Bürgern zu massivem Protest, denn es hieß, dass zwar eine Weiterführung des Projekts angedacht sei, aber es sollten nur noch Rettungseinsätze nahe der Küste erfolgen, nicht mehr auf hoher See. Was vorher 9,3 Millionen Euro gekostet hatte, wurde nun auf drei Millionen Euro kalkuliert, Lasten, die auf Gesamteuropa verteilt werden mussten. De Maizière zog die Reißleine, damit sich die Kosten in Grenzen hielten. Aus Protest begaben sich private Schiffe zur Flüchtlings-Ersthilfe ins Mittelmeer, so etwa der Fischkutter Sea Watch, initiiert von den Unternehmern Harald Höppner und Matthias Kuhnt, beide Brandenburger. Zugleich versammelten sie Ehrenamtliche um sich, Kapitäne, Ärzte, Krankenschwestern. Als Nächstes folgte das Ehepaar Chris und Regina Catrambone aus Malta, das sich das Schiff Phoenix kaufte und eine zwanzigköpfige Mannschaft aus Seeleuten und Medizinern zusammenstellte. Wie Höppner und Kuhnt wollten die Catrambones Flüchtlinge auf eigene Faust retten. Nach ihrem Vorbild machten sich viele auf den Weg, um zu helfen. Wir Deutsche konnten uns selbst kaum wiedererkennen, und auch die Welt war extrem überrascht. Während der Fußball-Weltmeisterschaft hatten die Deutschen bewiesen, dass sie sich begeistern können. Jetzt zeigten sie, dass sie auch helfen können. Die Kirchen wachen auf
Im Juni 2015 wachten die christlichen Kirchen auf. Endlich hatten sie begriffen, dass sie viel stärker für die Flüchtlinge eintreten sollten, als sie es bisher gemacht hatten. Zusammen mit dem Münsteraner Weihbischof Stefan Zekorn und der Ärztin Elke Kleuren-Schryvers, die Vorsitzende der Aktion pro Humanität (APH) ist, suchten wir im Vorfeld den Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki auf. Bei dem eineinhalbstündigen Gespräch brachten wir vor, dass die Kirchen und in ihrem Gefolge die Bürgerinnen und Bürger gut daran täten, Spenden für ein Rettungsboot im Mittelmeer zu sammeln. Doch nicht genug, wir wollten mehr erreichen: Wir meinten, wichtig wäre zudem der Aufbau eines Berufsausbildungszentrums in Nordafrika, am besten gleich von zwei, in Tunesien und Marokko. Auch dafür müsste man Spenden sammeln. Die Aktion hatten wir uns so vorgestellt: Sie sollte nicht im Kölner Dom, sondern vor diesem stattfinden. Auf diese Weise würde man ebenso die Atheisten und die zunehmende Zahl von Agnostikern erreichen. Selbst hartgesottene Agnostiker und Ungläubige, so argumentierten wir, trügen eine Sehnsucht in sich, sich für Menschen aus anderen Weltgegenden und Kulturen einzusetzen. Der Kardinal unterstützte unser Anliegen. Zuerst wollten die Kirchenoberen den Tag vor dem Fronleichnamszug für die spektakuläre Aktion wählen, dann entschied man sich aber für den 19. Juni, es war der Tag vor dem Internationalen Weltflüchtlingstag. Die Domplatte, offiziell der Roncalliplatz, war an diesem Sommertag voller Menschen. Viele waren zu Tränen gerührt, als der bisher 23.000 Toten im Mittelmeer seit dem Jahr 2000 gedacht wurde, als daran erinnert wurde, dass ihr Ertrinken hätte verhindert werden können. Es war zugleich eine Aufforderung, diejenigen zu retten, die sich weiterhin in lecken und maroden Booten übers Mittelmeer wagten. Sämtliche Glocken im Kölner Erzbistum wurden in Gang gesetzt, von insgesamt 230 Kirchen. 23.000 Mal sollten sie unter Anführung des «Dicken Pitters», wie die Kölner die schwerste Kirchenglocke im Dom nennen, die nur zu besonderen Anlässen geschlagen wird, läuten. 23.000 Mal für die 23.000 Toten. Sogar die Menschen auf dem Bahnhofsvorplatz blieben ergriffen stehen. Drei Flüchtlinge kamen während der Solidaritätsveranstaltung zu Wort, sie sprachen stellvertretend für alle Flüchtlinge. Die erste Rednerin war Dai, eine Vietnamesin, Mutter von zwei Kindern und mittlerweile Dozentin für südostasiatische Sprachen und Länder an der Universität Bonn. Es folgte ein Syrer, der es nach vielen Anstrengungen geschafft hatte, mit seiner Frau und den beiden Kindern nach Deutschland zu fliehen. Als Letztes wurde ein Bootsflüchtling aus Eritrea interviewt, Zenagebriel Tekle, zu dessen Fluchtgeschichte ein kleiner, bewegender Film über eine große Videoleinwand lief. Im Mittelpunkt stand aber das Gedenken der Christen verschiedener Kirchen und ein Gebet zu dem Allbarmherzigen, der uns in der