Naumann / Redolfi / Ferst | Brücken ins Land | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 376 Seiten

Naumann / Redolfi / Ferst Brücken ins Land

Erzählungen
2. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7534-3387-5
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Erzählungen

E-Book, Deutsch, 376 Seiten

ISBN: 978-3-7534-3387-5
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Von einer Hochzeit in den Jurten der mongolischen Steppe, grandiosen Landschaften wird erzählt. Ein Ausflug auf dem Dromedar in Saharadünen endet in den Fängen von Ganoven. Der Band enthält zahlreiche spannende Liebeserzählungen. Vom Schicksal eines Lehrers berichtet ein Beitrag, seine Frau kehrt von einem Kongress im Ausland nicht zurück in die DDR. Der Krieg in Syrien unterbricht das musikalische Üben eines Jungen, in Deutschland bekommt er eine neue Geige. Wie ein Kind in Brokdorf hineinwächst in die Anti-AKW-Bewegung, zeigt eine Autorin, bis hin wie die Polizei illegal Menschen einkesselt in späterer Zeit. Wahre Feen tragen blau. Doch was kann helfen gegen einen Vater, der arbeitslos geworden, jedes Maß für ein gelingendes Leben verliert? Ein Gericht in Chile soll einen Brand klären, ein Lager mit Biberfallen fackelte ab. Nach einem Luftangriff kann sich eine Jüdin retten, obwohl ein SS-Mann sie identifiziert. Ein Fliegermord soll aufgeklärt werden. Eine junge Frau, zur russischen Kommandantur beordert, gelangt unschuldig in ein Speziallager bei Berlin. Beim Schlachtefest kommt die Sache mit dem Schwein zur Sprache, das nach fruchtiger Kost ausnüchtern mußte. Ihr königsblauer Scherenschnitt bringt eine junge Künstlerin in ungeahnte Kalamität. Viele Brücken ins Leben zeigen die beteiligten Erzählerinnen und Erzähler. *** Der Band enthält Erzählungen von Anke Ames, Erika Baumgart, Mesut Bayraktar, Horst Decker, Marko Ferst, Benjamin Frech, Elisabeth Gehring, Hans-Jürgen Gundlach, Ralf Heimrath, Gudrun Heller, Werner Hetzschold, Karl-Otto Kaminski, Tengis Khachapuridse, Renate Kinzel, M. Wolfram Kutzscher, Peter Lechler, Fritz Leverenz, Anna B. Lippmann, Evelyn Bernadette Mayr, Gabriele Nakhosteen, Sabine Naumann, Ingrid Peter, Esther Redolfi, Bruno Rauch, Catherine Santur, Isabel Schenk, Paul Schöppl, Natascha Tesar-Pelz, Hannelore Thürstein, Kerstin Werner, Marlene Wieland

Naumann / Redolfi / Ferst Brücken ins Land jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


