Nahai | Im Land der tausend Sterne | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 312 Seiten

Nahai Im Land der tausend Sterne

Roman
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-96655-576-0
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Roman

E-Book, Deutsch, 312 Seiten

ISBN: 978-3-96655-576-0
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Eine Frau, gefangen wie ein exotischer Vogel Mitte des 20. Jahrhunderts: Ihr Name ist Blue, weil ihre Augen so blau sind wie die Wasser des Marmara-Meeres, und ihre Heimat liegt unter weitem Sternenzelt - doch dann wird sie von einem Forscher als Ehefrau gekauft und aus dem Orient in das fremde Amerika verschleppt. Wie eine Gefangene im goldenen Käfig ist sie fortan ein bloßer Spielball der Männer, die ihre Schönheit begehren - und ihre stille Stärke zu brechen versuchen. Doch dann führt das Schicksal Blue mit dem jungen Journalisten Adam zusammen, der in der wilden Bergwelt Nordamerikas nach dem Mörder seines Vaters sucht. Er ist Blues einzige Chance auf Freiheit. Aber was sie über seinen Vater weiß, könnte ihre Verdammnis bedeuten ... Eine Reise in das Herz des Orients: Gina B. Nahai haucht ihren Geschichten mit Sinnlichkeit und Mystik prachtvolle Farbe ein.

Gina B. Nahai, 1961 in Teheran als Tochter iranischer Juden geboren, ging 1977 in die USA. Dort gilt sie als politische Stimme der iranischen Juden und publiziert u. a. in der Los Angeles Times, der Chicago Tribune und dem San Francisco Chronicle. Ihre Orientromane wurden in 16 Sprachen übersetzt. Die Geschichte ihrer Großmutter, einer engen Vertrauten des letzten Schahs, inspirierte sie zu ihrem Roman »Die Töchter des Pfauenthrons«. Gina B. Nahai lehrt heute an der University of Southern California und lebt in Los Angeles. Bei dotbooks veröffentlichte Gina B. Nahai ihre Romane »Die Töchter des Pfauenthrons«, »Im Land der tausend Sterne« und »Ein Schleier aus Mondlicht«, die auch im Sammelband erhältlich sind.
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Kapitel 2


Die Pension lag im Dämmerlicht und war voller Schatten. Blue führte Adam durch den schmalen Flur im Erdgeschoss, während die Holländer sie von dem oberen Treppenabsatz aus anstarrten. Der Hotelbesitzer, ein Homosexueller aus Michigan, hatte die Erregung der Jungen gespürt und war in den Flur gekommen, um zu sehen, was los war. Er war Kostümbildner und Ende der sechziger Jahre nach Knoxville gekommen, um an der Universität beim Aufbau des ersten Theaterstudienganges mitzuwirken. Er hatte geplant, einen, vielleicht zwei Monate zu bleiben. Doch dann war er dem Grün der Appalachen und der Ruhe des breiten Tennessee erlegen, der schweigend durch die Stadt strömt. Die feuchte Luft in Tennessee tat wohl im Vergleich zur rauen Härte Michigans, und die ruhige, verlassene Innenstadt bot ihm eine tröstliche Anonymität. Nun führte er die Pension und sammelte kleine Glasfiguren, mit denen er jede Fläche seines Wohnzimmers im Erdgeschoss voll stellte.

Blue trat auf ihn zu und nahm seine Hand. Er schenkte ihr ein herausforderndes, wissendes Lächeln, das allein für sie bestimmt war und Adam ausschloss.

»Wie mutig du bist, meine Liebe«, flüsterte er. Seine Bemerkung spielte darauf an, dass sie so gut wie nackt war, ihr Haar ketzerisch offen trug und barfuß ging. Bei den Holy Rollers der südlichen Appalachen waren Frauen, die zu viel Haut zeigten, sich das Haar abschnitten oder sich gewagt kleideten, verschrien wie die Isebel des Alten Testaments. Sie wurden aus der Kirchengemeinde ausgeschlossen und von den Gläubigen geschnitten. Holiness-Frauen trugen schmucklose, langärmelige Kleider, die bis auf den Boden reichten. Sie banden ihr Haar zurück, schminkten sich nicht, trugen keinen Schmuck und verschmähten selbst Armbanduhren. Aus seinen Gesprächen mit den Leuten in der Stadt hatte Adam erfahren, dass Blue sich bis vor kurzem an die Gepflogenheiten ihrer Kirche gehalten hatte und weder ihre Schönheit zur Schau gestellt, noch Haut gezeigt hatte. Seit sie nach Little Sams Tod aus der Sekte ausgetreten war, setzte sie sich jedoch über alle Kleidervorschriften hinweg.