Kraft und Entschlossenheit stärken sollte, nicht in unserem Bemühen nachzulassen, den Flüchtlingen zu helfen. Die Vertreter der christlichen Konfessionen wurden spontan von Aiman Mazyek unterstützt, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime in Deutschland, er reihte sich in dieses große spirituelle und politische Erlebnis ein. Kardinal Woelki appellierte an die «Brüder und Schwestern»: «Überfordern wir uns damit nicht?, fragen viele. Hier müssen wir uns klarmachen: Weltweit sind nach den neuesten Zahlen annähernd 60 Millionen Menschen auf der Flucht. Nur ein kleiner Teil von ihnen sucht Zuflucht bei uns in Europa. Der Großteil der Flüchtlinge wird von den armen und vielfach krisengeschüttelten Nachbarländern der Krisenregionen aufgenommen! 90 Prozent aller Flüchtlinge bleiben in den sogenannten Entwicklungsländern Afrikas und Asiens. Im kurdischen Nordirak bedeutet dies konkret, dass auf jeden vierten Einwohner ein Vertriebener kommt. Wir Europäer können mehr leisten als bisher, das ist für mich ein Gebot der Nächstenliebe.» Anschließend trat der Metropolit der koptischen Kirche, Isaak Baraka, ans Mikrofon und verkündete aus dem Evangelium des Apostels Lukas (8, 22–25): «Eines Tages stieg er mit seinen Jüngern in ein Boot und sagte zu ihnen: Wir wollen ans andere Ufer des Sees hinüberfahren. Und sie fuhren ab. Während der Fahrt aber schlief er ein. Plötzlich brach über dem See ein Wirbelsturm los; das Wasser schlug in das Boot und sie gerieten in große Gefahr. Da traten sie zu ihm und weckten ihn; sie riefen: Meister, Meister, wir gehen zugrunde! Er stand auf, drohte dem Wind und den Wolken, und sie legten sich und es trat Stille ein. Dann sagte er zu den Jüngern: Wo ist euer Glaube? Sie aber fragten einander voll Schrecken und Staunen: Was ist das für ein Mensch, dass sogar die Winde und das Wasser seinem Befehl gehorchen?» Ein Text, der jeden auf dem Roncalliplatz anrührte und zu Taten verpflichtete. Diese Taten konnten so aussehen: Jeder Bürger konnte für die Phoenix, die das Ehepaar Catrambone gekauft hatte, einst ein Fischtrawler, Geld spenden. Mit dem Erwerb des Schiffs hatten die Catrambones auch eine Initiative gegründet: Migrant Offshore Aid Station – was so viel heißt wie «Flüchtlingshilfestation auf hoher See», kurz MOAS. Für die Phoenix mussten monatlich 400.000 Euro aufgebracht werden. Die deutschen Bürger hatten sich dieses Schiff auserkoren, ausdrücklich wollte man kein eigenes Schiff chartern, sondern eines, das schon im Mittelmeer war. Kardinal Woelki ging nach dem Sammelaufruf nochmals auf die Sätze ein, die der Metropolit aus dem Lukasevangelium vorgetragen hatte: «Jesus selbst sitzt mit in jedem Boot, in dem Menschen zugrunde gehen. Gott wird keinen einzigen von ihnen vergessen – auf ewig nicht. So wie er Jesus am Kreuz nicht vergessen und dem Tod überlassen hat. Genauso wenig wird er vergessen, ob wir unseren Schwestern und Brüdern geholfen haben. … Ehrfurcht vor dem Leben zu lernen und entsprechend zu handeln, ist die Aufgabe unserer Tage.» Und dann erzählte der Kardinal eine Geschichte aus den Kindertagen von Albert Schweitzer. Ein Junge hatte ihn angestiftet, mit Steinschleudern auf Vögel zu schießen. Er aber hatte Angst, ausgelacht zu werden, wenn er sich für die Vögel einsetzen würde, also nahm er sich vor, sie bewusst nicht zu treffen. In dem Moment, als alle Jungen mit der Schleuder zielten, ertönten die Dorfglocken. Später sagte Schweitzer: «Immer wieder, wenn die Glocken zur Passionszeit im Sonnenschein klingen, denke ich ergriffen daran, wie sie mir damals das Gebot ‹Du sollst nicht töten› ins Herz geläutet haben. Wenn heute die Glocken läuten, erinnern sie uns daran, dass schon viel zu viele Menschen getötet wurden.» ...


Rupert Neudeck (1939-2016) gründete 1979 das Komitee Ein Schiff für Vietnam e.V. (seit 1982 Komitee Cap Anamur/Deutsche Not-Ärzte e.V.), das seitdem als humanitäre „Feuerwehr” auf der ganzen Welt im Einsatz ist. 2003 gründete er gemeinsam mit Ayman Mazyek die Hilfsorganisation „Grünhelme”, die als eine der ersten in Syrien humanitäre Hilfe leistete. Im April 2016 erhielten Christel und Rupert Neudeck den Erich-Fromm-Preis für ihr Leben für Flüchtlinge.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.