E-Book, Deutsch, 264 Seiten
Neely SCHWARZER VOGEL ÜBER DER BRANDUNG
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7487-8651-1
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Der Thriller-Klassiker!
E-Book, Deutsch, 264 Seiten
ISBN: 978-3-7487-8651-1
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Diane Ridgway ist reich, attraktiv - und einsam. Doch dann tritt ein Ex-Colonel in ihr Leben. Erst nachdem sie ihn geheiratet hat, gesteht sie ihm, dass sie über ein Millionen-Vermögen verfügt. Und dann hört Diane zufällig ein Telefongespräch ihres Mannes mit, das ihr Idyll auf einen Schlag zerstört. Ihre sichere, gefestigte Welt verwandelt sich in einen Alptraum aus Verdacht und Angst... Der Thriller Schwarzer Vogel über der Brandung von Richard Neely erschien erstmals im Jahr 1975; eine deutsche Erstveröffentlichung folgte 1978. Dieser klassische, düstere Rätsel-Krimi erscheint als durchgesehene Neuausgabe in der Reihe APEX CRIME.
Autoren/Hrsg.
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DIANE
1. Das erste Wort, das ich Christopher Warren sagen hörte, sprach er geradezu ehrfurchtsvoll im Inneren eines offengelassenen Bahnhofs aus roten Klinkersteinen, den man in eine Kunstgalerie verwandelt hatte. »Phänomenal«, sagte er. Das Wort tönte in meinem Inneren nach wie ein Stück Poesie. »Es ist wirklich ganz hübsch«, sagte ich; es klang ein wenig missgünstig. Er drehte sich überrascht um. Wahrscheinlich hatte er gar nicht bemerkt, dass ich direkt hinter ihm stand. »Hübsch?«, sagte er leicht schockiert. Ich schenkte ihm das, was ich für ein geheimnisvolles Lächeln hielt. »Konventionell«, sagte ich. Zwischen seinen buschigen Augenbrauen erschien ein Ausrufezeichen. »Das Thema - ja, vielleicht. Aber nicht die Ausführung. Weiß Gott nicht.« Er drehte sich weg, als leugne er meine Existenz, und kehrte wieder zurück zur Betrachtung des Gemäldes. Ein Seestück in Öl auf einer Leinwand mit den Maßen 1,20 m mal 1,50 m. Im Vordergrund brach sich eine aufgetürmte Woge in Schaum und Gischt an einem riesigen Felsblock. Im Hintergrund erkannte man einen Ausschnitt der Mendocino-Küste von Nordkalifornien - nebelverhangener Ozean, schroffe Klippen, ein düsteres Vorgebirge unter einem perlmuttschimmernden Himmel. Der Felsblock war der Held des Bildes: seine gezackte, wilde Schönheit wurde durch tiefes Schwarz, Grau und Braun verstärkt, das der Maler dick mit dem Spachtel aufgetragen hatte. Die Szene vermittelte eine Düsterkeit, die genau der Stimmung des Künstlers entsprach. Ich konnte das behaupten. Denn ich selbst hatte das Bild gemalt, am Strand unterhalb meines Hauses, an einem trüben Nachmittag. Es war erst am Vormittag hier aufgehängt worden, um die Lücke auszufüllen, die durch den Verkauf eines anderen Gemäldes entstanden war. Der Mann trat ganz nahe an das Bild heran und betrachtete das Preisschild. Er war groß, ging aufrecht und hatte breite Schultern; sein Haar war dunkel und dicht, die kurzen Koteletten silbergrau meliert. Das Gesicht, das er mir zugewandt hatte, war schmal und sonnengebräunt, und mir fiel darin besonders die lange Nase mit der breiten Nasenwurzel auf. Er hatte hochpolierte schwarze Schuhe an, eine dunkle Hose und eine braune Wildlederjacke über einem gelben Sporthemd mit offenem Kragen. Die moderne Ausgabe des Landedelmannes nach den Maßstäben des vornehmen Herrenausstatters Brooks Brothers, dachte ich, und wurde mir plötzlich meiner zerknitterten