Mullan | The Other Side | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 448 Seiten

Mullan The Other Side

Es gibt kein Zurück - Thriller
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-641-22327-4
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Es gibt kein Zurück - Thriller

E-Book, Deutsch, 448 Seiten

ISBN: 978-3-641-22327-4
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Viele Jahre hat der Londoner DC Joe Agnetti undercover ermittelt. Jetzt ist er wieder in den normalen Polizeidienst zurückgekehrt. Doch die Undercover-Zeit ist nicht spurlos an Joe vorübergegangen. Er hat Probleme, sich wieder in der bürgerlichen Welt zurechtzufinden, und eckt bei den anderen Polizisten an. Nur seine Kollegin DC Sarah Malet entpuppt sich nach anfänglichem Streit als Verbündete. Doch dann geschieht eine Katastrophe: Als eine Aktion aus dem Ruder läuft, tötet Joe einen Mann und versucht die Tat zu vertuschen. Schon bald kann Joe die Grenzen zwischen Gut und Böse nicht mehr klar erkennen. Sarah versucht verzweifelt, ihm zu helfen. Aber da ist es schon zu spät ...

Stephen Mullan wuchs in Schottland auf und studierte Geschichte an der University of London. Anschließend ging er zur Metropolitan Police, wo er undercover ermittelte. Nach einigen Jahren verließ er den Polizeidienst, um seinen Jugendtraum zu verwirklichen und Schriftsteller zu werden. Der Autor lebt in London. Da er in seinen Thrillern viel von seiner eigenen Polizeierfahrung verarbeitet, schreibt er unter Pseudonym.
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1


September 1999


Der Gang vor den Haftzellen ist voll, aber ich sehe keine Gefangenen. Die Schaulustigen sind neugierig, empört. Ich habe vermutlich einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht. Ich bin nicht das, was das alte Rekrutierungsplakat der Metropolitan Police mit seinem Slogan »Langweilig ist es nicht« im Sinn hatte.

Man hat mich in einem Papieranzug und Turnschuhen mit Schnürsenkeln aus meiner Zelle geführt. Der wachhabende Sergeant kann meine Vorgeschichte nicht kennen. Unter den gegebenen Umständen habe ich vor, nichts zu sagen, sondern werde das Ganze beobachten, als hätte jemand einen Karton mit zwei Löchern für die Augen über den Kopf eines Kindes gestülpt.

DS Cowper hat einen anderen Anzug angezogen und sich eine Rasur verpasst. Ich kenne diesen Trick. Man macht das, um sich selbst davon zu überzeugen, dass man sich zwischen zwei Schichten ausgeruht hat. Tatsächlich hat man nichts dergleichen getan, wenn man am Morgen nach der Nachtschicht bei Gericht aufgetreten ist. Oder einen Job nicht abgeben kann, in dem Fall mich. Er sieht mich, setzt aber sein Gespräch mit einer jungen Frau fort. Sie könnte eine Ladendiebin sein. Dann sehe ich den Notizblock und Fotokopien von einschlägiger Gesetzgebung in ihren Händen. Der Bereitschaftsdienst der Anwaltskammer hat eine Anfängerin für mich ausgespuckt. Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass sie praktisch nichts gegen mich in der Hand haben. Cowper weiß es auch. Er drückt die Mine seines Kugelschreibers immer wieder heraus und lässt sie zurückschnellen. Zutiefst frustriert. Er überlässt uns das Vernehmungszimmer.

»Sie sind mein erster Polizist«, sagt sie.

»Das kann nicht wahr sein.«

Sie tut so, als wäre ich blöd. »Nein, als Tatverdächtiger.«

»Ich weiß, ich …«

»Also, ich sage meinen Mandanten immer, sie sollten mit der Polizei kooperieren, falls sie nichts zu verbergen haben.«

»Ich habe nichts zu verbergen, aber ich werde kein Wort sagen.«

»Nun ja, das ist Ihre Entscheidung. Sie wissen, dass sie daraus ihre Schlüsse ziehen.«

»Weiß ich.«

»Geht es bei dieser Sache um irgendwelche versuchten Raubüberfälle?«

»Das haben sie jedenfalls gesagt.«

Sie ist auf einmal ganz eifrig. »Sind es die, von denen die Zeitungen voll sind? Eins der Opfer ist gestorben, oder?«

Ich schüttele langsam den Kopf. Wenn Cowper an der Tür lauscht und ich auch nur durchblicken lasse, dass ich von etwas weiß, was er mir gegenüber nicht mal erwähnt hat, hat er eine gute Vorstellung von der Bandbreite seiner Möglichkeiten. Unwillkürlich werfe ich einen Blick auf die Mikrofone und den Kassettenrekorder. Nichts scheint eingeschaltet zu sein. Ich widerstehe der Versuchung, unter dem Tisch nachzuschauen.

