Müntefering Ada sucht Eva
1. Auflage 2013
ISBN: 978-3-8387-4886-3
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 271 Seiten
ISBN: 978-3-8387-4886-3
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Die Szene-Lesbe Frederike, Schöngeist und Träumernatur, trifft die ernste Karolin - und ist fasziniert. Prompt beginnt Frederikes Clique zu meutern, denn Karolin paßt nicht in die eingeschworene Gemeinschaft. Frederikes Ex-Geliebte Pe wittert Konkurrenz und greift zu unfairen Mitteln. Und auch Ilona, ihre beste Freundin, verhält sich mit einem Mal merkwürdig, so als gehe es um etwas sehr Wichtiges...
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2. Kapitel
Karolin
Die Dunkelhaarige in der alten Lederjacke saß schon eine Weile drüben am Fenster. Sie war allein gekommen und erwartete niemanden. Sie sah nicht auf ihre Armbanduhr und kümmerte sich nicht darum, wer zur Tür hereinkam. Sie saß einfach so da, trank ihren Milchkaffee und genügte sich selbst. Immer wieder sah sie her. Sie hatte sehr lebendige Augen. Ihr Mund schien ständig zu lächeln. Karolin hantierte hinter der Theke. Der große Zeiger der Wanduhr bannte sie. Er kroch so langsam auf die Zwölf zu, dass es unmöglich war, seine Bewegungen zu verfolgen. Wochentags schloss das Café Sentimental um Mitternacht. Damit war auch Karolins Schicht beendet. Das bedeutete, dass sie heimgehen würde. Es bedeutete ein entspannendes Bad, Ausruhen vom Stimmengewirr und vom Dröhnen der Cappuccinomaschine. Dann war es Viertel vor zwölf. Die am Fenster erhob sich aus ihrem Korbstuhl und kam zielstrebig auf sie zu. »Ich hatte einen Milchkaffee.« Sie hatte unterschiedlich farbige Augen. Eines war braun, das andere blau. »Dreifünfzig.« Ihre Geldbörse war mit Minnie Mouse bedruckt. Als sie ein Fünfmarkstück auf den Tresen legte, versuchte sie einen langen Blick. »Bist du neu hier?« »Ja, wieso? Falle ich so auf? Einsfünfzig zurück.« »Ohne Zweifel.« Vielleicht war sie mutig. Vielleicht hatte sie einfach nur nichts zu verlieren. Ihr Gesicht sah sehr klar aus. Ihr Hals machte einen schönen Bogen. Aber ihre Frisur war zerzaust und die Jeans am Knie zerrissen. Es sah nicht wie der modische Gag aus, den die Mädels jetzt trugen. Es sah aus, als sei die Jeans am Knie zerrissen und sie hätte es noch nicht bemerkt. Dornröschen in Lumpen. Und ihre Hände spielten mit dem Wechselgeld. »Also bist du auch neu in der Stadt?« »Nicht so sehr neu, nein.« Karolin erzählte nie einer Fremden, wer sie war. »Ich habe dich noch nie gesehen.« Es war schmeichelhaft, dieses unausgesprochene »Daran hätte ich mich erinnert!«. Aber das passierte Karolin oft. Seit sie hier arbeitete, hatten es schon viele auf diese Tour bei ihr versucht. Viele Männer. »Ich dich auch nicht, weißt du.« Sie lachten etwas, verlegen. Karolin war müde. Ihr Rücken schmerzte vom langen Stehen und Laufen. Trotzdem lachte sie. Bei den Männern lachte sie nie. »Komm schon, frag mich! Frag mich, warum ich nie zu den Schwofs gehe! Oder frag, ob wir uns demnächst mal im Frauencafé treffen. Frag schon!