Blue Jeans, meines grauen Pullovers und meiner Pferdeschwanzfrisur bewusst. Ich beobachtete ihn, wie er zu dem Tisch hinüberschlenderte, wo Liz Proctor heute freiwillig an der Kasse saß. Ihr gnomenhaftes Gesicht spaltete sich in einem entzückten Lächeln, als er auf das Bild deutete, ein Scheckbuch aus der Tasche zog und mit eiliger Präzision einen Scheck ausstellte. Ganz ohne zu feilschen, wie das bei den Wochenend-Touristen der Fall war, so dass ich mich fragte, ob er hier in der Gegend wohnte. Mein Verdienst jedenfalls überschritt damit alle Rekorde - drei Verkäufe in drei Tagen, und jedes Bild zum kalkulierten Preis. Das war mehr, als ich sonst in zwei Monaten verkaufte. Ich hätte diesen Mann umarmen können. Nachdem die Transaktion beendet war, kehrte er zu dem Bild zurück und betrachtete es, Hände an den Hüften, als sei es ein echter Wyeth. Liz folgte ihm und steckte das Schildchen Verkauft an den Rahmen. Dann drehte sie sich um und sah mich an. Ihre Augenbrauen gingen vor Entzücken nach oben. »Nun«, sagte sie zu dem Mann, »es freut mich, dass Sie den Künstler kennen.« »Ich kenne ihn nicht«, entgegnete er. Er hatte eine tiefe, fast ein wenig gebieterische Stimme. Liz gab sich überrascht, merkte dann, dass meine Anwesenheit reiner Zufall war, und schaute ihn schelmisch an. »Es ist kein Künstler«, sagte sie, »sondern eine Künstlerin.« Ich machte ihr ein Zeichen, dass sie schweigen solle. Sie tat so, als hätte sie es nicht bemerkt. Die Szene schien ihr großen Spaß zu machen. »Hier steht D. Ridgway«, sagte er. »Ich nahm an...« »Sie steht da drüben«, erklärte Liz und nickte in meine Richtung, zwinkerte dazu mit ihren kleinen Äuglein. Er drehte sich rasch herum, und auf seinen Lippen formte sich ein erwartungsvolles Lächeln. Es zerbröckelte, als er mich erkannte, und machte einem einfältigen Ausdruck Platz. Ehe er ein Wort sagen konnte, baute sich Liz mit ihrer kleinen, drahtigen Gestalt zwischen uns auf. Sie breitete-die Arme ein wenig geziert aus und deutete mit erhobenen Händen auf mich und auf ihn. »Diane Ridgway«, sagte sie mit übertriebener Förmlichkeit, »darf ich dir einen Bewunderer deiner Kunst vorstellen...« Er grinste. »Christopher Warren«, sagte er dann. »Und ich bin wirklich ein Bewunderer.« Ich murmelte ein paar Höflichkeitsfloskeln, dankbar darüber, dass es Mittwochnachmittag war, mit nur wenigen Besuchern in der Galerie, und die außerhalb der Hörweite. Er kam einen Schritt näher und drohte mir mit dem Zeigefinger. »Hübsch!«, sagte er und versuchte, meinen Ton zu imitieren. »Ich fand, dass Sie meinen Geschmack damit beleidigt haben.« »Es gefällt Ihnen also wirklich?« Ich kam nie darüber hinweg, dass es Leute gab, wenn auch nur wenige, die bereit waren, für etwas Geld zu bezahlen, was mir zuvor so viel Freude gemacht hatte. »Es gefällt mir über alle Maßen.« »Er hat es schließlich gekauft«, sagte Liz. Sie zwickte das eine Auge zu wie immer, wenn sie klug dreinschauen wollte. »Ich habe seinen Scheck über dreihundertfünfzig Dollar in der Tasche.« Ich musste lachen. »Aber Sie hätten es auch für weniger bekommen können, Mr. Warren.« »Ich hätte sogar noch mehr dafür bezahlt.« Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr und sagte bedauernd: »Eigentlich hätte ich es am liebsten gleich mit nach Hause genommen, aber ich fürchte, es ist schon zu spät.« »Zu spät?«, sagte Liz. »Aber wir brauchen es doch nur von der Wand abzunehmen.