Neeb Die Hurenkönigin und der Venusorden
13001. Auflage 2013
ISBN: 978-3-8437-0451-9
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Historischer Kriminalroman
E-Book, Deutsch, 352 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
ISBN: 978-3-8437-0451-9
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ursula Neeb hat Geschichte studiert. Aus der eigentlich geplanten Doktorarbeit entstand später ihr erster Roman Die Siechenmagd. Sie arbeitete beim Deutschen Filmmuseum und bei der FAZ. Heute lebt sie als Autorin mit ihren beiden Hunden in Seelenberg im Taunus.
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1
Dienstag, 20. März 1512 – Frühlingsanfang
Um die siebte Abendstunde legte die alte Irmelin noch ein paar Holzscheite in die Glut des Kachelofens, ergriff den Krug mit heißem Würzwein, der auf der Ofenbank stand, und schenkte zwei Becher voll.
Sie trat ans Fenster und reichte einen davon der Hurenkönigin, die im Lehnstuhl saß und mit der Spindel Garn spann.
»Vom Frühling merkt man ja noch nichts«, sagte Irmelin und spähte durch die gefrorenen Butzenglasscheiben. »Jetzt fängt es sogar noch an zu schneien. Da werden sie sich morgen auf der Frühjahrsmesse ganz schön den Arsch abfrieren.«
»Solange sie sich sonst nichts abfrieren, soll mir das egal sein«, erwiderte die Gildemeisterin Ursel Zimmer mit grimmigem Lächeln. »Ich hoffe nur, das Geschäft läuft diesmal besser als bei der Herbstmesse. So wenig Kunden hatten wir noch nie …«
»Kuck nur, da kommen schon wieder ein paar Auswärtige«, bemerkte Irmelin unwillig. »Wir sind doch schon voll bis unters Dach.«
»Ja, mit Huren schon …«, sagte die Zimmerin und ließ ihren Blick verdrießlich durch die Schankstube schweifen, wo die Hübscherinnen deutlich in der Überzahl waren.
Gleich darauf betraten zwei Frauen in gelbverbrämten Gewändern und mit schweren Tornistern auf den Rücken den Schankraum und schauten sich suchend um. Ihre Gesichter unter den weiten Kapuzen ihrer Mäntel waren vor Kälte gerötet.
»Grüß Gott«, sagte die ältere von ihnen höflich und schlug die Kapuze zurück. »Wir suchen die Hurenkönigin Ursel Zimmer …«
»Die bin ich.« Die Gildemeisterin erhob sich von ihrem Stuhl und ging auf die Besucherinnen zu.
Beim Anblick von Ursel knicksten die Frauen ehrerbietig.
»Mein Name ist Alma Deckinger – und das ist meine Tochter Irene«, sagte die Frau in Ursels Alter mit leicht schwäbischem Akzent. »Ich war in Ulm ebenfalls Frauenhauswirtin – bis sie es wegen der Geschlechterpest geschlossen haben. Und jetzt müssen wir als Wanderhuren über die Lande ziehen.« Alma hatte ungebändigtes rotblondes Haar, das von silbernen Strähnen durchwirkt war. Es gemahnte Ursel an eine Löwenmähne. Das Gesicht war sehr apart und mutete trotz feiner Fältchen um Mund und Augen alterslos an. Ihre Tochter Irene war von auffallender Schönheit. Sie lächelte Ursel so liebreizend an, dass es ihr ganz warm ums Herz wurde.
Alma blickte die Hurenkönigin eindringlich an. »Wir wollten fragen, ob Ihr uns vielleicht Obdach gewähren könnt? Wenigstens während der Messe. Wir haben viel von Euch gehört, von Eurem Mut und Eurer Tapferkeit, wie Ihr im letzten Jahr die Hurenmorde aufgeklärt habt, und zollen Euch große Anerkennung.« Alma verneigte sich vor der Hurenkönigin und streckte ihr einen Strauß Schneeglöckchen entgegen. »Die sind für Euch, Gildemeisterin. Ein kleiner Frühlingsgruß – auch wenn der Winter noch nicht weichen mag«, sagte sie lächelnd.
