E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Reihe: Historischer Kriminalroman
Mützlitz Lübecker Rache
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-96041-128-4
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 272 Seiten
Reihe: Historischer Kriminalroman
ISBN: 978-3-96041-128-4
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Lübeck 1377. Im Mühlenteich treibt die Leiche einer jungen Hure, wenig später wird ein zweites Freudenmädchen tot aufgefunden. Kaufmann Jacob Wallersen befürchtet, seine Geliebte Iken könnte das nächste Opfer sein. Gemeinsam mit der Waise Svanja versucht er, Licht in einen Strudel tödlicher Ereignisse zu bringen, der immer mehr Opfer fordert. Bald treten mächtige Gegenspieler auf den Plan, und Jacob erkennt, dass sein eigenes Schicksal davon abhängt, ob er die wahren Hintergründe aufdecken kann.
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EIN KAUFMANN Lübeck, 18. Lenzing im Jahr des Herrn 1377 »Margarethe wird keine Probleme machen, Herr Wallersen.« Die Äbtissin hielt Jacobs schluchzende Schwester in den Armen. Sie standen im Kreuzgang des Johannisklosters, das sich im Osten der Stadt befand und sich hinunter bis zur Stadtmauer an der Wakenitz erstreckte. »Das hoffe ich sehr, werte Frau Oberin«, erwiderte er. »Sie sollte es als Privileg auffassen, hier zu dienen. Ich danke Euch, dass Ihr uns diese Möglichkeit bietet.« »Das Johannis-Jungfrauen-Kloster steht all jenen Seelen offen, deren Weg mit Steinen gepflastert ist, die sie nicht alleine beschreiten können. Wir nehmen ihnen die Last ab, sorgen dafür, dass sie nicht straucheln oder von ihm abkommen. Auch Eure Schwester werden wir auf den Pfad der Tugend zurückführen, sie mit Gottes Hilfe lenken und leiten, auf dass der Herr wieder Wohlgefallen an ihr finde.« »Nicht weniger hatte ich im Sinn, als ich mich mit der Bitte an Euch wandte, sie hier aufzunehmen. All das Unglück, das im vergangenen Jahr über unsere Familie gekommen ist, hat sie tief in der Seele verletzt, sie beinahe zerbrochen. Sie wusste nicht mehr zwischen Richtig und Falsch, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden.« »Selbst die Stärksten von uns verstehen es manchmal nicht, den Einflüsterungen des Teufels zu widerstehen, wenn sie von Gott geprüft werden. Aber auch dafür werden wir sorgen. Wir werden sie zurück ans Licht führen.« Die Äbtissin strich Margarethe zur Beruhigung über die Schulter. »Doch dazu ist harte Arbeit nötig. Arbeit, Disziplin und Gehorsam werden sie daran erinnern, wo ihr Platz im Leben ist.« Jacob nickte. Er betrachtete seine Schwester, die wenig von der Arroganz an sich hatte, die ihr sonst eigen war. So klein und verletzlich sie gerade vor ihm stand, war sie ihm seit der Kindheit nicht mehr gegenübergetreten. Fast tat sie ihm leid, aber es brauchte nur einen winzigen Gedanken daran, wie sie ihn hintergangen hatte, um die Härte und Entschlossenheit aufrechtzuerhalten, die er schon seit Monaten ihr gegenüber an den Tag legte. Es kostete ihn nach wie vor viel Kraft. Als sie seinen Blick erwiderte, drehte er rasch den Kopf weg. »Dann darf ich davon ausgehen, dass alle Fragen geklärt sind?«, fragte er die Äbtissin. Diese nickte. »Die Zahlung habt Ihr erhalten. Möge der Herrgott dafür sorgen, dass sie nicht umsonst erfolgte.« Er blickte Margarethe an. »Darf ich noch einen Augenblick mit ihr sprechen, bevor ich sie Eurer Obhut übergebe?« »Natürlich.