E-Book, Deutsch, 240 Seiten
Musial Mengeles Koffer
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-95510-209-8
Verlag: Osburg Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine Spurensuche
E-Book, Deutsch, 240 Seiten
ISBN: 978-3-95510-209-8
Verlag: Osburg Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Schweizer Banksafe, Josef Mengele, geheimnisvolle Dokumente aus dem Lager Auschwitz-Birkenau, wo die berüchtigten medizinischen Versuche an Häftlingen vorgenommen wurden – verfasst von einem daran beteiligten jüdischen Häftlingsarzt. Das ist der Ausgangspunkt einer Geschichte, die auf eines der zynischsten NS-Verbrechen verweist. Wer waren diese Ärzte, die gezwungen wurden, an der Seite Mengeles Menschenversuche durchzuführen? Doch was zunächst nach einer historischen Sensation aussieht, entwickelt sich zu einem regelrechten Wissenschaftskrimi. Denn die Dokumente, die Bogdan Musial von – wie er glaubt – vertrauenswürdiger Seite angeboten werden, entpuppen sich als Fälschung. Von der Anatomie dieses Betrugsversuchs erzählt dieses Buch: vom Erstkontakt und der Aufregung, auf eine historische Sensation gestoßen zu sein; von aufkeimenden Zweifeln und deren Beschwichtigung; von Hindernissen und Sackgassen; von Querschüssen und Zeitdruck, als die Nachricht über neu aufgetauchte Dokumente aus dem Versuchslabor der NS-Medizin durchsickert; von fingierten Indizien, raffinierten falschen Fährten und vermeintlichen Forschungserfolgen; von einer Spurensuche, die zu einem fundierten Forschungsvorhaben und schließlich zur Aufdeckung der Täuschung führt. Und zur Enttarnung der Fälscherin, die in ihrer Dreistigkeit an Konrad Kujau, der die Hitler-Tagebücher fabrizierte, erinnert. Im Mai 2018 wird sie wegen Betrugs in 22 anderen Fällen verurteilt. Doch warum konnte sie überhaupt so weit kommen? Und weshalb haben insbesondere Hochstapler, die sich mit dem Holocaust in Verbindung bringen, so großen Erfolg? Was sagt das über uns, unsere Gesellschaft als Publikum aus, das ihnen erst die Bühne bereitet? Auch diesen Fragen geht Musial in seiner packend erzählten Darstellung nach.
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2Erste Sondierungen
Die vergangene Zeit ist wie Dämmerung, die sie durchdringt. Die Einzelheiten sind mit dem gütigen Schleier des Vergessens verhüllt, nur […] die Umrisse […] bleiben in den Erinnerungen enthalten. […] Aber da meine Memoiren nur für meine Enkelin, nur für Magda als Erinnerung geschrieben werden, so [… werde ich] auch nicht überall das Datum der Geschehnisse angeben, denn […] nicht die Daten, sondern die durchlebten Fakten sind wichtig!!! Memoiren, Bl. 7 und Bl. 15 Anfang März reisten Isabel Wassert und ich erneut nach Süddeutschland. Lothfels hatte uns zusammen mit der Professorin in ihre Villa eingeladen. Mittlerweile hatte ich von Wassert schon etwas mehr über die beiden Frauen erfahren, mit denen sie selbst seit Jahren eine enge Freundschaft verbindet. Mit Elisabeth Lothfels steht sie seit mehr als einem Jahrzehnt auf vertrautem Fuß; sie telefonieren nahezu täglich, und Wassert besucht die Unternehmerin regelmäßig. Bei einer dieser Gelegenheiten lernte sie die Vatikanärztin, von der ihre Freundin ihr immer wieder erzählt hatte, endlich auch persönlich kennen. Diese sei ungemein engagiert, so sei auch der Kontakt zu Lothfels über gemeinsame Wohltätigkeitsprojekte entstanden: ein Kinderheim in Rumänien etwa, das Kaiser betreut, oder ein Krankenhausprojekt in Kenia. Hier sei sie gemeinsam mit Pater Florian aktiv, dem gebürtigen Franz- Josef Prinz von Bayern, der seit fast drei Jahrzehnten Missionsarbeit betreibt. Lothfels unterstützt beide Unternehmungen großzügig. Ich erfuhr, dass die