Adam fand, dass sie in der Tat mutig war und darin dem Pensionsbesitzer ähnelte. Beide waren sie Ausgestoßene, Einzelgänger, die wenig zu verlieren hatten. Und bis auf ihre Freundschaft zu anderen gefallenen Engeln waren sie auf sich gestellt.

Der Pensionsinhaber bedachte Adam mit einem prüfenden, missbilligenden Blick, dann trat er einen Schritt zurück und ließ ihn in den Raum mit den farbigen Glasfiguren ein.

Eine kobaltfarbene Wildledertapete bedeckte die Wände des Wohnzimmers. Der Fußboden war aus dunklem Holz, die Sessel mit rotgelb gestreiftem Samt bezogen. Auf den Tischen und auf dem Kaminsims leuchteten Glastiere in allen Farben und Formen. Blue mit ihrem durchscheinenden Kleid sah in dem blassen, durch die halb offenen Fensterläden hereinströmenden Licht so zart, zerbrechlich und zauberhaft aus wie das Glas.

Sie ging in die Mitte des Zimmers und wandte sich dann zu Adam um. Ihr Kleid, das ihre tiefblauen Augen betonte und nur ihre nackten Füße sehen ließ, umhüllte sie wie ein weißer Lichtfleck. Sie wartete darauf, dass Adam ihr folgte, aber er blieb zögernd auf der Schwelle stehen, der Gefahr bewusst, die auf ihn lauerte, wenn er ihr zu nahe kam. Er stand an den Türrahmen gelehnt, fasziniert und auf der Hut, angezogen und abgestoßen zugleich. Von seinem großen, schlanken, unauffälligen Körper ging eine alte, fast bedrohliche Spannung aus. Man sah ihm noch an, dass er als junger Mann im Freien gearbeitet hatte, aber er sah älter aus als seine 39 Jahre, verbrauchter. Sein breites, kantiges Gesicht hatte von den Schlägen, die er als Kind über sich ergehen lassen musste, eine Narbe auf der linken Wange zurückbehalten. Seine Augen, die so hellbraun waren wie sein Haar, ruhten auf Blue, weigerten sich aber, sie an sich heranzulassen.

Sie bemerkte es und lächelte.

»Ich habe gesehen, dass Sie mein Haus beobachtet haben«, sagte sie.

Ihre volle, schleppende Stimme klang verführerisch. Die Laute perlten von ihren Lippen in die träge Hitze des Raumes mit seiner schweren, reglosen Luft, senkten sich auf den Rücken der Glaspferde des Pensionsbesitzers, verfingen sich zwischen den Schlaufen der bestickten Leinendeckchen auf den Armlehnen und fielen auf die Blätter der Rosen im rotblauen Perserteppich.

»Ich sah, wie Sie Mrs Roscoe auf der anderen Straßenseite Fragen stellten. Ich hörte, dass Sie mit meiner Freundin Anne Pelton in Pineville sprachen.«

Da hatte sie ihn doch tatsächlich in einem Augenblick der Unachtsamkeit erwischt. Sie hatte die Rollen vertauscht, die ihn zum Jäger und sie zur ahnungslosen Beute machen sollten. Aber wenigstens wirkte sie nicht feindselig.

»Ich beobachte Sie vom Fenster meines Schlafzimmers. Sie warten darauf, dass wir, mein Mann oder ich, das Haus verlassen, aber an unsere Tür klopfen Sie nicht.«

Adam holte eine Zigarette aus der Tasche und zündete sie an. Das Spiel kam ihm bekannt vor. Als Reporter hatte er mit ähnlichen Frauen zu tun gehabt; in die Enge getrieben oder in der Falle sitzend, wussten sie, dass sie nur dann eine Möglichkeit hatten, zu entkommen, wenn es ihnen gelang, den Gegner von ihrer Harmlosigkeit zu überzeugen.

Er blies etwas Rauch in die Luft und sah zu, wie er den Klang von Blues Stimme in kleine Kringel zerschnitt.

»Ich arbeite an einer Story«, sagte er gleichmütig. »Mit Ihnen hat das wenig zu tun.«

Wieder lächelte sie, als wollte sie ihm zu verstehen geben, dass sie es besser wusste. Er war zornig auf sie und unzufrieden mit sich, weil er sie den ersten Schritt hatte tun lassen. Er musste die Situation wieder in den Griff bekommen, ihr klar machen, wer hier den Ton angab.

