E-Book, Deutsch, 368 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
Neeb Die Hirtin und der Hexenjäger
Version 1.null
ISBN: 978-3-8437-1820-2
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Historischer Roman
E-Book, Deutsch, 368 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
ISBN: 978-3-8437-1820-2
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ursula Neeb hat Geschichte studiert. Aus der eigentlich geplanten Doktorarbeit entstand später ihr erster Roman Die Siechenmagd. Sie arbeitete beim Deutschen Filmmuseum und bei der FAZ. Heute lebt sie als Autorin mit ihren beiden Hunden in Seelenberg im Taunus.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Prolog
Wegwarte
Gertruds Herz überschlug sich vor Freude und Aufregung, als sie am Erntedankfest des Jahres 1514 hinter ihrem Lehrmeister, dem Schäfer Gernot Becker aus Wöllstadt, in die altehrwürdige Gildestube der Wetterauer Rinder-, Schaf- und Schweinehirten trat, wo sie ein Dutzend Viehhirten mit wettergegerbten Gesichtern bereits erwartete. Alle Augen richteten sich sogleich auf sie, und in ihren Blicken lag eine Skepsis, die beredter war als alle Worte:
Die Wangen der Siebzehnjährigen glühten vor Erregung, und ihre Knie waren weich wie Wachs. Doch die junge Frau wich den Blicken der Hirten nicht aus, ihr Lächeln war freundlich, ohne keck oder anmaßend zu sein, sie neigte vor den Gildebrüdern respektvoll das Haupt und sprach den uralten Hirtengruß: »Niemandem treu oder hold!«
»Niemandem treu oder hold!«, erwiderten die rauen Gesellen im Chor, und ihre düsteren Mienen hellten sich ein wenig auf. Ihre Gesichter verrieten, dass sie von der natürlichen Anmut der Aspirantin durchaus angetan waren. Das ungebändigte kastanienbraune Haar fiel ihr offen über die Schultern. Gertruds Augen hatten die Farbe der grünen Wiesen, ihre sonnengebräunte Haut war gesprenkelt von Sommersprossen, sie war von hohem Wuchs und hatte Hände, die zupacken konnten.
Der alte Gildemeister stellte sie den Hirten als Gertrud Möbs aus dem benachbarten Ilbenstadt vor.
»Gertrud ist die älteste Tochter von Konrad Möbs und seiner Frau Klara, armen Kleinbauern ohne Grundbesitz, die sich zusammen mit ihren acht Kindern von früh bis spät abrackern müssen, um nicht zu verhungern. Deswegen ist Gertrud von klein auf harte Stall- und Feldarbeit gewohnt gewesen.« Gernot Becker wies auf die muskulösen Oberarme der jungen Frau. »Die sind von der schweren Landarbeit gestählt, und Gertrud kann schaffen wie ein Mannsbild. Sie zeigte sich den ganzen Sommer über, in dem sie mich begleitet hat, als tüchtige Gehilfin bei der Schafschur, beim Schlachten und beim Eintreiben der Tiere.« Der Gildemeister musterte die wilden Gesellen, die ihm missmutig zuhörten, herausfordernd. »Außerdem ist Gertrud wehrhaft und tapfer. Sie kennt keine Furcht vor der Dunkelheit und hat ein Naturell, das die Einsamkeit des Hirtenberufs gut ertragen kann. Daher verbürge ich mich für die Jungfer und möchte sie euch anempfehlen, auf dass sie in unseren Kreis der Wetterauer Vieh- und Schafhirten Aufnahme finden möge.« Ein verhaltenes Grummeln war seitens der Hirten zu vernehmen.
»In den Hirtenbruderschaften im ganzen Land wird man sich darüber lustig machen, dass wir eine Frau in der Innung haben«, mokierte sich ein baumlanger Rinderhirt aus Heldenbergen und erntete dafür von seinen Gildebrüdern rege Zustimmung.
»Frauen sind für die Hausarbeit und zum Kinderkriegen da und nicht für den harten und gefährlichen Hirtenberuf!«, raunzte ein Schäfer aus Muschenheim mit einem langen roten Vollbart aufgebracht.
»Erst recht, wenn sie so hübsch und proper sind«, johlte ein anderer Gildebruder anzüglich. »Manch ein Kerl könnte nämlich auf dumme Gedanken kommen, wenn so ein ansehnliches Weibsbild nachts allein auf der Weide kampiert.« Von allen Seiten erklang grölendes Gelächter. Die Wangen der jungen Frau wurden noch eine Spur röter. Doch wie sich rasch herausstellte, handelte es sich dabei keineswegs um Schamesröte.
»Das soll sich mal einer wagen!«, stieß Gertrud hervor, als sich der Lärm etwas gelegt hatte, und ihre grünen Augen sprühten Funken. »Dem ramm ich mein Messer in den Wanst oder hetz meinen Hund auf ihn!« Ihre entschlossene Miene und der Tonfall ließen keinen Zweifel aufkommen, dass sie es ernst meinte.