« »Ich habe meinen Wagen nicht dabei. Ich hatte ja keine Ahnung, dass ich heute ein Bild erwerben würde. War unterwegs, auf einem Spaziergang, und kam zufällig hier vorbei.« Er lächelte mich an. »Und ich bin sehr glücklich über diesen Zufall.« Die Antwort sprudelte aus mir heraus, ohne dass ich lange darüber nachdachte: »Es wäre mir ein Vergnügen, Sie mit meinem Wagen nach Hause bringen zu dürfen. Sie und das da.« »Vielen Dank, aber Sie sollen sich keine Mühe machen.« »Ich mache damit ja nur den Verkauf perfekt. Wenn Sie das Bild erst zu Hause haben, können Sie nicht mehr vom Kauf zurücktreten.« Er hatte eine sympathische Art zu lachen. Wir verstauten das Bild hinten in meinem Ford-Kombi, als ich ihn fragte, wo er wohnte. Er deutete auf das Binnenland jenseits einer blühenden Wiese, auf einen bewaldeten Hügel mit Pinien und Redwood-Bäumen. »Ich wohne da drüben im Wald. Die Besitzer des Hauses heißen Connors. Ich habe es nur gemietet.« Ich sagte, dass ich die Connors flüchtig kenne. Sie wohnten in San Francisco, wo George Connors arbeitete, und benützten das Haus im Wald als Wochenend- und Feriensitz, vermieteten es nicht selten. Wir stiegen in meinen Wagen. »Dann sind Sie nur besuchsweise hier«, sagte ich. Er war viel zu jung, um schon pensioniert zu sein. Mitte Vierzig, schätzte ich. »Ja. Ich habe das Haus für einen Monat gemietet.« Er wandte sich um und schaute sehnsüchtig hinaus auf das Meer. »Ich wollte, ich könnte den Rest meines Lebens hier verbringen.« Ich fühlte, dass wir zumindest in diesem Punkt etwas Gemeinsames hatten. Das Gefühl verstärkte sich, als wir an einer Ranch mit grasenden Schafen vorbeikamen und in eine schmale Straße einbogen, die von Eukalyptusbäumen und Lattenzäunen begrenzt wurde. Er pries die jahrhundertealten viktorianischen Häuser in der Gegend, die Felsenhöhlen, das zarte, geheimnisvolle Leben in den bei Ebbe entstehenden Brackwasserteichen und - als wir uns dem Haus der Connors näherten - die erschreckende Majestät der Redwood-Bäume. Ich sagte wenig, bestätigte nur seine Schwärmereien und war glücklich, einem so beredten Mann zuhören zu können, der genau meine eigenen, tief empfundenen Gefühle über dieses Land ausdrückte, in dem ich meinen Frieden und meine Freiheit gefunden hatte. Ich bog mit dem Wagen in den gefurchten Weg zum Haus ein und hielt hinter einem Jeep - ebenfalls gemietet, wie er sagte. Das Haus war nicht sehr groß, aus ungehobeltem Redwood, mit einem Giebeldach. Wir stiegen aus, ich öffnete die Heckklappe, und er nahm vorsichtig das Gemälde heraus. Er hielt es auf Armeslänge vor sich hin, blickte lächelnd erst auf die Leinwand, dann auf mich. »Ich mache Ihnen einen Vorschlag«, sagte er. »Warum kommen Sie nicht auf einen Sprung mit hinein?« Ich dachte an seine Frau, an die Erklärung. »Ich sollte schon zu Hause sein.« »Und ich hatte gehofft, Ihr Mann sei nicht allzu ungeduldig.« Er schlug auf den Busch, wusste, dass ich es wusste, und wusste auch, dass es mich freute. Ich ließ eine kleine Pause entstehen. Dann: »Ich habe keinen Mann.« Er atmete langsam aus. »Sie machen es so spannend, dass man die Luft ziemlich lange anhalten muss. Na schön, fragen Sie mich schon, ob meine Frau nichts dagegen hat.« »Hat sie?« Er grinste. »Ich habe keine Frau.« Ich machte mir Vorwürfe, dass mich seine Antwort so sichtlich erleichterte. Und ich starrte zweifelnd auf die blaugestrichene Tür. »Ja, dann...« »Kommen Sie schon. Da drinnen sind ein paar Freunde, die Sie...