« Die Äbtissin faltete die Hände, senkte den Kopf und zog sich in einen anderen Bereich des Kreuzgangs zurück. »Du redest über mich, als wäre ich ein Kind oder vielmehr ein Stück Vieh, das es gewinnbringend zu verschachern gilt«, sagte Margarethe und blickte ihn aus tränenverschleierten Augen fest an. »Es ist nur eine weitere Abwicklung deines Geschäfts, wie du alle jene verschacherst und loswirst, die dir in die Quere kommen.« Aus ihrer Stimme triefte die ganze Abneigung gegenüber Jacob, wie stets, seit er nach dem Tod von Vater und Bruder der Familie vorstand. »Wir wollen nicht im Hass auseinandergehen«, erwiderte er dennoch. Er wollte nicht streiten, nicht erneut die Beherrschung verlieren, obgleich keine Vergebung möglich war. »Es hätte nicht so weit kommen müssen, und das weißt du. Wir haben beide unsere Entscheidungen getroffen. Der eine etwas bessere, die andere die schlechteren. Wir wollen es dabei bewenden lassen und im Frieden voneinander scheiden.« Margarethe funkelte ihn böse an. »Mach dich nicht zum Heiligen, Jacob! Du bist ein noch größerer Heuchler, als der Vater es gewesen ist. Du hast mit Verbrechern gemeinsame Sache gemacht, es hinter dem Rücken deiner Ehefrau mit einer Hure getrieben, und nicht zuletzt hast du Gerhard in den Tod geschickt. Unser Bruder hat den Kopf für deine ›besseren Entscheidungen‹ hingehalten.« Jacob ballte die Fäuste. Er wollte ihr etwas Wütendes entgegenschleudern oder, noch besser, sie bestrafen für ihre Frechheit, doch er beherrschte sich. Auch deshalb, weil ihm tief im Inneren eines bewusst war: Sie hatte recht. »Meine Entscheidungen waren nicht immer richtig«, flüsterte er. »Aber sie dienten dazu, unsere Familie zu retten. Du hingegen hast den einfachsten Weg gewählt, nämlich den des Verrats. Du hast mich, hast die Familie wohlüberlegt und hinterlistig ans Messer geliefert, einzig und allein, um dein eigenes Wohl zu sichern. Des Teufels Wirken zeigt sich in vielerlei Dingen, doch mit dir hat er ein besonders perfides Spiel getrieben!« Margarethe entgegnete nichts. Die Geschwister starrten sich nur mit zusammengekniffenen Augen an. »Diese Frau«, sagte Margarethe irgendwann leise. »Sie wird dein Untergang sein, Jacob.« Sofort wollte er ihr zornig widersprechen, ihr den Mund verbieten, doch ihr ruhiger Tonfall irritierte ihn. Diesmal lag kein Hass darin, nicht einmal die übliche Abneigung. Vielleicht das erste Mal, seit ihr Vater und ihre beiden Brüder einen gewaltsamen Tod gestorben waren, sprach sie in zugewandtem Ton mit ihm. Jacob hatte gar nicht bemerkt, dass er zu Boden blickte, fast verschämt, wie ein Kind, das bei etwas Verbotenem ertappt worden war. Als er den Kopf hob, traf ihn ihr Blick. Nicht mehr wütend, eher anklagend, fast traurig. Warnend. »Du hast es selbst gesagt, Jacob. Der Teufel verbirgt sich in vielen Dingen. Sei auf der Hut und wappne deinen Geist gegen seine Einflüsterungen.« Was genau sie damit meinte, schien Margarethe nicht sagen zu wollen. Jacob fühlte sich unwohl, er wollte dieses Gespräch nicht weiterführen. »Nun geh, Schwester, und bete, dass Gott dich auf den rechten Weg zurückführt, wie es die Äbtissin erhofft. Ich bete ebenfalls dafür, dass er dich dein Fehlen erkennen lässt und du vielleicht irgendwann in Frieden mit ihm leben kannst.