«, dachte sie. So lief es ab. Es war berechenbar. »Heute fühle ich mich, als sei alles in mir blau«, sagte die Fremde und betrachtete das Markstück, das sie in der Hand hielt. Dann ließ sie es auf dem Tresen liegen, steckte die Hände in die Taschen ihrer Lederjacke und ging. Ferdi, der Besitzer des Ladens, grinste. »Karolin, wann verrätst du mir das Geheimnis, mit dem du die Frauen betörst?« »Niemals«, lächelte sie. Ferdi war in Ordnung. Aber er kapierte nicht, dass Lesben eben anders waren. »Warum gehst du nicht endlich? Du belauerst diese blöde Wanduhr schon seit einer Stunde.« Sie war schneller weg, als er gebraucht hätte, um die Aufforderung zu wiederholen. Die Straßen waren menschenleer. Karolin ging langsam an den erleuchteten Schaufenstern vorbei. Sie achtete nicht auf die Auslagen, die starren Fratzen der Kleiderpuppen. Sie betrachtete die Häuser. Sie sah die Verklinkerung, den Anstrich, den abblätternden Putz. Wenn sie den Blick auf den Boden richtete, waren da die Pflastersteine. Neulich erst war ihr bewusst geworden, dass sie das Muster kannte: zwei quer, einer gerade, braunrot und grau. In der ganzen Stadt gleich. Wenn sie das Muster der Pflastersteine kannte, begann sie sich zu Hause zu fühlen. Sie wurde vertraut mit den Straßen. Manchmal erkannte sie im Gewimmel der einkaufenden Menschen, denen sie jeden Tag auf dem Weg zum Café begegnete, ein Gesicht wieder. Das waren schöne Momente. Manchmal erkannte sie in einem Gesicht das Wiedererkennen. Diese Momente waren noch schöner. Sie kam sich nicht mehr wie eine Lügnerin vor, wenn sie sagte: »Ich gehe jetzt nach Hause!« und dann den Weg zu ihrer Wohnung einschlug. Karolin war erst vor wenigen Monaten in diese Stadt gekommen. Sie mochte dieses Zwitterwesen aus Großstadt und ländlicher Idylle, mit dem schmuddeligen Beigeschmack, der ihm noch aus der längst vergangenen Kohlezeit nachhing. Diese Stadt wurde von niemandem richtig eingeschätzt, sondern galt immer als das, was gerade am vordergründigsten war. Karolin fühlte sich mit dieser Stadt ein wenig seelenverwandt. Weil ihr niemand begegnete, musste Karolin keinen Blick erwidern und keinem ausweichen. Sie ruhte sich aus vom Lächeln und »Bitte sehr – Dankeschön – Was kann ich bringen?«. Ihre Schritte fanden allein den Weg. Karolin riskierte einen Blick in sich hinein. Erdfarben. Helles Braun. Vermischt mit ein wenig Olivgrün. Das war Wald. Stämme. Laub. Moos. Es war ruhig. Warm und sicher war es. Es tat gut, diese Farben anzusehen. Wie konnte jemand von sich behaupten, Blau in sich zu haben? Autos waren blau. Kuliminen. Früher auch die Anoraks der Briefträger. Aber welches Gefühl war das? Sie kam an einer Parfümerie vorbei, blieb stehen und betrachtete das dunkle Blau der Flaschen. Sie kannte niemanden, der es benutzte. So konnte sie nicht mal einen Geruch mit dieser Farbe verbinden. Mit dem Vorsatz, morgen hineinzugehen und den Duft auszuprobieren, ging Karolin weiter. Der Kater hatte ihre Schritte bereits auf der Treppe erkannt und stand an der Tür, als sie aufschloss. Die zärtliche katzenstürmische Begrüßung war das Beste an jedem Abend. Früher kam Karolin in die leere Wohnung und wurde von einem anderen, einem unliebsamen Haustier angefallen: dem Alleinsein. Als die Attacken immer heftiger wurden, fuhr sie ins Städtische Tierheim und kam mit Zipp zurück. In diesem Revier war nur Platz für einen. Zipp sprang auf ihren Arm, und sie trug ihn mit sich ins Bad, wo sie den Hahn zur Wanne aufdrehte. Das Rauschen im weißen Porzellan verursachte eine angenehme Gänsehaut. Der Kater schnurrte behaglich. Aber dann sprang er auf den Boden und galoppierte in munteren Sätzen voraus zur Küche. Essenszeit. Karolin streifte mit den Fingern das warme Wasser. »Es ist nicht blau«, murmelte sie. »Obwohl man das immer behauptet.