Vatikanärztin unserer Gastgeberin in einer persönlichen Krisensituation großen Trost gespendet hatte; sie sei ohnehin ein Mensch, der sich in hohem Maße für andere einsetzt. Auch als Medizinerin stehe sie immer gern mit Rat und Tat bereit. Über ihre nationalen und internationalen Kontakte habe sie schon so manchem einen wertvollen Kontakt zu den richtigen Ärzten vermittelt, neben ihrer Tätigkeit im Vatikan sei sie als Dozentin an der Universität Zürich beschäftigt, außerdem mitunter für die WHO im Einsatz. Die Professorin sei andauernd unterwegs. Manchmal hatten Wassert und Lothfels sich schon besorgt über das »Helfersyndrom« der Freundin unterhalten. Diese sei persönlich ausgesprochen anspruchslos. Nach Wasserts Kenntnis hatte sie sogar das nicht unbeträchtliche Vermögen ihres verstorbenen Mannes zur Gänze der Caritas gespendet. Sie habe den Eindruck, dass es Lothfels vor diesem Hintergrund umso mehr freue, nun umgekehrt endlich einmal der Freundin mit Rat und Beistand unter die Arme greifen zu können. Drei Tage saßen wir mit Kaiser und unserer Gastgeberin in wechselnden Konstellationen zusammen. Mal unterhielten wir uns zu viert, mal interviewte Isabel Wassert die Professorin allein, vor allem in privateren Fragen der Familiengeschichte. Wir sprachen über Kaisers Großvater, ihren eigenen Werdegang, das persönliche Verhältnis der beiden. Ich erfuhr, dass Kaiser die Letzte der Batthyány-Familie sei – ungarischer Uradel, der seit dem vierzehnten Jahrhundert nachweisbar ist und im Laufe der Jahrhunderte Grafen, Fürsten und Magnaten hervorgebracht hatte. Ihre Tante, die Schwester ihrer Mutter, habe keine Kinder bekommen können, ihr Onkel als hochrangiger Franziskaner das Zölibat gelebt. Damit sei der ungarische Familienzweig – im Unterschied zum österreichischen – nun kinderlos. Sie selbst nennt sich mit vollem Namen Prof. Dr. med. Magdalena Nicoletta Krisztina Kaiser-Batthyány/Szentágothay. Auf diese Herkunft ist sie stolz. 2013 hatte sie mit Lothfels sogar eine Ungarn-Reise auf den Spuren des weitläufigen Batthyány-Universums unternommen. Den Zusatz »Szentágothay« benutzt die Gräfin, im Gedenken an ihren Großvater, erst seit einigen Jahren. Über ihre Familie väterlicherseits konnte sie im Grunde nichts sagen. Es handele sich um eine Ärztefamilie, eine Tradition, die sie fortgesetzt habe. Auch ihr 1991 verschiedener Ehemann sei Arzt gewesen, Professor der Neurologie. Beide Eltern seien am Tag ihrer Geburt verstorben, zuerst die Mutter (Dermatologin) während der Entbindung – womöglich eine Folge der in ihrer Familie grassierenden Bluterkrankheit. Der Großvater habe die Enkelin eigenhändig auf die Welt gebracht, doch die Schwiegertochter nicht retten können. Der Vater (Neurologe) sei, vermutlich auf dem Weg ins Krankenhaus, bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Die beiden überlebenden Söhne ihres Großvaters, Ärzte wie er, seien nach dem Krieg ausgewandert, der eine nach Toronto, der andere nach Israel, und hätten den Kontakt zum Vater abgebrochen. Sie vermutete, dass dies mit seiner Tätigkeit als Häftlingsarzt zusammenhing. Selbst im Hinblick auf seinen Namen war sie sich nicht sicher. Sie wisse, dass er ihn schon vor dem Zweiten Weltkrieg geändert hatte, um antisemitischen Anfeindungen zu entgehen, und halte es für wahrscheinlich, dass er es nach der Befreiung erneut getan habe. Diesmal aus Scham. Sie selbst sei in Zürich geboren und aufgewachsen, versorgt von ihrem Großvater, der sogar ein Studium der katholischen Theologie aufgenommen habe, um dem Wunsch seiner Schwiegertochter zu entsprechen, ihre Tochter katholisch zu erziehen. Sein Judentum habe daher in ihrer Jugend keine Rolle gespielt. Sie habe allerdings