E-Book, Deutsch, 235 Seiten
Muir DER TANZENDE TOD
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-7487-6702-2
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Der Krimi-Klassiker!
E-Book, Deutsch, 235 Seiten
ISBN: 978-3-7487-6702-2
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Bei der Havarie des Dampfers Pampas auf dem Amazonas scheint nicht alles mit rechten Dingen zugegangen zu sein. Dennoch wird Brian Stenton das Kapitänspatent entzogen. Eine Londoner Tageszeitung beginnt sich für den Fall zu interessieren. Schon nach dem ersten Gespräch mit Kapitän Stenton wird der Reporter Jerry Henshaw von Unbekannten niedergeschlagen und entführt. Die Spur führt von London in den Dschungel Brasiliens. Im Mittelpunkt: Eine schöne, gefährliche Frau... Der Roman Der tanzende Tod des schottischen Schriftstellers und Journalisten Thomas Muir (* 02. Januar 1918; ? 8. Oktober 1982) erschien erstmals im Jahr 1952; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1960. Der Apex-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur in seiner Reihe APEX CRIME.
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Erstes Kapitel
Vor dem Spiegel des Ankleideraumes glättete Doris Shanklin noch einmal den Badeanzug. Was sie im Spiegel sah, befriedigte sie einigermaßen und steigerte ihr an sich schon stark ausgeprägtes Selbstvertrauen noch mehr. Aus verschiedenen Gründen hatte sie an dem Schönheitswettbewerb in Southpool teilgenommen. Erstens glaubte sie fest an ihre große Chance, als Siegerin aus dem Wettbewerb hervorzugehen, und zweitens winkten der Siegerin allerlei Abenteuer in Form von Filmverträgen und ähnlichen erregenden Möglichkeiten. Erregend jedenfalls für eine nicht gerade hervorragende Stenotypistin in einem kleinen Maklerbüro. Doris betrachtete ihre Reize mit Losgelöstheit und Selbstbeherrschung. Sie trug diese vor allem der anderen Bewerberinnen wegen zur Schau, die alle wie sie darauf warteten, vor den Schiedsrichtern zu erscheinen. In dem Buch Persönlichkeiten und ihre Entwicklung hatte Doris gelesen, wie man jene erfolgreiche innere und äußere Haltung gewinnt, die bei anderen einen Minderwertigkeitskomplex auslöst. Und dieser Haltung legte sie ganz besonderen Wert bei. Natürlich konnte sie auf allerlei stolz sein. Sie hatte eine auffallend gute Figur, deren Rundungen sich in richtigem Maß an den richtigen Stellen befanden. Ihr Gesicht war eher hübsch als schön, und die Unschuld ihrer großen blauen Augen wurde durch ein kleines, festes, gut geformtes Kinn ausgeglichen. Ihre Haut war zart und weiß, sie hatte keine Sommersprossen wie die meisten rothaarigen Frauen. Ihrer Meinung nach konnten es ihre Beine mit denen Betty Grables in jeder Hinsicht aufnehmen. Immer schon hatte sie es bedauert, so wenig Gelegenheit zu haben, diese Tatsache beweisen zu können. Jedenfalls bemühte Doris sich, ihre Beine heute ganz besonders zur Geltung zu bringen. Die Parade um das Schwimmbassin war bereits erledigt, und jetzt sollten die Bewerberinnen einzeln vor den Richtern erscheinen. Manche Mädchen waren nervös. Sie kicherten, sprachen laut und sahen, je nach ihrem Temperament, aufgeregt oder besorgt um sich. Auch Doris fühlte sich nicht gerade behaglich. Sie hatte Herzklopfen, aber um nichts in der Welt hätte sie ihre Erregung verraten. »Nummer neun! Los! Beeilen Sie sich! Lassen Sie die Herren nicht warten!