E-Book, Deutsch, 1291 Seiten
Nahai Die Töchter des Pfauenthrons, Ein Schleier aus Mondlicht & Im Land der tausend Sterne
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-98952-325-8
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Drei eBooks in einem Band | Große Familiensagas aus dem alten Persien auf über 1.200 Seiten
E-Book, Deutsch, 1291 Seiten
ISBN: 978-3-98952-325-8
Verlag: dotbooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Gina B. Nahai, 1961 in Teheran als Tochter iranischer Juden geboren, ging 1977 in die USA. Dort gilt sie als politische Stimme der iranischen Juden und publiziert u. a. in der Los Angeles Times, der Chicago Tribune und dem San Francisco Chronicle. Ihre Orientromane wurden in 16 Sprachen übersetzt. Die Geschichte ihrer Großmutter, einer engen Vertrauten des letzten Schahs, inspirierte sie zu ihrem Roman »Die Töchter des Pfauenthrons«. Gina B. Nahai lehrt heute an der University of Southern California und lebt in Los Angeles. Bei dotbooks veröffentlichte Gina B. Nahai ihre Romane »Die Töchter des Pfauenthrons«, »Im Land der tausend Sterne« und »Ein Schleier aus Mondlicht«, die auch im Sammelband erhältlich sind.
Weitere Infos & Material
Kapitel 8
Die Dunkelheit breitete sich über die Stadt aus wie ein riesiger schwarzer Schleier. Aufgeregt drängten die Menschen hinter der Karawane her zum Platz vor dem Palast der Vierzig Säulen. Esther die Wahrsagerin folgte ihnen, um den Eunuchen-Schah zu treffen.
Sie kannte Aga Mohammed Khans Zukunft. Sie hatte die Stunde seines Todes vorhergesehen. Vor langer Zeit, als sie noch im Harem und er noch nicht Herrscher gewesen war, hatte sie von seinen Schlachten und von seinem Kampf um den Thron gehört. Einmal hatte sie nachts die blinde Tochter des Scheichs betreut; sie hatte ihr Goldstaub in die Augen gerieben, damit sie ihr Augenlicht wiederfände. Sie hatte das Kind zu Bett gebracht und war gegangen, um sich die Hände zu waschen, und als sie in ihre glänzende, golden gefärbte Handfläche schaute, hatte sie den Schah sterben sehen.
Esther war von ihrer Vision zutiefst erschreckt; sie wußte: wenn sie ihr Wissen weitergab, würde sie es mit dem Leben bezahlen. Jahrelang hatte sie das Geheimnis bei sich behalten, aber heute abend fürchtete sie sich nicht mehr: sie würde sprechen.
Im Jahre 1794 war in Persien eine neue Dynastie an die Macht gekommen. Vorher war das Land viele Jahre lang im Krieg gewesen, zerrissen zwischen rivalisierenden Stämmen und Kriegern und den Erben alter, erloschener Dynastien, die in den Provinzen Macht ausübten, aber nicht das gesamte Reich zu vereinen vermochten. Dann war Aga Mohammed Khan zum stärksten Mann im Lande geworden.
Er war ein junger Mann, Erbe des Thrones einer Splittergruppe des türkischen Kadscharenstammes, der im nordwestlichen Teil von Persien herrschte. Er war häßlich und grausam und gnadenlos, getrieben von einem unbändigen Haß, der aus seiner tiefsten Seele emporstieg und seinen Thron mit Blut besudelte. Als Kind war er vom Führer des Stammes der Zand gefangengenommen und an dessen Hof in Schiras als Geisel gefangengehalten worden. Er wurde kastriert ? um sicherzugehen, daß er keinen Sohn zeugte, der ihn eines Tages rächen würde ?, aber ansonsten mit allem Respekt, den man einem königlichen Gefangenen entgegenbringt, aufgezogen. Doch mit jedem Tag, der vorüberging, fühlte Aga Mohammed Khan den Haß in seinem Herzen wachsen.
1794 floh Aga Mohammed Khan vom Hof des Zand-Stammes und proklamierte sich selbst zum Führer der Kadscharen. Er wartete, bis der Anführer der Zand starb. Dann führte er eine Armee nach Schiras, ließ den rechtmäßigen Erben zuerst blenden und dann durch Folter töten. In Schiras begann sein Eroberungsfeldzug durch Persien.
