E-Book, Deutsch, Band 2, 368 Seiten
Reihe: Die Hurenkönigin ermittelt
Neeb Die Hurenkönigin
12001. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8437-0124-2
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 2, 368 Seiten
Reihe: Die Hurenkönigin ermittelt
ISBN: 978-3-8437-0124-2
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ursula Neeb hat Geschichte studiert. Aus der eigentlich geplanten Doktorarbeit entstand später ihr erster Roman Die Siechenmagd. Sie arbeitete beim Deutschen Filmmuseum und bei der FAZ. Heute lebt sie als Autorin mit ihren beiden Hunden in Seelenberg im Taunus.
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1
Samstag, 16. Juli 1511
Die mechanische Räderuhr am Römerrathaus hatte gerade die zehnte Stunde geschlagen, als die »angemalte Rosi« mit einem Krug Wein in der Hand die Treppe hinaufstieg. Ihr rundes, stark geschminktes Gesicht glänzte, und die Augen waren gerötet. Sie hatte die Nase gestrichen voll von Freiern und dem Rest der Welt und wollte sich in ihrer Kammer nur noch in Ruhe besaufen.
In der vergangenen Nacht hatte sie kein Auge zugetan vor Gram – wegen Josef, diesem Drecksack! Seine Maulschellen brannten noch immer wie Feuer auf ihrem Gesicht, und ihre Oberlippe war geschwollen. Schlimmer als das aber war der Schmerz wegen seiner Untreue, der an ihr nagte wie Ratten am Aas. Sie hätte ihn umbringen können – ihn und dieses verdammte Weibsstück! Den ganzen gestrigen Abend hatte sie mit ansehen müssen, wie er mit der anderen herumschäkerte. Schließlich war Rosi der Kragen geplatzt, und sie hatte ihm unten in der Schankstube vor aller Augen eine handfeste Eifersuchtsszene geliefert. Daraufhin verpasste ihr Josef eine Backpfeife und schlüpfte als Krönung auch noch zu der verhassten Rivalin ins Bett. Rosi hatte gesoffen wie ein Loch, um endlich einschlafen zu können und das laute Gestöhne der beiden, das bis in ihre Kammer drang, nicht mehr hören zu müssen.
Am Morgen war sie dann so übel gelaunt und verkatert gewesen, dass sie am liebsten in den Main gesprungen wäre. Sie hatte alles und jeden gehasst. Bei den anderen Huren des Frauenhauses hatte sie tagsüber ordentlich Dampf abgelassen, so dass die Hurenkönigin sie mehrmals zusammenstauchte. Und bei den acht Freiern, die sie im Laufe des Tages hatte, hatte sie ihrer Wut erst recht freien Lauf gelassen. Unflätig beschimpft hatte sie die geilen Böcke, was dem einen oder anderen sogar Spaß zu machen schien.
Zum Glück war der Tag jetzt so gut wie gelaufen. In einer Stunde war Sperrstunde, und das Frauenhaus wurde geschlossen. Rosi hoffte inständig, dass sich kein Freier mehr zu ihr verlief. Scheiß doch auf die paar Kröten, sie konnte für heute jedenfalls keinen Schwanz mehr sehen!
Als sie die Galerie entlang auf ihr Zimmer zuging, hörte sie plötzlich Schritte auf der Treppe. Hastig eilte sie zur Tür, um noch rasch hineinzuschlüpfen, als sie die Stimme der Frauenhauswirtin Ursel Zimmer vernahm: »Rosi, da ist noch Kundschaft für dich!«
Verärgert wandte Rosi sich um. Hinter der Hurenkönigin kam ein Freier die Treppe herauf.
Auch das noch!, dachte sie beim Anblick des abgerissen wirkenden Mannes, der einen schweren Tornister auf dem Rücken trug und dessen hageres Gesicht von grauen Bartstoppeln übersät war.
»Kann den nicht eine andere übernehmen? Mir tut das Kreuz weh, und ich hab die ganze Nacht nicht geschlafen«, sagte Rosi flehend zur Frauenhauswirtin und blinzelte sie aus müden Augenschlitzen an.