Ursel Zimmer nahm die Blumen und war gerührt. »Wie reizend, ich danke Euch! Setzt Euch doch auf die Ofenbank und wärmt Euch auf. Ihr könnt auch gerne einen heißen Würzwein trinken. – Nur leider muss ich Euch sagen, dass wir keinen Platz mehr haben. Alle freien Zimmer sind schon an auswärtige Huren vergeben. Tut mir leid, aber da hättet Ihr ein bisschen früher kommen müssen. Zur Messezeit strömen die ortsfremden Hübscherinnen doch scharenweise nach Frankfurt. Daran hat auch die Geschlechterpest nichts geändert.« Ursel schüttelte bedauernd den Kopf.
Die beiden Frauen ließen sich enttäuscht auf der Ofenbank nieder. Die alte Irmelin, die seit dem Tod von Ursels bester Freundin Ingrid die Stellvertreterin der Gildemeisterin war, warf Ursel einen betretenen Blick zu und kredenzte den Besucherinnen die Getränke.
Die Hurenkönigin sagte freundlich: »Ich stell nur rasch die Blumen ins Wasser, dann setze ich mich ein wenig zu Euch. Wir finden in Frankfurt schon noch eine geeignete Unterkunft für euch beide.«
Als sie in die Küche ging, um eine Vase zu holen, folgte ihr Irmelin eilig. Ursel drehte sich zu ihr um und zog nachdenklich die Brauen hoch. »Du brauchst gar nichts zu sagen …«, murmelte sie zerknirscht. »Aber es geht nicht. Ich komme einfach nicht über ihren Tod hinweg, und ich kann es nicht ertragen, das Zimmer an jemand anderen zu vergeben.« Der Hurenkönigin waren unversehens Tränen in die Augen getreten.
Die alte Irmelin trat auf Ursel zu und schloss sie in die Arme. »Wir trauern doch alle um Ingrid und auch um Rosi und Isolde. Es ist ja gerade ein halbes Jahr her, seit sie tot sind. – Doch so bitter das ist, Meistersen: Das Leben muss weitergehen. Auch wenn Ihr Ingrids Zimmer leerstehen lasst, sie wird trotzdem nicht mehr zurückkehren. Das ist halt nun mal so.«
»Du hast ja recht«, entgegnete Ursel gepresst. »Vielleicht ist es doch langsam an der Zeit, das Zimmer wieder zu vergeben.«
Seit ihre beste Freundin im letzten Sommer auf tragische Weise zu Tode gekommen war, war Ingrids Zimmer für Ursel ein Zufluchtsort gewesen. Besonders in der ersten Zeit nach Ingrids Tod hatte die Hurenkönigin dort häufig eine Kerze angezündet, an die Freundin gedacht und sich ihrer Trauer ergeben. Auch jetzt hielt sie sich noch gerne dort auf, stellte einen Blumenstrauß oder Zweige in die Kammer, hielt mit der Freundin stumme Zwiesprache und fühlte sich ihr nahe. Daher war die Entscheidung für Ursel so schmerzlich.
Endlich erklärte sie mit brüchiger Stimme: »Gut, ich sage den Hübscherinnen aus Ulm, sie können das Zimmer haben.« Sie griff nach der Blumenvase und kehrte mit Irmelin in den Schankraum zurück.
Die beiden Neuankömmlinge wärmten ihre klammen Hände an den heißen Bechern, sie sahen müde und erschöpft aus. Als Ursel ihnen mitteilte, dass sie doch bleiben könnten, hellten sich ihre Mienen auf.
»Ihr seid ein Engel, Zimmerin!«, rief Alma aus und drückte dankbar Ursels Hand. »Ich wusste doch, dass eine Frau wie Ihr uns nicht die Tür weisen wird.« Die grünen Augen der ehemaligen Frauenhauswirtin strahlten.
Ihre Tochter Irene schien nicht minder erleichtert zu sein. »Gott vergelt’s, Gildemeisterin«, sagte sie und legte die Hand aufs Herz.