Mesut Bayraktar
Möwen auf der Brücke Diese Nächte waren nichts anderes als Zauber. In ihnen drehte sich nicht das Rad der Zeit, auch hielt die Zeit nicht an. Vielmehr fand das Fließen des Jetzt weiterhin statt, aber das Namenlose war, dass das Fließen des Jetzt aus seinem allbekannten Rahmen fiel und sich selbst überschritt. Es wurde zeitlos. Wir fassten gemeinsam die Weltgesamtheit im verdichteten Moment ihrer Flüchtigkeit in ihrem kleinen Zimmer unter einer Dachschräge zusammen. Diese Nächte waren das Suchen nach der Wesentlichkeit der Dinge und das Deutlichmachen der Undeutlichkeit des Selbst. Für einen Augenblick siegten wir, lediglich für einen Augenblick über die Unmöglichkeit der menschlichen Begegnung. Dabei sollte ich ihr nur kurz etwas bringen. Es war mitten in der Woche. Sie hatte mich kurzfristig darum gebeten, ihr einen juristischen Kommentar zur Bearbeitung einer Akte zu bringen. Da ich noch beim Gericht war und ein Auto besaß, besorgte ich ihr den Kommentar aus der Gerichtsbibliothek und fuhr am späten Nachmittag zu ihr. Sie wohnte alleine in einem Dachgeschoß eines fünfstöckigen Altbauhauses am Rand der Stadt. Vor dem Gebäude befand sich ein dickes, weißes Metalltor, dahinter ein kleiner, unregelmäßig gepflegter Garten, wo die Eingangstür zum Haus sich befand. Der hölzerne Treppenflur, jede Stufe knarzte, war akkurat mit einem schmalen, gräulichen Teppich verlegt, der den Schall der Schuhsohlen etwas dämpfte. Auf jeder Etage breiteten sich große Fenster aus, die zur Straße guckten und das abnehmende Tageslicht einfingen. Ich war das erste Mal in diesem Haus, und es machte in gewisser Weise Eindruck auf mich, vielleicht wegen der Tatsache, dass sie hier wohnte. Ich weiß es nicht, ich weiß nur, dass ich so etwas wie Anmut spürte, die mit jeder Treppenstufe in mir wuchs. Auf der höchsten Etage angekommen, erstreckte sich vor mir eine Wand aus milchigem Glas, das bis zu der hohen Decke reichte. Mittendrin stand eine Tür im Rahmen. Zunächst dachte ich, dass sie hier wohnen würde, sodass ich eine Hand auf die kühle, bronzene Türklinke legte. Sobald ich aber aus dem Augenwinkel sah, dass sich links von mir, schräg neben der Wand aus milchigem Glas, eine weiße Tür, die ich vorher nicht erkannt hatte, öffnete, wandte ich mein Gesicht um und sah sie, wie sie mit ihren perlblauen Augen lächelnd aus dem Türrahmen, der sie wie ein Engel zu einem Gemälde festhielt, guckte. Ich zog meine Hand von der Türklinke und ging ihr entgegen. Sie umarmte mich, dabei roch ich ihre milde Haut am schmalen Nacken, wo sich einige Härchen aufwärts kräuselten. Sie bat mich reinzukommen. Zunächst erwartete ich, dass ich ihr den Kommentar kurz geben und dann wieder verschwinden würde, da sie sicher viel zu tun hätte, bat sie mich doch kurzfristig darum. Daher war ich überrascht als ich in ihrer Wohnung war, auf einem kleinen, weißen Sofa neben ihrem Bett saß, umgeben von dem milden, einmaligen Duft ihrer Haut, der ihre überschaubare, kleine Einzimmerwohnung füllte und die glatte Oberfläche meiner dreidimensionalen Wirklichkeitsbilder wie mit einer Messerspitze aufschnitt. Im Zimmer standen eine kleine Kochdiele, daneben ein Kleiderschrank und eine Kommode, ein kleines Bücherregal, darin ein integrierter Schreibtisch, ein Sofa und ein Bett. Ihre Möbel waren größtenteils in weißen oder hellen Farben. Eine gewisse Unantastbarkeit legte sich auf sie wie ein durchsichtiger Schleier. Der Boden war mit einem dunkelblauen Teppich verlegt und die Decke fiel schräg auf die Wand gegenüber jener, wo die Eingangstür war. Zwar hatte die Wand keine Fenster, was einengend wirkte, jedoch – und das fiel mir erst später auf – streckten sich zwei große Fenster auf der Dachschrägen, die geradewegs auf den Himmel gerichtet waren, als wären sie Eingangstüren des Firmaments, mit denen man wie durch Schlüssellöcher hinter die Bilder von Tag und Nacht lauschen könnte. Sie gab mir einen Tee, und wir tauschten uns kurz aus. Sie erzählte mir ihre Schwierigkeiten, die sie mit der Bearbeitung der Akte hatte. Ich spürte Mitgefühl, da sie sich sichtlich damit quälte. Ich bot ihr daher meine Hilfe an. Sie lächelte, lehnte jedoch dann ab, da sie es schon selbst schaffen werde. Dann rauchten wir noch eine Zigarette in ihrem ebenso kleinen, überschaubaren Badezimmer, wo neben der Toilette ein geöffnetes Fenster war. Sie stand, ich setzte mich auf die zugeklappte Toilette und krümmte mich rauchend über meine überkreuzten Beine. Es wurde schon dunkel, und inzwischen war ich schon seit über einer Stunde bei ihr. Als ich dies bemerkte, bedankte ich mich für den Tee und sobald ich mich verabschieden wollte, schnitt sie mir mit gesenktem Blick mein Wort ab und sprach leise: „Bleib doch noch.