»Ich weiß doch, Kindchen. Ich hätte dich auch gerne geschont, aber er hat ausdrücklich nach dir verlangt.« Die Vorsteherin der Hurengilde, die auch mit über fünfzig Jahren noch eine schöne Frau war, legte mütterlich den Arm um Rosi. »Komm, nimm ihn dir noch zur Brust. Er ist auch bestimmt der Letzte für heute. Und morgen ist Sonntag, da kannst du dich ein bisschen ausruhen.«
Rosi, die der Vorsteherin sehr zugetan war, ließ ihren Widerstand fahren und schnaubte resigniert: »Na gut. Wenn’s denn unbedingt sein muss. – Und Ihr seid Euch sicher, dass Ihr wirklich zu mir wollt?«, wandte sie sich an den Freier.
»Ja«, murmelte der Mann und musterte Rosi verlegen. »Ihr seid doch die Hübscherin Roswitha?«
»Die bin ich«, erwiderte die Angesprochene ungnädig. Der Fremde konnte seinen Blick kaum von ihren üppigen, aus dem enggeschnürten Mieder quellenden Brüsten lösen.
»Warum denn ausgerechnet ich?«, raunzte Rosi ärgerlich. »Andere im Haus haben auch so was …«
»Ich möchte aber zu Euch, wenn’s recht ist«, lispelte der Landgänger, der kaum noch Zähne im Mund hatte. Er fügte mit listigem Lächeln hinzu: »Es soll auch Euer Schaden nicht sein!«
Rosi, der es laut Frauenhausordnung untersagt war, einen Mann abzuweisen, winkte den Zerlumpten mit der Bemerkung, ihr bleibe heute aber auch nichts erspart, in ihre Kammer und knallte missmutig die Tür hinter sich zu.
Während sich der Fremde den schweren Rucksack vom Rücken schnallte und seinen abgerissenen Umhang ablegte, verzog Rosi angewidert das Gesicht.
»Mensch, du stinkst ja wie ein Iltis«, fauchte sie, ergriff den Wasserkrug, der auf dem Tisch stand, und goss etwas Wasser in die Waschschüssel. Dann hielt sie ihm ein aufgeweichtes Stück Kernseife hin. »Wasch dich erst mal, du Dreckfink.«
Der Mann zog seine Hosen herunter und tat folgsam, wie ihm geheißen. Rosi hatte sich indessen aufs Bett gesetzt, ihr Mieder geöffnet und die vollen Brüste entblößt. Als sich der Mann wenig später zu ihr umwandte und ihre pralle Weiblichkeit erblickte, versteifte sich sogleich sein Glied.
Das wird schnell gehen bei dem, dachte sie routiniert und langte in den Tiegel mit Rindertalg, der auf der Truhe neben dem Bett stand.
»Soll ich ihn dir reiben, oder willst du ihn reinstecken?«, fragte sie den fahrenden Händler, der mit den Hosen um die Knöchel auf sie zustolperte. »Fünf Groschen fürs Reiben, das Bocken kostet doppelt so viel«, leierte sie herunter und blickte den Mann mit stumpfem Gesichtsausdruck an.
»Wennschon, dennschon«, grummelte der Hausierer atemlos. »Es ist schon ’ne Weile her, dass ich was mit ’ner Frau hatte.«
»Das kann ich mir denken. Gut, dann komm her. Und zieh ihn bloß vorher raus, ehe du abspritzt.« Rosi hob den Rock, spreizte die Beine und fettete mit geübten Fingern ihr Geschlecht ein, ehe sie das Glied des Mannes am Schaft packte und einführte.
Ihre Ahnung hatte sie nicht getäuscht. Nach wenigen Stößen war der Mann abgefertigt, zog sich ächzend die Hosen hoch und nestelte an seinem Brustbeutel, um sie zu bezahlen. Mit einem Stück Sackleinen wischte sich Rosi gähnend den Bauch ab und streckte ihm die andere Hand mit der Handfläche nach oben entgegen. Doch zu ihrem Erstaunen zückte der Fremde eine glänzende Silbermünze und fuchtelte damit neckisch in der Luft herum.