»Davon hat mir niemand was gesagt«, antworte ich schließlich.

Sie will noch etwas sagen, als die Tür aufgeht. DS Cowper und ein jüngerer Kollege kommen herein. Der andere sieht mich von Anfang an herausfordernd an. Das Zimmer ist zu klein, hat kaum genug Platz für den Tisch mit dem Tonbandgerät darauf, vier Stühle und den Panikstreifen entlang einer Wand. Es ist das erste Mal, dass ich auf dieser Seite des Tischs bin. Ich frage mich, ob meine Tatverdächtigen je von einer solchen Klaustrophobie gepackt wurden. Es kommt mir vor, als hätte ich keinen Platz, Anschuldigungen zu vermeiden. Cowpers Kollege ist stolz auf seine Figur. Seine breiten Schultern füllen seinen Anzug aus, und während er die Hände hebt, um den Sitz seiner Krawatte zu korrigieren, sehe ich die Spuren kleiner Schnitte und Platzwunden. Der Sitz seiner Krawatte muss nicht korrigiert werden, weshalb ich vermute, dass er mir seine Narben zeigen will. Ich erinnere mich daran, in der Zeitschrift Police einen Detective der Londoner Polizei gesehen zu haben, der als Gewinner eines Boxturniers präsentiert wurde. Na und? Der Junge ist gerade kleiner geworden und der Karton, aus dem er rausguckt, größer. Cowpers Krawatte ist eine willkommene Ablenkung, mit ihrem Muster aus rubinfarbenen Rauten und goldenen Kreisen zieht sie meine Aufmerksamkeit an wie die Blume den Schmetterling.

Vor ein paar Jahren wurde ich zu einem Kurs über Verhörmethoden geschickt, wo wir gegen ältere Kollegen antreten durften, die die Verdächtigen spielten. Wenn ein Vernehmender die richtigen Fragen stellte oder auf die korrekte Geschichte des Szenarios stieß, wurden Fortschritte erzielt. Mit meinen Fragen nach den politischen Verbindungen des Verdächtigen erzielte ich keine Ergebnisse. Es war eine fruchtlose Übung, aber mein »Verdächtiger« hatte wenigstens geantwortet, und es fand eine Art Wortwechsel statt. Mir war zu diesem Zeitpunkt nicht klar, dass dies an sich schon ein Erfolg ist. Ich hatte vor, Cowper und seinem Box-Kumpel selbst diese Genugtuung zu verweigern. Leichter gesagt als getan. Sie sind nur eine Armlänge entfernt, versuchen, mich durch ihre Blicke zum Wegsehen zu zwingen, und sind bereit, sich abzuwechseln.

Cowper ist dabei, die Bänder in den Apparat einzulegen. Der Boxer hat die Augen noch kein einziges Mal von mir abgewandt, und Cowper hat mir mehrere Blicke zugeworfen. Obwohl noch niemand ein Wort gesagt hat, ist das Verhör bereits im Gange. Rubinfarbene Rauten und goldene Kreise. Cowper schaltet das Tonbandgerät ein. Mir kommt’s vor, als hätte er auf einen Knopf an meinem Herzen gedrückt. Das Gerät gibt einen langen Piepton von sich. Genau hier, genau jetzt, Joe.

»Könnte sich vielleicht jeder vorstellen, bevor wir anfangen? Ich bin DS Cowper, City of London Police, und das hier …«

»DS Smith, ebenfalls City of London Police.«

»Penelope Weston, Anwältin, Fineberg and Partners.«

Ich bin dran. Rubinfarbene Rauten und goldene Kreise. Ich darf nicht antworten oder sie auch nur in irgendeiner Weise zur Kenntnis nehmen. Der Sprechzwang muss unterdrückt werden.

