Vom sonderbaren Verhalten der Generation Beziehungsunfähig
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
ISBN: 978-3-8437-0820-3
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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Vom Suchen und Finden der Liebe
Es gibt diese Fehler, aus denen ich nicht lerne. Fehler, die ich trotz umfangreicher Erfahrungswerte immer wieder mache. Einer dieser Fehler ist beispielsweise die Annahme, dass es nicht unwahrscheinlich ist, im Nachtleben die Frau meines Lebens zu finden. Es ist eine naive Annahme, ich weiß. Natürlich finde ich sie nicht. Perfekte Frauen haben andere Dinge zu tun, als sich um sechs Uhr morgens in irgendwelchen Bars oder Clubs aufzuhalten und den nächsten Gin Tonic zu bestellen. Bessere Dinge. Und – um mich an dieser Stelle auch mal selbstkritisch zu hinterfragen – perfekten Männern geht es da sicherlich ähnlich. Ich kenne einen Mann in meinem Alter, der mir, als ich ihm mein Problem schilderte, in einem langen Gespräch erläuterte, dass man der perfekten Frau ausschließlich in Alltagssituationen begegnet. In der Straßenbahn, in Kaufhäusern oder in der Schlange beim Bäcker. Ich nickte zustimmend. Seine Ausführungen klangen schlüssig. So schlüssig, dass ich seit unserem Gespräch in alltäglichen Situationen darauf achte, ob meine potentielle große Liebe darin vorkommt. Und was soll ich sagen, der Mann hatte recht. Neulich stand vor mir in der Schlange beim Bio-Markt eine Frau, die in mein Bild einer perfekten Frau passte, und auch als ich kürzlich auf dem Weg zu einer Freundin war, entdeckte ich eine dieser perfekten Frauen in der vollbesetzten Straßenbahn. Ich war beeindruckt. Es gab sie, die Chancen waren da. Ich musste sie nur ergreifen. Leider, muss man wohl sagen, denn ich werde sie wohl nie nutzen. Ich bin einfach zu schüchtern, um in Alltagsmomenten spontan Frauen anzusprechen. Ich bin irgendwie nicht der Typ, der in der vollbesetzten Straßenbahn zu einer schönen Frau geht, um mit ihr auf natürliche Art ins Gespräch zu kommen, während uns die anderen Fahrgäste beobachten, als wären sie Rentner, die anderen beim Einparken zusehen. Ein Publikum, das auf einen Unfall hofft. Das erhöht den Druck schon sehr. Ich glaube nicht, dass ich fähig bin, über meinen Schatten zu springen. Da stehe ich mir selbst im Weg. Aber es gibt ja noch andere Möglichkeiten. Letzten Sommer hat mir jemand erzählt, es gelte als statistisch erwiesen, dass die meisten Beziehungen am Arbeitsplatz entstehen. Das wäre ein Ansatz. Leider arbeiten in meiner Firma keine weiblichen Angestellten, und ich bin so durch und durch heterosexuell, dass ein Flirt mit meinen männlichen Kollegen keine Option ist. Also bleiben mir nur die Nächte. Vorerst zumindest. In den Nächten schlägt ja auch der Alkohol eine Brücke. Saufen verbindet. Das kann natürlich auch hin und wieder zu Fehleinschätzungen führen. Nach dem dritten Wodka Red Bull entdeckt man im Gespräch mit einer Unbekannten schon mal Verbindungen, vielleicht sogar auf mehreren Ebenen – emotional, intellektuell und womöglich sogar spirituell. Am vorigen Samstagabend fragte mich eine Frau namens Judith: »Bist du glücklich?« Bist du glücklich? Ein Satz, der vieles impliziert, vor allem, wenn er um vier Uhr morgens in einer Bar fällt, in der sich unzählige betrunkene und viel zu laute Menschen aneinanderdrängen. In einem Umfeld, in dem normalerweise so existentielle Themen erörtert werden wie die Frage, ob man zum Wodka Red Bull oder Bitter Lemon bevorzugt, kann man in einen solchen Satz vieles hineininterpretieren: Anteilnahme, Interesse, Menschenkenntnis, Einfühlungsvermögen und natürlich eine gewisse Tiefe der vorangegangenen Unterhaltung. Tja. Leider erzählt dieser Satz nicht die ganze Geschichte. Ich war mit meinem guten Freund Frederick im Trust. Das Trust ist eine Bar in Berlin-Mitte, die wir hin und wieder besuchen. Eine Bar, in der ausschließlich hochprozentige Spirituosen angeboten werden. Dort bestellt man kein Glas Gin Tonic, man bestellt eine Halbliter-Karaffe Gin. Tonic, Gläser und Eis werden dazu serviert. Man mischt seine Drinks selbst, das ist das Konzept. Ein Konzept, das Konsequenzen haben kann, wenn man bereits drei Gläser getrunken hat. Vielleicht lag es unter anderem daran, dass ich gegen vier Uhr morgens eine Frau entdeckte, die mir gefiel. Als sich unsere Blicke trafen, lachte sie ein offenes und herzliches Lachen. Bevor ich das erwidern konnte, fiel mir der Mann auf, der neben ihr stand und herausfordernd in meine Richtung starrte. Ich lächelte müde und drehte mich kopfschüttelnd weg. Offen gestanden verstehe ich manche Frauen nicht. Warum gehen sie mit ihrem Freund in solche Bars? Man geht ja auch nicht mit einer Flasche Wein ins Restaurant. Den bestellt man dort. Ich blickte mich nach Frederick um und entdeckte ihn im hinteren Teil der Bar, wo er sich angeregt mit zwei auffallend vollbusigen Frauen unterhielt. Es wirkte, als würden sie die Weltlage diskutieren, was in einer Bar wie dem Trust gewissermaßen ein Paradoxon darstellt. Ich gab ihm mit der Hand ein Zeichen und begann mich durch die Menge zu drängen. Plötzlich spürte ich eine Hand an meinem Arm und wandte mich um. Es war die Frau, die mich gerade so herzlich angelacht hatte. »Hi«, sagte sie. »Hi«, erwiderte ich. »Bist du glücklich?