»Hör Sie mir jetzt einmal genau zu, ich soll Ihr nämlich was bestellen«, tönte er mit einem Mal so großspurig wie ein Landjunker und ließ sich neben ihr auf der Bettkante nieder. »Ich soll Ihr den Gulden geben und Ihr ausrichten, dass Sie sich heimlich davonschleichen und zur elften Stunde am Fahrtor sein soll. Dort wartet ein vornehmer Herr auf Sie, der nicht erkannt werden will. Deswegen soll Sie auch Ihr Maul halten und darf niemandem was davon erzählen. Der reiche Pfeffersack lässt Ihr bestellen, dass Sie nach getaner Arbeit noch einen Gulden kriegt. Hat Sie das kapiert und hält sich daran?« Der Hausierer schaute Rosi fragend an. Ihr fehlten zunächst die Worte, doch beim Anblick des Guldens hatte sie ganz glänzende Augen bekommen.
»Darauf kannst du einen lassen«, erwiderte sie und nahm freudig den Gulden in Empfang. »Du hast mir den Tag gerettet, Alter! Dafür hast du bei mir was gut.« Ihre Übellaunigkeit war mit einem Mal wie weggefegt, und sie strahlte den unscheinbaren Fremden an, als wäre er ihr Heilsbringer.
»Darauf komme ich gern zurück, wenn ich mal wieder in Frankfurt bin«, erwiderte der Landgänger geschmeichelt und schien bereits im Stillen zu erwägen, ob er von dem großzügigen Angebot nicht gleich Gebrauch machen sollte. Rosi, der seine Anwandlung nicht verborgen geblieben war, schubste ihn sachte von der Bettkante. »Nix da, mein Alter. Dafür haben wir jetzt keine Zeit. Ich will doch pünktlich sein. Und ich muss mich auch noch ein bisschen herrichten …« Sie schnürte das schwarze Samtmieder zu und schenkte sich einen Becher Wein ein.
Nachdem der Hausierer gegangen war, nahm sie ihre Schminkutensilien vom Wandbord. Im diffusen Licht der Talgkerze besah sie sich im Spiegel und war alles andere als zufrieden. Die vom häufigen Auftragen der blei- und quecksilberhaltigen Schminke großporige Gesichtshaut war gerötet. Sie tauchte ihren Finger in einen Tiegel mit weißer Paste, die aus Mehlstaub und Quecksilber bestand, und verteilte sie in einer dicken Schicht über die fleckigen Wangen und die Nase. Dann stippte sie den Zeigefinger in ein Glas mit leuchtend roter Mennige und bestrich damit die Wangenknochen, um so einen Hauch von Morgenröte auf ihr Gesicht zu zaubern. Anschließend tupfte sie sich etwas Kohlenstaub auf die verquollenen Augenlider und strich zum Abschluss noch einen scharlachroten Balsam auf die Lippen. Merklich zufriedener betrachtete sie ihr nun maskenhaft geschminktes Gesicht, betupfte den ausrasierten Stirnansatz mit Rosenöl, richtete mit flinkem Griff das aufgetürmte safranfarbene Haar und nahm das gelbe Schultertuch vom Kleiderhaken. Mit angehaltenem Atem drückte sie die Türklinke hinunter und spähte auf den Flur hinaus. Auf der Galerie war niemand zu sehen. Vereinzelt drangen Beischlafgeräusche aus den danebenliegenden Kammern, und von unten, wo Josef im Schankraum hinter der Theke stand und Wein ausschenkte, hörte sie das übliche Stimmengewirr und Scheppern der Würfelbecher. Die Luft schien rein zu sein. Sie zog ihr Schultertuch eng zusammen und trat vorsichtig auf den Gang hinaus. Falls ihr jemand begegnete und fragte, wo sie hingehe, würde sie einfach sagen, sie wolle ein wenig frische Luft schnappen.
Zu ihrer Erleichterung gelangte sie jedoch unbehelligt nach draußen. Es regnete leicht an diesem milden Sommerabend, und so hielt sich niemand...