Murata | Zeremonie des Lebens | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Murata Zeremonie des Lebens

Storys
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-8412-3085-0
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Storys

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

ISBN: 978-3-8412-3085-0
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Neues von der preisgekrönten Autorin von »Die Ladenhüterin«: Sayaka Muratas Storys »Zeremonie des Lebens«.

»Murata lotet mit brutaler Zartheit die innere Welt beschädigter Seelen aus.« Brigitte

Sayaka Murata hat mit ihrem Bestseller »Die Ladenhüterin« und ihrem letzten Roman »Das Seidenraupenzimmer« bewiesen, dass wohl keine andere Autorin derzeit faszinierendere Geschichten über die beunruhigende Natur der menschlichen Existenz erzählt als sie. Die »Zeremonie des Lebens« versammelt 12 ihrer Kurzgeschichten, das Genre, für das Murata in Japan ganz besonders bewundert wird. In diesen so aufrüttelnden wie beglückenden Geschichten über Familie und Freundschaft, Sex und Intimität, Zugehörigkeit und Individualität lotet Murata aus, wie schockierend, phantastisch und unheimlich man denken muss, um etwas Wahres über unsere Realität erzählen zu können.

Ein junges Mädchen ist zum ersten Mal verliebt, obwohl sie insgeheim tiefe Gefühle für den Vorhang in ihrem Zimmer hat. Eine Frau begeistert sich für Möbel und Kleidung aus menschlichem Material und gerät darüber mit ihrem Verlobten in Streit. Familien ehren ihre Verstorbenen in Zeremonien, bei denen kannibalische Feste in Sex übergehen. In zwölf absurden, komischen, zärtlichen Storys führt uns Sayaka Murata in die Tiefen menschlicher Abgründe - originell und unvergesslich, wie nur sie es kann. 

»Murata entlarvt auf brillante Weise die Gefühllosigkeit und Willkür unserer Konventionen.« New Yorker 

»Ihr funkelnder Stil und Blick für Details sind absolut einzigartig.« Vogue



Sayaka Murata wurde 1979 in der Präfektur Chiba, Japan, geboren. Für ihre literarische Arbeit erhielt sie bereits mehrere Auszeichnungen. Ihr Roman »Die Ladenhüterin« gewann 2016 mit dem Akutagawa-Preis den renommiertesten Literaturpreis Japans und war in mehr als einem Dutzend Ländern ein großer Erfolg. Im Aufbau Taschenbuch sind ihre Romane »Die Ladenhüterin« und »Das Seidenraupenzimmer« lieferbar.
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Weitere Infos & Material


Ein herrliches Material


An einem Wochenende traf ich mich mit zwei Freundinnen aus meiner Studienzeit zum Tee in der Lounge eines Hotels. Wir plauderten angeregt. Die grauen Bürogebäude vor den Fenstern lagen im Sonnenschein. In der stets ausgebuchten Lounge tranken eine Menge Frauen wie wir den sogenannten Afternoon Tea. Graziös führte eine elegante grauhaarige Dame in dunkelvioletter Stola ihre Tarte zum Mund. Am Tisch nebenan fotografierte eine Gruppe Mädchen mit bunt lackierten Fingernägeln ihre Kuchen. Eine hatte Aprikosenmarmelade auf ihre weiße Strickjacke gekleckert und rieb verzweifelt mit einem rosa Taschentuch an dem Fleck herum.

Yumi schlug die Speisekarte auf und bestellte eine weitere Tasse Tee. Dann stutzte sie und betrachtete forschend meinen Pullover.

»Sag mal, Nana, dein Pulli ist doch aus reinem Menschenhaar?«

Stolz lächelnd nickte ich.

»Ja, 100 Prozent Menschenhaar. Sieht man das?«

»Natürlich, sieht super aus. Der war bestimmt teuer.«

»Ja, schon … ich musste einen Kredit aufnehmen. Aber so was kauft man sich ja nur einmal im Leben«, antwortete ich ein wenig verlegen und strich mit den Fingern über meinen schwarzen Pullover. Er hatte ein aufwendiges Zopfmuster, die Bündchen an den Handgelenken und der Saum wiesen ebenfalls komplizierte Strickmuster auf. Das dunkle Haar, aus dem er gefertigt war, schimmerte seidig im einfallenden Licht. Der Pullover gefiel mir so gut, dass ich ihn sogar beim Tragen immer wieder ansehen musste.