« Ohne Margarethe noch einmal anzublicken, drehte sich Jacob um und verließ das Kloster. Die warme Frühlingsluft strich dem jungen Kaufmann um die Nase, als er das Gebäude der Zisterzienserinnen verließ. Er trat auf die Johannisstraße und atmete tief durch. Allmählich fiel das Unbehagen von ihm ab. Es war, als sei eine zentnerschwere Last von seinen Schultern genommen worden. Wochenlang hatte er darum gerungen, was mit Margarethe geschehen sollte. Er hatte ihr kein Recht der Mitbestimmung über das eigene Schicksal eingeräumt, dafür war zu viel geschehen. Seine Schwester hatte ihn verraten, ihn schändlich hintergangen, ihn seinem Erzfeind ausgeliefert. Das konnte und wollte er nicht verzeihen. Vor allem wollte er künftig keinesfalls mehr unter einem Dach mit ihr leben. Man holt sich keine Schlange unter die Bettdecke, die einen beißt, sobald man eingeschlafen ist. Dennoch war es gar nicht so einfach gewesen, Margarethe irgendwo unterzubringen. Ihr Plan, den eigenen Bruder zu verraten, hatte sich in den besseren Häusern der Stadt herumgesprochen. Jacobs Vorhaben, sie mit dem nichtsnutzigen spätgeborenen Sohn eines Ratsherrn zu verheiraten, war damit zunichtegemacht worden. Einzig Ratsherr Darsow, ein alter Freund der Familie, hatte es in Erwägung gezogen, sie mit seinem jüngsten Sohn Dero zu verehelichen, doch Margarethe hatte ihn schon bei der ersten Begegnung einen »hässlichen Hurenbock« genannt und damit auch diese Möglichkeit vom Tisch gefegt. Es blieb also nur das Kloster, doch da Margarethe ganz und gar nicht als gottesfürchtig galt und auch ihre Jungfernschaft von dem einen oder anderen zur Ehrbefleckung Jacobs ganz offen in Frage gestellt wurde, hatte es lange Gespräche mit der Äbtissin gebraucht, um Margarethe bei den Nonnen unterzubringen. Sie sollte zunächst eine Zeit lang in Lübeck in die grundlegenden Regeln des Klosterlebens eingeführt werden. Danach würde sie nach Mecklenburg gebracht, wo sie relativ abgeschieden in einem der Klosterdörfer der Zisterzienserinnen leben sollte, um in Einklang mit sich und Gott zu kommen. Jacob konnte sich keine bessere Lösung vorstellen. So wusste er sie in strenger Obhut außerhalb der Stadt, denn er rechnete noch immer damit, dass sie hinter seinem Rücken Pläne hegte, die nur zu seinem Schaden sein konnten. Es war unwahrscheinlich, dass sie aus eigener Kraft zur Einsicht gelangte und ihre Fehler bereute. Während er den Stadthügel hinauf in Richtung von St. Marien lief, wanderten auch seine Gedanken. Mit der Übergabe von Margarethe war ein weiteres unrühmliches Kapitel beendet, ein weiterer Zopf des vergangenen Jahres abgeschnitten, der ihm Erleichterung brachte und ihn künftig ruhiger schlafen lassen würde. Jacob tauchte in den Schatten der großen Hallenkirche ein, die durch die Spenden der Kaufleute errichtet worden war und selbst den Dom mit ihren Ausmaßen übertraf. Als Markt- und Ratskirche dominierte St. Marien nicht nur den sie umgebenden Hauptmarkt und das Rathaus mit seinen vergleichsweise winzigen Türmchen, sondern war selbst draußen auf dem Land von weit her zu sehen – als Sinnbild der Stadt Lübeck, des Hauptes der Hanse. Die hohen, mit ihren Turmhelmen spitz zulaufenden Doppeltürme verkörperten gleichermaßen Macht wie Anspruch der Lübecker Händlerschaft, sich in ihrem Streben keine Beschränkungen aufzuerlegen. Ihre gewaltige Backsteinfassade wirkte nicht nur auf diejenigen, die sie zum ersten Mal erblickten, höchst einschüchternd. Jacob lief langsam am nördlichen Seitenschiff entlang, hatte jedoch heute keinen Blick dafür. Er war weiterhin in Gedanken über die Zukunft seiner Familie versunken. Dabei wäre ein Gebet, eine Zwiesprache mit dem Herrgott, vielleicht durchaus angebracht, denn er alleine...