Der Gildemeister tätschelte ihr anerkennend die Schulter. »Das Mädel hat mehr Mumm als die meisten Mannsbilder«, erklärte er grinsend. »Genau wie ihre Hündin Tiffi. Die ist zwar etwas kleiner als die meisten Hütehunde, aber sie hat die Schafe voll im Griff.«
Während die meisten Hirten noch mürrisch dreinblickten und nichts darauf entgegneten, meldete sich ein junger Schäfer aus Ober-Mörlen zu Wort und erklärte frei heraus, dass sich das doch alles ganz gut anhöre. Der dunkelhaarige Mann mit den markanten Gesichtszügen lächelte Gertrud aufmunternd zu und schlug vor, sie solle doch selbst erklären, was ihr der Schäferberuf bedeute. Die junge Frau errötete, bedachte den Schäfer mit einem befangenen Lächeln und blickte den Gildemeister fragend an.
»Warum nicht?«, erklärte dieser und erteilte Gertrud das Wort. Die Siebzehnjährige holte tief Luft, da sie es nicht gewohnt war, vor so vielen Leuten zu sprechen. Trotz Aufgeregtheit und zitternder Knie bemühte sie sich um Haltung, als sie näher an den Tisch mit den Gildebrüdern herantrat, die sie beäugten, als sei sie ein Schaf mit fünf Beinen. ermahnte sich Gertrud, die eisern für sich entschieden hatte, sich von nichts und niemandem den Schneid abkaufen zu lassen.
»Wenn man wie ich als Tochter unfreier Bauern aufwächst, die jahrein, jahraus vom herrschaftlichen Zinseintreiber gegängelt und geknechtet werden, und man sich für jeden Bissen Brot von früh bis spät bis zum Umfallen abplagen muss, dann ist es eine Wonne, weitab vom Gehöft mit der Schafherde über sanfte grüne Hügel zu ziehen, die sich in der Ferne mit dem Horizont vereinen«, erklärte sie frohgemut. »Wo man sich den wachsamen Augen des Gutsvorstehers entziehen kann und nicht mehr länger das ewige Greinen der Geschwister mit anhören muss, die nachts vor Hunger nicht schlafen können. Man wacht einsam unterm Sternenhimmel über die Herde, trutzt den Unbilden des Wetters und bestaunt die Schönheit der Natur. Ich liebe die Schäferei aus ganzem Herzen und sehe sie als meine Berufung an, obwohl ich weiß, dass unser Gewerbe den Menschen als verfemt gilt. Schäfer und Hirten sind in den Augen der ehrbaren Zünfte unehrliche Leute, die mit Dieben über einen Kamm geschoren werden. Uns wird angedichtet, den Schafen heimlich die Wolle auszuraufen, um sie unter der Hand zu verkaufen. Angeblich schlachten wir die fetten Tiere unserer Dienstherren und behaupten dann, die Wölfe hätten sie gerissen. Außerdem gelten wir als wunderlich, verschroben und verstünden uns auf Zauberei. Doch das ist mir alles egal, ich möchte Schäferin werden, das ist und bleibt mein Herzenswunsch«, endete Gertrud, von der längst jegliche Befangenheit gewichen war, mit Inbrunst.
Ob es ihrer dunklen, wohltönenden Stimme, der Lebendigkeit ihrer Schilderung oder der großen Überzeugungskraft geschuldet war, mit der die junge Frau ihr Anliegen vorgetragen hatte? Jedenfalls fingen die ersten Gildebrüder an zu applaudieren, wenn auch zunächst noch etwas verhalten, und es dauerte nicht lange, bis auch die letzten Zauderer mit einstimmten, sodass die Gildestube schließlich von brandendem Beifall erfüllt war. Gertrud traten vor Freude und Ergriffenheit Tränen in die Augen, und sie verneigte sich in tiefer Dankbarkeit vor der Hirtengilde. Auch der Gildemeister war bewegt von Gertruds Ansprache, und es schien ihn zu verblüffen, wie es ihr gelungen war, die abweisenden Viehhirten für sich einzunehmen. Er trat vor die Runde und richtete das Wort an sie. »Zu allen Zeiten waren Hirten stolze, freie Menschen, die zwar im Dienste von Grundherren standen, aber ihre Eigenständigkeit stets bewahrten.« Er wandte sich zu Gertrud um, die bescheiden hinter ihn getreten war, und zog sie an seine Seite. »Daher bin ich der Überzeugung, du gereichst dem Hirtenstand zur Zierde, Gertrud Möbs – und aus dir wird eine gute Schäferin werden!«
Für Gertrud gab es nicht den geringsten Zweifel, dass sie sich bereits bei ihrer ersten Begegnung am Erntedankfest in der Gildestube der Hirteninnung Hals über Kopf in Fabian Dey verliebt hatte, den jungen Schäfer, der sich so beherzt für sie eingesetzt hatte. Er war groß, von schlanker, sehniger Statur und sah mit seinen schulterlangen dunklen Haaren und dem markanten, sonnengebräunten Gesicht wie ein Freibeuter aus. Außerdem war er mutig und eigenwillig und sagte immer geradeheraus, was er dachte – selbst, wenn er mit seiner Meinung alleine dastand. Damit schaffte sich Fabian nicht immer Freunde, doch man zollte ihm Respekt, denn trotz seiner mitunter etwas schroffen Art war Fabian ein verlässlicher Kamerad mit einem Herz aus Gold.
So hatte der Zwanzigjährige keinen Hehl daraus gemacht, dass es auch für ihn Liebe auf den ersten Blick gewesen war, als er Gertrud beim Gildetreffen begegnet war, und schon vierzehn Tage später hatte er bei ihren Eltern um ihre Hand angehalten.
Als das Paar am heiligen Dreikönigstag des Jahres 1515 in der Basilika zu Ilbenstadt getraut...