Er kämpfte gegen Herrscher kleinerer Provinzen und gegen kriegerische Stämme, gegen Rebellen, Diebe und gewöhnliche Männer, die er des Verrates verdächtigte. In Kerman erlaubte er seinen Truppen, alle Frauen zu vergewaltigen, ließ zwanzigtausend Männer blenden und baute aus den Schädeln der Opfer eine Pyramide, ln Tiflis ließ er die Kranken und die Alten töten und versklavte alle anderen, ln Teheran versprach er seinem Bruder die Regierungsgewalt über Isfahan, lockte ihn mit diesem Versprechen in den Palast und befahl dann, ihn zu töten. Er ließ wehrlose Bauern ins Gefängnis werfen, drohte, sie hinzurichten, und gab sie schließlich gegen ein Lösegeld wieder frei. Ganz Persien erzitterte bei der Erwähnung seines Namens.
Aus der Entfernung konnte Esther die Wahrsagerin den Platz vor dem Palast des Schahs erkennen; er war umgeben von zweistöckigen Backsteingebäuden mit kleinen Balkonen aus grünem Marmor. Die Nacht brach herein, und alle Umrisse begannen in der Dunkelheit zu verschwimmen. Wenige Augenblicke später leuchtete an einer Stelle des Platzes ein winziges Licht auf. Kurze Zeit flackerte es hin und her, dann brannte die Flamme ruhig vor sich hin. Noch eine Flamme wurde entzündet, und dann noch eine. Bald leuchteten auf dem ganzen Platz Lichter auf, bis die gesamte Häuserfront in ihrem Schein erstrahlte.
Fünftausend Öllampen brannten auf einem Platz, der nicht viel größer war als hundert Quadratmeter ? fünftausend winzige Lampen mit Schirmen aus feinem Kristall, die Schah Abbas der Große vor zweihundert Jahren in Isfahan in Auftrag gegeben hatte. Sie hingen von den Wänden, den Säulen, den Balkonen, von Hand bemalt, allesamt in sanften rosafarbenen und roten Farbtönen ? das Vermächtnis des alten Schahs, unter dessen Herrschaft Persien einst ein blühendes Reich gewesen war.
Als die Kavalkade des Schahs sich dem Platz näherte, verbeugten sich lange Reihen von vornehm gekleideten Männern vor Seiner Majestät: Sie waren wegen ihrer Schönheit ausgewählt worden und hatten sich für des Schahs Einzug auf beiden Seiten der Straße aufstellen müssen. Dann und wann hielt die königliche Kutsche an, und der Schah rief einen der jungen Männer heran, der dann ? erschreckt und geehrt zugleich ? zu ihm hinstürzte und sich Seiner Majestät vorstellte.
Nachdem er die Reihen der jungen Männer hinter sich gelassen hatte, wurde der Schah von einer Gruppe von Mullahs empfangen, die Lieder und Sprüche sangen und für die Gesundheit des Herrschers beteten. Während sie sangen, opferten sie Dutzende von Hammeln und warfen die blutenden Köpfe der Tiere unter die Hufe der Pferde des Schahs. Auch die Derwische sangen ihre Gebete für den Schah. Sie hielten mit Zucker gefüllte Glasgefäße in der Hand, die sie auf den Boden warfen, so daß sie vor der Kutsche zersplitterten.
Auf dem Platz hatten Straßenhändler und Künstler ihre Ware ausgebreitet. Dichter rezitierten mit wohlklingenden Stimmen und großartigen Gesten aus dem Buch der Könige. Akrobaten tanzten inmitten der Menge, Schauspieler ließen die Schlacht von Kerbela noch einmal erstehen, in der Hussein, der dritte Schüler des Propheten Mohammed, zum Märtyrer geworden war:
Während der Schlacht, als seine Truppen schon in Gefahr waren zu unterliegen, hatte Hussein versucht, seinen verwundeten Soldaten Wasser zu bringen. Er war ein junger Mann mit unschuldigen Augen und dem Gesicht eines Engels.
Der General der feindlichen Truppen, Jazid, war groß und breit; sein häßliches Gesicht war mit langen schwärzen Strichen bemalt, die ihm ein teuflisches Aussehen verliehen.
