E-Book, Deutsch, 293 Seiten
Muir FUNKSPRUCH AN SCOTLAND YARD
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7487-9405-9
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Der Krimi-Klassiker!
E-Book, Deutsch, 293 Seiten
ISBN: 978-3-7487-9405-9
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ein Schiff geht auf die Reise. Mit einem Sarg an Bord. Ein blinder Passagier befindet sich ebenfalls auf dem Schiff - sowie ein Mörder und eine beängstigend hübsche und intelligente Lady. Nicht jeder überlebt die Fahrt nach Rio. Doch Käpt'n Hogarth wird sie nie vergessen... Der Roman Funkspruch an Scotland Yard des schottischen Schriftstellers und Journalisten Thomas Muir (* 02. Januar 1918; ? 8. Oktober 1982) erschien erstmals im Jahr 1957; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1960. Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.
Autoren/Hrsg.
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Erstes Kapitel
»Wiedersehen, Captain! Glückliche Reise und alles Gute.« »Danke schön, Lotse.« Kapitän Hogarth ruckte, sie schüttelten sich die Hände, dann schwang sich der Liverpooler Lotse die Brückentreppe hinab. Der Kapitän zog den Kopf noch mehr in seinen Ölmantel und ging langsam in die Steuerbordnock. Die Lichter von New Brighton waren im Regen nur verschwommen sichtbar, das Feuerschiff auf der Sandbank blinkte verschleiert. Das längsseits gekommene Lotsenboot hob und senkte sich auf den kurzen, weiß kämmenden Seen, im Schein seiner Positionslampen leuchtete der Gischt rot und grün, während der Wind trübselig in der Takelage summte. Hogarth beobachtete von oben, wie der Lotse über die Reling kletterte und seine Füße nach den Sprossen der Jakobsleiter tasteten. Wieder hatte eine Reise begonnen – nach Südamerika und zurück. Regelmäßig wie ein Autobus und ebenso langweilig. Seine Pampas, ein Frachter von 10.000 Tonnen, hatte Kabinen für einige Passagiere, die lieber gemächlich und ohne gesellschaftlichen Zwang mit 12 Meilen die Stunde als mit 20 Meilen in der gekünstelten Atmosphäre eines schwimmenden Luxushotels reisten. Früher war das Kommando so eines Luxusdampfers das höchste Ziel seines Ehrgeizes gewesen, aber jetzt dachte er anders darüber. Er bezweifelte, ob er die nötigen Fähigkeiten als gewandter Gastgeber zwischen vielen eleganten Passagieren besaß. In seinem Alter glaubte er sie sich doch nicht mehr aneignen zu können. Der Lotse wartete auf der untersten Sprosse der Leiter, bis sein Boot wieder emporschwang, dann trat er gewandt über und ergriff die Messingreling. Kapitän Hogarth beobachtete das Boot, bis es abgelegt hatte, dann drehte er sich um und nickte seinem Dritten Offizier zu, der bei den Maschinentelegraphen stand. »Volle Kraft voraus«, befahl er. Einen Augenblick schaute er noch nach dem Land hinüber, wo die Lichter jetzt durch eine Regenbö fast ganz verhüllt waren, dann seufzte er tief. Die erste Nacht in See war immer scheußlich. Morgen war es gewiss nicht mehr so schlimm, und in zwei, drei Tagen ging er wieder ganz im Bordleben auf. Dann war Agnes nur eine herzerwärmende Erinnerung im Hintergrund und eine neue Hoffnung für die Zukunft. Schmerzlich war nur die Trennung, und in diesen Minuten hätte er Menschen wie zum Beispiel den Lotsen, die ein normales Leben zu Hause führten, fast beneiden können. »Volle Kraft voraus«, wiederholte er. »Kurs Nord 88 West, Geschwindigkeit 12 Knoten.