“ Das hatte ich sicher nicht erwartet. Ich verstummte, rauchte die Zigarette zu Ende und rätselte über ihren Willen, der mir wie ein Becken voll Sehnsucht schien, wie ich es noch nicht kannte. Nicht, dass wir noch nie was miteinander gehabt hätten, unzählige Male lagen wir einander auf der Brust, aber diese Art Sehnsucht in ihrem Blick, die mir die Tür zu ihrer Wohnung öffnete, wunderte mich, da bis zu diesem Zeitpunkt eine durchsichtige Scheidewand sich zwischen uns schob, die zwar zuließ, dass ich ihren und sie meinen Kosmos sehen durfte, aber ein Stillschweigen uns befahl, niemals über diese Grenzlinie hinweg die Welt des anderen zu betreten. Diese Sehnsucht, dieses Verlangen kannte ich nicht an ihr. In diesem Ausmaß war sie mir neu. Nun hatte etwas diese Scheidewand zwischen uns weggeschoben. Ich musste sie nicht mehr durch etwas Unsagbares sehen, ich konnte unmittelbar in ihr Ich fallen, so wie sie in das meine. Wir gingen wieder in ihr Allzweckzimmer. Ich setzte mich auf das Sofa, sie neben mich. Ich versuchte ihr zu entlocken, was sie bedrängte, doch scheinbar war da nichts, nichts als Sehnsucht im leeren Raum. Sie trug eine hautenge Jeans, eine weiße Bluse und ihre blonden Haare waren am Hinterkopf zu einem Knäuel gebunden. Aus ihrem hellen Gesicht strahlten große, blaue Augen, die wie zwei sattblaue Himmelsfalter unter ihren unscheinbaren Augenbrauen hockten. Plötzlich legte sie eine Hand auf meinen Nacken, mein Puls stieg und meine Lenden pressten mir die Luft in meinen Eingeweiden zusammen, und im nächsten Augenblick spürte ich ihre Lippen auf den meinen. Ich legte meine Hände auf ihre Hüften, packte fester zu und ohne jede Überlegung verschwanden sie unter ihrer Bluse. Ihre Haut war warm wie eine Glühbirne. Wir wälzten uns auf ihr kleines Bett. Ich zog ihr nach und nach ihre Bluse, ihre Jeans und ihre Unterwäsche aus. Sie lag nackt wie das verschollene Blütenblatt einer Seerose vor mir. Dann zog sie mich aus, auch ich lag nun nackt neben ihr. Wir schmiegten unsere Körper aneinander wie zusammenfallende Wachstropfen, die im selben Punkt ins Wasser fallen, küssten uns und fuhren mit der Zunge über den Hals des anderen. Ich strich mit meinen Fingern über ihre helle, atmende Haut, über ihre Gesichtskonturen, in dem die Wangenknochen ihre Gesichtshälften zaghaft wölbten, über ihren Rücken, ihre Wirbelsäule, ihr Becken, ihren Bauch, in den sich eine kleine Grube schraubte, über ihre Brüste, ihre Murmel gewordenen Brustwarzen, über jeden Zweig ihres Gerippes, unter dem ihr Herz schlug, kurz, über ihre ganze Knochenanatomie, auf der sich ihre Schale aus Haut spannte; womöglich tat ich dies, um mich zu vergewissern, dass sie wirklich bei mir war, dass sie existiert, dass ich existiere, dass wir nicht nur eine flüchtige Verdünstung eines fragilen Ganzen waren, das mit einer Klaviertaste kommt und mit der nächsten vergeht. Irgendwann begannen wir zu schwitzen, doch das kümmerte uns nicht weiter. Wir überquerten die Grenzen der Scham und gelangten in das Gebiet unbedingter Aufrichtigkeit. Es war, als schälten wir uns in den Zustand völliger Öffnung unserer Körper und Seelen und verschmolzen in das tiefste Weltgeheimnis, das hinter den Vorhängen der Dinge gedankenstill und verborgen sein Werk verrichtet. Ich übernachtete bei ihr, nicht nur eine Nacht, sondern drei, vier Nächte. Das weiß ich nicht mehr so genau. Die Tage und Nächte schwammen ineinander, ohne sie noch trennen zu können. Nachts legten wir die Matratze auf den Teppich und schauten aus den riesigen Fenstern ihrer Dachschräge in den schwarzen Himmel, in dem lebende und tote Sterne wie Laternen der Milchstraße blinzten. Sie hob ihren Arm und ging mit zwei Fingern durch das Universum. Das tat ich ihr nach. Wir waren nackt, unsere Blöße reichte sich die Hände, wir tranken dann und wann ein Glas Wein und rauchten Zigaretten. Ebenso wie ich hatte auch sie die Arbeit vergessen. Wir meldeten uns krank, sorglos, und pfiffen auf die Fesseln des Alltags. Wir waren frei. An einem der Abende überraschte sie mich. Sie stand auf und klappte die längliche Kante eines kleinen, hölzernen Klaviers auf, das ich vorher für einen Schrank oder eine Kommode hielt. Ohne jede Ankündigung begann sie sanfte Rhythmen zu spielen, von...



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.