E-Book, Deutsch, 130 Seiten
Nagy / Obendahl übergesetzt
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7065-6372-7
Verlag: Studien Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Sprachmittlung und Translation im Deutschunterricht
E-Book, Deutsch, 130 Seiten
Reihe: ide - information für deutschdidaktik
ISBN: 978-3-7065-6372-7
Verlag: Studien Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Termini "übersetzen" und "sprachmitteln" bezeichnen komplexe Phänomene, die in den Fremdsprachendidaktiken immer schon intensiv thematisiert wurden. Demgegenüber sind Ansätze, literarische Übersetzungen und Übersetzungsprozesse im muttersprachlichen Deutschunterricht fruchtbar zu machen, immer noch überschaubar.
Das Heft "übergesetzt" nimmt deshalb verschiedene Phänomene der interlingualen, intralingualen und interkulturellen Translation in den Blick und präsentiert Konzepte und Unterrichtsmodelle aus literatur- und sprachdidaktischer Perspektive. Dadurch soll eine Reflexion über Sprache und die Sprachlichkeit des Menschen sowie über gelingende und misslingende Akte des Übersetzens angestoßen werden.
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Editorial
Ohne Übersetzung würden wir in Provinzen leben, die ans Schweigen grenzen.
(George Steiner) Übersetzt – und auch übergesetzt? Hinter der sprachlichen Handlung des Übersetzens (mit der Betonung auf dem zweiten Wortbestandteil) steckt nicht selten die Hoffnung, gleichzeitig damit könne ein Vorgang des Übersetzens (mit betontem Präfix) gelingen. Wie ein trennendes Gewässer soll also durch die Übersetzung ein zunächst unüberwindlich scheinendes Hindernis zwischen Mensch und Mensch überschritten werden. Übersetzung strebt Verbindung und Kommunikation an, sie zielt auf die Überwindung von Fremdheit, Unverständnis und Gleichgültigkeit ab, sie hilft (so jedenfalls verstehen wir das Motto von George Steiner), das lähmende Schweigen zu brechen. Wo übersetzt wird, wird also auch übergesetzt? Ob dieser Optimismus begründet ist, ob und inwiefern also das Übersetzen und Sprachmitteln speziell auch in unterrichtlichen Kontexten dabei hilft, Brücken zu schlagen und sprachliche ebenso wie kulturelle Distanzen zu überschreiten: Mit Fragen wie diesen beschäftigt sich das vorliegende Themenheft. Die Termini literarische Klassiker in ein Gegenwartsdeutsch zu »übersetzen«. »übersetzen« und »sprachmitteln« bezeichnen dabei komplexe Sprachhandlungen und Phänomene, die in den Fremdsprachendidaktiken immer schon intensiv thematisiert wurden. Demgegenüber sind Ansätze, Übersetzungen und Translationsprozesse im muttersprachlichen Deutschunterricht fruchtbar zu machen, immer noch überschaubar, obwohl sie in allen Bereichen des Deutschunterrichts – also in der Sprach-, Literatur- und Mediendidaktik – relevant werden können. Bisherige didaktische Auseinandersetzungen mit Übersetzungen im Deutschund Fremdsprachenunterricht (etwa Bärnthaler 1993; Weinkauff/Josting 2012 und die thematischen Hefte der Zeitschriften Der Deutschunterricht 1990, Fremdsprache Deutsch 2000, Praxis Deutsch 2008) konzentrieren sich auf das Übersetzen als interlinguales Sprachhandeln und stellen die Arbeit mit literarischen Übersetzungen in den Fokus. Das vorliegende ide-Heft übergesetzt nimmt Übersetzung sowohl als inter- und intralinguales als auch als (inter-)kulturelles Phänomen in den Blick und präsentiert Konzepte und Unterrichtsideen, die im Bereich der sprachlichen, literarischen und kulturellen Bildung gleichermaßen relevant werden. Mit dem Heft möchten wir zudem eine Reflexion über Sprache und die Sprachlichkeit des Menschen und damit im Zusammenhang über gelingende und misslingende Akte des Übersetzens anstoßen. Nicht zuletzt sollen aber auch neue Herausforderungen des Deutschunterrichts sichtbar werden – etwa die Frage nach dem Wert von Mehrsprachigkeit in einem sich als einsprachig verstehenden Schulsystem oder auch die nach der Notwendigkeit, Zum Übersetzen als sich wandelndes Phänomen Mit »Übersetzung« sind zwei grundlegende, miteinander durchaus auch konkurrierende Konzepte verknüpft (vgl. auch Donat in diesem Heft). Zuallererst kann »Übersetzen« im engeren Sinn als »Ersetzen eines Textes in der Ausgangssprache durch einen semantisch, pragmatisch und textuell äquivalenten Text in der Zielsprache« (House 2000, S. 260) definiert werden. In diesen translationswissenschaftlichen Ansätzen ist die interkulturelle Dimension der Translation stets mitberücksichtigt, zumal »Übersetzungen immer zugleich Orte des Sprach- und Kulturkontakts und Medien des Transfers [sind]« (ebd., S. 262). »Vermittelt« werden also nicht nur sprachliche Strukturen und Äußerungen, sondern auch die Funktion des Textes und jene Bezugsrahmen, die dieser in einem bestimmten situativen und gesellschaftlichen/kulturellen Kontext aufweist. Auch wenn bereits die klassischen Konzepte mit der Unterscheidung zwischen »verfremdender«/»offener« und »eindeutschender«/»verdeckter« Übersetzung die Schwierigkeiten, wenn nicht sogar die Unmöglichkeit, einer vollkommenen Übertragung