« Judiths Frage traf mich mit voller Wucht. Sie überforderte mich. Ich habe ja schon gewisse Schwierigkeiten, die Begrüßungsworte »Wie geht’s« als Floskel zu begreifen. Oft setze ich – gewissermaßen im Affekt – zu einer umfangreichen Antwort an, bevor ich begreife, dass es einfacher ist, jetzt einfach »gut«, »ausgezeichnet« oder »phantastisch« zu sagen. Ich begreife das recht schnell, aber anfangs gibt es immer diesen kleinen naiven Moment. Jemand mit solchen Affekten ist einem »Bist du glücklich?« natürlich schutzlos ausgeliefert. Allerdings war ich mir nicht sicher, ob es nicht vielleicht eine Form der Ironie war, die ich nicht verstand. Das konnte sie nicht ernst meinen. Ich suchte nach einem Augenzwinkern, das alles aufgelöst hätte, aber Judith sah mich nur abwartend an. Sie meinte es ernst. Nun ja. War ich glücklich? Mit einem »gut«, »ausgezeichnet« oder »phantastisch« kam ich hier leider nicht weiter. Also sagte ich zögernd: »Na ja. Ich geb mir Mühe.« Das schien die richtige Antwort zu sein, denn zwanzig Minuten später wusste ich, dass sie Judith hieß und Wein und Kaffee mochte, dass sie und ihr Ego »Freunde geworden« waren, dass sie »zu viel« Psychologie heute las und ihre Vergangenheit nach Phasen sortierte. Wenn ich es richtig verstand, hatte es eine Gothic-Phase gegeben, eine Hip-Hop-Phase und auch eine Bulimie-Phase, die irgendwie nicht so richtig in diese Aufzählung passte. Ich war mir nicht sicher, in welcher Phase Judith sich inzwischen befand. Ich wusste nur, dass es die Phase war, in der ich vorkam. Tja – da hatte ich wohl mal wieder so richtig viel Glück gehabt. Judith sprach sehr viel. Ich schien eine geeignete Projektionsfläche zu sein. Aber offenbar empfand sie jeden, der nicht viele Worte machte, als geeignete Projektionsfläche. Ich hatte in den letzten zwanzig Minuten nur einen zusammenhängenden Satz gesagt. Und es war nur ein kurzer Satz. Ich sagte: »Ich bewundere deine Offenheit.« Manchmal stellte Judith zwar Fragen, aber die liefen ins Leere, denn ich hatte mich noch nie ernsthaft mit den Auswirkungen meines Sternzeichens auf meine Persönlichkeit auseinandergesetzt. Ich wusste auch nicht, was mein Aszendent war. Genau genommen weiß ich nicht einmal, was ein Aszendent überhaupt ist. Ich überlegte kurz, sie danach zu fragen, entschied mich jedoch dagegen. Sonst würden wir die nächste Stunde nur noch über Astrologie reden, die viele Frauen ja – soweit ich das beurteilen kann – als eine Art Psychologie light verstehen. Ich lese keine Horoskope. Mir fehlt der Bezug zu Horoskopen. Genauso wie zu Judith. Aber das konnte ich ihr natürlich nicht sagen. Noch nicht. Ich wartete auf eine Pause in ihrem Redefluss, um mich schnell von ihr zu verabschieden. Ich hatte Glück. In genau diesem Moment unterbrach Judith ihren Redefluss, um einen Schluck von ihrem Gin Tonic zu trinken. Ich legte meine Hand auf ihren Arm und nutzte meine Chance. »Ich will jetzt mal ganz offen sein«, sagte ich behutsam. »Ich würd heute gern mit dir zusammen einschlafen.« Judith sah mich an. Einen Moment lang dachte ich ein wenig irritiert darüber nach, warum genau ich meinen Verabschiedungsvorsatz in den letzten Zehntelsekunden verworfen hatte. Es lag wohl am Alkohol. »Das würd ich auch gerne«, sagte sie und überlegte kurz, bevor sie hinzufügte: »Damit du weißt, worauf du dich einlässt.« Sie gab mir ihr Glas und streckte mir die Innenseiten ihrer Unterarme entgegen. Wir standen in dem Raum, der sich hinter dem DJ-Pult befand. Hier war es ziemlich dunkel. Es fiel mir schwer, überhaupt etwas zu erkennen. Als ich dann die Narben sah, hatte ich eine ungefähre Vorstellung davon, worauf ich mich da einlassen würde. Aber eigentlich hatte ja schon Judiths einleitende Frage ihr verhaltenspsychologisches Profil vorweggenommen. Ich sah Judith in die Augen, nickte ein beruhigendes »Darüber-würde-ich-wirklich-gern-mit-dir-reden«-Lächeln und spürte verzweifelt, dass mir Eddie Murphy gerade sehr nah war. Eddie Murphy spielt in der Achtziger-Jahre-Komödie Der Prinz aus Zamunda einen afrikanischen Prinzen, der nach New York reist, um die Liebe seines Lebens zu finden. Er hat nur einen Monat Zeit. Die ersten sieben Tage verbringt er in den Bars und Clubs der Stadt. Er lernt dort viele Frauen kennen, und nach dieser Woche stellt er desillusioniert fest: »Offenbar haben alle Frauen in...