Hebräisch lernen müssen. Eine Tätowierung habe sie nicht gesehen, aber eine Narbe am Unterarm; sie glaubt, dass seine Schwiegertochter ihm bei der Entfernung der verräterischen Ziffern auf der Haut geholfen habe. Seine Füße allerdings seien vollkommen vernarbt gewesen. Und gelacht habe er nie. Über seine Verbindung zu Mengele wisse sie auch kaum etwas. Allerdings sei ihrem Großvater wohl über Mengele und mithilfe eines katholischen Priesters die Flucht aus Auschwitz gelungen. Denn im Herbst 1944 habe Mengele eine Infektionskrankheit vorgetäuscht und deshalb das Lager verlassen müssen. Zur Quarantäne habe er sich in ein deutsches Krankenhaus nach Krakau begeben und den Großvater – mitsamt Unterlagen – dorthin mitgenommen. Der sei dort bei günstiger Gelegenheit einfach herausspaziert und habe Zuflucht bei einem polnischen Priester gefunden. Mit gefälschten Papieren habe man ihn auf eine Wallfahrt nach Lourdes mitgenommen; auf dieser Pilgerreise sei ihm die Flucht in die Schweiz geglückt. Über das Studium der Theologie habe der Großvater in den fünfziger Jahren Joseph Ratzinger kennengelernt. Kaiser glaubte, dass er auch dessen Schwester ärztlich behandelt habe. Jedenfalls habe sich zwischen den beiden Männern im Laufe der Jahre eine so enge Freundschaft entwickelt, dass der Großvater Ratzinger gebeten habe, sich nach seinem Tod um seine Enkelin zu kümmern. Und tatsächlich habe Ratzinger nach seinem Wechsel in den Vatikan 1982 dafür gesorgt, dass sie, mittlerweile eine hochqualifizierte Virologin, 1983 dort eine Anstellung als Ärztin fand. Nachdem sie erst Johannes Paul II. als päpstliche Leibärztin betreut habe, sei sie in dieser Funktion auch für Benedikt XVI. tätig geworden. Bis heute kümmere sie sich dort, zusammen mit seinem Privatsekretär Georg Gänswein, um sein Wohlbefinden und das seines Nachfolgers Franziskus. Über die Jahre, erzählten mir Wassert und Lothfels später, habe sich zu dem mittlerweile emeritierten Papst ein echtes Vertrauensverhältnis entwickelt. Gänswein und Benedikt seien zu einer Art »Ersatzfamilie« für die Gräfin geworden. Insbesondere Lothfels hatte darin Einblicke gewonnen, stand sie über diese Verbindung doch mittlerweile selbst mit den beiden Würdenträgern in trostreichem Kontakt. Es wunderte die beiden Freundinnen daher auch nicht, dass die Professorin uns mitteilte, Ratzinger sei über die Unterlagen ihres Großvaters informiert und müsse vor jeder wichtigen Entscheidung zurate gezogen werden. Daher habe sie auch vor der Inspektion des Bankschließfachs sein Einverständnis eingeholt. Diese Grundzüge der Erzählung, so fragmentarisch sie auch waren, boten nach meiner Einschätzung genügend Ansatzpunkte für erste Nachforschungen zu Grósz Chorin. Seine Enkelin stimmte diesem Vorgehen zu und versprach, Dokumente wie den Totenschein des Großvaters und ihre eigene Geburtsurkunde zu diesem Zweck nachzureichen. Wir vereinbarten eine gemeinsame Auschwitz-Reise, an der auch Lothfels teilnehmen wollte, und Wassert und ich machten uns an die Arbeit. Rasch verständigten wir beide uns darauf, die Aufgaben zu verteilen. Uns war aufgefallen, dass die Vatikanärztin zwar stets beteuerte, nichts über die Vergangenheit ihres jüdischen Familienzweigs und insbesondere über die ihres Großvaters zu wissen, dann aber doch im privaten Gespräch mehr verlauten ließ, als wir ursprünglich erwartet hatten. So hatte sie, wie ich später erfuhr, Wassert gegenüber erwähnt, dass ihre Großmutter in den dreißiger Jahren bei Albert Schweitzer in Lambaréné gearbeitet habe, auch die Fluchtgeschichte ihres Großvaters ausführlicher als in der größeren Runde geschildert. Die medizinischen Einzelheiten ihrer Geburt und die Frage, wie es...