« »Nord 88 West, Geschwindigkeit 12 Knoten, Sir«, wiederholte der Dritte Offizier Polworthy pflichtgemäß, wobei er die Hebel der Telegraphen bediente und nach der Uhr sah, um die Zeit ins Schiffstagebuch einzutragen. »Scheußliche Nacht, Sir.« »Ja. Scharf Ausguck halten lassen und nicht alles Vertrauen allein auf Radar setzen.« »Jawohl, Sir.« Polworthy sah ein wenig gekränkt aus. Als schneidiger junger Offizier und Reserveleutnant der Kriegsmarine empfand er die leiseste Andeutung, dass er irgendetwas nicht allein könne, wie einen Vorwurf. Unten im grellerleuchteten Maschinenraum gaben die Telegraphen das doppelte Klingelzeichen, das den Beginn der Reise ankündigte. Der Zweite Maschinist Forsyth betrachtete den Fahrstufenanzeiger mit finsterer Miene – wie einen persönlichen Feind. »Wieder eine blöde Reise angefangen«, sagte er laut genug, dass man es durch das Rattern und Stampfen der Dieselmotoren hören konnte, die allmählich auf volle Touren kamen. »All right, Ellison, 120 Umdrehungen. Generator Nummer 3 einschalten und 2 abstellen. Seewacheneinteilung. Die erste haben Sie.« Während der Vierte Maschinist Ellison seine bis Mitternacht dauernde Wache begann, verließ Forsyth den Kontrollstand und kletterte langsam die stählernen Leitern empor. Auf der mittleren Plattform blieb er stehen und lauschte mit geübtem Ohr auf die verschiedenen Geräusche, unter denen, als sie zu einer Symphonie der Kraft anschwollen, die Luft im Maschinenraum heftig vibrierte. Befriedigt von dem, was er hörte, stieg er auf die obere Plattform, in Höhe der Zylinderköpfe, wo die Kipphebel die Ventile mit gleichmäßigem Geklapper öffneten und schlossen. Nach einem Blick auf die zentrifugal arbeitenden Ölreiniger und nachdem er einen Schraubenschlüssel aufgehoben hatte, der trommelnd auf den Eisenplatten tanzte, erstieg er die letzte Treppe bis zur Eingangsplattform, zog seine Arbeitshandschuhe aus und trat in den Gang zu den Wohnkammern der Maschinisten. Während er den ersten kühlen Luftzug genoss, der ihn nach dem warmen Öldunst im Maschinenraum fast wie ein Schock traf, sah er eine Gestalt aus der Dunkelheit auf dem Bootsdeck auftauchen. »Hallo, Funker, macht die Arbeit Spaß?«, rief er ihm zu. »So sehen Sie aus!« Griffiths, Erster Funker an Bord, blieb auf seinem Wege zum Funkraum stehen. »Hab' mir bloß mal die Passagiere angesehen. Lauter alte Krähen. Weiß der Himmel, wo wir die herkriegen. Wird ja wahrhaftig auf jeder Reise schlimmer.« Er schwang sich zur Treppe herum und eilte hinauf. Die von ihm so hart Kritisierten befanden sich im Salon und suchten einander beim Kaffee nach dem Mittagessen näher kennenzulernen. Es saßen dort ein Geistlicher, der sich salbungsvoll kameradschaftlich gab, ein Geschäftsreisender mit simplem Gesicht und seine Frau sowie eine große schlanke Dame in mittleren Jahren mit glänzenden Augen und unzweifelhaft gutem Geschmack in ihrer Kleidung. »Bei Beginn einer Seereise muss ich immer an Paulus denken«, sagte Reverend Trevor Cragshaw salbungsvoll, indem er seine Kaffeetasse drehte. »An die unglaublichen Strapazen seiner Reisen im Vergleich zu unserem in jeder Weise gepolsterten Luxus.« Einen Moment schwiegen alle aus Respekt vor diesen tiefsinnigen Gedanken, bis der Handlungsreisende in ziemlich energischem Ton sagte: »Ganz richtig, Padre, in den Zeiten von Paulus und Jonas war die Gefahr, auf See umzukommen, nicht gering. Ich hoffe, wir haben hier keinen Jonas an Bord und...