Müller | Unterm Sternenstaub | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 636 Seiten

Müller Unterm Sternenstaub


1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7597-9196-2
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 636 Seiten

ISBN: 978-3-7597-9196-2
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der junge, sensible Peter wird erwachsen im II. Weltkrieg, in der Nachkriegszeit und dem sogenannten Wirtschaftswunder. Sein Stiefvater prophezeit ihm: "Aus Dir wird nie was werden." Was aus ihm tatsächlich wird, wie er mit den wirren Zeiten, mit Misshandlungen, Leiden und Freuden, Enttäuschungen und Liebe umgeht und darum kämpft, sich gegen den Strom zu behaupten und seinen Lebenstraum zu erfüllen, wird auf eine Art berichtet, die den Leser in Spannung versetzt und verstehen und dadurch mitempfinden lässt. Der historische Hintergrund liegt zwar im vorigen Jahrhundert, aber die Geschichte ist aktueller denn je.

Manfred Müller lebt und arbeitet in seiner Geburtsstadt Würzburg und in Santander, Nordspanien. Nach einer Ausbildung als Maler und nach den unterschiedlichsten Berufstätigkeiten studiert er, nach seiner Heirat, Wirtschaftswissenschaften und leitet ein Industrieunternehmen. Nach Berufsaufgabe wird er professioneller Maler mit Ausstellungen im In- und Ausland. In den letzten Jahren schreibt er Lyrik und Romane, die von den Spielarten der Liebe, von der Einsamkeit und der Suche nach Lebensglück erzählen.