»Joe, wenn Sie uns bitte nur Ihren Namen nennen könnten.«

Ihr Ziel ist es, ein Tröpfchen in einen Sturzbach zu verwandeln. Bevor man sichs versieht, sagt jemand: »Warum erzählen Sie uns nicht einfach Ihre Seite der Geschichte?«

»Joe?«

Alle schauen mich an. Das Schweigen dehnt sich aus, klafft mir entgegen, heißhungrig auf jedes Geräusch. Meine Kehle ist trocken, aber ich werde ihm nicht mal den Gefallen tun zu schlucken, damit er nicht sieht, wie sich mein Adamsapfel bewegt. Ich konzentriere mich aufs Atmen. Meine Hände liegen in meinem Schoß, meine Haltung ist gut, aber nicht übertrieben starr, meine Füße stehen fest auf dem Boden, die Beine nicht übereinandergeschlagen. Ich buddle tief.

Cowper seufzt. Ich glaube, er fängt an zu verstehen. Er wird das Schweigen so lange andauern lassen wie nötig und es gegen mich verwenden. Er wird sich genauso verhalten wie ich. Falls ich mich dazu entscheide, während der gesamten Vernehmung zu stehen, wird er dasselbe tun. Dabei wird er mit einigen praktischen Problemen konfrontiert sein. Es gibt zeitliche Restriktionen – ich kann nur eine bestimmte Zeit festgehalten werden. Die Ermittlungen könnten neue Ergebnisse zeitigen, von denen er unterrichtet werden müsste. Vielleicht hat er eine schwache Blase, das anhaltende Schweigen könnte in späteren Gerichtsverhandlungen als beklemmend oder bedrohlich angesehen werden …

Unter dem Tisch findet Smiths Fuß meinen. Da er auf einem Stuhl sitzt, kann er nicht viel Druck ausüben. Weil er nichts unversucht lässt, gibt er sein Bestes. Der Kurs, an dem ich teilnahm, zeigte ein Video, das angeblich bei einem Verhör der Royal Ulster Constabulary, der nordirischen Polizei, gemacht worden war. Zwei große Detectives sitzen hemdsärmelig auf einer Seite des Tischs, auf der anderen allein der kleine Verdächtige, der irgendwann einen heftigen Schlag ins Gesicht erhält. Man fragte uns, was wir davon hielten. Verdammte Scheiße, die RUC fackelt nicht lange, sagten wir. Dann verrieten sie uns, dass es in Wirklichkeit ein paramilitärisches Trainingsvideo der Loyalisten zu dem Thema war, mit welcher Behandlung man von der RUC zu rechnen hatte. Die Ohrfeige war echt.

Penelope bricht den Bann: »Mein Mandant hat mir gesagt, dass er bei dieser Vernehmung kein Wort von sich gibt.«

»Ms Weston, wir haben noch nicht mal angefangen. Ich bitte ihn nur darum, uns seinen Namen zu nennen, damit er auf dem Tonband auftaucht. Das können Sie doch wenigstens tun, Joe, oder?«

Rubinfarbene Rauten und goldene Kreise.

Penelope macht sich nützlich. »Fürs Protokoll: Mein Mandant heißt Joe Agnetti. Ich kenne sein Geburtsdatum nicht, und er ist Polizist.«

Cowper seufzt bei dieser Unterbrechung. Smith drückt stärker zu. Ich spüre, dass Penelope das gemerkt hat und ihn ins Auge fasst.

»In einem anderen Zimmer«, sagt Cowper, »hören Detective Superintendent Flynn und Detective Chief Inspector Gilbert ebenfalls zu.«

Einer von den beiden hat zweifellos meinen Dienstausweis in der Tasche.

Cowper seufzt noch einmal. Draußen vor der Tür hört man schlurfende Geräusche und gedämpfte Verwünschungen, als die ersten Betrunkenen des Tages hereingebracht werden. Angesichts meines Schweigens bin ich froh über die Ablenkung. Ein Stoß gegen die Tür und dann das Geräusch von sich entfernenden, zum Teil zögernden Schritten.

Cowper erinnert mich daran, dass ich über meine Rechte belehrt worden bin. Mein Schweigen ist ein kleiner Sieg.

»Haben Sie das mit der Rechtsbelehrung verstanden?«

Rubinfarbene Rauten und goldene Kreise.

»Sie...


Mullan, Stephen
Stephen Mullan wuchs in Schottland auf und studierte Geschichte an der University of London. Anschließend ging er zur Metropolitan Police, wo er undercover ermittelte. Nach einigen Jahren verließ er den Polizeidienst, um seinen Jugendtraum zu verwirklichen und Schriftsteller zu werden. Der Autor lebt in London. Da er in seinen Thrillern viel von seiner eigenen Polizeierfahrung verarbeitet, schreibt er unter Pseudonym.



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