Haustiere
Die Kulturgeschichte des Menschen ist seit vielen Tausend Jahren untrennbar mit seinen Haustieren verbunden (Nentwig 2005). Pferd, Rind und Schwein gehören seit 6000–9000 Jahren, Ziege, Schaf und Hund seit 10 000–16 000 Jahren zu den regelmäßigen Begleitern des Menschen in Eurasien, wo diese Tiere domestiziert wurden. Es erstaunt daher nicht, dass diese Haustiere überall dahin mitgenommen wurden, wohin sich die Menschen ausbreiteten. Sofern die Tiere unter menschlicher Kontrolle blieben, war außerhalb des durch den Menschen genutzten Bereiches kein nennenswerter Einfluss auf die Umwelt zu befürchten. Die Tierhaltung war jedoch oft extensiv, das heißt, das Vieh wurde in großen und nicht abgegrenzten Bereichen lange Zeit sich selbst überlassen, sodass regelmäßig Tiere entkamen und verwildernde Populationen aufbauen konnten. Diese wurden oftmals als zusätzlich jagdbares Wild hoch geschätzt. Hieraus entstand der Brauch, bei Entdeckung einer bis dahin unbekannten Insel einige Haustiere auszusetzen, meist Ziegen, Schafe, Schweine oder Esel. Die Tiere etablierten sich leicht und waren bei einem nächsten Besuch der Insel willkommenes Jagdwild. Im Laufe weniger |25? ?26| Jahrhunderte sorgte die europäische Seefahrt auf diese Weise dafür, dass alle geeigneten Inseln der Weltmeere, aber auch alle neu besiedelten Festlandbereiche durch die häufigsten Haustiere besiedelt wurden.
Verwilderte Ziegen (Capra hirta) haben vermutlich den stärksten Einfluss auf die natürliche Vegetation, da sie beim Fressen sehr wenig wählerisch sind. Sie können selbst dann noch Nahrung finden, wenn andere Pflanzenfresser dies nicht mehr können, da sie Stängelteile und Wurzeln, Äste und Baumrinde fressen, ja auch in die Bäume hineinklettern, sodass ein Gebiet völlig überweidet werden kann. Hierdurch verschwinden viele Pflanzenarten, und der Lebensraum verändert seine Struktur. Einheimische Arten können daher in einer Region mit vielen verwilderten Ziegen verhungern.
Verwilderte Schafe (Ovis ammon aries), Esel (Equus asinus asinus) und Pferde (Equus caballus) wirken sich in vielen Bereichen ähnlich wie Ziegen aus, wenngleich sie etwas weniger destruktiv sind. Verwilderte Esel kommen beispielsweise auf Zypern, in den USA und in Australien vor. In den USA ist bekannt, dass einheimische Dickhornschafe (Ovis canadensis) unter der Konkurrenz durch Esel leiden (Marshal et al. 2008). Im Inneren von Australien leben schätzungsweise 1,5 Millionen verwilderte Esel, die einen starken Einfluss auf die einheimische Vegetation haben und hierdurch auch einheimische Herbivore gefährden. Ähnlich verhält es sich in Australien mit verwilderten Dromedaren (Camelus dromedarius), die im 19. Jahrhundert als Packtiere aus Asien eingeführt wurden, später aber entkamen oder freigelassen wurden. Über eine Million verwilderte Dromedare machen in vielen Regionen dieses trockenen Kontinents Schutzmaßnahmen für die Vegetation zunichte und bedrohen einheimische Pflanzen und Herbivore (McLeod & Pople 2008).
Katzen (Felis silvestris catus) erfahren als Haustiere seit ihrer Domestikation vor 5000 Jahren in Ägypten in allen Kulturen große Wertschätzung. Daher erstaunt es nicht, dass Katzen weltweit verbreitet wurden und überall Populationen aus verwilderten Hauskatzen aufbauen konnten. Als Raubtiere haben sie einen großen negativen Einfluss vor allem auf die lokalen Populationen der Reptilien, Kleinsäuger und Vögel. In vielen urbanen Gebieten reduziert der überhöhte Katzenbestand einheimische Brutvögel (Lepczyk et al. 2003). In abgeschlossenen Arealen wie ozeanischen Inseln wirken sich verwilderte Hauskatzen noch dramatischer auf einheimische Vogelarten aus. Viele Populationen wurden stark zurückgedrängt, sogar die völlige Ausrottung von einzelnen Vogelarten ist belegt. Verwilderte Hunde (Canis lupus familiaris) stellen vor allem in Siedlungsgebieten ein nicht zu unterschätzendes Hygieneproblem dar. Herumstreunende Rudel zeigen zudem aggressives Verhalten gegenüber dem Menschen, und es kommt regelmäßig zu Bissverletzungen, manchmal mit tödlichen Folgen für Menschen.