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„Gestatten, von Knattern“, sagte er und streckte seinen Arm vor, steif und zackig wie eine Aufziehfigur aus der Spielzeugkiste, steif auch seine Beine, mit denen er ein paar Zentimeter vorwärtszockelte - fehlte noch, dass er das Blechscheppern und Rattern des Spielzeugs nachahmte - und bevor der Angeredete die angebotene Hand ergreifen konnte, falls er das überhaupt vorhatte, drehte der angebliche von Knatten, also der Mühlweck, die Handfläche schnell nach oben, sodass jeder kapierte, er sollte sein Geld herausrücken. Doch die meisten gingen vorbei, tippten sich an die Stirn oder sagten irgendetwas Unfreundliches. Die Freunde standen daneben. Teils lauerten sie auf einen Obolus, teils spielten sie die Unbeteiligten, die zufällig hier herumhingen. Besonders Peter trieb das bis zur Vollendung: Er machte den Eindruck, als sei er nicht da. Trotz seiner Größe konnte er leicht übersehen werden, weil er oft mit seinem Kopf woanders war und nie bei der Sache. Sein Blick mit dem schepsen Auge war dann leer und seine Ausstrahlung abgestellt. Was da in ihm vorging, weiß der Teufel! Sobald die Sache langweilig wurde oder die Kunden ausblieben, zählten sie ihre Barschaft zusammen und zogen johlend nebenan in den Pavillon vom Heurong und kauften Süßigkeiten; das waren ein paar Himbeerbonbons, Pfefferminzkissen und, wenn das Geld reichte, ein, zwei Tütchen Brausepulver. Der Peter ging meistens nicht mit, vor allem dann nicht, wenn das Hänschen mit dabei war, denn zu dritt vertrugen sie sich nicht: Peter, das Hänschen und der Mühlweck. Er hatte dem Hänschen sogar einmal die Fresse… Aber so wird das nichts! Es können nicht wahllos Geschichten aus seinem Leben herausgegriffen werden, um ihn zu beschreiben und einigermaßen zu verstehen. Sein Leben war eh ein Wirrwarr, im Krieg, in der Nachkriegszeit und dem Tohuwabohu, das danach kam. Alles muss der Reihe nach berichtet werden, möglichst aus seiner Sicht. Die Sicht in diesem Alter ist einfacher und weniger dramatisch. Mag sein, dass die Jungen um die Seele eine Schutzhülle haben, die Schlimmes erst nach und nach eindringen lässt. Später zeigen sich oft Auswirkungen, die sich keiner erklären kann, wie bei ihm. Psychologisieren brauchts trotzdem nicht, seine Handlungen sind Ausfluss seiner Seele und sprechen für ihn. Aber von Geburt an muss sein Leben auch nicht berichtet werden. Die zehn, zwölf Jahre bis zum Erwachsenwerden reichen. Diese Geschichte mit dem Mühlweck, dem sogenannten Mücke, spielte zu einer Zeit, in der Peter mit seiner Familie längst wieder zurück in der Stadt war. Ein früheres, wichtiges Ereignis, noch im Krieg, war die Sache mit dem Kuchen: Seine Mutter hatte lang gespart. Butter, Mehl, Eier, Zucker und die anderen Zutaten von den täglichen Rationen abgezwackt und auf die Seite gelegt. Das heißt, nicht die Sachen selbst, sondern die Lebensmittelmarken. Dann war es so weit: Sie hatte genug Marken angesammelt, um mit ihrer größten Einkaufstasche in den Laden vom Konsum zu gehen. Gut hatte sie sich auch angezogen für diesen besonderen Gang. Aber sie bekam nicht die ganze Menge der Marken in Naturalien eingetauscht. Die Verkäuferin sagte ihr, sie habe nicht so viel Vorrat für einen einzigen Kunden, da müsste sie in drei, vier Tagen wieder vorbeikommen. Schließlich war alles beisammen in der Küche, bis auf das Mehl, das gab es nicht; stattdessen bekam sie Gries. Sie rührte einen Teig an, unter der Aufsicht von Peter und Rosalinde, gab die Masse in die schwarze, runde Kuchenform und schob sie in die Backröhre, die lang vorher mit Kohlen eingeheizt worden war. Zu dritt saßen sie dann in der Küche, die vom Backofen gemütlich warm wurde, und warteten. Ab und zu stach die Mutter mit einer Nadel in den Kuchen und prüfte den Teig. Irgendwann öffnete sie wieder den Herd und nahm die Backform aus der Röhre und stellte sie auf die Ofenklappe. Genau in diesem Moment heulten die Sirenen, erst kurz, dann dieser lange, schaurige Ton: Fliegeralarm! Es schien so, als habe die Mutter mit ihrer Herdklappe den Alarm ausgelöst. Sie sprangen auf! Peter dachte, wenn er jetzt die Klappe zuschlägt, hört die Sirene mit dem Geheule auf. Aber sie mussten sich sputen. Alles war vorbereitet. Sie zogen ihre Mäntel an, griffen sich ihre Taschen im Hausflur. Die Mutter hastete nochmals zurück in die Küche, nahm den Kuchen aus der Form und ließ ihn auf der Herdklappe stehen zum Abkühlen. Dann liefen sie, rannten auch zwischendurch, zum Bunker im Hof der