problematisieren (vgl. auch den Beitrag von Hainscho in diesem Heft), wird hier noch ein traditionelles Sprach- und Kulturverständnis dominant gesetzt, d. h. von der Binarität zweier voneinander gut trennbarer Sprachen und kulturell homogener Kommunikationsgemeinschaften ausgegangen. So überrascht es nicht, wenn Schlüsselbegriffe wie Original, Äquivalenz, Repräsentation oder eben Autorschaft den translatorischen Diskurs bestimmen. VertreterInnen der Postcolonial und Cultural Studies wie Homi K. Bhabha, Stuart Hall und Doris Bachmann-Medick haben nun dieses enge Konzept des interlingualen Übersetzens auf kulturelle Phänomene ausgeweitet. Dabei gehen sie davon aus, dass aufgrund aktueller Migrations-, Globalisierungs-, Europäisierungs-, Medialisierungs- und Digitalisierungs prozesse nicht lediglich Texte im weiteren Sinne überall in der Welt kursieren und so einer vermittelnden Übersetzung bedürfen, sondern auch kulturelle Praktiken, Ideologien, Diskurse und Vorstellungen (vgl. Wagner 2012, S. 1; vgl. auch Donat in diesem Heft). Mit der Verabschiedung der Idee von sprachlich und kulturell homogenen Identitäten und der Akzentuierung einer zunehmenden Hybridisierung und Verflechtung von Kulturen werden auch essentialistische Konzepte klassischer Übersetzungstheorien – etwa der Mythos der Ursprünglichkeit, Reinheit und Authentizität – zugunsten von Übergängen, Zwischenräumen, Hybridisierungen sowie Verfremdungen zurückgedrängt. Bachmann-Medick definiert Translation als eine »differenzbewusste Grenzüberschreitung« neu und meint damit »Kulturtechniken des Umgangs mit komplexen Situationen, in denen Bedeutungen, Überzeugungen und Wahrnehmungen nicht etwa nur (einseitig) übertragen, sondern durchaus auch deplatziert und vor allem (wechselseitig) transformiert werden« (Bachmann-Medick/Buden 2008, o. S.). Kulturwissenschaftlich orientierte Theorien der Übersetzung fokussieren auch Hindernisse, Störungen und Verwerfungen im Transferprozess, bei gleichzeitiger Berücksichtigung globaler Hegemonieverhältnisse und Machtasymmetrien. Bachmann-Medicks Interesse richtet sich demnach auf die durchaus problematische Repräsentation des nicht-europäischen Fremden sowie weiße Aneignungsstrategien, aber auch auf die Möglichkeiten subalternen Widerstands im ironischen, parodistischen Umgang mit westeuropäischen kulturellen Praktiken im Akt des Übersetzens (vgl. Bachmann-Medick 1997). Sie stellt auch Vermittlungsinstanzen und die Rolle der ÜbersetzerInnen in den Mittelpunkt und übt Kritik an Tendenzen, die Unmittelbarkeit vortäuschen und Übersetzungsprozesse unsichtbar machen (vgl. Bachmann-Medick/Buden 2008, o. S.). Gerade die Vermitteltheit von Übersetzungen im engeren Sinne und die Problematik traditioneller Kultur- und Identitätskonzepte sollten auch im Deutschunterricht offensichtlich werden, wenn Übersetzung thematisiert oder als Unterrichtsmethode eingesetzt wird. Zur deutschdidaktischen Begründung einer Übersetzungsdidaktik Trotz intensiver Beschäftigung mit literarischen Übersetzungen in den bereits genannten deutschdidaktischen Publikationen und trotz der Öffnung schulischer Literaturkanons infolge interund transkultureller Theoriebildungen wird im Literaturunterricht der (gymnasialen) Oberstufe immer noch wenig internationale Literatur gelesen und noch weniger auf den Umstand hingewiesen, dass diese Texte Übersetzungen sind (vgl. auch Abraham/Kepser 2008, S. 7; Weinkauff 2012, S. 15). Ein Blick in gängige Literaturgeschichten zeigt zudem, dass weltliterarische Tendenzen, die auf die Entwicklung der deutschsprachigen Literaturen – gerade dank verschiedener Transferprozesse – einen besonderen Einfluss gehabt haben, kaum zu finden sind, obwohl bereits Goethe unter dem Schlagwort »Weltliteratur« eine wechselseitige Bezugnahme und ein gegenseitiges Kennenlernen der Nationalliteraturen anstrebte (zu neueren Ansätzen der Weltliteratur vgl. ide 1/2010). So steht der tatsächlichen Vielfalt translatorischer Literatur (vgl. die Bezeichnung bei Ivanovic 2018) sowie der regen »Kom munikation« der Literaturen untereinander noch immer ein auf Einsprachigkeit und die deutschsprachige Literatur fokussierter Literaturunterricht gegenüber, der klassische Konzepte von Kultur, Nation und Literatur auch unbewusst weitertradiert.1 Währenddessen wurde in der Fremdsprachendidaktik die Rolle der Übersetzung zwar häufig kontrovers diskutiert, als Methode bzw. als Übungsform hatte jedoch das »Sprachmitteln« – so die neue, offenere Bezeichnung (vgl. den Beitrag von Liedke in diesem Heft) – immer schon einen fixen Platz. Abstand genommen wurde von der Übersetzung als Übungsform Königs zufolge vor allem deshalb, weil sie – im Vergleich zu den anderen vier Fertigkeiten Lesen, Hören, Sprechen, Schreiben – eine zu komplexe Kompetenz darstellt und weil durch das Zurückgreifen auf die jeweilige Muttersprache das »Denken« in der Fremdsprache verhindert wird (Königs 2001, S. 956 f.). Zunehmend kritisch betrachtet wird auch die Praxis, Übersetzungen für das Einüben bestimmter grammatikalischer...