Auch Aya musterte den Pullover mit neidvollem Blick.

»Im Winter geht doch nichts über 100 Prozent Echthaar, oder? Es ist warm, langlebig, sieht edel aus. Mein Pulli hat auch einen Menschenhaaranteil, aber weil es so teuer ist, blieb mir nichts anderes übrig, als mich mit einem Wollgemisch zu begnügen. Aber reines Menschenhaar fühlt sich doch ganz anders an.«

»Danke. Normalerweise schone ich ihn, aber heute wollte ich mich für euch und dieses Hotel schick machen. Wir haben uns ja ewig nicht gesehen.«

»Und wenn du ihn schon gekauft hast, musst du ihn auch tragen«, sagte Yumi, und Aya pflichtete ihr bei.

»Teure Sachen sind nicht nur für den Kleiderschrank da. Das wäre Verschwendung! Du bist doch jetzt verlobt, Nana? Für Einladungen bei den Schwiegereltern oder andere förmliche Anlässe ist so ein Menschenhaarpulli doch genau das Richtige.«

Ich spielte mit meiner Teetasse.

»Mein Verlobter will nicht, dass ich Menschenhaar trage«, sagte ich leise.

Aya machte große Augen und sah mich verständnislos an.

»Wie? Warum nicht? Kapier ich nicht.«

»Ich versteh’s ja auch nicht, aber es geht ihm nicht nur um das Haar, er mag auch keine Einrichtungsgegenstände aus menschlichen Materialien.«

Ich lachte bitter. Erstaunt legte Yumi ihr Macaron auf den Teller zurück.

»Und was ist mit einem Ring aus Knochen? Oder einem Piercing aus Zahn?«, fragte sie.

»Kommt auch nicht infrage. Er sagt, er will Platinringe.«

Aya und Yumi tauschten einen Blick.

»Was? Aber Eheringe aus Vorderzähnen sind doch am schönsten …«

»Arbeitet dein Freund nicht bei so einer Elite-Bank? Und verdient total gut? Oder ist er geizig?«

»Nein, das nun auch wieder nicht.«

Ich lächelte unsicher, denn ich konnte es mir selbst nicht erklären, aber Aya nickte wissend.

»So was gibt es. Manche haben eben keinen Sinn für Mode. Das hat nichts mit Geld zu tun. Dabei wirkt Naoki doch immer so stylish. Aber über die Ringe solltet ihr definitiv noch mal reden. Sie stehen immerhin für das Versprechen ewiger Liebe zwischen zwei Menschen«, sagte Aya, die einen weißen Ring aus Wadenbein am linken Ringfinger trug, der an ihrer schlanken Hand sehr stilvoll aussah. Sie trug ihn seit ihrer Hochzeit im letzten Jahr. Ich wusste noch, wie ich sie beneidet hatte, als sie ihn mir zeigte und erklärte, er sei viel billiger gewesen als einer aus Zahn. Sie hatte sehr glücklich gewirkt.

Sacht strich ich über meinen Ringfinger. Ich wünschte mir auch einen Ring aus Zahn oder wenigstens Knochen. Naoki und ich hatten das Thema schon endlos erörtert. Obwohl ich genau wusste, dass es vergeblich war, mit ihm darüber zu reden.

»Geh doch noch mal in einen Laden mit Naoki. Ich bin sicher, er wird seine Meinung ändern, wenn er den Ring erst mal an deinem Finger sieht.«

»Mag sein …«

Ich wandte den Blick ab und griff nach dem schon kalten Scone auf meinem Teller.

Als ich mich schon von Aya und Yumi verabschiedet hatte, vibrierte mein Handy. Eine SMS von Naoki. »Mein Wochenenddienst ist früher zu Ende als erwartet. Komm doch zu mir.«

Ich schickte ihm eilig ein O. K. und fuhr mit der U-Bahn zu seinem Apartment.