« Da fiel ihr etwas ein, und sie lief barfuß hinüber ins Schlafzimmer. In der großen Schublade unter ihrem Bett gab es alle Farben. Zipp sprang mit Begeisterung hinein und rieb seinen Kopf an den weichen Stoffen. Seide. Satin. Spitze. Karolin wühlte in den Wäschestücken, bis sie gefunden hatte, wonach sie suchte: ein dunkelblauer Body aus feinem Panné. Sie hatte ihn noch nie getragen. Sie trug diese feine Wäsche nicht. Aber wenn ihr ein besonders schönes Stück begegnete, konnte sie nie widerstehen und kaufte es. Jetzt gruben sich ihre Finger in den angenehm rauen und zugleich weichen Stoff, und sie trug ihn über der Schulter mit sich herum. Schließlich lag der Body auf dem Klodeckel, während Karolin sich in der Wanne aalte. Sie lauschte auf das Knistern des Schaums an ihrem Ohr und betrachtete das vertraute Muster der hellen Kacheln. In ihrem Kopf breitete sich eine angenehme und im gleichen Maße unheimliche Leere aus. Bis das Telefon klingelte. Karolin hatte es vorsorglich auf dem kleinen Tischchen neben der Wanne platziert, denn sie lebte im Ausnahmezustand: Ihre beste, ihre einzige Freundin Nele war verknallt! »Grüß Gott!«, sagte Karolin. Denn Nele kam aus München. »Es ist null Uhr dreißig, und ich bin ganz wild darauf, mal wieder zu hören, wie wunderbar Bête ist.« »Woher wusstest du, dass ich es bin?«, kam es verblüfft aus dem Hörer. Karolin seufzte. Nele wollte sich nicht mit langen Erklärungen aufhalten: »Ich habe Neuigkeiten! Setz dich hin!« »Ich sitze. In der Wanne.« »Wir sind eingeladen!« »Wer?« »Du und ich natürlich.« »Wo?« »Bête …« Nele musste tief Luft holen, nachdem sie diesen Namen ausgesprochen hatte. »… gibt am Samstag eine kleine Grillparty. Mit ihren Freundinnen. Sie hat mich heute angerufen und uns gleich eingeladen.« »Das ist doch toll!« »Du kommst doch mit?!« Neles Stimme zitterte bedenklich. »Du bist zweiunddreißig! Eine Horde Zwanzigjährige wird dir doch wohl keine Angst einjagen!« »Fünfundzwanzig, so wie du. – Es ist ja auch nicht die Horde, die mir Angst macht. Es ist …« Sie schwiegen. Der Schaum knisterte an Karolins Ohr. Zipp sprang auf den Wannenrand und sah sie mürrisch an. Sie hatte vergessen, ihn zu füttern. Auf dem Klodeckel lag der Samtbody, in Blau. »Weißt du noch, wie Maren mal behauptet hat, es schade meiner Emanzipation, wenn ich schöne Wäsche sammle?!« Als Antwort kam ein Grunzen aus dem Hörer. An Neles Antipathie gegen Karolins Ex-Freundin in Frankfurt hatten weder die Zeit noch der Abstand an Kilometern etwas geändert. »Als ich gerade nach Hause kam, hatte ich plötzlich Lust, heute Nacht in einem dieser verruchten Stücke zu schlafen.« »Na und?« Nele fand daran nichts Ungewöhnliches. Es war nur ärgerlich, dass sie Karolins neueste Stücke nie anprobieren konnte, denn zwischen den Freundinnen lagen zwanzig Zentimeter. »Ich bin nicht von allein drauf gekommen. Da war...