« Er brach mitten im Satz ab, da seine Frau, die ein böses Gesicht machte, ihm unter dem Tisch gegen sein Schienbein trat. Was hatte er denn Unrechtes gesagt? »Jonas gehörte allerdings in eine frühere Epoche, Mr. Wilkins«, berichtigte der Geistliche lächelnd die chronologische Ordnung, »aber damit ziehen wir die Beurteilung des Alten Testaments auf das Niveau gesellschaftlicher Unterhaltung. Ich glaube, wir brauchen die Frage nicht zu untersuchen, ob die Geschichte von Jonas buchstäblich zu nehmen ist...« »Nein, das brauchen wir nicht«, stimmte ihm die große Dame schnell bei. »Kritik an der Bibel kommt mir immer so unnütz vor – ebenso wie der Streit um die Frage, wer Shakespeares Stücke geschrieben hat. Wir sollten beides hinnehmen, wie es ist, und dafür dankbar sein.« »Da kann ich Ihnen nur voll und ganz beistimmen, Miss Torrens. Erlauben Sie mir...« Cragshaw lehnte sich mit seinem Feuerzeug über den Tisch. »Freue mich sehr, dass Sie so denken.« Jane Torrens hob die stark gewölbten Brauen ein wenig, in ihren Augen schimmerte es. »Aus gewissen biblischen Episoden ist eigentlich ein Vorurteil gegen Geistliche an Bord von Schiffen entstanden«, sagte sie durch den Rauch ihrer Zigarette. Cragshaw lachte mit tiefer Stimme und fuhr nachdenklich fort: »Ich möchte gern mal wissen, wieweit sich dieser Aberglaube beim modernen Seemann noch gehalten hat... Aha, da kommt ja der Mann, der uns aufklären kann« – er wandte sich an den Ersten Offizier, einen ernsten jungen Mann mit kantigem Gesicht, der an der Salontür erschien. »Kommen Sie doch mal, Herr Steuermann, und sagen Sie uns, ob es heutzutage noch als Pech für ein Schiff betrachtet wird, wenn ein Geistlicher an Bord ist. Auf meine Gefühle brauchen Sie keine Rücksicht zu nehmen, ich kann’s vertragen.« Fenby, der Erste Offizier, beinah zwei Meter groß, trat in den Salon. Sein nasses Ölzeug glitzerte. »In gewisser Hinsicht, ja«, gab er zu, »wenn man es heutzutage natürlich auch nicht mehr so ernst nimmt, sondern mehr von der scherzhaften Seite.« »Freut mich, das zu hören.« Cragshaw lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und lächelte nachsichtig. »Wenn wir in einen Sturm geraten, werde ich also vermutlich nicht über Bord geworfen, um die Elemente zu versöhnen?« »Nein, ich glaube nicht, dass es so weit kommen würde«, sagte Fenby steif. Es ärgerte ihn, als Herr Steuermann angeredet und gleich am ersten Abend in See von einem Geistlichen, der sich dabei noch schneidig vorkam, verspottet zu werden. »Wir pflegen über Passagiere nicht so leichthin zu disponieren.« In seinem Gesicht war zu lesen, dass er am liebsten leider gesagt hätte. »Dem fehlt es leider an Humor«, bemerkte Cragshaw, als der Erste Offizier hinausgegangen war, um seine Runden auf den oberen Decks fortzusetzen. »Ist wohl bei Seeleuten meistens so, denn sie leben eigentlich in einem engen Gesichtskreis.« Fenby begab sich durch den Gang an der Backbordseite zur Kammer des Zweiten Maschinisten. Forsyth hatte schon gebadet und es sich mit einer Zigarette auf dem Sofa bequem gemacht. »Hallo, Jim, wie geht's?«, begrüßte er ihn. »Nimm Platz.« »Lausig«, antwortete Fenby kurz, indem er sich an das Waschbecken lehnte und eine Zigarette anrauchte. »Soso. Griffiths hat mir schon gesagt, dass ihm die Passagiere noch weniger gefallen als sonst. Keine einzige nette Portion in dem ganzen Verein.« »Weiß Bescheid. Höchstens die nicht mehr ganze junge Miss Torrens, die vor ungefähr zwanzig Jahren ein Pfundsmädchen gewesen sein muss. Sieht aber auch jetzt noch recht lecker aus – hübsches...