Er schnippte die Zigarettenasche auf den Dielenboden, nicht weit von den Seidenfransen des Perserteppichs entfernt, und bemühte sich nicht einmal, sie zu verstecken. Dann betrat er das Zimmer und setzte sich auf einen Stuhl neben einem Sekretär.

»Ich schreibe für eine Zeitung«, sagte er bewusst herablassend, als sei sie geistig zurückgeblieben. »Sie könnten bekannt werden.«

Sein Sarkasmus berührte sie nicht. Kämpfen will sie also nicht, dachte er. Er streckte die Beine aus und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.

»Woran denken Sie?«

Gerade in diesem Augenblick erschien der Kostümbildner in einem grünen Leinenanzug und Wildlederschuhen. Er war in Begleitung seiner beigen Perserkatze und trug ein Tablett mit einer Schale Pralinen und einem einzelnen Glas. Er blieb in der Tür stehen, musterte Blue und Adam und fragte:

»Möchten Sie vielleicht etwas trinken, meine Liebe?«

Er sah Adam zwar an, aber es bestand kein Zweifel daran, wem er das Getränk anbot.

»Süß und leicht«, sagte er neckisch, »wie die Liebe mit einem Fremden.«

Blue streckte die Hände aus, um das Tablett entgegenzunehmen. Sie wandten sich dem Pensionsinhaber zu, als sei er ein sicherer Hafen.

Mit theatralischem Gehabe huschte dieser an Adam vorbei.

»Benutzen Sie bitte einen Aschenbecher.«

Sie stellte das Tablett und die Pralinenschale auf einem Tischchen ab, dann sah sie wieder zu Adam hinüber.

»Sie sind wegen Sam hier«, sagte sie unvermittelt. Bedauern klang aus ihrer Stimme. Sie ist wie Wasser, dachte er, klar, durchscheinend und stark. Ganz anders als er erwartet hatte; ganz anders als er gehofft hatte.

»Sie sind hier, weil Sie wissen wollen, ob ich ihn umgebracht habe.«

Ihre Kühnheit gefiel ihm. Wie sie mutig die Dinge beim Namen nannte und dabei ein kühles Gesicht und einen kühlen Körper behielt, obwohl sie unter Druck stand. Dann fühlte er jäh seinen Zorn erwachen.

»Und haben Sie ’s getan?«, stieß er zu. »Haben Sie ihn umgebracht?«

Eine Antwort erwartete er zwar nicht, aber er wartete, dass seine Frage ihre zerstörerische Wirkung zeigte. Befriedigt beobachtete er, wie sich die Fältchen um Blues Augen verengten und sich ihr Atem verlangsamte.

»Denn das ist eine ernste Sache, einen Mann vorsätzlich zu töten. Das hat Folgen, hier, in der realen Welt.«

Er hörte den Zorn in seiner Stimme, konnte ihn aber nicht unterdrücken. Er zeigte zu viel Gefühl, er verriet einen Mangel an Objektivität, der seine Arbeit abwerten würde.

»Vorausgesetzt natürlich, dass Sie ihn tatsächlich vorsätzlich getötet haben.«

Sie kam zu ihm und kniete sich auf dem Boden vor seinem Stuhl hin. Ihrer beider Augen waren fast auf gleicher Höhe, seine etwas über den ihren. Er spürte jäh, wie er die Hand nach ihr ausstrecken wollte, um den Stoff ihres Kleides zu berühren, wie er die Linie ihrer Oberlippe mit den Fingern nachzeichnen wollte.

»Den ganzen Tag lang höre ich den Klang Ihrer Stiefel auf dem Asphalt« flüsterte sie wie für sich selbst.

Sie sah ihn an, als wollte sie prüfen, ob er real sei, beobachtete ihn, als sei er ein Geist, der zum Leben erwacht.

»Ich spüre Ihre Stimme in meinem Kopf, und wenn ich in den Spiegel schaue, sehe ich das Weiße Ihrer Augen.«

Ihre Augen waren riesig, ruhig und tief. Sie sahen ihn nicht prüfend an, sondern zogen ihn vielmehr in sich hinein. Er hatte das Gefühl, als triebe er in etwas Warmem, Schwerem, in den Wassern des Roten Meeres, auf dem er einmal in einem Zustand vollendeter Ruhe gelegen hatte, die Augen geschlossen, die Sonne im Gesicht, mit dem Gedanken, dass so der Tod sein müsse.

»Ich beobachte Sie und sehe die Linien unserer beider Leben zusammengeworfen wie ein Wunsch, sehe unsere Farben ineinander laufen, bis sie sich ganz vermischt haben, unsere Körper ineinander verschlungen auf der Suche nach Gleichheit.«

Ihre Haut erglühte beim Sprechen. Er wollte...



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