|26? ?27|
Akklimatisierungsgesellschaften
In der Mitte des 19. Jahrhunderts war die Welt weitgehend auf die Kolonialmächte aufgeteilt. Viele Europäer lebten in Übersee, vermissten aber ihre europäische Tier- und Pflanzenwelt, von der sie annahmen, dass sie besonders schön und nützlich sei. Gleichzeitig entdeckten sie in den Kolonien Arten, von denen sie überzeugt waren, dass diese auch in Europa gebraucht werden könnten. Unter den Auswanderern bildete sich daher schnell eine Gruppierung heraus, die mit einer fast systematischen Prüfung der möglichen Einbürgerung von Arten in Europa und in Übersee begann, die sie «wissenschaftlich» nannten. Man glaubte in dieser vordarwinistischen Zeit, dass es leicht möglich sei, den ausgewählten Arten die Eigenschaften anzuzüchten, die sie für ein Überleben in der neuen Heimat benötigten. Um dies in einem größeren und wirtschaftlich abgesicherten Rahmen betreiben zu können, wurde 1854 von französischen «Wissenschaftlern» und Bewohnern der französischen Überseegebiete in Paris die erste Akklimatisierungsgesellschaft mit dem Ziel gegründet, exotische Tiere und Pflanzen vor allem in Frankreich einzubürgern. Mit unterschiedlichem Erfolg versuchte man in den folgenden Jahren, Frankreich mit importiertem Bambus und Eukalyptus, Seidenraupen, Fasanen und Zebras zu bereichern. Schnell gründeten sich nach diesem Muster weitere Akklimatisierungsgesellschaften. 1860 entstand die Acclimatisation Society of the United Kingdom, nach deren Vorbild sich allein in Neuseeland 30 lokale Gesellschaften bildeten. Diese Gesellschaften waren für den Import von Tieren und Pflanzen nach Neuseeland verantwortlich, aus dem sich manch zweifelhafte Bereicherung der Natur ergab. Die Beteiligung von «Wissenschaftlern» an diesen Gesellschaften, die Durchführung von sogenannten Tests und die Diskussion von Sicherheitsmaßnahmen erzeugten eine Art Pseudosicherheit, zumal Begriffe wie Floren- und Faunenverfälschung oder die Vorstellung von invasiven Arten noch nicht existierten. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts änderte sich der Blickwinkel, und Importe neuer Arten wurden weitgehend eingestellt. Nun änderte sich die Einstellung zu diesem Vorgehen, die Akklimatisierungsgesellschaften wurden an den Pranger gestellt und geschlossen, manche wandelten sich in Jagd- und Angelvereine um, einige sogar in Naturschutzvereine.
|27? ?28|
Alle Haustiere haben ihre speziellen Krankheiten und Parasiten, und viele übertragen sie auch auf verwandte Wildtierarten. Oft genug reagieren diese dann empfindlicher als die Haustiere, und es kommt zu Massensterben unter den Wildtieren. Die Rinderpest, eine meist tödlich verlaufende Viruserkrankung der Rinder und anderer Wiederkäuer, wurde bereits mit den Hunnen und Mongolen im 4. bzw. 13. Jahrhundert von Asien nach Europa verschleppt. Noch im 18. Jahrhundert fiel ihr der größte Teil der europäischen Rinderbestände zum Opfer. Intensive seuchenhygienische Bemühungen führten einerseits dazu, dass die Krankheit seit 1881 in Deutschland nicht mehr ausbrach. Andererseits brachte die italienische Armee noch 1887 infizierte Rinder nach Äthiopien, von wo aus sich das Virus in ganz Afrika ausbreitete. In den 1890er-Jahren und 1982–1984 kam es südlich der Sahara zu einem großflächigen Ausbruch der Rinderpest, die nicht nur einen großen Teil der Hausrinder tötete, sondern auch auf verwandte Wildtiere übersprang, sodass es unter den Streifengnus (Connochaetes taurinus) und Kaffernbüffeln (Syncerus caffer) zu einem Massensterben kam. Da diese Massensterben der Rinder auch Hungersnöte bei den Hirtenvölkern auslösen und eine Schutzimpfung möglich ist, führte die Food and Agriculture Organization (FAO) der UNO ein spezielles Impfprogramm durch, das zum Ziel hat, die Rinderpest weltweit bis 2010 auszurotten.