»Halt!« Jazid warf sich Hussein entgegen. »Die Lippen deiner sterbenden Männer sollen von keinem Tropfen Wasser benetzt werden.«
Ohne Jazid zu beachten, setzte Hussein seinen Weg fort.
»Halt, habe ich befohlen!« Jazid schwang sein Schwert und hieb Husseins rechten Arm ab. Wasser, gemischt mit Blut, spritzte auf den Boden.
Hussein stieß einen lauten Schrei aus. Dann nahm er den Wasserbeutel mit der linken Hand und setzte den Weg zu seinen durstigen Soldaten fort.
Wieder sauste Jazids Schwert durch die Luft. Diesmal hieb er Husseins linken Arm ab.
Kein Laut kam mehr über Husseins Lippen. Er kniete sich nieder und hob den Wasserbeutel mit den Zähnen auf.
Zutiefst bewegt von Husseins Mut zögerte Jazid einen Augenblick lang. Dann schwang er ein drittes Mal sein Schwert und köpfte den dritten Imam mit einem einzigen Hieb. Hussein wurde der erste Märtyrer unter den Schiiten. Er starb für seinen Glauben, opferte sein Leben, um gegen die Ungerechtigkeit zu kämpfen.
Am Rande des Platzes verkauften Bauern Schafe und Pferde, Heilkundige priesen ihre Künste gegen Rheumatismus und das Alter an, Ärzte saßen auf kleinen Teppichen im Schneidersitz auf dem Boden und warteten auf Patienten. In einem Winkel des Platzes wurden vor Zelten Prostituierte zur Schau gestellt; ihre Zuhälter warteten auf einen zahlungskräftigen Freier. Im Islam war die Prostitution verboten. Um sie indirekt doch zu ermöglichen, erlaubten schiitische Mullahs einem Mann, drei »lebenslängliche« Ehefrauen zu nehmen und so viele Ehefrauen »auf Zeit«, wie er es wollte. Er konnte sie für fünf Minuten oder auch für neunundneunzig Jahre heiraten.
Irgend jemand streckte die Hand nach Esther aus. Es war eine Bettlerin ? eine junge Frau mit einem Kind, das an ihrer Brust eingeschlafen war. Ihre entblößte Brust war von blutigem Schorf und Fliegen bedeckt.
An der Nordseite des Platzes erhob sich die Moschee des Schahs ? groß und eindrucksvoll und ehrfurchtgebietend wie Gott selbst. Direkt gegenüber der Moschee war der Ali Ghapoo ? der Eingang zum Palast der Vierzig Säulen, der als so heilig galt, daß niemand, nicht einmal der Schah, diese Schwelle jemals zu Pferd überqueren würde. An dieser geheiligten Stätte hatten einst, zu Zeiten des mächtigen Schah Abbas, Schwerverbrecher und kleine Diebe Zuflucht gesucht. Niemand außer dem Schah selbst hätte ihnen hier etwas zuleide tun können. Sie blieben dort und warteten auf einen königlichen Gnadenerlaß. Selbst wenn dieser nicht bewilligt wurde, konnten sie doch nicht aus dem Ali Ghapoo vertrieben werden. Man verweigerte ihnen allerdings Wasser und Nahrungsmittel, und man ließ ihnen die Wahl, entweder im königlichen Refugium zu verhungern oder durch die Hände der Verfolger draußen zu sterben.
Zu beiden Seiten des Ali Ghapoo standen Podeste; sie waren etwa einen Meter hoch und ganz und gar aus grünem Jadegestein. Hier hatten sich die besten Juweliere und Seidenhändler des Landes versammelt. Angelockt durch Erzählungen über Aga Mohammeds Gier hatten sie ihre Ware auf schwarzem Samt ausgebreitet, in der Hoffnung, daß der Schah auf seinem Weg zum Palast einen Blick darauf werfen würde.
Aga Mohammed hatte eigentlich gar nicht anhalten wollen. Er wollte so schnell wie möglich den Palast erreichen und die schweren Königsgewänder und seinen Hofstaat loswerden. Aber als er die funkelnden Juwelen erblickte, wurde er erneut von seiner Gier gepackt, und er befahl seiner Karawane anzuhalten. Wenn er an einem oder sogar an allen Steinen Interesse zeigte, dann würden die Juweliere ihn darum anflehen, sie...