Ursel Zimmer, der die überschwänglichen Dankbarkeitsbezeugungen unangenehm wurden, lächelte beschwichtigend und erklärte: »Ihr werdet Euch allerdings ein Zimmer teilen müssen, denn es ist das letzte, das wir haben. Außerdem muss jede von Euch einen Gulden pro Woche an den Scharfrichter entrichten. Das ist während der Messe so üblich. Dafür kriegt jede Hure täglich einen Hering und zwei weitere Gerichte, und Ihr könnt so viel Wein trinken, wie Ihr wollt. Es ist zwar noch Fastenzeit, aber für die Frankfurter Frühjahrsmesse hat der Kaiser die strengen Fastenvorschriften ein bisschen gelockert. Wir wollen ja auch ein paar Taler verdienen, wenn Messe ist, gell?«
»Das ist doch selbstverständlich, Hurenkönigin. Und was das Zimmer anbetrifft, werden Irene und ich uns schon einig werden. Irene wird sowieso die meisten Freier abstauben, und die wenigen, die sich zu mir verlaufen, können wir schon irgendwie dazwischenschieben …«, sagte Alma gutgelaunt.
»Gut, dann trinkt aus und kommt mit«, erwiderte Ursel. Sie nahm die Ulmerinnen noch einmal genauer in Augenschein – und sie gefielen ihr, alle beide.
Alma hatte ein sehr ausdrucksvolles, markantes Gesicht, das verriet, dass sie viel erlebt hatte. Am meisten beeindruckt war Ursel von Almas Augen, die von fast transparentem, hellem Grün waren und sie an Bergseen erinnerten.
War die Mutter schon eine eindrucksvolle Erscheinung, so war Irenes Schönheit schlicht atemberaubend. Sie hatte makellose blasse Haut, sinnliche Lippen und geheimnisvoll schräge, mandelförmige Augen, alles umrahmt von kastanienbraunen Locken. Die Hurenkönigin konnte kaum die Augen von ihr abwenden.
Die wird uns guten Zulauf bescheren, dachte Ursel pragmatisch und begleitete die Frauen nach oben.
In der holzgetäfelten Wohnstube war es bitterkalt. Die zierliche Frau mit den verhärmten Gesichtszügen zog sich den Wollumhang fester um die Schultern und blies in die spärliche Glut des Kaminfeuers, das kaum noch Wärme von sich gab. Ihr Blick fiel auf den Stapel Buchenholzscheite, der an der Seite der mannshohen Feuerstelle sorgsam aufgeschichtet war, und Angst legte sich um ihr Herz.
Nein, sie durfte nichts mehr nachlegen, denn er hatte die Holzscheite am Morgen genau gezählt – und sie hatte doch schon drei Scheite verbraucht.
Bald würde er nach Hause kommen, und dann musste sie nicht mehr frieren. Angespannt blickte sie zur Tür und lauschte mit angehaltenem Atem, doch alles blieb still. Hastig beugte sie sich zu der hellgrauen Windspielhündin hinab, die vor ihrem Lehnstuhl lag. Obgleich das Tier in eine Wolldecke gewickelt war, zitterte es vor Kälte. Mit klammen Fingern streichelte sie den Kopf des Hundes und zog ihm behutsam die Decke vom Körper. Das Tier sah freundlich zu ihr auf und wedelte.
»Gleich wird es warm, Asta«, raunte sie dem Hund zu und schüttelte mit mehreren ruckartigen Bewegungen die Decke aus. Auch wenn das Fell des Hundes fein und glatt war, konnte ihn zuweilen doch schon das kleinste Hundehaar zur Weißglut bringen. Zwar bürstete sie Asta täglich und achtete peinlichst auf Sauberkeit, trotzdem konnte es vorkommen, dass er an dem Fell des Hundes schnüffelte und verärgert ausrief: »Der Köter stinkt ja wie eine Kloake!« – was zur Folge hatte, dass er das verängstigte Tier packte und es unten in der Waschküche in einen Wasserbottich setzte,...