« Ein junger Mann in gelbem Hemd und gestreiftem Flanellanzug erschien in der Tür, und Doris nahm in aller Ruhe das Pappschild mit der Ziffer 9 in die Hand. Sie warf noch einen letzten Blick in den Spiegel und folgte, äußerlich ganz ruhig, dem jungen Mann hinaus auf den Laufsteg. Die Bänke um das Schwimmbecken waren dicht besetzt, und Doris sah sich einem Meer von Gesichtern gegenüber, die sie gespannt und aufmerksam betrachteten. Sie kannte diese Gesichter schon von der Parade her, aber damals waren noch zwanzig andere Mädchen bei ihr. Jetzt aber kam sie sich sehr einsam vor als Zielscheibe aller neugierigen Blicke. Leichter Beifall erscholl. Aber sie wusste, dass ihre Vorgängerinnen in der gleichen Weise empfangen worden waren, so dass das weiter nichts bedeutete. Die Blicke der Zuschauer kühl erwidernd, dachte sie, wieviel Kenner wohl in der Menge saßen. Ein Herr mit einem großen Fernglas nahm sie ganz besonders aufs Korn. Warum nicht? Sie konnte ihm schon etwas bieten. Sie hatte auf einmal das Gefühl, als verlöre sie ihre Persönlichkeit. Ja, das war der einzig richtige Ausdruck. Für alle diese Menschen war sie nicht Doris Shanklin, sondern nur Nummer 9 in einem Schönheitswettbewerb. Ein Etwas, das im Badeanzug ganz verlockend aussah. Vorn saßen die Richter: ein Filmstar vierter Größe, ein Schauspieler, der in den zwanziger Jahren ein Idol gewesen war, und andere, weniger bekannte Persönlichkeiten. Was schrieben sie wohl auf die Punktkarte? Sie kam sich vor wie ein Pferd auf einer Pferdeschau. Am liebsten hätte sie laut gelacht. Die Stimme des jungen Mannes im gelben Hemd brachte sie wieder zu sich. Gehorsam tat sie alles, was ihr vorher gesagt worden war. Es war ihr Augenblick! Sie stand auf der Bühne. Aller Augen waren auf sie gerichtet. Sie war die einzig wichtige Person in der Menge. Ein leichtes Beben, und ihre Phantasie begann wild zu arbeiten. Sie spielte eine Rolle, sie packte die Zuschauer, verzauberte sie, und dieses Gefühl beherrschte sie so sehr, dass ihre Befangenheit wich, und sie glaubte, ihr Bestes herzugeben, während sie leicht über den Laufsteg schritt. Bald war es vorbei, und der junge Mann im gelben Hemd gab ihr zu verstehen, sie möge sich wieder in den Ankleideraum begeben. War der Beifall wirklich lauter gewesen als der, mit dem die Bewerberinnen vor ihr bedacht worden waren? Mit dem Beifall in den Ohren gesellte sie sich den anderen wieder zu, während Nummer 10, ein dunkelhaariges, empfindsames Mädchen, auf gerufen wurde, sich der gaffenden Menge zu stellen. »Es ist wirklich nichts dabei«, beruhigte Doris etwas von oben herab die blonde Nummer 11, die großes Lampenfieber zu haben schien. »Du gehst einfach über den Steg, wie es verlangt wird, und kümmerst dich dabei um keinen Menschen. Mir hat’s Spaß gemacht.« »Wenn ich das doch auch schon sagen könnte«, erwiderte Nummer 11. Doris wartete voller Ungeduld, während die anderen Mädchen eine nach der anderen aufgerufen wurden. Als das letzte Mädchen im Ankleideraum erschien, geschah eine Zeitlang nichts, bis dann endlich, lebhaft und sprühend, wie immer, der junge Mann im gelben Hemd erschien. »Los! Kommt mit! Das Urteil wird verkündet«, rief er. »Wer gewonnen hat, weiß ich nicht, und wenn ich’s wüsste, dürfte ich es nicht verraten.« Er strahlte die Mädchen an, als fände er sie alle gleich reizend. »Bitte hierher! Lächeln und Haltung nicht vergessen! Wer nicht gewonnen hat, soll die Ohren nicht hängen lassen, sondern sich sagen, für einen in der Menge war ich sicher die Schönste!