Naoki wohnte in einem Büro- und Wohnviertel, von dem aus er seinen Arbeitsplatz bequem erreichen konnte. Nach unserer Heirat würden wir in ein neues Haus in einem Vorort ziehen. Wir wollten Kinder, und dort gab es mehr Natur. Ich freute mich auf unser zukünftiges Heim, war aber auch ein bisschen wehmütig, weil ich dann nicht mehr so häufig in diese Gegend kommen würde, die mir in den vergangenen fünf Jahren, in denen ich mit Naoki zusammen war, so vertraut geworden war.

Ich drückte auf die Klingel, und Naokis ruhige Stimme ertönte durch die Sprechanlage. »Hallo. Komm rein.« Ich öffnete die Tür mit meinem Schlüssel. Naoki war gerade erst nach Hause gekommen und noch in Hemd und Krawatte. Er zog sich eine Strickjacke über und schaltete die Fußbodenheizung ein.

»Ich habe was zum Abendessen gekauft. Es ist so kalt, hast du Lust auf einen Eintopf?«

»Ja, super, danke. Wie war es mit Aya und Yumi?«

»Beiden geht es gut. Sie haben mir was zur Verlobung geschenkt.«

Ich reichte Naoki die Papiertüte mit den beiden Weingläsern, stellte meine Einkaufstasche ab und zog meinen Dufflecoat aus. Naoki verzog plötzlich das Gesicht.

Seine angewiderte Miene erinnerte mich daran, dass ich ja noch den Pullover aus Menschenhaar anhatte.

»Ich hatte dir doch gesagt, du sollst kein Menschenhaar tragen«, schnauzte Naoki, ohne mich anzusehen.

Er wandte so übertrieben abrupt das Gesicht ab, dass er einen Genickbruch riskierte, und schmiss sich aufs Sofa.

»Ich hatte die beiden so lange nicht gesehen und wollte mich schick machen. Den Pullover habe ich wirklich das erste Mal seit Langem an.«

»Schmeiß das Ding endlich weg. Du hattest mir versprochen, ihn nicht mehr zu tragen, und hast dein Versprechen gebrochen.«

»Ich habe noch nicht mal den Kredit abbezahlt. Und nur weil ich gesagt habe, ich würde ihn nicht in deiner Gegenwart tragen, heißt das nicht, dass ich ihn für den Rest meines Lebens nie mehr anziehe. So was habe ich nie versprochen! Du kannst mir doch nicht verbieten, die Kleidung zu tragen, die ich von meinem eigenen Geld gekauft habe!«, schrie ich, den Tränen nahe.

Genervt und ohne mich anzusehen, tappte Naoki mit dem Fuß auf den Boden.

»Aber ich ekle mich so davor.«

»Vor Menschenhaar? Es wächst doch aus uns und ist uns näher als jedes andere Material …«

»Gerade deshalb ist es ja so ekelhaft«, zischte Naoki mich an.

Er nahm seine Zigaretten und einen kleinen Aschenbecher vom Beistelltisch. Naoki rauchte selten, aber wenn er unter Druck geriet oder sich ärgerte, steckte er sich eine an. Er brauche das, um sich zu beruhigen, behauptete er.

Er habe einen harten Tag gehabt und sei müde, sagte er nun.

»Rauchen ist ungesund«, entgegnete ich, statt ihn zu beruhigen wie sonst immer.

Ich fühlte mich miserabel, weil ich ihm mit meinem Pullover solches Unbehagen bereitet hatte.

»Wir wollten doch morgen wegen der neuen Möbel in dieses Einrichtungshaus zu Miho gehen? Ich kann nicht mit, also überlasse ich alles dir«, sagte er und nahm einen Zug. »Aber hör mir gut zu! Wenn du auch nur ein Möbelstück aus menschlichem Material aussuchst, fällt die Hochzeit ins Wasser. Keine Zähne, keine Knochen, keine Haut. Sonst löse ich auf der Stelle die Verlobung.«

»Warum bist du nur so stur? Es ist doch ganz normal, Material von Verstorbenen zu verwenden. Warum hast du so starke Vorbehalte gegen Kleidung und...



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