Schokoladenfabrik. Unterwegs schrie die Mutter auf: Sie habe den Wohnungsschlüssel daheim vergessen, wenn sie zurückkämen, würden sie den Hauswart brauchen: ein schlimmer Gedanke! Der Mann war widerlich, ein Erznazi. Die Sache war schnell vorbei. Gemütlich spazierten sie in der Sonne nach Hause. Die Haustür stand offen und die Wohnungstür auch; ihre Schlüsselsorgen waren umsonst gewesen, dachte Peter. Dann sahen sie, dass die Holztür schräg in den Scharnieren hing. Hatte die Mutter sie so gewaltsam zugeschlagen? Sie gingen in den Flur; die Küchentür war herausgerissen und lag auf dem Boden im Wohnzimmer. Peter ging sofort zum Kuchen. Seine Schuhe knirschten auf Glasscherben, die überall herumlagen. Die Scheibe des Küchenfensters war eingeschlagen, die Rahmen hingen ohne Glas kreuz und quer herum. Auch die Tapeten an den Küchenwänden waren zum Teil heruntergerissen. Nur der Kuchen war heil. Das freute ihn gewaltig. Das Durcheinander ringsum müsste der Hauswart richten. Das gefiel ihm, weil sie immer so blitzblank alles aufräumen mussten. Jetzt hatten sie einen richtigen Saustall! Außerdem sollte der Vater, der angebliche Vater - er und Rosalinde nannten ihn heimlich Angebervater oder nur der Angeber oder auch der Angebliche - in den nächsten Tagen zum Urlaub kommen. Der konnte auch aufräumen. Der echte Vater kam nicht mehr. Die Mutter hatte einmal gesagt: „Kinder, euer Vater kommt nicht mehr. Er ist im Krieg gefallen“, dann weinte sie. Peter fragte sie: „Wenn er gefallen ist, warum steht er nicht auf und kommt zu uns?“ Die Mutter wischte sich mit einem Taschentuch die Augen und sagte: „Er ist jetzt im Himmel. Da kann er nie mehr kommen, aber er ist ein Engel und schaut immer auf dich, damit dir nichts passiert.“ Das war alles recht unverständlich, aber er gewöhnte sich an den Gedanken, fand ihn stark, dass einer vom Himmel herunter auf ihn aufpasste. Statt des Vaters kam dann ein fremder Soldat zur Mutter. Erst saß er ab und zu am Küchentisch und trank einen Zichorie, dann schlief er im Bett vom echten Vater, zog seine Hosen und Jacken an und tat so, als wäre er ihr richtiger Vater und sie müssten gehorchen. Rosalinde sagte zum Peter: „Der ist ein richtiger Arsch“; dabei mochte der Angebliche seine Schwester; ihn mochte er nicht. Zunächst wollten sie den Kuchen essen. Auch die Mutter war einverstanden, obwohl sie etwas traurig zu sein schien. Sie säuberten die Tischplatte von den Glasscherben, stellten den Kuchen in die Mitte und die Rosalinde musste ihn aufschneiden, weil die Mutter nicht konnte. Sie saß nur auf dem Stuhl und sah sich die Bescherung in der Küche an. Da schrie die Schwester auf: Sie hatte sich am Kuchen ein bisschen in die Fingerspitzen gepikst und blutete, weil der Teig voller Glassplitter war, bis tief in sein Inneres hinein. Sie mussten ihn in den Mülleimer werfen. Das war für Peter das Traurigste an dieser Geschichte und an dem Scheißkrieg. Nein, trauriger war, die Mutter anzuschauen. So hatte er sie noch nie gesehen, sie war ihm fremd. Das war unheimlich. Da bekam er Angst. Wenigstens die Mutter durfte sich nicht verändern, wo sie ständig alles veränderte. Aber als er aus dem kaputten Fenster schaute, sah er noch gewaltigere Veränderungen: Im Innenhof dort, wo der große Sandspielplatz lag, war jetzt ein riesiger Bombentrichter, mitten in der Wiese. Die Bäume ringsherum waren verschwunden. Der Bombentrichter war tief, seine Wände waren ganz glatt, wie abgekehrt. Dieser Ort wurde zum Mittelpunkt für sie; nicht nur für die paar Freunde vom Betteln, sondern auch für die Kinder vom Karree. Das war ein Geschrei den ganzen Tag, was da zwischen den vier Häuserblocks schallte, besonders jetzt, wo die Bäume weg waren! Nur wenn es dämmerte oder wenn Fliegeralarm war, wurde es still, abgesehen vom Heulen der Sirenen. Manchmal war es ein Fehlalarm, der sie heimrennen ließ, und kurz danach die Entwarnung sie wieder in den Bombentrichter zurückholte. Dieses Hin und Her passierte jetzt immer öfter. Sie sangen, oder besser grölten, wenn sie heimmussten: „Wenn die Glocke zwölf Uhr schlägt, kommt der Churchill angefegt mit dem Nachttopf unterm Arm, Täterä, Täterä Fliegeralarm.“ Peter langweilte sich bald mit dieser Spielerei und blieb zu Hause oder schaute den anderen vom Küchenfenster aus zu oder zeichnete am Küchentisch. Die Küche war längst wieder in Ordnung. Erst kam der widerliche Hauswart jeden Tag, manchmal zweimal am Tag, und redete mit der Mutter...



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