« Wieder trabten sie hinaus in die Sonne und stellten sich auf, während die Richter noch immer berieten. Dann winkten sie den jungen Mann herbei, und man überreichte ihm eine Liste. Er lächelte die wartenden Mädchen mit blitzenden Zähnen an, ging an das Mikrofon, und bald hallte seine Stimme aus den Lautsprechern: »Meine Damen und Herren, die Richter haben es bei der Urteilsfindung nicht leicht gehabt, und dennoch wird zweifellos mancher glauben, er würde es besser gemacht haben als sie.« Pause für Gelächter. »Jede der Damen hat den Preis verdient, aber eine kann ja nur Siegerin sein, so schwer diese Erkenntnis für die Nichtsiegerinnen auch sein mag. Und nun hören Sie den Spruch der Jury: Nummer neun hat gewonnen! Siegerin in dem Schönheitswettbewerb von Southpool ist Miss Doris Shanklin.« Lang dauernder Applaus, während sich der Mann im gelben Hemd umdrehte und die Hand ausstreckte. »Kommen Sie rauf, Doris! Verbeugen Sie sich! Vielleicht erzählen Sie den Herrschaften, wie Ihnen als Siegerin zumute ist. Nur keine Angst, wir alle stehen auf Ihrer Seite!« In ihrer übergroßen Freude war Doris voller Zuversicht. Sie trat vor und fühlte, wie sie verlegen wurde. Statt des Lächelns und der beherrschten Sätze, die sie sich schon so oft zurechtgelegt hatte, stammelte sie ein paar unzusammenhängende Worte, während Fotoapparate und Kinokameras in ihrer unmittelbaren Nähe klickten und surrten. Die Menge schien sehr zufrieden, und Doris hatte das Gefühl, trotz allem einen Sieg davongetragen zu haben. Dann wurde ihr das blaue Band der Siegerin überreicht. Der Filmstar vierter Größe beglückwünschte sie und gab ihr einen Kuss. Der Kuss des einstigen Idols schmeckte nach Whisky, und der des Bürgermeisters war väterlich. Dann wurden ihr die Preise ausgehändigt: zehn Pfund in bar, ein kleiner Pokal mit Inschrift, ein Bon für einen zehntägigen Aufenthalt in London. Nach einer nochmaligen Parade um das Schwimmbecken, nach nochmaligen Aufnahmen war alles vorbei. Voller Freude und von ihrem Erfolg leicht berauscht, ging sie in den Ankleideraum und zog sich an. Alles war gut verlaufen. Es blieb jetzt abzuwarten, was sich weiter ereignen würde. Als sie den Ankleideraum verließ, warteten die Pressefotografen wieder auf sie. Aber Doris war nun schon daran gewöhnt, die funkelnden Linsen der Kameras auf sich gerichtet zu sehen. Sie lächelte anmutig, entschlossen, die kurze Zeit ihrer Berühmtheit zu genießen. Dann bemerkte sie im Hintergrund einen Mann; er wollte sie anscheinend sprechen. Jetzt bahnte er sich mit den Ellbogen einen Weg durch die Menge. Er war trotz seiner Körperfülle sehr geschmeidig und hatte trotz seiner Jugend einen kahlen Kopf. Er sah aus, als wäre er in flüssigem Zustand in seinen tadellos sitzenden gestreiften Zweireiher gegossen worden. »Mercer ist mein Name«, stellte er sich vor. Er lächelte und zeigte dabei sein tadelloses Gebiss. »Herzlichen Glückwunsch! Ich hatte von vornherein auf Sie gesetzt. Den anderen meilenweit überlegen. Fraglos eine Persönlichkeit!« Doris errötete vor Erregung, aber sie verlor dennoch nicht den Boden unter den Füßen. Forschend betrachtete sie den dicken Mr. Mercer. War er Opportunist oder wirklich Kenner? Er sah aus, als wäre er aus der Filmbranche. Aber lieber Vorsicht! »Vielen Dank. Das ist sehr nett von Ihnen«, sagte sie bedächtig. »Nett ist nicht das richtige Wort. Es ist einfach Tatsache. Ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen, der Sie vielleicht interessiert.« »Ist das nicht ein wenig voreilig?«, erwiderte sie spöttisch. »Was ich Ihnen sagen möchte, ist durchaus ehrlich gemeint.« Er hob seine weiße, dicke Hand und schien über Doris’ Worte bekümmert. »Hier können wir nicht...